Anna Stepanowna Politkowskaja

russische Journalistin und Autorin
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Anna Stepanowna Politkowskaja (russisch Анна Степановна Политковская, wiss. Transliteration Anna Stepanovna Politkovskaja, geborene Мазепа/Masepa; * 30. August 1958 in New York; † 7. Oktober 2006 in Moskau) war eine russische Reporterin, Autorin und Aktivistin für die Menschenrechte. Sie wurde bekannt durch Reportagen und Bücher über den Krieg in Tschetschenien, über Korruption im Verteidigungsministerium und dem Oberkommando der Streitkräfte in Tschetschenien.

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Gedenken an Anna Politkowskaja in Paris

Leben

Politkowskaja wurde in New York geboren. Ihre Eltern, ukrainischer Abstammung, arbeiteten im diplomatischen Dienst der UdSSR bei den Vereinten Nationen. Politkowskaja studierte Journalismus an der Moskauer Universität und machte 1980 ihren Abschluss.[1]

Von 1982 bis 1993 arbeitete sie in verschiedenen Zeitungen und Verlagen, unter anderem in der Iswestija und der Zeitschrift Megapolis-Ekspress. Von 1994 bis Mitte 1999 war sie als leitende Redakteurin für Notfall- und Krisensituationen, Kommentatorin und Stellvertretende Chefredakteurin bei der Wochenzeitung Obschtschaja gaseta tätig.[2]

Der Tschetschenienkrieg

Politkowskaja gehörte zu den wenigen Journalisten, die während des Tschetschenien-Krieges bewusst und kontinuierlich im Widerspruch zur offiziellen Darstellung aus der Krisenregion berichteten. Als Mitarbeiterin der Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta galt sie im Westen als unabhängige Journalistin. In Russland wurde sie von vielen Journalistenkollegen als "Nestbeschmutzerin" angesehen und in russisch-nationalistischen Kreisen als "Feindin des russischen Volkes" betrachtet.[3].

2002 hat sie sich als Vermittlerin im Moskauer Geiseldrama im Dubrowka-Musicaltheater angeboten. Im Jahr 2004 berichtete sie, bei einem Flug nach Beslan Opfer eines Giftanschlags gewesen zu sein.

Die Reporterin berichtete über Verbrechen der russischen Armee und der mit ihnen verbündeten paramilitärischen tschetschenischen Gruppen, über Folter, Mord und unrechtmäßige Bereicherung durch Raub, Korruption, Unterschlagung oder Veruntreuung im Kriegsgebiet. Dabei belastete sie unter anderem den Putin-Verbündeten Ramsan Kadyrow.[4].

Ermordung

Anna Politkowskaja wurde am Samstag, 7. Oktober 2006 gegen 16:30 Uhr im Aufgang ihres Wohnhauses in der Moskauer Lesnaja-Straße durch mehrere Schüsse - zumindest einen in die Brust und ein sogenannter Kontrollschuss in den Kopf - aus einer Pistole der Marke Makarow ermordet. Die Polizei fand am Tatort vier Patronenhülsen. Gegen 17 Uhr fand eine Nachbarin Politkowskaja tot im Lift. Das Bild des mutmaßlichen Täters wurde von einer im Eingangsbereich montierten Überwachungskamera aufgezeichnet. [1]

Die österreichische Wirtschaftszeitung Der Standard berichtete am 9. Oktober, die russische Polizei kenne "die Identität des Mörders, da er unmaskiert war und die Videoüberwachung über dem Hauseingang nicht außer Betrieb gesetzt hatte. Auch aufgrund dieses als 'unprofessionell' eingestuften Verhaltens wurde am Sonntag angenommen, dass der Vollstrecker selbst bereits von seinen Auftraggebern beseitigt worden sein dürfte." [3]

Westliche Politiker und Menschenrechtsgruppen forderten eine schnelle Aufklärung des Falles. Die Zeitung Nowaja Gaseta, einer ihrer früherer Arbeitgeber, hat für Hinweise zur Verhaftung des Mörders und der Hintermänner umgerechnet rund 738.000 Euro Belohnung ausgesetzt.

Anna Politkowskaja, die auf dem Trojekurow-Friedhof im Südwesten von Moskau beigesetzt wurde, hinterlässt zwei erwachsene Kinder.

Medienecho

Die Ermordung Politkowskajas wurde von den Medien der westlichen Welt symptomatisch für die Herrschaft des russischen Präsidenten Putin dargestellt, wie eine Auswahl folgender Stimmen zeigt:

  • Wer immer die Hintermänner des Mordes an Anna Politkowskaja sind, Wladimir Putin kann sich nicht der Verantwortung für ein politische Klima entziehen, in dem Gesetze so skrupellos gebrochen werden. Auftragsmorde sind keine Seltenheit. Und jene, die öffentlich Position beziehen, ob nun gegen den Kreml oder gegen die Korruption, müssen um ihr Leben fürchten. Die Londoner Zeitung The Independent am 9. Oktober 2006
  • Wenn dieser Mord nach dem üblichen russischen Muster abläuft, wird nie ein Verdächtiger gefunden und kein Mörder wird jemals vor Gericht gebracht werden. (...) Wer auch immer geschossen oder jemanden dafür bezahlt hat, kann schon einen Sieg verzeichnen. Wie die russische und die osteuropäische Geschichte zeigen, müssen nicht Millionen von Menschen getötet werden, um andere einzuschüchtern. Einige ausgewählte Attentate, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort, reichen üblicherweise aus. Die Washington Post vom 9. Oktober 2006
  • "Das Faktum, dass Russlands höchster Staatsanwalt, General Juri Chaika, die Untersuchung (...) an sich gezogen hat, gibt keinen Anlass hzur Hoffnung, wie es eine derart hochrangige Einmischung in einer echten Demokratie täte. Die Involvierung der höchsten russischen Regierungsebene ist eher eine Garantie dafür, dass die Mörder nie gefunden werden. (...) Doch selbst wenn Putins Leute nichts damit zu tun hatten, dass Politkowskaja im Lift ihrer Wohnhauses in Moskau niedergeschossen worden ist, so hat seine Verachtung der Gesetze doch das Klima geschaffen, in dem der Mord begangen wurde. Fast wie in alten KGB-Zeiten ... Der Standard am 10. Oktober 2006
  • Unnatürliche Todesfälle passieren hier mit alarmierender Regelmäßigkeit obwohl sorgfältig der Eindruck gepflegt wird, dass Präsident Putin einer Ära der Stabilität des wirtschaftlichen Fortschritts und des wieder auferstehenden Nationalstolzes vorsitzt. Manche sagen auch gerade deshalb. In a Risky Place to Gather News, a Very Familiar Story New York Times vom 11. Oktober 2006
  • Der Mord an Anna Politkowskaja ist der letzte Beweis dafür, dass Präsident Putin nicht mehr als eine ganz gewöhnliche Diktatur etabliert hat, mit all der dazugehörigen üblichen Missachtung der Gesetze. Diese Erkenntnis kommt für die Welt noch rechtzeitig, vor allem für Europa. Gleichgültiger Westen - Dunkles Russland Kommentar in der Tageszeitung Die Welt vom 11.Oktober 2006

Untersuchung des Mordes

Rund einen Monat nach der Ermordung Politkowskajas startete die Organisation Reporter ohne Grenzen eine Unterschriftensammlung. Ziel der Aktion ist die Einsetzung einer internationalen Kommission; diese soll den Mord an Politkwoskaja untersuchen. Bisher wurde die Initiative von 6000 Menschen unterstützt. Zu den Unterzeichnern gehören prominente ehemalige Dissidenten wie Jelena Bonner, Wladimir Bukowski oder Bronislaw Geremek. Es unterzeichneten die Juristen Baltasar Garzón und Carla del Ponte, die Politiker Bernard Kouchner und Daniel Cohn-Bendit, die Philosophen André Glucksmann und Bernard-Henri Lévy, die Schriftsteller Fernando Arrabal, Ismaïl Kadaré und Margaret Atwood, sowie die Schauspieler Jeanne Moreau and Alain Souchon. [5]

Einschränkung der Pressefreiheit

Der Mord an Politkowskaja geschah auf dem Hintergrund einer andauernden Einschränkung der Pressefreiheit in Russland. Wie die Organisation Reporter ohne Grenzen im Jahresbericht 2006 feststellte, verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen für russische Journalisten 2005 alarmierend. Gewalt sei die "ernsteste Bedrohung der Pressefreiheit". [6] Das russische Fernsehen werde durch Kreml-nahe Gruppen kontrolliert und stark zensiert. Einige unabhängige Zeitungen seien 2005 durch hohe Geldstrafen zur Aufgabe gezwungen worden. Durch die Vergabe von staatlichen Aufträgen für Anzeigen würden Zeitungen, die den Krieg in Tschetschenien thematisierten faktisch erpresst. Die Arbeitserlaubnis von amerikanischen Journalisten, die für den Fernsehsender ABC tätig waren, sei nicht erneuert worden, nachdem der Sender ein Interview mit dem tschetschenischen Rebellenführer Schamil Basajew ausstrahlte. In Saratow sei der Journalist Edward Abrosimow wegen Verleumdung zu sieben Monaten Zwangsarbeit verurteilt worden. Im August sei der stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitung Odinzowskaja Nedelja wegen Verleumdung zu vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Er kam auf freien Fuß, nachdem internationale Menschenrechtsorganisationen protestierten. Insgesamt lägen die russischen Pressegesetze sehr weit unter europäischem Standard.

Während der Präsidentschaft Putins wurden bislang insgesamt 13 Journalisten ermordet. [7] In keinem der Fälle kam es zu einer Verurteilung der Täter. Die Opfer waren:

  • Igor Domnikov von der Nowaja Gaseta starb am 16. Juli 2000 in Moskau zwei Monate nachdem ihn ein unbekannter Täter vorm Eingang des Hauses in dem er wohnte niedergeschlagen hatte an den Folgen des Attentats.
  • Sergei Nowikow vom Radio Wesna wurde ermordet am 26. Juli 2000 in Smolensk durch vier Schüsse im Aufgang des Hauses, in dem er wohnte. Nowikow war Eigentümer eines Rundfunksenders, der die Provinzregierung kritisierte. Drei Tage zuvor hatte er an einer Fernsehdiskussion über Korruption im Amt des Stellvertretenden Gouverneurs teilgenommen.
  • Iskandar Chatloni von Radio Free Europe/Radio Liberty wurde ermordet am 21. September 2000 in Moskau. Chatloni war Mitarbeiter des tadschikischen Service von RFE/Rl; er beschäftigte sich mit Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien.
  • Sergei Iwanow von Lada-TV wurde ermordet am 3. Oktober 2000 in Togliatti. Iwanow starb durch fünf Schüsse in Kopf und Brust vor seinem Wohnhaus. Er war Direktor eines einflussreichen lokalen Fernsehsenders.
  • Adam Tepsurgajew von Reuters wurde vor dem Haus eines Nachbarn am 21. November 2000 in Alchan-Kala in Tschetschenien erschossen. Er war ein Kameramann, der Aufnahmen aus dem Kampfgebiet des Tschetscheienkrieges drehte. Während des ersten Tschetschenienkrieges arbeitet er als Assistent für ausländische Journalisten.
  • Eduard Markewitsch von der Zeitung Novi Reft starb am 18. September 2001 im Dorf Reftinski im Oblast Swerdlowsk durch einen Schuss in den Rücken. Er war Herausgeber einer Lokalzeitung, die regelmäßig örtliche Amtsträger kritisierte.
  • Natalja Skryl von der Zeitung Nasche Wremja wurde am 9. März 2002 in Taganrog erschlagen. Skryl hatte als Wirtschaftsreporterin in Rostow am Don den Kmapf um die Kontrolle eines metallurgischen Kombinates berichtet.
  • Valeri Iwanow von der Zeitung Toljattinskoje Obosrenije wurde am 29. April 2002 in Togliatti aus kurzer Distanz durch acht Schüsse in den Kopf getötet. Er war Chefredakteur eines Blattes, das über Kriminalität und Korruption berichtete.
  • Aleksei Sidorow von der Zeitung Tolyattinskoye Obozreniye wurde in der Nähe seiner Wohnung in Togliatti mit einem Eispickel erstochen. Er war Redakteur dieser Zeitung.
  • Dmitri Schwez von TV-21 wurde am 18. April 2003 in Murmansk vor dem Gebäude seines Senders durch mehrere Schüsse getötet. Er war stellvertrtender Generaldirektor des lokalen Fernsehsenders. Dieser hatte nach kritischen Berichten über Politiker mehrere Drohungen erhalten.
  • Paul Klebnikov von der russischen Ausgabe der Zeitschrift Forbes starb am 9. Juli 2004 in Moskau durch mehrere Schüsse aus einem vorbeifahrenden Auto vor dem Redaktionsbüro. Die Zeitschrift hatte über die das Treiben der russischen Milliardäre berichtet.
  • Magomedsagid Warisow von der Wochenzeitung Nowoje Delo starb, nachdem sein Wagen bei der Heimkehr unter Maschinengewehrfeuer genommen wurde am 28. Juli 2005 in Machatschkala in Dagestan. Er hatte regelmäßig führende dagestanische Politiker kritisiert.
  • Anna Politkowskaja von der Nowaja Gaseta war am 7. Oktober 2006 in Moskau das einstweilen letzte Opfer.

Auszeichnungen

Schriften

Siehe auch

Quellen

  1. a b Russische Webseite regions.ru vom 8.Oktober 2006
  2. Dossier über Politkowskaja in der Komsomolskaja Prawda vom 7. Oktober 2006
  3. a b spiegel-online vom 9. Oktober 2006
  4. Termin mit dem Tod In: Die Zeit 12. Oktober 2006 Nr. 42
  5. Justice for Anna Politkovskaya! Call for international commission of enquiry Auf: www. rsf.org vom 3. November 2006
  6. Reporter ohne Grenzen:Russia - 2006 Annual report
  7. Thirteen Murders No Justice Auf der Webseite des Committee to Protect Journalists
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