Das Windrad in Wustrow wurde 1989 am Saaler Bodden an der Ostsee als allererste Windkraftanlage in der DDR aufgestellt. Es ist eine der ältesten Windanlagen in Deutschland, die ausschließlich zur Erzeugung von elektrischer Energie betrieben wird. Aufgrund seiner Geschichte gehört das Windrad zu den kulturell und technisch wertvollen Bauten im heutigen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und wurde als technisches Denkmal eingestuft.[1]
Windkraftanlage bei Wustrow
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![]() Das Windrad vom Wasser aus gesehen | ||
Lage und Geschichte
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Koordinaten | 54° 20′ 42″ N, 12° 23′ 2″ O
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Erbaut | 1989 | |
Zustand | im Dienst | |
Technik | ||
Nutzung | Stromerzeugung |
Lage
Das Windrad steht an der Fischland-Küste auf einem Deich an der Ostsee auf dem Weg zwischen Dierhagen und Wustrow. Ein überwiegend steter Westwind vom Saaler Bodden mit durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von 5–6 m/s treibt es an.[2]
Geschichte
Bis Oktober 1989
Der Kaufmann Klaus-Jürgen Beel (* 1941 in Potsdam) war 1966 zum Direktor des VEB Holzhandel Rostock berufen worden. Die Firma erhielt auf dem Schiffsweg sägefrisches Holz aus der Sowjetunion und zerlegte dieses in Bohlen und Bretter für verschiedene Anwendungen, auch für den Weiterexport. Beel setzte sich bald dafür ein, in der Handelsniederlassung die Bretter zu trocknen, zu hobeln und/oder zu spunden. Damit stieg der Wert der Produkte erheblich und deswegen unterstützte auch der DDR-Außenhandel entsprechende Aktivitäten. Angeschafft werden mussten Trockenkammern und möglichst ökologische Wärmeenergieerzeuger. Angeregt durch einen TV-Bericht über Experimente dänischer Techniker zum Bau und der Verwendung von Windrädern an der Nordsee gelang es Beel, das Energiekombinat Nord mit seinem Generaldirektor Günther Reischmann für die Ideen zu begeistern. Und nach dessen Aussage, „Wenn ein geeignetes Gerät importiert würde, wäre der Windstrom für die Holztrocknungsanlage da“, setzte er alle Hebel für den Import eines Windrades in Bewegung. Nach einer ersten Ablehnung zum Import einer dänischen Windkraftanlage durch den Außenhandel nahm Beel anlässlich der Leipziger Messe 1988 persönlichen Kontakt mit dem damaligen Minister Udo Wange auf und erhielt dessen Zusage, dass dieser sich über seinen Ministerassistenten „wohlwollend der Sache“ annehmen werde. Bald erhielt Beel über den Umweg eines eingeschalteten Hamburger Kaufmanns[3] die Importgenehmigung für die verfügbare moderne Anlage Vestas 25 samt zugehörigem montagefertigem Turm zum Kaufpreis von 450.000 DM, vor allem in Erwartung der zusätzlichen Deviseneinnahmen aus dem Verkauf von Trockenholz. Die Lieferung erfolgte 1988 über ein Unternehmen der KoKo ohne Zwischenfälle, als Aufstellort hatten Beel und Spezialisten aus dem Energiekombinat den Ostseedeich bei Wustrow bestimmt. Der benötigte Transformator wurde in einem DDR-Betrieb angefertigt, der verzinkte Turm fest im Deich einbetoniert, ein Elektriker aus Wustrow legte die Anschlüsse. Die eigentliche Montage nahm die dänische Herstellerfirma vor.[2] Noch während der Bauzeit berichtete die Aktuelle Kamera des DDR-Fernsehens am 3. Oktober 1989 über das Projekt.[4]
Hilfe und Unterstützung erhielt Beel von dem im Energiekombinat beschäftigten Ingenieur Otto Jörn (* 1923), der den Erststart der Maschine am 10. Oktober 1989 um 18:32 Uhr vollzog. Die damalige Gemeinde im Bezirk Rostock nahm das Windrad sogar zeitweilig in ihr Wappen auf.[5]
Bereits nach zwei Jahren Betriebsdauer hatte sich die Windradanlage amortisiert, allerdings bestand zu dem Zeitpunkt die DDR nicht mehr.[5]
Seit 1990
Das ehemalige Energiekombinat gelangte nach der deutschen Wiedervereinigung über die Treuhand in das Eigentum des deutschen Energiekonzerns E.ON, ein Holzhändler aus München wurde Besitzer der Rostocker Holzhandelsgesellschaft samt dem Windrad. Das bis dato einzige Windrad zur Energieerzeugung an der deutschen Küste fand weder Zuspruch bei E.ON noch bei dem Münchner – die „Mühle“ sollte als nicht betriebsnotwendig verkauft oder sogar verschrottet werden. Das Grundstück am Deich bekam die Gemeinde Wustrow zugesprochen.[5]
Klaus-Jürgen Beel hatte die Situation beobachtet und hatte seine Tatkraft angestachelt. Er verschaffte sich einen Bankkredit über 300.000 DM und kaufte dem Münchner Besitzer das Windrad damit ab, auch später noch das Trafohaus; sein langjähriger Mitstreiter Otto Jörn sprang wegen des finanziellen Risikos von weiteren Plänen Beels ab. Mit der Gemeinde Wustrow wurde nun ein Pachtvertrag für das Grundstück für die Lebensdauer der Windenergienanlage zu günstigen Konditionen abgeschlossen. Zudem musste noch die Hürde einer Betriebsversicherung genommen werden.[5]
Seitdem speist Beel die von seinem Rad erzeugte Elektroenergie in das Leitungsnetz ein und erzielt jährliche Erträge von durchschnittlich 240.000 Euro. Der Einspeisevertrag mit E.ON beinhaltete einen Abnahmepreis von 9,6 Cent pro kW/h, er wurde allerdings Ende des Jahres 2020 beendet.[3] Kredite sind inzwischen längst getilgt und sämtliche verwaltungsmäßigen Hürden genommen (Stand 2023). Mit der Telekom Deutschland und mit Vodafone hat Beel die Nutzung des Mastes durch Mobilfunkantennen vereinbart, wodurch er noch weitere Einnahmen von 400.000 Euro pro annum erhält. Die Erträge decken alle Wartungs- und eventuellen Reparaturarbeiten, die von Vestas ausgeführt werden.[5]
Trotz seiner jahrzehntelangen Nutzung läuft das Windrad noch immer, speist unter anderem das Stromnetz des nahen Ortes Wustrow und erzeugt rund 513.000 kWh pro Jahr.[5] Techniker prognostizieren eine weitere Laufzeit über dreißig Jahre.[3]
Eine Kunstaktion von Schülern der Bernsteinschule aus Ribnitz, finanziell gefördert von der Bundesvereinigung für kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), führte im Herbst 2021 zur Verschönerung des Transformatorenhäuschens. Unter Leitung der Museumspädagogin Birgitt Sandke vom Kunstmuseum Ahrenshoop und des Rostocker Street-Art-Künstlers Alexander Kalfa entstand ein Graffitibild, der den Schriftzug Energie trägt und dahinter eine grüne Landschaft als Symbol der Verbindung zwischen Energie und Umwelt.[4]
Technische Angaben
Die Anlage vom Typ Vestas V25-200 kW hat eine Nennleistung von 200 kW. Sie befindet sich an der Spitze eines 28 Meter hohen Stahlgittermastes und wird von einem Rotor mit drei verstellbaren zwölf Meter langen Rotorblättern angetrieben.[5] Der gesamte Durchmesser beträgt 25 m, die überstrichene Fläche 491 m².[4]
Weitere Daten sind:
- Leistungsdichte: 2,46 m²/kW
- Regelung: Pitch (Leistungsbegrenzung durch Verdrehen der Rotorblätter)
- Gewicht der Gondel: 7,1 t
- Gewicht des Turms 11,5 t
- Gewicht des Rotors: 3,2 t
- Gesamtgewicht: 21,8 t
- Rotordrehzahl: minimal 30/min, maximal 44/min
- Einschaltwindgeschwindigkeit: 4,5 m/s
- Nominalwindgeschwindigkeit: 15 m/s
- Abschaltwindgeschwindigkeit: 27 m/s
- ein zweistufiges Getriebe mit 23er Übersetzung; Hersteller: Hansen, Flender
- zwei Generatoren: ASYNC
- Maximale Generatordrehzahl: 1200/min
- Spannung: 480 Volt
- Hersteller: Siemens, ABB, ASEA
- Nabenhöhe des Turmes minimal 30 m, maximal 38,5 m.[4]
Weblinks
- Wustrower Windrad auf YouTube (Dauer 3:31 Minuten, mit historischen Einspielungen).
Einzelnachweise
- ↑ Denkmalschutz im Bereich Fischland–Darß–Zingst. Abgerufen am 23. Oktober 2023.
- ↑ a b Brigitte Hildisch: Das Wustrower Windrad. Abgerufen am 23. Oktober 2023.
- ↑ a b c Gerald Kleine Wördemann: Wie das einzige Windrad der DDR aufs Fischland kam. www.osteseezeitung.de, 25. Januar 2019, abgerufen am 23. Oktober 2023.
- ↑ a b c d Sehenswürdigkeiten – Das Wustrower Windrad. Abgerufen am 23. Oktober 2023 (Die technischen Daten sind der Internetseite www.thewindpower.net entnommen.).
- ↑ a b c d e f g Maritta Tkalec: Ein Mann macht Strom. Hrsg.: Berliner Zeitung. 3. Oktober 2023, S. 9.