Théoneste Bagosora

ruandischer Oberst, militärischer Planer des Völkermords in Ruanda
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Oberst Théoneste Bagosora wurde am 16. August 1941 in Giciye im Nordosten Ruandas geboren. Bagosora zählt zur Bevölkerungsgruppe der Hutu. Er gilt als der führende militärische Planer des Völkermords in Ruanda, bei dem von April bis Juli 1994 cirka 800.000 Menschen ermordet wurden.

Militärische Laufbahn

Bagosora erhielt 1964 ein Diplom der Offiziersschule von Kigali und verließ sie im Rang eines Unterleutnants. Als einer der ersten ruandischen Offiziere setzte er seine militärischen Studien in Frankreich fort. Er war stellvertretender Kommandeur der École Supérieure Militaire in Kilgali und Kommandeur der östlich von Ruandas Hauptstand gelegenen Kaserne von Kanombe, bevor er im Juni 1992 zum Stabschef im Verteidigungsministerium ernannt wurde. Am 23. September 1993 quittierte Bagosora seinen Militärdienst, diente dem Verteidigungsminister jedoch weiterhin als Stabschef. Diese Position hatte er bis Mitte Juli 1994 inne.

Planung und Vorbereitung des Völkermords

Drohender Machtverlust und Planung des Völkermords

Bagosora gehörte zum inneren Kreis der politischen Elite des Landes um Präsident Juvénal Habyarimana, mit dessen Frau Agathe er verwandt ist. Zu diesem Zirkel zählten fast ausschließlich Hutu, die wie Habyarimana aus dem Norden bzw. Nordosten Ruandas stammten.

Bereits Ende der 80er Jahre setzten nationale und internationale Forderungen nach Demokratisierung und Pluralismus den Einparteienstaat Habyarimanas unter Druck. Seit Oktober 1990 erhöhte sich dieser Druck, weil die Rebellentruppe Ruandische Patriotische Front (RPF), die sich vorzugsweise aus exilierten Tutsi zusammensetzte, von Uganda aus wiederholt erfolgreiche Angriffe auf staatliche und militärischen Einrichtungen Ruandas unternahm.

Wie andere radikale Hutu war auch Bagosora ein erklärter Gegner der Tutsi Ruandas. Er hielt sie für unrechtmäßige Eindringlinge und für Komplizen der Rebellenarmee. Laut Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda verschwor er sich von Ende 1990 bis Mitte 1994 mit gleich gesinnten Radikalen, um einen Plan zur Vernichtung der Tutsi auszuarbeiten und umzusetzen sowie zugleich Hutu-Oppositionelle zu beseitigen. Auf diese Weise sollte die Macht des Zirkels um Habyarimana gewahrt bleiben. Elemente dieses Plans waren die Förderung von ethnischer Gewalt und Hass, die Aufstellung und die Ausbildung von Hutu-Milizen, der Kauf und die Verteilung von Waffen an Hutu sowie die Anfertigung von umfangreichen Todeslisten.[1]

Denkschrift zur Feinderklärung

Am 4. Dezember 1991 setzte Habyarimana eine Militärkommission ein, die eine Denkschrift ausarbeiteten sollte. Die Leitfrage dabei war: Was muss unternommen werden, um den Feind in militärischer, medialer und politischer Hinsicht zu besiegen? Bagosora übernahm den Vorsitz dieser Kommission. Der entscheidende Teil der Denkschrift wurde ab September 1992 innerhalb der ruandischen Armee gezielt und breit gestreut. Die entscheidenden Passagen des Memorandums fanden sich im September 1992 auch auf Flugblättern einer radikalen Hutu-Partei. Nach diesen Passagen setzte sich der „Hauptfeind“ aus folgenden Gruppen zusammen:

  • Tutsi-Flüchtlinge
  • Mitglieder der ugandischen Armee
  • Tutsi, die in Ruanda leben
  • Hutu, die mit dem Habyarimana-Regime unzufrieden sind
  • Arbeitslose innerhalb und außerhalb Ruandas
  • Ausländer, die mit Tutsi-Frauen verheiratet sind
  • in der Region lebende nilohamitische Völker und
  • Kriminelle

Jeder, der den Hauptfeind in irgendeiner Weise den Feind unterstützt, wurde ferner als sekundärer Feind definiert. In der Denkschrift wurde unterstellt, der Feind habe bereits einflussreiche Positionen in Politik und Verwaltung inne. Im Dokument wurden überdies mehrere bekannte Personen namentlich als Feinde bezeichnet. Gemäß der Anklage gegen Bagosora haben der Inhalt und die Verwendung des Memorandums durch die Armeeführung ethnischen Hass und Gewalt gefördert und dazu aufgerufen.

Von Oktober 1990 bis April 1994 wurden Tutsi und Hutu-Oppositionelle immer wieder Opfer von Gewalt und Massakern, die als Rache für militärische Erfolge der RPF deklariert wurden. Die Behörden förderten diese Gewaltakte oder nahmen sie hin. Die Täter wurden nie bestraft. Diese Überfälle, bei denen etwa 2.000 Tutsi und etliche Hutu niedergemetzelt wurden, waren Vorläufer des Völkermords von 1994.[2]

Todeslisten und Verteilung von Waffen

1992 wies Bagosora Generalstabsmitglieder an, Listen über „Feinde“ und deren Unterstützer zu erstellen. Diese Listen wurden angefertigt und im Anschluss regelmäßig aktualisiert. Sie wurden während des Völkermords unter anderem von den Milizen, wie der Interahamwe, benutzt.

Bagosora hat an der Bewaffnung von Milizen und ausgewählten Zivilisten mitgewirkt, die später am Völkermord direkt beteiligt waren. Diese Mithilfe bei der Bewaffnung nicht-militärischer Personengruppen bezog sich beispielsweise im Februar 1993 auf seine Heimat Giciye.

Widerstand gegen das Arusha-Abkommen

Bagosora nahm an Verhandlungen im Rahmen des Arusha-Abkommens teil. Allerdings opponierte er scharf gegen jedes Zugeständnis an die RPF. Er verließ schließlich den Verhandlungstisch in Richtung Ruanda mit den Worten, er werde ’’die Apokalypse vorbereiten’’. Mehrfach hat Bagosora vor Zeugen davon gesprochen, die Lösung der Konflikte läge in solch einer ’’Apokalypse’’, bei der alle Tutsi vernichtet werden; erst anschließend sei mit einem dauerhaften Frieden zu rechnen. Noch wenige Tage vor dem Beginn des Völkermords am 6. April 1994 wiederholte Bagosora, nur in der Vernichtung der Tutsi läge die Lösung für die Krise des Landes.[3]

Führende Position während des Völkermords

Vorsitz des Krisenstabs

Nach dem Abschuss des Flugzeugs von Präsident Habyarimana am Abend des 6. April 1994 nutzte Bagosora die Abwesenheit von anderen führenden Militärs der ruandischen Armee, um sich als Chef eines „Krisenstabes“ zu inthronisieren, der ausschließlich aus ranghohen Offizieren bestand. Bagorosa strebte in dieser Situation auch die Übernahme der politischen Macht an, was von der Mehrheit des Krisenstabs jedoch abgelehnt wurde. Er weigerte sich mehrfach, die Premierministerin Agathe Uwilingiyimana zu konsultieren, die nach dem Tod des Präsidenten das höchste Staatsamt bekleidete.

Ermordung von Regierungsmitgliedern und belgischen UNAMIR-Soldaten

In den Stunden der Etablierung des Krisenstabs unter Bagosora wurde Agathe Uwilingiyimana von Militärangehörigen ermordet. Auch weitere Regierungsmitglieder wurden in diesen ersten Stunden des Völkermords getötet. Zu den ersten Opfern gehörten ebenfalls zehn belgische Soldaten, die zum Kontingent der UN-Friedenstruppe UNAMIR zählten. Sie wurden bei ihrem Versuch, Premierministerin Uwilingiyimana zu schützen, umgebracht. Bagosora war zur Tatzeit in unmittelbarer Nähe des Tatorts und wusste von der Gefährdung der Belgier, schritt aber nicht ein. Der Mord an den belgischen Soldaten führte zum raschen Rückzug fast der gesamten UNAMIR-Mission aus Ruanda.

Etablierung einer Übergangsregierung

Am Morgen des 8. April 1994 versammelte Bagosora eine ausgewählte Gruppe von Politikern um sich, um eine Übergangsregierung bilden und einen Staatspräsidenten ernennen zu lassen. Die Übergangsregierung setzte sich aus Personen zusammen, die allesamt zu den radikalen Hutu und den Habyarimana-Anhängern gehörten. Zum Staatpräsidenten wurde Théodore Sindikubwabo ernannt. Mit diesen Entscheidungen wurde das Arusha-Abkommen hinfällig, das eine Teilung der politischen und militärischen Macht zwischen den Habyarimana-Anhängern, den Hutu-Oppositionellen und der RPF vorsah. Die Übergangsregierung setzte die vorhandenen Pläne zur Durchführung des Völkermords an den Tutsi und zur Eliminierung der Hutu-Oppositionellen um.

Befehle zum Völkermord

 
Mumifizierte Leichen in der Murambi Technical School

Bagosora hat gemäß der Anklage Befehle zum Völkermord erteilt, von seiner Durchführung gewusst und jedes Einschreiten gegen diese Taten abgelehnt.

Direkte Befehle zur Ausübung des Völkermords haben die Präsidentengarde, die Parakommandos sowie das Aufklärungsbataillon durch Bagosora erhalten. Auch soll er persönlich der Interhamwe in Remera, einem Ort im Westen Ruandas, den Auftrag zum Beginn des Mordens erteilt haben. Am 7. April 1994 rief er die Bürger Ruandas außerdem über das Radio dazu auf, in ihren Häusern zu bleiben. Dieser Aufruf hat den Anklagebehörden zufolge die Ermordung der Personen erleichtert, die auf den vorbereiteten Todeslisten geführt wurden.

Am 11. April 1994 war Bagosora nach Zeugenaussagen vor Ort, als die Interahamwe und Einheiten der ruandischen Armee gemeinsam die École Technique Officielle umstellten, um Tutsi, die sich dorthin geflüchtet hatten, herauszuholen. Eine größere Gruppe dieser Tutsi wurde zu einem Fußmarsch gezwungen und dabei massakriert.

Flucht und Prozess

Nach dem Sieg der Rebellenarmee RPF flüchtete Bagosora im Juli 1994 außer Landes. Am 9. März 1996 in wurde er in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, festgenommen und am 23. Januar 1997 nach Arusha (Tansania) verbracht.

Die Anklage wirft Bagosora in zwölf Anklagepunkten Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen vor. Seit Anfang April 2002 wird Bagosora sowie drei weiteren führenden Militärs (Gratien Kabaligi, Anatole Nsengiyumva und Aloys Ntabakuze) vor der ersten Kammer des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda der Prozess gemacht. In allen Anklagepunkten erklärte sich Bagosora für nicht schuldig.

Quellen

  1. Anklage gegen Bagosora, Seite 18.
  2. Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Hamburger Edition 2002. ISBN 3-930908-80-8, S. 119.
  3. Anklage gegen Bagosora, Seite 21.