Soziale Plastik beziehungsweise soziale Skulptur ist ein von dem deutschen Künstler Joseph Beuys geprägter erweiterter Kunstbegriff und fordert ein kreatives Mitgestalten an der Gesellschaft. Die soziale Plastik umfasst als Kunstbegriff sämtliche Lebensbereiche des Menschen.
Das traditionelle Kunstverständnis, in dem der Künstler als Schöpfer von Kunstwerken gilt, wird auf jede menschliche Tätigkeit ausgedehnt, indem jeder einzelne die Gesellschaft, Kultur, Politik und Ökologie mit gestaltet und sie in einem kunsthandwerklichen Sinne plastisch formt.

Definition
Der Begriff „Soziale Plastik“ besagt, dass jeder Mensch die Gesellschaft durch ein kreatives, soziales Handeln und Verhalten zum Wohl der Gemeinschaft gestalten sollte und dadurch plastizierend auf die Gesellschaft einwirkt.
Aus dieser Vorstellung entstand die viel zitierte und oftmals missverstandene Hauptthese der Sozialen Plastik: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Im heute üblichen Sprachgebrauch werden Menschen als Künstler angesehen, die auf dem Gebiet der bildenden oder der darstellenden Kunst und der Musik kreativ tätig sind. Sie erschaffen Kunstwerke oder stellen Ideen zu deren Schaffung bereit.
Dem stellte Beuys seine Vorstellung gegenüber, dass jeder – zumindest grundsätzlich – an der Sozialen Plastik mitwirken könne, also ein Künstler sei. Besondere Fähigkeiten zum Künstler als Erschaffer von Kunstwerken seien in diesem Sinne nicht erforderlich, denn Beuys ging davon aus, dass alle zum Formen der Sozialen Plastik notwendigen Fähigkeiten – Spiritualität, Offenheit, Kreativität und Phantasie – in jedem Menschen vorhanden sind. Diese Fähigkeiten müssten nur erkannt, ausgebildet und gefördert werden.
Der Sinnzusammenhang der Sozialen Plastik erklärt sich aus einem sozialen Handeln und Verhalten dem Allgemeinwohl betreffend und dem Begriff Plastik, als ein modellierfähiges und formbares Gebilde das visuell, taktil, olfaktorisch, akustisch, thermisch erfahrbar ist, das mit der Wahrnehmung der Gesellschaft gleichzusetzen ist.
Die Grundlage der Sozialen Plastik ist der Mensch selbst, der durch Gedanken und Sprache soziale Beziehungen und Strukturen entwickelt. Diese Entwicklung der Gesellschaft verstand Joseph Beuys als einen kontinuierlichen kreativen Prozess. Die Aufgabe der Kunst sei es, dem Menschen diesen Prozess bewusst zu machen. [1]
Entwicklung des Kunstbegriff hin zur Sozialen Plastik
Die Frage was die Kunst ist, beschäftigt die Menschen in den unterschiedlichen Kulturen schon seit Jahrtausenden und tut dies auch heute noch, ohne das bisher ein allgemein gültiger Kunstbegriff definiert werden konnte. Der Kunstbegriff hat sich somit im Laufe der Geschichte in seiner Bedeutung weltweit stets verändert.
Vereinfacht kann man sagen das Kunst das ist, was zu bestimmten Zeiten als solche verstanden wird.
Antike
In der der Antike formulierten die grichischen Philosophen Platon und Aristoteles zwei grundsätzliche Positionen der Kunst, die bis heute fortwirken. Die Mimesis, als eine Nachahmung oder Imitation der Natur, wurde in der Kunstphilosophie hierbei, als Grundproblem der Kunst betrachtet.
Das Theater war bereits weit entwickelt und geachtet, aber wesentlich Bestandteil kultischer Handlungen. Als freie Künste (artes liberales) wurden in der Antike jene Kenntnisse und Fähigkeiten bezeichnet, die einem freien Mann – nicht aber einem Sklaven – zur Verfügung stehen sollten. Martianus Capella, ein römischer Enzyklopädist und Rechtsanwalt (um 400 vor Chr.), hat insgesamt sieben Künste in zwei Gruppen eingeteilt: das Trivium beinhaltete Grammatik, Dialektik und Rhetorik; das Quadrivium umfasste Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik. Von den Schönen Künsten im modernen Sinn war also allein die Musik in der Antike eine anerkannte Kunst. Niederes Handwerk waren dagegen die mechanischen Künste (Artes mechanicae), die mit der Hand ausgeführt werden mussten, worunter auch die Malerei oder die Bildhauerei fielen.
In dieser Zeit galten die Malerei und Bildhauerei nicht als Kunst, sondern eher als Handwerk, ihre Erzeugnisse als Produkte von Handwerken, nicht aber von Künstlern. Dies änderte sich erst in der Renaissance.
Mittelalter
Das Mittelalter verstand Kunst in einer Verschmelzung von platonischer und aristotelischen Gedanken als Abglanz des Guten, Wahren, Schönen und somit göttlicher Vollkommenheit übertragen in haltbaren Materialien. Der mittelalterliche Kunstbegriff bleibt somit weiter in artes mechanicae wie der artes liberales eingeteilt.
Der bildende Künstler ist nach wie vor Handwerker und in Zünften wie alle anderen Berufe organisiert. Als Individuum tritt er selten in Erscheinung. Die Auftraggeber für fast alle künstlerischen Produktionen, wie Malerei, Bildhauerei, Musik, Theater, ist die Kirche und zu einem geringen Teil der feudale Adel.
Neuzeit
Der Stellenwert der bildenden Kunst und der Arbeit des Künstlers ändern sich in der Neuzeit mit dem Übergang zu einer bürgerlichen Gesellschaft: Wo vorher meist im Auftrag von Kirche und Adel Werke geschaffen werden, wächst mit dem gebildeten Kunstsammler ein neuer Rezipiententyp heran.
Der Künstler emanzipiert sich, entdeckt sich als Subjekt, und schafft Werke, deren Hauptzweck nicht mehr die Repräsentation eines Glaubensinhalts oder der Macht eines Fürsten ist, sondern die fachkundige Debatte über Entwurf, Ausführung und Könnerschaft.
Der nunmehr autonome Künstler denkt über seine Rolle nach, was in der bildenden Kunst im sogenannten Paragone öffentlich gemacht wird. Die Wiedergeburt, die im Begriff Renaissance angesprochen wird, bezieht sich auf die erneute Anknüpfung an die klassische Antike, auf deren Menschenbild und Naturbegriff die Kunstproduktion aufbaut.
Aufklärung
In der zweiten Hälfte des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der Aufklärung, begannen die gebildeten Kreise Gemälde, Skulpturen und Architektur, sowie Literatur und Musik als Kunst im heutigen Wortsinn zu diskutieren. Themenverbindend wurde die Ästhetik in Abgrenzung zum Hässlichen als Kategorie zur Qualifizierung von Kunstwerken begründet. Freiheit wurde zum Ideal für Politik, Wissenschaft sowie für die sich allmählich als eigenständige Bereiche herausbildenden Literatur und Kunst.
Der handwerkliche Aspekt künstlerischen Schaffens verlor an Bedeutung. Dem Freiheitsgedanken gemäß ist der bildende Künstler nicht mehr einem Auftraggeber verpflichtet, sondern produziert unabhängig für einen neu entstehenden Kunstmarkt. Damit wandeln sich zum einen die Themen, die statt religiöser und mythologischer Motive, Porträt und Allegorie nun zum Beispiel auch Schilderungen aus der Arbeitswelt des aufkommenden Industriekapitalismus umfassen. Zum anderen entwickeln sich individuelle Stile, die nicht zuletzt als Markenzeichen, modern gesprochen als Marketinginstrument der konkurrierenden Künstler dienen.
Friedrich Schiller brachte seiner Leserschaft auch die Vernunfts-, Humanitäts- und Freiheitsideale des 18. Jahrhunderts näher. In Schillers eigenen Worten gesagt ist der „Bau einer wahren politischen Freiheit“ das „vollkommenste aller Kunstwerke“ [2]
Er sah im menschlichen Spieltrieb des Schauspiels eine Fähigkeit, die jedem Menschen, nicht nur den angeblich Begabten, eigen ist, somit war dies auch einer der Grundsteine eines erweiterten Kunstbegriff einer sozialen Kunst, die sich ausweitet auf die gesamte Gesellschaft und nicht nur auf den einzelnen Schauspieler oder Künstler eigen ist.
Diese Fähigkeit zum Spiel sei ein Wesensmerkmal des Menschen und somit eine Grundlage von schöpferischem oder kreativen Schaffen und einer Kulturtätigkeit.
Moderne
Die Aufklärung bereitete den Kunstbegriff der Moderne vor. Emanzipierte sich am Ende des Mittelalters der Künstler zum autonomen Subjekt, so emanzipierte sich am Ende des barocken Feudalismus das Kunstwerk selbst und wurde autonom. Im Zeitalter von Maschinen, Arbeitsteilung und Automatisierung veränderte sich der Status von handwerklicher Arbeit in der Kunst. Kunst existiert nun nicht mehr in Funktionszusammenhängen, sondern allein aus sich heraus, wird zu L'art pour l'art. Die in Funktionszusammenhängen verbleibenden Kunstformen konstituieren sich unter dem neuen Oberbegriff Kunstgewerbe oder Angewandte Kunst.
Mit dem Beginn der Moderne beginnt zugleich der Antagonismus der Gegenmoderne. Waren bis zur Aufklärung die Adressaten für Kunst nur ein sehr kleiner Kreis (der Klerus, der Adel, das reiche Bürgertum), so erweitert sich das Publikum mit der Entstehung des freizugänglichen Kunstmarktes, den zu seiner Förderung veranstalteten öffentlichen Ausstellungen (Salons) und den in der Presse eröffneten Debatten über Kunst, der massenhaft verlegten Literatur etc. beträchtlich. Zugleich konzentrierte sich die künstlerische Auseinandersetzung sowohl in bildender Kunst wie der Musik oder Literatur immer stärker auf die Untersuchung der eigenen Entstehungsbedingungen.
Postmoderne
Die postmoderne Anschauung von Kunst stellt zum Teil die Ideen von Freiheit, Originalität und Authentizität wieder in Frage, setzt bewusst Zitate anderer Künstler ein und verbindet historische und zeitgenössische Stile, Materialien und Methoden und unterschiedliche Kunstgattungen miteinander. Kunstbetrieb und Ausstellungsorte werden von einer Metaebene aus hinterfragt (White Cube). Die Grenzen zwischen Design, Popkultur und Subkultur einerseits und Hochkultur andererseits verschwimmen.
„Zeitgenössische Kunst“, „Kunst der Gegenwart“ und ähnliche Sammelbegriffe fassen gegenwartsbezogene Kunst nur sehr allgemein. Der Begriff Künstlerische Avantgarde ist für die seit Beginn der Postmoderne entstehende Kunst überholt, da es in offenen Gesellschaften und Kulturen keine allgemeinverbindliche Richtung für eine Vorhut oder für Vorreiter geben kann. Daher wird der Begriff „Zeitgenössische Kunst“ auch zur Umschreibung für künstlerischen Arbeiten oder Handlungen benutzt, die in der Gegenwart etwas so wahrnehmbar machen, dass sie kulturell bedeutend in die Zukunft wirken. In diesem Sinne freie und zeitgenössische Kunst ignoriert scheinbar alle Bedingungen, akademischen Regeln und Einteilungen, alle Kunststile, Kunstsparten und kulturellen Grenzen, während sie sich gleichzeitig die Freiheit nimmt, sie je nach künstlerischem Bedarf zu reflektieren, zu bearbeiten und zu nutzen.
Ähnlich wie in der Wissenschaft erschließt sich das umfassende Verständnis der möglichen Bedeutungen von Werken und Arbeiten oft erst durch eingehende Beschäftigung mit dem künstlerischen Gegenstand. Es wird in verschiedenen Kontexten interpretiert, die sich je nach Betrachter und Leser, je nach Publikum und den in das Geschehen Einbezogenen, sowie je nach Interessen der Kritiker und anderen professionelle Vermittlern wandeln und unterscheiden. In der Kunsttheorie wird der zeitgenössische Kunstbegriff intensiv diskutiert. Sie stellt dabei sowohl den Künstler, den Rezipienten, den Kunstmarkt oder das Kunstwerk selbst ins Zentrum der Untersuchung. Im Zuge der Globalisierung entstand einerseits ein vermehrter Dialog verschiedener Kunstrichtungen in aller Welt, andererseits wurden regionale Unterschiede tendenziell nivelliert.
Erweiterung des Kunstbegriffs
Die Bezeichnung des „erweiterten Kunstbegriffs“ stammt nicht ursprünglich von Joseph Beuys, sondern reicht bis zum Dadaismus zurück und wurde als Begriff von dem Dadaisten Hugo Kersten geprägt und im Ansatz im Werk von Marcel Duchamp realisiert; wobei auch ein gedanklicher Unterbau durch weitere künstlerische Manifeste, Rezitationen oder Traktate von Hugo Ball und anderen Dadaisten oder Vordenkern des Surrealismus wie André Breton hinzukommen. Joseph Beuys kreierte später in der Moderne im Rahmen seines eigenen Konzepts des erweiterten Kunstbegriffs den Begriff der „sozialen Plastik“, bei welcher der Prozess des kreativen Denkens und politischen Handelns wichtiger wird als das Herstellen eines materiellen Kunstobjekts.
Im Gegensatz zu einem rein formalästhethischen Kunstbegriff begründeten Kunstverständnis umfasst die Soziale Plastik, als ein anthropologischer Kunstbegriff, jegliche kreative menschliche Tätigkeit. Mit allem, was der Mensch gestaltet und somit als eine geistige Leistung schöpferisch hervorbringt, ist der Einzelne gesellschaftsverändernd aktiv.
Aus dieser Annahme heraus beschränkt sich die Kunst nicht nur mehr auf materielle Artefakte, die in einem Museum oder einer Galerie ausgestellt werden, sondern auf die gesamte Gesellschaft, in der in allen Bereichen nach der Forderung von Beuys die Kunst ihren Platz einnehmen muss um veraltete Formen durch neue zu ersetzen. Beuys sprach hierbei oftmals von einem „Sozialen Organismus“. [3] [4]
Persönlicher Hintergrund
In den 50er Jahren lag der Schwerpunkt seiner Arbeiten auf Zeichnungen, in den er überwiegend den Mensch, Natur und Mythologie thematisierte. In den 60er Jahren kamen, auch im Umkreis der Fluxusbewegung, rituelle Aktionen hinzu. Naturwissenschaftliche Kenntnisse und Studien führten Beuys Ende der 60er Jahre zu erheblichen Bedenken gegen ein zu einseitiges Wissenschaftverständnis und zu der Ansicht, dass der Erfahrungssatz zur erkenntnistheoretischen Begründung nicht ausreichte. [5]
Joseph Beuys äußerte sich hierzu:
„1958 und 1959 wurde die gesamte mir zur Verfügung stehende Literatur im naturwissenschaftlichen Bereich aufgearbeitet. Damals konkretisierte sich verschärft ein neues Wissenschaftsverständnis in mir. Durch Recherchen und Analysen kam ich zu der Erkenntnis, daß beide Begriffe Kunst und Wissenschaft in der Gedankenentwicklung des Abendlandes diametral entgegenstehen, daß aufgrund dieser Tatsache nach einer Auflösung dieser Polarisierung in der Anschauung gesucht werden muß und daß erweiterte Begriffe ausgebildet werden müssen.[6]“
Von besonderer Bedeutung war hierbei die Soziale Dreigliederung von Rudolf Steiner. Diese beschreibt die Grundstruktur einer Gesellschaft, in der die Koordination nicht zentral durch den Staat oder eine Führungselite erfolgt, sondern in der drei selbst verwaltete und relativ autonome Subsysteme (Wirtschaftsleben, Geistesleben, Rechtsleben) sich gegenseitig die Waage halten.
„Im politischen Denken, [...] gilt es die Dreigliederung so schnell wie möglich Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Idee muß aus dem Menschen herausgeholt werden, da sie in jedem einzelnen in verschiedenem Grade vorgebildet ist. Sie muß stehen als die freie Leisung des Menschen selbst. [7]“
Beuys, der in den bestehenden westlichen Gesellschaften eine Form von Scheindemokratie mit ungerechten Gesellschaftsstrukturen sowie einer bestehenden Umweltproblematik erblickte, vertrat die Auffassung, dass diese in eine soziale, verantwortungsbewusste, demokratische, ökologieorientierte Gesellschaft umgewandelt werden sollte, in der jeder sein Können, in den Dienst der Gemeinschaft stellt.
Auf die Frage wie sich die Gesellschaftliche Utopie entwickelt hat, antwortete Beuys:
„Ich habe die Kunst als Ausgangspunkt genommen, um gesamtgesellschaftliche Veränderungen zumindest in die Diskussion zu bringen: Der Kunstbegriff erweitert sich auf die Arbeit jedes Menschen, in die anthropologische Dimension. [8]“
Nach seiner Auffassung sollten die gesellschaftlichen und kulturellen, insbesondere aber in wirtschaftlichen Bereichen, die alten und nach Beuys’ Ansicht oftmals unmenschlichen und erstarrten Formen durch neue, lebendige, geistig-seelische Gestaltung ersetzt werden.
Ende der 70er Jahre begründetet Joseph Beuys seinen Erweiterten Kunstbegriff mit dem er die unüberwindliche scheinende Trennung von Kunst und Gesellschaft aufzuheben suchte.
Seine beste stoffliche Entsprechung in einer Materialsprache, fand dieses Schema im Fett und Wachs. Beide werden durch Wärmezufuhr flüssig, demnach formlos und erstarren bei Wärmeentzug. Die Gegensätze von Wärme und Kälte, Evolution und Erstarrung, Kreativität und Rationalisierung setzte er in Objekten und Environments wie z. B. in der Honigpumpe am Arbeitsplatz.
„Der totalisierte Kunstbegriff ist ja das was ich mit diesen Materialien ausdrücken wollte, der sich letztendlich bezieht auf alles, auf alles Gestalten in der Welt. Und nicht nur auf künstlerisches Gestalten, sondern auch auf soziales Gestalten, [...] oder auf andere Gestaltungsfragen und Erziehungsfragen. Alle Fragen der Menschen können nur Fragen der Gestaltung sein.[9]“
Innerhalb der 1970er-Jahre führte Beuys’ persönlicher Einsatz aus sozial idealistischen Gründen unter anderem zur Gründung der Deutschen Studentenpartei, die Organisation der Nichtwähler und die Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung.
Joseph Beuys entwickelte zunehmend eine sehr gesellschaftsbezogene Kunst indem sein gestalterisches Handeln sich auf den freien Menschen und den Menschen als Natur- und Gesellschaftswesen wert gelegt hat. In diesem Zeitraum entstand der erweiterte Kunstbegriff der Sozialen Plastik, welchen er innerhalb der öffentlichen Debatten auch sehr ausführlich mit den Menschen diskutierte.
Umsetzung der Sozialen Plastik
Das Wirkungsfeld der sozialen Kunst betritt Beuys zuerst mit der Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung. Die Organisation war ein Teil das Konzept des Erweiterten Kunstbegriffs und der Sozialen Plastik auch in der Politik umzusetzen und dadurch gesellschaftliche Entwicklungen zu beinflußen.
Das Gesetzgebungsmonopol des parteienstaatlichen Parlamentarismus sollte durch die direkte Demokratie gebrochen werden und Gesetzesinitiativen vom Volk bestimmt und verbindliche Abstimmungen darüber ermöglicht werden.
Beuys sah die Aufgabe der Organisation in der politischen Information und Diskussion und einer konkreten Organisation von Volksabstimmungen. Er wollte verdeutlichen, dass eine funktionierende Demokratie den Willen zur Gestaltung und die Fähigkeiten einer Mehrheit benötigt. Durch das Konzept der Sozialen Plastik bildete das Leben, Kunst, Politik und Gesellschaft eine Einheit.
Eine erste umfangreiche Umsetzung der Sozialen Plastik wurde in der Aktion 7000 Eichen deutlich. Unter dem Motto „7000 Eichen – Stadt-verwaldung statt Stadt-verwaltung” pflanzte Beuys mit der Hilfe von Freiwilligen im Verlauf mehrerer Jahre 7000 Bäume zusammen mit jeweils einem begleitenden Stein an 7000 Punkten in Kassel. 1982 von Joseph Beuys als Beitrag zur documenta 7 begonnen konnte die Aktion 1987 zur documenta 8 abgeschlossen werden. Ein Jahr zuvor verstarb Joseph Beuys.
Die öffentlichen Reaktionen auf die Aktion waren sehr unterschiedlich. Diese reichten von begeisterter Zustimmung, bis zu heftigster Ablehnung. [10]
1983 und 1984 folgte die Vorbereitung und Projektbeschreibung der Aktion „Gesamtkunstwerk ‚Freie und Hansestadt Hamburg‘“ Zu einem Wettbewerb „Stadt-Natur-Skulptur“.
Auf sogenannten Spülfeldern im Hafengebiet wurden jedes Jahr ungefähr 2,5 Millionen Kubikmeter hochgradig verseuchter Sand und Schlick aus der Elbe dauerhaft deponiert. Daher suchte der Senat eine im Vergleich zur Entsorgung billige Deponielösung inder langfristig immense Flächen benötigt wurden und eine permanent drohenden Gefahr der Verseuchung des Grundwassers darstellten.
Im Jahr 1973 beschloss der Hamburger Senat, das Fischerdorf Altenwerder abzureißen, um somit den Schlick auf dem Gebiet zu lagern. Als einsame Relikte sind heute nur noch die Kirche und der Friedhof kurz vor dem Elbtunnel ein sichtbares Symbol dieser Politik. Die geplante Bepflanzung von Beuys sollte daher ein erster symbolischen Schritt als Auftakt eines komplexen und langfristig angelegten gesellschaftlichen Prozesses sein.
Auf den sogenannten Altwerder Spülfelder wollte Beuys mit bearbeitete Basaltsäule aus der Serie „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ symbolisch abgelegen und durch das Aufspritzen samenvermischter Erde eine erste Wiederbelebung der Fläche einleiten. Das Ziel war durch die Pflanzen die Giftstoffe sollten primär die im Boden vorhandenen Schadstoffe gebunden werden und das Einsickern ins Grundwasser damit zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Der deponierte Schlamm enthielt industriellen Giftmüll, wie Kadmium, Blei oder Quecksilber.
Als Anlaufstelle sollte in der Stadt Hamburg ein Büro eingerichtet werden, indem an einem permanenter runden Tisch Politik, Verwaltung, Umweltverbänden, Firmen, Fakultäten der Universitäten und Kulturvertreter eine ökologisch orientierte Umgestaltung des Stadtstaates Hamburg vorantreiben. Die Ausführung des Projekts wurde aufgrund des Vetos des damalige erste Bürgermeister von Klaus von Dohnanyi 1984 abgelehnt, sodass das Projekt nicht umgesetzt werden konnte.
Der Etat des Projekts „Stadt-Natur-Skulptur“ von 400.000 DM sollte als Grundstock in eine Stiftung eingebracht werden, die eine kontinuierliche Finanzierung sichern sollte. [11]
Am 23. Januar 1986 in Düsseldorf starb der Künstler Joseph Beuys.
Wahrnehmung in der Öffentlichkeit
Joseph Beuys hat, wie auch Pablo Picasso ein halbes Jahrhundert zuvor, mit seiner Kunst sehr stark polarisiert und tut dies auch heute noch.
So titelte Der Spiegel, anlässlich der Beuys Guggenheim Retrospektive in New York im November 1979:
„Künstler Beuys: Der Größte – Weltruhm für einen Scharlatan? [12]“
Diese Fragestellung reflektiert deutlich, dass zu der damaligen Zeit in Deutschland vorherschende Meinungspektrum, das die Auszeichnung durch die Retrospektive des Guggenheim anerkennt und zugleich in Frage stellt und überleitet zu der oftmals verwendeten Bezeichnung Scharlatan, die sich zu einem Teil auf die Entwicklung und Akzeptanz der Modernen Kunst in der westlichen Welt und des weiteren dem rituellen Charakter seiner Aktionskunst begründet.
Auch die von Beuys verwendeten Materialsprache mit den oftmals verwendeten Werkstoffen Fett, Filz und Honig oder seine Objekte und Plastiken, in denen er einfache Alltagsgegenstände wie Stühle, Tische, ausrangierte Gebrauchsgüter aller Art verwendete, waren zu der damaligen Zeit der 60er und 70er in der Kunst unüblich, so dass Beuys auch oftmals in den Medien als Fettkünstler oder ähnliches bezeichnet wurde.
Auch für die amerikanische New York Times war Beuys der kontroverste und einflussreichte Künstler seiner Generation und kündigte 1979 die Joseph Beuys Retrospektive geradezu hymnisch an:
„So etwas wie die Beuys Ausstellung war in diesem Land noch nie zu sehen.[13]“
Zu dieser Zeit war Beuys bereits durch einige Artikel in den amerikanischen Feuilletons bekannt. Im Januar 1974 bereiste Beuys im Rahmen einer Vortragsreise mit dem Motto “Energy Plan for the Western Man” [14] das erste mal den amerikanischen Kontinent, um seine Theorie der sozialen Plastik in verschiedenen amerikanischen Universitäten darzulegen.
Im Mai 1974 verbrachte Joseph Beuys im Rahmen der Aktion I like America and America likes Me drei Tage mit einem Koyoten in der New Yorker Galerie René Block.
In der heutigen Zeit besteht über die bedeutende kunsthistorische Stellung des Künstler Joseph Beuys in den Forschungen der Kunstwissenschaften kein Zweifel mehr. Der Erweiterte Kunstbegriff und die Soziale Plastik ist insgesamt im Bereich des Wissenschaft und Philosophie stark verbreitet und überwiegend auch in den westlichen Geschichtsbüchern der Kunst und allgmeinen Enzyklopädien verzeichnet.
Joseph Beuys Konzeption wurde besonders im anthroposophischen Umfeld rezipiert, insbesondere durch die Freie Internationale Universität von Joseph Beuys. Zu den politischen Verfechtern Gerald Häfner gehört, ein langjähriger Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, der zu Beginn der 1990er-Jahre den Verein „Mehr Demokratie e.V.“ mitbegründete.
Rezeption und Interpretation
Joseph Beuys Œuvre, umfasst die wesentlichen Ausdrucksformen, wie etwa die Aktions- und Installationskunst oder Multiples, die in dieser Zeit in Abkehr von traditionellen Vorstellungen der Moderne entwickelt wurden und reicht von der Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre.
Somit erschließt sich anhand des Gesamtwerk nicht nur ein Einblick in die westlichen Kunstgeschichte der vergangenen 50 Jahre. Die Rezeptionsgeschichte über die Soziale Plastik und Joseph Beuys wirken führt auch zu Fragen und Positionen im Umgang mit der Gegenwartskunst.
Die Vorstellung, dass sich die Kunst nur in einer Kunst äußern kann, also in einer Gemeinschaft, die sich für die Kunst interessiert und die Politik den Politikern und wirtschaftliche Vorgänge anonymen, teilweise unkontrollierbaren, Marktgesetzen überlassen sind, wird durch die Integration der Sozialen Skulptur in die Gesellschaft aufgehoben.
Nach Beuys erhält jeder Mensch mit der Forderung der Sozialen Plastik im weitesten Sinn eine innere und individuelle Freiheit, als einzelner innerhalb der Gesellschaft zu handeln und somit ist der Einzelne auch für die gesamte Gesellschaft verantwortlich.
Die Soziale Plastik bringt die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft und insbesondere die Probleme einer Gesellschaft, wie der militärische Bedrohung, die ökologische Krise oder die Probleme des Wirtschaft durch eine kreative Gestaltung und Mitverantwortung in eine inhaltliche Überschneidung, die einen „gesunden“ Austausch und eine für den Mensch gesunde Kommunikation möglich sind.
Hinter der Forderung der Umsetzung des erweiterten Kunstbegriffs der Sozialen Plastik steht daher letztendlich auch eine Hoffnung, dass die Kunst als nicht abschließend definierter Begriff, eine interdisziplinäre Sprache zwischen Natur und Mensch, im Bezug auf die bestehende Problematik vermitteln kann und eine Integration der Kunst in alle Lebensbereiche die Gesellschaft und das Leben auf der Erde zum Positiven verändert.
Wie Aristoteles stellte auch Beuys sehr hohe Ansprüche an die Kunst, diese sollte vorwiegend den Mensch erziehen. Doch den Begriff der Katharsis, der Reinigung, dehnte Beuys weiter aus: Seine Kunst sollte nicht nur eine moralische Reinigung bewirken, sie sollte das Publikum ästhetisch erziehen und die althergebrachte Trennung zwischen Kunst, Leben und Politik aufheben.
Die Ausweitung des Kunstbegriffs auf die Politik hatte zur Folge, dass sein künstlerisches Schaffen auch mit politischen Wertmaßstäben betrachtet wurde.
Die Aussage „Jeder Mensch ein Künstler“ wird bis heute häufig missverstandenen: Der Satz verneinte aber nicht spezielle Begabungen etwa in der Malerei und stellte auch keine Anweisung an Jedermann dar, auch im klassischen Sinn künstlerisch tätig zu werden. Er verdeutlicht vielmehr, dass beispielsweise die Gesellschaft, eine Demokratie auch als Kunstwerk betrachtet werden kann, zu dessen Gelingen vor allem individuelle Spiritualität, Offenheit, Kreativität und Phantasie notwendig sind; Einstellungen also, die eigentlich eher der Künstler gegenüber seinen Sujets hegt. Diese Eigenschaften und Fähigkeiten sprach er dann jedem Mensch zu. Er wendete sich damit auch gegen eine formalisierte, erstarrende Rollenverteilung in einer spezialisierten Gesellschaft, die der Kunst nur eine Nische zuweisen will.
Siehe auch
Literatur
- Joseph Beuys: Ein kurzes erstes Bild von dem konkreten Wirkungsfelde der sozialen Kunst; 1987 ISBN 3926673028
- Joseph Beuys: Was ist Geld?; ISBN 392878000X
- Götz Adriani, Winfried Konnertz und Karin Thomas: Joseph Beuys: Leben und Werk; Köln, Dumont (1981) ISBN 3-7701-1302-0
- Volker Harlan, Soziale Plastik. Materialien zu Joseph Beuys ISBN 3-8810-30654
- Thomas Mayer, Kunstwerk Volksabstimmung (Sondereinband) ISBN 3-9287-80239
- Volker Harlan: Was ist Kunst? Werkstattgespräch mit Joseph Beuys (1986), Urachhaus ISBN 3-87838-482-3
Weblinks
- Joseph Beuys - Aufruf zur Alternative Erstveröffentlichung in Frankfurter Rundschau am 1978)
- Joseph Beuys - 7000 Eichen
- Joseph Beuys und seine Quellen - Bericht über eine Forschungstagung im Internationalen Kulturzentrum Achberg
- Johannes Stüttgen - Vortrag zum erweiterten Kunstbegriff
- Erweiterte Kunstbegriff bei Anthro Media
- Das didaktische Abenteuer - der Ansatz Beuys
- x7 Linktipps | Joseph Beuys, Kunst, Leben, soziale Plastik, erweiterter Kunstbegriff
- Die Umstülpung des demiurgischen Prinzips
- Johannes Stüttgen Vortrag über den Erweiterten Kunstbegriff (5.6.1982)
- The Social Sculpture Research Unit (englisch)
- Rede in der Live-Satelliten-Sendung zur Eröffnung der documenta 6
- „Make the secrets productive“ - Reden mit Schweigen im Werk von Joseph Beuys
- Werkkomplex Joseph Beuys
- Walkerart Center zu Joseph Beuys (englisch)
Quellen
- ↑ Lebenslauf von Joseph Beuys
- ↑ Zweiter Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschen [1]
- ↑ Barbara Lange, „Soziale Plastik“, in: Hubertus Butin, DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, S. 276.
- ↑ Aufruf zur Alternative - Joseph Beuys 12.1978 [2]
- ↑ Joseph Beuys. Leben und Werk. von Götz Adriani S.42
- ↑ Joseph Beuys. Leben und Werk. von Götz Adriani S.44
- ↑ Brief von Joseph Beuys an Manfred Schradi vom 21. Oktober 1971
- ↑ Interview mit dem Spiegel – Nr. 45, 5. November 1979, S. 268
- ↑ Gespräch zwischen J. Beuys, B. Blume und H. G. Prager vom 15. November 1975 veröffentlicht in der Reihnische Bienenzeitung 1974
- ↑ HS-Säule: Fieldstudies II Joseph Beuys - 7000 Eichen [3]
- ↑ Säule Fieldstudies: Joseph Beuys – Freie und Hansestadt Hamburg [4]
- ↑ Der Spiegel, Nr. 45, 5. November 1979
- ↑ Der Spiegel, Nr. 45, 5. November 1979, S. 256
- ↑ http://www.walkerart.org/archive/2/A84369EE5A576E446161.htm Energy Plan for the Western Man