Gewissen

besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein angesehen, die bestimmt, wie man urteilen soll
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 10. November 2006 um 18:36 Uhr durch Blaufisch (Diskussion | Beiträge) (Weblink). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Viele stellen sich unter Gewissen eine spezielle Instanz des menschlichen Bewusstseins vor, die den Menschen dazu drängt, aus ethischen bzw. moralischen Gründen bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen. Entscheidungen können dabei als unausweichlich empfunden werden oder mehr oder weniger bewusst, also im Wissen um ihre Voraussetzungen und denkbaren Folgen, vorgenommen werden (Verantwortung).

Handelt ein Mensch nach seinem Gewissen, ist er oder fühlt er sich gut und zufrieden und gibt üblicherweise an, ein gutes oder reines Gewissen zu haben oder zu besitzen; handelt er indessen entgegen seinem Wissen und Gewissen, so fühlt er sich von dieser Bewusstseinsinstanz angeklagt. Hier spricht der Volksmund auch von schlechtem Gewissen, nagendem Gewissen oder Gewissensbisse haben. Ersichtlich handelt es sich bei diesen geläufigen Redeweisen um alltagssprachliche Redewendungen, die über die realen Zusammenhänge kaum etwas aussagen, zumal sie teilweise deutlich metaphorischer Art sind und daher nicht wörtlich verstanden werden dürfen. Bis heute bleibt das Phänomen Gewissen rätselhaft und psychologische, ethische oder theologische Theorien des Gewissens widersprechen sich zum Teil erheblich.

Begriffsdefinition

Das deutsche Wort "Gewissen" ist eine Übersetzung des Lateinischen "conscientia". "Conscientia" kann gleichermaßen mit "Bewusstsein" wie mit "Gewissen" übersetzt werden; eine neutrale Übersetzung wäre "Mitwissen". Unter dem Gewissen kann man dementsprechend konkret das Mitwissen einer übergeordneten Instanz um das eigene Handeln verstehen, manchmal eher unser eigenes, handlungsbegleitendes Wissen um den moralischen Wert dieser Handlung. Zudem wird das Gewissen oft als autonome Urteilsinstanz im Menschen verstanden, die mitunter sogar schlechtes Handeln selbst sanktioniert ("schlechtes" Gewissen).

juristische Sicht

Der bundesdeutsche Gesetzgeber gesteht dem individuellen Gewissen eine hohe Bedeutung zu; - beispielsweise, indem er seinen Bürgern die Freiheit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen einräumt (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, GG Artikel 4, Punkt 3).

christliche Gewissensvorstellungen

Gewissen in der Bibel

Das Alte Testament kennt das Herz als Ausgangspunkt guter wie böser Taten, allerdings ist nirgends die Rede von einer kritischen Instanz im Geist oder in der Seele des Menschen. Erst Paulus hat den Begriff Gewissen in die christliche Theologie eingeführt. Ihm zufolge ist das Gewissen keine Instanz, die eigene ethische Maßstäbe setzt, sondern Wissen um das eigene Verhalten angesichts der für dieses Verhalten bestehenden Forderung (siehe Römerbrief 2,14 (Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, sich trotzdem an das Gesetz halten, sind sie selbst das Gesetz usw.); 1. Korintherbrief 8,7-13 und 10,25-30). Johannes nimmt in seinem 1. Brief Bezug auf das Gewissen, auch wenn er das Wort Herz benutzt. 1. Joh. 3:19 - 21 "Hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und wir werden vor ihm unser Herz überzeugen: wenn unser Herz (uns) nicht beschuldigt, ist Gott größer als unser Herz und kennt alle Dinge. Geliebte, wenn unser Herz (uns) nicht beschuldigt, haben wir Freimut zu Gott,..." Eigentlich beschuldigt (verurteilt) uns unser Gewissen, das nicht nur ein Teil unseres Geistes, sondern auch unseres Herzens ist. Das Gewissen in unserem Herzen vertritt Gottes Herrschaft in uns.

Thomas von Aquin

Thomas von Aquin definiert, im Anschluss an Albertus Magnus, das Gewissen als Vollzug eines Urteils über den moralischen Wert einer Handlung. Er erkennt im Gewissen zwei Aspekte, eine Gewissensanlage (synteresis) und den konkreten Gewissensakt (Conscientia), in dem von Außen herangeführte Normen und Erfahrungen auf Grund der Gewissenanlage zu einem Urteil verschmelzen. Das Urteil des Gewissens ist für Thomas die letzte Instanz, nach der sich der Mensch zu richten hat, auch wenn er damit der offiziellen Kirche widerspricht. Das Gewissen vollzieht die Gründe und Überlegungen nach, die zu dieser Handlung geführt haben, ist aber nicht wie das Streben nach Vermögen, dem Einfluss durch Emotionen und Affekte ausgesetzt. Deshalb kann es zu einem Mißverhältnis zwischen Handlungswahl und Gewissensurteil kommen (genannt "schlechtes Gewissen"). Das schlechte im Sinne eines peinigenden Gewissens tritt aber erst bei Luther in den Vordergrund, der dieses zur Grundform des Gewissens erklärt.

John Henry Newman

Für John Henry Newman gibt es im Gewissenserlebnis Momente der Tiefe, in denen der Mensch das Echo der Stimme Gottes vernimmt. Er vertritt damit eine eher mystische Auffassung von der Anwesenheit Gottes im menschlichen Gewissen.

2. Vatikanisches Konzil

Im zweiten Vaticanum besteht eine Spannung in der Erklärung der Wirkungsweise des Gewissens, die vom Kompromisscharakter der Konzilstexte herrührt. Nach der Pastoralkonstitution Gaudium et spes ist das Gewissen ausgezeichneter Ort der Gottesbegegnung, "verborgenste Mitte" und "Heiligtum im Menschen". Im Gewissen ereignet sich demnach der Dialog von Gott und Mensch. Zugleich ist aber die Rede von einem "Gesetz, [...] dem [der Mensch] gehorchen muss". Hier scheinen wohl Kirchliche Sittennormen und Ähnliches durchzuschlagen. Das feste Gesetz kann man freilich als das christliche Gebot der Nächstenliebe ansehen und damit die Problematik entschärfen. Nachkonziliare Entwicklungen wie die Enzykliken Humanae Vitae oder Veritatis Splendor sprechen allerdings eine andere Sprache.

Spezifische Sichtweisen

Nach dem Dialektischen Materialismus (Marx) spiegelt das Gewissen den wandelbaren Gesellschaftszustand, welcher sich aus wechselnden materiellen Produktionsverhältnissen erkläre, wider. Da die Materie, die einzige Wirklichkeit, sich ständig verändere, gelte keine sittliche Wahrheit absolut.

Viele Nichtmarxisten sehen in dieser Denkweise eine Mitursache für die Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden.

Die Psychologie nach Sigmund Freud beruht auf der Unterscheidung der drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich. Seiner Vorstellung nach wird das unbewusst-triebhafte Es in seinen Äußerungen durch das Über-Ich hemmend kontrolliert. Dabei wird das Über-Ich verstanden als Introjekt der elterlichen und gesellschaftlichen Autorität, wodurch sich das Gewissen herausbildet. Es veranlasst das Kind, gesellschaftlich übliche oder erwartete Verhaltensweisen und Erwartungen einzuhalten. Das reife Ich, die individuelle Persönlichkeit mit ihren aus Erfahrung gewonnenen bewussten Wertsetzungen, bildet sich in der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner gesellschaftlichen Umwelt und durch Überwindung der Anforderungen des Über-Ich.

Diese sinnzentrierte Therapie nach Viktor Frankl, Elisabeth Lukas... sieht das Gewissen als "Sinnorgan", das in jeder Lebenslage größtmöglichen Sinn finden soll. Logos hat entsprechende Übersetzungs-Möglichkeiten, auch: Weg, Tao... Ein Logotherapeut hilft, jeweils grösstmöglichen Sinn in schwierigen Lagen zu eruieren. Auch viele Fallbeispiele in logotherapeutischen Büchern dienen als Bibliotherapie und unterstützen - jeder ist sein eigener Logotherapeut und kein Einzelfall.

Literatur

  • Mieth, Dietmar: Gewissen, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft (Bnd. 12) (Enzyklopädische Bibliothek in 30 Teilbänden) Freiburg 1981 , S.138-181.
  • Schockenhoff, Eberhard: Wie gewiss ist das Gewissen? Eine ethische Orientierung, Freiburg 2003.
  • Kittsteiner, Heinz Dieter: Die Entstehung des moderenen Gewissens, Insel Verlag.