Schlagfertigkeit

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Als Schlagfertigkeit bezeichnet man das schnelle sprachliche Reagieren auf unvorhergesehene Situationen. Das Wort ist aus dem Militär-Jargon entlehnt, wo die Schlagfertigkeit einer Armee ihre Bereitschaft zum sofortigen Einsatz bedeutet. Im 19. Jahrhundert nahm das Wort „schlagfertig“ dann die heutige Bedeutung „um keine Antwort verlegen, witzig“ an.

Als schlagfertig gilt ein Mensch, der in der Lage ist, in jeder Situation spontan eine treffende oder witzige Bemerkung zu machen. Generell wird angenommen, dass Schlagfertigkeit eine angeborene Begabung ist, die sich nur in Grenzen trainieren lässt. Die Fähigkeit zu einer schnellen Reaktion auf unvorhergesehene Bemerkungen oder Ereignisse, die sprachlich gut ausformuliert und witzig oder geistreich ist, ist selten anzutreffen. Das sprachliche Reaktionsvermögen ist jedoch im Allgemeinen durchaus trainierbar.

Da Schlagfertigkeit als positive Eigenschaft gilt, wurden schlagfertige Reaktionen berühmter Persönlichkeiten früher in Anekdoten- und Zitatensammlungen weitergegeben. Auch heute erscheint es (Auto-)Biographen besonders erstrebenswert, ihren Hauptfiguren in wichtigen Situationen möglichst schlagfertige Reaktionen in den Mund zu legen.

Ein Beispiel für eine Anekdote, die eine angeblich authentische Reaktion des britischen Premiers Winston Churchill berichtet, der für seine rhetorische Begabung berühmt war:

Winston Churchill wurde während einer Abendgesellschaft von Lady Astor angegriffen. Die Dame sagte: „Wenn ich Ihre Frau wäre, würde ich Ihnen Gift in den Kaffee schütten.“ Darauf antwortete Churchill: „Wenn ich Ihr Mann wäre, würde ich ihn trinken.“

Schlagfertigkeit kann den Gegenüber oder das Publikum überraschen, aber auch den schlagfertigen Sprecher selbst, der ja spontan, ohne Möglichkeit der Reflexion reagiert. Folgt man Niklas Luhmann, ergibt sich durch eine Überraschung eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die laufende Kommunikation fortgesetzt wird. Schlagfertigkeit kann deshalb ein besonders gutes Beispiel für die gelungene Fortsetzung einer Kommunikation sein, da wider Erwarten gelingt, was durch eine Invektive eigentlich unterbunden werden sollte. Der Angegriffene lenkt die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich und schafft Anschluss in einer Situation, die nicht auf Anschlussfähigkeit hin angelegt ist. Eine schlagfertige Bemerkung wäre in diesem Sinne keine „Pointe“, auf die eine Dramaturgie zuläuft, sondern eine Reaktion auf Ereignisse, die ansonsten möglicherweise die Kommunikation stoppen könnten - wenn man so will, eine Art „Notschalter“, der dafür sorgt, dass die Kommunikation in jedem Fall weiterfließt, egal wie dumm, peinlich oder unangenehm die Bemerkung ist, die das Gegenüber gerade gemacht hat.

Schlagfertigkeit ist überall dort eine gefragte Eigenschaft, wo in einem sozialen Kontext die Gefahr besteht, dass das feste Protokoll plötzlich unterbrochen wird, etwa bei öffentlichen Reden. In der Rhetorik ist Schlagfertigkeit daher eine wichtige Fähigkeit, um auf unvorhergesehene Ereignisse souverän reagieren zu können. Es gilt als besondere Fähigkeit eines guten Redners, vom vorbereiten Text einer Rede abzuweichen und mit geistreichen Erwiderungen auf Zwischenrufe und unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren. Der Redner zeigt sich spontan und wendig, er kann peinliche Zwischenfälle herunterspielen oder sich gegen spontane Angriffe zur Wehr setzen.

In anderen Situationen ist die überraschende Unterbrechung des Protokolls geradezu erwünscht, weil sie für das Publikum unterhaltsam ist. Das ist beispielsweise häufig bei Unterhaltungssendungen der Fall. Fernsehmoderatoren und Comedians werden häufig wegen ihrer Schlagfertigkeit eingesetzt, die ihnen hilft, Pausen in Talkrunden zu überbrücken. Hier spricht man auch von Improvisationstalent. Es kommt besonders bei Kunstformen wie dem Improvisationstheater und der Stegreifkomödie zum Einsatz.

Schlagfertigkeit als Durchsetzungsfähigkeit

Schlagfertigkeit kann auch der sozialen Durchsetzung dienen. Eine schlagfertige Erwiderung auf eine Beleidigung etwa kann den Angreifer selbst in schlechtem Licht erscheinen lassen. Wenn es einem Menschen gelingt, in einer Verhandlung, einem Meeting oder einer Debatte souveräne und spontane Antworten zu geben, seinen Standpunkt gegenüber Angriffen zu verteidigen, präsentiert er sich ebenfalls als schlagfertig.

In diesem Zusammenhang gibt es seit etwa 1995 auch Erfolgstrainer, die angeben, gezielt die Schlagfertigkeit ihrer zahlenden Kunden trainieren zu können. Auch Ratgeberliteratur befasst sich mit diesem Thema. Institute zur beruflichen Weiterbildung und Anbieter von Seminaren verkaufen „Schlagfertigkeit“ meist unter modischen Kunstworten wie „Provokative Rhetorik“ oder „Power Talking“. Nicht selten geht es dabei weniger um eine Anleitung zur Schlagfertigkeit als um ein Training aggressiver Durchsetzungsfähigkeit. Andere Schlagfertigkeits-Trainer bieten Kurse an, die es Schüchternen erleichtern sollen, sprachlich zu „kontern“, wenn sie angegriffen werden, oder ihnen helfen sollen, leichter soziale Kontakte und beruflichen Erfolg zu erreichen. Hier verschwimmen die Grenzen zu allgemeiner Rhetorik, zu Konversations-Trainings oder Anleitungen zum "Small-Talk".

Ist Schlagfertigkeit trainierbar?

„Wer hat eigentlich Ihr neues Buch geschrieben?“ – „Wer hat es Ihnen denn vorgelesen?“ Diese sorg-fältig vergiftete Replik auf die empfangene Bosheit würden wir vermutlich übereinstimmend als schlag-fertig werten: sie kommt locker, fix, treffend, passend und zündend. Beharrlich weigere ich mich, etwas als ‚schlagfertig’ zu preisen, was bereits zurechtgelegt worden war, bevor die herausfordernde Situation eintrat. Allerdings finden sich in fast allen Ratgeberbüchern zur Schlagfertigkeit Rezepte für alle Fälle, mit denen die Leser – so der Anspruch – schlagfertig jede Situation meistern könnten. Auch ich selbst habe eine derartige ‚Rezeptologie’ zurechtgeformt (insbesondere für Trainingsteilneh-mer mit hoher Erwartung und geringer Disposition). Jedoch ist das Kontern mit vorgefertigten Reaktionsweisen gewiss nicht das, was wir unter Schlagfertigkeit verstehen sollten, sondern lediglich Behelf in einer Situation, in der wir eben gerade nicht schlagfertig sind, aber so gut es geht das Gesicht wahren und, wenn’s denn klappt, auch noch punkten wollen. Nach meinem Verständnis kann es schon per definitionem keine ‚Prefab-Schlagfertigkeit’ geben. Schlagfertigkeit ist und bleibt für mich eine geistige Disposition, mit der es gelingt, den Spezifitäten jeweils gegebener Situationen ad hoc witzig Rechnung zu tragen. Dazu sind eine Reihe von notwendigen und begünstigenden Eigenschaf-ten wichtig, wie · wache Auffassungsgabe · großer Assoziationsreichtum · karikierendes Bewusstsein · stilsicheres Sozialgespür · vielgestaltiges Sprachrepertoire, also viel mehr, als nur das vorherige Einprägen und Bereithalten bestimmter Formeln. Der Katalog mentaler Voraussetzungen von Schlagfertigkeit setzt sich aus geistigen Eigenschaften zusammen, die - jede für sich - bereits begehrenswert sind; wieviel mehr ist es dann deren gleichzeitiges Vorhanden-sein? Es ist diese Kombination wünschenswerter geistiger Profilspitzen, die den Schlagfertigen weit aus dem Gros seiner Mitmenschen heraushebt, Grund für die hohe Wertschätzung dieser seiner Fähigkeit. Dennoch: jede der bedingenden Eigenschaften lässt sich trainieren – Sprachrepertoire, Sozialgespür usw –, nicht ganz schnell und nicht ganz einfach, aber es geht. Folglich ist auch Schlagfertigkeit trainierbar im Rahmen eines komplexen Mentaltrainingsprogramms, das vom Adepten Eifer und Geduld verlangt - angesichts des attraktiven Ziels wohl nicht zuviel.

(Rolf Mohr)

Schlagfertigkeit aus medizinischer Sicht

Schwankende Schlagfertigkeit bei Menschen ist oft eine Folge wechselnder Tagesfitness. Von manchen Medizinern wird dauerhaft herabgesetzte Reaktionsfähigkeit im Sinne schlagfertiger spontaner Reaktionen auf Fragen und Ansprachen bei Kindern und Erwachsenen als eines der Symptome von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADS/ADHS) gedeutet. Bei bipolaren Störungen kann in Phasen der Manie („Hochphasen“) die Schlagfertigkeit und die Geselligkeit des Betroffenen sprunghaft ansteigen.

Literatur

  • Matthias Nöllke, Schlagfertigkeit, Haufe, 2005, 3. Aufl., ISBN 344806632X
  • Karsten Bredemeier: "SchlagFertigkeit. Das Arbeitsbuch" Orell Füssli, 2003, ISBN 3-280-05065-0
  • Gitte Härter, Christine Öttl, Schlagfertig, Gräfe & Unzer, 2004, ISBN 3774264686
  • Matthias Dahms / Christoph Dahms: "Schlagfertig sein in Rede und Verhandlung". Dahms, 1996, ISBN 3-9804548-1-9
  • Matthias Pöhm, Das NonPlusUltra der Schlagfertigkeit, Moderne Verlagsges. Mvg, 2004, 2. Aufl., ISBN 3636061070