Geschichtliche Entwicklung
Antike
Bei den Griechen beginnt die gedankliche Beschäftigung mit der Freiheit bei Homer. Er benutzte den Begriff ἐκὠν (hekóon) für den Zustand des Menschen, durch keine äußere Gewalt behindert aus dem Antrieb der eigensten Natur tätig sein zu können.<re>Ilias 6, 522 und 10, 372.</ref> Allmählich entwickelt sich bei Sophokles daraus eine Sinnannäherung zu ἀυτόνομος (autónomos).[1] Das Wort „autonom“ kommt aus dem politischen Kontext und drückt nun die höchste sittliche Freiheit aus, die das Göttliche als eigenstes Gesetz tut.
Bei den Sophisten ist frei, was durch die Natur bestimmt ist, im Gegensatz zu dem, was durch Gesetze erzwungen wird. Doch, was aus dieser Freiheit bewirkt wird, ist selbst notwendig, im Gegensatz zu dem durch das Gesetz auferlegte. Die Natur lässt nur das uns Gemäße entstehen. Da aber der autonome Wille seiner Natur nach auf das uns Gemäße geht, bedeutet „Freiheit“ nun „Der Natur gehorchen.“ (Dies ist die Wurzel der stoischen und kynischen Forderung, gemäß der Natur zu leben.) Die Wahl des Menschen muss auf das ihm Zuträgliche gehen, auf das, was ihn am Leben erhält, und auf die Lust am sittlich Schönen und Guten.[2] Damit wird es zur Pflicht, das Gute zu wollen. Das führt bei Sokrates zum Begriff der Freiheit als „das Tun des Besten“[3] Das setzt die Erkenntnis des Besten voraus und auch eine Wahl im Sinne des Vorziehens. Hier wird erstmalig die sittliche Entscheidung thematisiert. Damit nun nicht das Geringwertigere sich in den Vordergrund drängt und die Wahl des Besten ausschließt, ist durch läuternde Selbstbeherrschung die „Autarkie“ zu erringen und durch Forschen das Beste zu ermitteln. Dabei ist nicht das eigene Wissen maßgeblich, sondern die durch Eingeständnis des Nichtwissens zu erreichende Öffnung für die göttlichen Warnungen vor dem Nicht-Besten.[4] Der Inhalt der so verstandenen Freiheit ist das „Folge Gott“. Die Kyniker haben von Sokrates das Streben nach Autarkie übernommen und zum Ideal der Bedürfnislosigkeit stilisiert. Antisthenes und Diogenes sind Vorbilder für diese Haltung. Nach Platon besteht die Freiheit nicht aus dem Wählenkönnen, sondern in der inneren Notwendigkeit, das eigene Sein als seine höchste Möglichkeit, die die Götter gesetzt haben, zu wollen.[5] Aber auch er kennt die echte Wahl, indem er davon ausgeht, dass die präexistente Seele ihre Lebensweise, ihr „Los“, kraft der Einsicht, die sie in einem bereits vorher gelebten Dasein durch ihre Entscheidungen gewonnen hat, auswählt und damit auch für dieses Los verantwortlich ist.[6] Aristoteles lehnte die Entscheidung in der Präexistenz ab und postulierte die freie Wahlentscheidung im konkreten Handlungsakt. Nach ihm führt das Streben zum Guten zur Verwirklichung des Gesollten, ohne das nicht Gesollte auszuschließen.[7] Dazu ist Erkenntnis nötig. So definiert er die Wahl als ein „Mit-sich-zu-Rate-Gehen“ zur Ermittlung des Richtigen, welches dann in der Handlung entschieden wird.[8] Die Stoa sieht die Freiheit als Vollmacht, aus sich selbst zu handeln.[9] Der Vernünftige kann tun, was er will, weil er die vernünftige Überlegung hat, d.h. mit dem Willen des weltumfassenden Logos in Übereinstimmung gekommen ist. Durch die Einbettung in den Kosmos haben wir die Freiheit nur zusammen mit der Notwendigkeit, dem Schicksal. Der Mensch fällt durch seine Freiheit nicht aus der Natur heraus, sondern Freiheit und Notwendigkeit fallen in seiner Natur zusammen.
Seneca sieht die Freiheit als Herrschaft über die niederen Seelenkräfte, die Affekte und die Lebensumstände.[10] In dieser Lebensordnung ist der Weise autark, und innerhalb ihrer Grenzen ist alles in seiner Gewalt, sogar das Leben, das er der Gottheit, von der er es empfangen hat, zurückgeben kann.[11] Er sieht die Freiheit im „Gott-Gehorchen“.[12] Bei Epiktet ist der tiefste Grund der Freiheit die Wahl, die innerste Macht der Selbstverfügung, die selbst Zeus nicht besiegen kann. „Frei ist, dem alles nach seiner freien Entscheidung geschieht.“ Die Freiheit ist das von der Gottheit geschenkte, das er ihr dadurch zurückerstattet, dass er Goott gehorcht. Durch seinen unbedingten Gottesgehordsam wird der Mensch frei gegen diesen Gott. Alexander von Aphrodisias schließlich beschränkt die Freiheit auf das Tun oder Unterlassen des Vernunftgemäßen, also auch das Unvernünftige tun zu können und so den Beweis zu führen, dass er das Gute, das er tut, in Freiheit tut.[13]
Bei Plotin ist der Mensch nicht schlechterdings frei. Nur das Ewige im Menschen, die Seele, ist frei.[14] Der Leib steht unter der Verbindlichkeit der Weltordnung und der durch sie bestimmten Gesetze. Wirkt die ureigene Natur des Menschen, dann ist auch der Mensch voll und ganz frei und sebst Grund seiner Taten.[15] Diese Freiheit hat der Mensch aber nicht in seinem Handeln an der äußeren Wirklichkeit, die nicht in seiner Gewalt ist. Er unterscheidet zwischen der Freiheit der vollen Selbstmächtigkeit und der untergeordneten Freiheit der Wahl. Das aber ist die Freiheit, die dem Menschen zukommt, sofern er vorausschauend aufgrund von Überlegungen tätig ist. In seiner Folge kommen dann die Neuplatoniker dazu, nicht mehr von freiem handeln zu reden, sondern von einer Befreiung im Sinne von Erlösung aus der Notwendigkeit der Natur zu einer allein freien selbstmächtigen Seinsweise des Göttlichen.[16] Durch die Hingabe an Gott wird der Mensch zur Mitursache am göttlichen Handeln. Durch die einende Erkenntnis Gottes wird zugleich die absolute Freiheit des göttlichen Wirkens im Geist des Menschen vollendet.[17]
Antikes Christentum
Weder das Alte noch das Neue Testament thematisieren die Freiheit selbst - wenn man von der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens absieht. Vielmehr setzen sie die Freiheit der Entscheidung für Gut oder Böse voraus.
Noch vor dem neutestamentlichen Schrifttum befasst sich Philo von Alexandria mit diesem Begriff. Für ihn ist nur Gott, „das auf nichts bezogene, ganz mit sich selbst erfüllte, sich selbst genügende höchste Seiende“ frei.[18] Der Mensch trägt in sich ein aktives und passives Prinzip. Das aktive Prinzip kann nicht von sich aus wirksam werden, sondern Gott muss es zur Vollendung führen. Der meschliche Geist ist eine Mitte und Gott ist eine Mitte. Der menschliche Sündenfall ist die Eigenwerdung des Menschen auf seine eigene Mitte hin, statt auf die göttliche Mitte. Solche Selbstwerdung führt in die äußerste Unfreiheit. Wer sich selbst zur bestimmenden Mitte macht, versucht, sich selbst Gott gleich zu machen. Die stoische Grundforderung der Selbstaneignung im sittlichen Handeln ist für Philon der vollendete Abfall, das Böse schlechthin.[19]
In der frühchristlichen Literatur der Apostolischen Väter wird griechische Begrifflichkeit mit ihr fremden Inhalten aufgefüllt. Die Freiheitsproblematik wird nicht eigens behandelt. Dies geschieht erst bei den frühchristlichen Apologeten. Justin wandte sich gegen die Aussage der Stoiker, dass ein Mensch auf Grund eines schicksalhaften Verhängnisses gut oder böse sei, und behauptete, dass der Mensch aus freier Entscheidung das Rechte tue als es auch verfehle. Aber diese für ihn notwendige Begründung der persönlichen Verantwortlichkeit führt zu dem in der Folgezeit immer wieder auftretenden Problem des Zusammengehens von menschlicher Freiheit und göttlichen Vorherwissen.[20] Nach Tatian reiht sich der freie Entschluss des freien Menschen in den von den Heiden als fatum missdeuteten Weltzusammenhang, den Gott voraussieht.[21] Aber er löst das Problem des Nebeneinander von göttlicher Fügung und menschlicher Freiheit nicht. Einerseits kann sich der Mensch vom Bösen selbst abwesnen, andererseits rettet nur der Geist Gottes die Seele.[22] Parallel dazu verlegt die Gnosis das Verhältnis beider in die mythische Präexistenz. Nach Irenaeus ist Freiheit die Entfaltung des Heilswillens Gottes in der Weltzeit, als Geschichte des Menschen im Kosmos. Nur Gott ist absolut frei. Als Urbild gilt der freie Gehorsam des Menschensohns, der in seinem Erlösungswirken die Geschichte der Menschheit zusammenfasst.[23]Demgegenüber greift Clemens von Alexandria wieder auf den Gegensatz von menschlicher Freiheit udn göttlicher Gnade zurück. Der Mensch hat nach ihm ein natürliches auf das Gute hin angelegtes Vermögen, mit dem er seine Triebnatur überwinden kann. Diese Selbstmacht des Menschen führt auch zur Zurechenbarkeit seiner Entscheidung. Gottes Wille ist es, dass wir im Wollen des Guten wählen und uns durch diese Erkenntnis aus uns selbst heraus erlösen.[24] Hier überschreitet Clemens die Grenze zum Gnostizismus. Origenes meint, dass die präexistente Seele zwischen dem Guten und dem Bösen als Existenzform wähle. Einmal in der Welt kann sich der Mensch trotzdem auch durch sein sittliches handeln wieder zum göttlichen Geist erheben., Gottes Vorherwissen hebt nach ihm die freie Entscheidung ebensowenig auf, wie sie Ursache der gewussten Ereignisse ist.[25]De Spiritu et littera n. 5</ref>
Augustinus schließlich unterscheidet das „Wollen“ als geistiges Grundvermögen des Menschen und das „liberum arbitrium“ der Entscheidung.[26] Diesen Willen betrachtet er als die Ursache seiner selbst. Das Wollen differenziert sich nach dem Sein des Gewollten: Das „rechte Wollen“ orientiert sich an der Ordnung des Seienden und ist daher immer auf das höchste Sein hin ausgerichtet. Das „böse Wollen“ ist das, welches diese Ordnung verkehrt. Die Entscheidung gegen das höchste Gut ist immer ein Versagen. Dieses Wollen ist aber nicht Ausdruck von Macht, sondern von Ohnmacht als Folge der Ursünde. Dieses Wollen wird zum Begehren und Habenwollen. Um nun die Freiheit Gottes zu wahren, denkt Augustin von der paulinische Rechtfertigungslehere her, dass dass nur der zur vollendeten Freiheit des höchsten Seins gelangt, den Gott von Ewigkeit her dazu bestimmt hat.[27]
Mittelalter
Das mittelalterliche Denken über die Freiheit wird von zwei Traditionssträngen bestimmt: Auf der einen Seite steht die mystische Theologie des christlichen Ostens, die zu Johannes Scotus Eriugena und Nikolaus von Kues führt, auf der anderen Seite die Dialektik zwischen von Freiheit und Gnade die von Augustinus zu Wilhelm von Ockham und Luther führt. Die Diskussion bewegte sich im übrigen innerhalb christlich-dogmatisch vorgegebener Fixpunkte unter Berücksichtigung der antiken Philosophen. Die Bemühungen drehten sich um die Aufgabe, einen Freiheitsbegriff zu entwickelmn, der nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Gott, die Engel und sogar auf die Dämonen anwendbar ist, die Sündlosigkeit Jesu unter Wahrung siener Freiheit zu erklären und die Fähigkeit des Menschen zum guten Handeln unabhängig von der Gnade Gottes zu verneinen und ihm nur die Freiheit zum Bösen zuzuweisen. Anselm von Canterbury bestimmte das liberum arbitrium von seinem Ziel her, welches die Vernunft aufzeige und der Wille ungezwungen wähle.[28] Abaelard meinte, dass das liberum arbitrium die Fähigkeit sei, das von der Vernunft erkannte ungezwungen zu tun.[29] Das Ende der Diskussion bildet Thomas von Aquin. Der Wille ist nach ihm insofern nicht frei, als er notwendig auf einen beseligenden Endzweck strebt. Er verstand das liberum arbitrium als das rationale Vermögen des Willens in Bezug auf die Wahl der Mittel, ein Ziel zu erreichen. Das Ziel selbst sah er nicht als Gegenstand des liberum arbitrium an, vielmehr sei es dessen Voraussetzung.[30] Dieser Ansatz, die Freiheitlichkeit des Aktes ausschließlich auf den Willen selbst und den Intellekt auf die Präsentation des Objektes zu beschränken, führt Duns Scotus weiter aus. Er wendet sich explizit gegen den Intellektualismus, der den Intellekt als Ursache für den freien Akt betrachtete. Freiheit sei der Gegensatz zur naturhaften Bewegung, zu der er auch den Intellekt zählte. In sich sei der Wille absolut frei. Nicht die Rationalität sondern die Freiheit selbst hebe den Willen über alle Arten des Strebens hinaus. Damit wird die These, die Erkenntnis sei Ursache oder Teilursache des Willensaktes, abgelehnt.[31] Wilhelm von Ockham schließlich stellt fest, dass die Freiheit nicht durch ein Vernunftargument zu beweisen sei, aber auf Grund der Innenerfahrung feststehe. Die Freiheit Gottes könne man nicht mit dem Verstande begründen, sondern nur im Glauben annehmen. Die menschliche Freiheit aber sei in der Lage, durch vollkommene Gottesliebe dem Menschen eine Disposition für seine fest zugesagten Gnade zu schaffen. Damit ist das liberum arbitrium von göttlicher Mitwirkung losgelöst und ist selbst Ursache für das Gottesverhältnis, wenn auch vom Geschöpflichen her auf Gott zurückzuführen.
Fußnoten
- ↑ Antigone 821
- ↑ Aristipp, zitiert von Sextus Empiricus in Adversus mathematicos VII, 11 und Demokrit bei Diels-Kranz 2, 187:B 207
- ↑ Xenophon, Memorabilien IV, 5, 3
- ↑ Platon, Apologie 31 c/d
- ↑ Politeia 620 d/e.
- ↑ Politeia 617 e
- ↑ Nikomachische Ethik 1111 a 29 ff.
- ↑ Nikomachische Ethik 1113 a 4
- ↑ Chrysipp, Stoicorum veterum fragmenta 3, 355.
- ↑ Seneca Epistulae morales 9.
- ↑ Seneca, De tranquilitate animae 11, 3
- ↑ Seneca, De vita beata 15, 7.
- ↑ Alexander de Aphrodisias, De fato V, 14.
- ↑ Enneaden VI 8,4
- ↑ Enneaden III 2, 10
- ↑ Jamblichos, De Mysteriis VII, 6 ff., X 5, und IV 3
- ↑ Jamblichos, De Mysteriis I, 3.
- ↑ De mutatione nominum 27
- ↑ De sacrificiis Abelis et Caini 58
- ↑ Warnach Sp. 1076
- ↑ Oratio ad Graecos VII, 2 ff.
- ↑ Oratio ad Graecos XI, 5 und XIII, 3
- ↑ Wird in seinem Werk Adversus haereses entfaltet.
- ↑ Das wird vor allem in seinem Werk Stromateis entfaltet.
- ↑ Wird in der Homilie zur Genesis und in „Peri Archón“ entwickelt.
- ↑ De Spiritu et littera. n. 5
- ↑ De diversis quaestionibus ad Simplicianum I, 2 n 10
- ↑ De libertate arbitrii Kap. 3.
- ↑ Introductio ad theologiam, Buch III. Kap. 7
- ↑ Summa theologica I, 81-83.
- ↑ Balic, Additiones magnae S. 299
Literatur
- C. Balić: Additiones magnae. In: Les commentaires de Jean Duns Scot sur les quatre livres des Sentences, étude historique et critique. Louvain 1927. S. 265-301. (Es handelt sich um eine postume Zusammenstellung von Material seiner Pariser und Oxforder Vorlesungen durch seinen Sekretär William von Alnwick, einem ebenfalls bedeutenden Theologen.)
- Herrmann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch. 8./9. Aufl. hg. v. Walter Kranz. 3 Bde. (Unveränderter Nachdruck d. Ausgabe 1956) Hildesheim: Olms 1992 ff.
- Walter Warnach: Freiheit. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 2. Darmstadt 1972.
- Hans von Arnim (Hrg.): Chrysippi fragmenta moralia. Fragmenta successorum Chrysippi. In:Stoicorum veterum fragmenta. Bd. III. München 1978.
- Plotin: Plotins Schriften in zwölf Bänden. 2004, ISBN 3787317090
- Jamblichos: De mysteriis (dt.: Über die Geheimlehren, ISBN 3-487-07947-X)
- Augustinus: De Spiritu et littera. Geist u. Buchstabe (lat. u. dt.). Übertr. v. Anselm Forster, 1968.
- Kurt Flasch (Hg.): Logik des Schreckens, Augustinus von Hippo, de diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2. Deutsche Erstübersetzung von Walter Schäfer, hg. und erklärt von Kurt Flasch, 2. Aufl. (Reihe "excerpta classica"). Mainz 1995. ISBN: 3871620238