Internationale Handelsorganisation

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Im September 2003 fand in Cancun (Mexiko) erneut eine Entwicklungsrunde der WorldTradeOrganisation (kurz WTO) statt. Erstmals in der Geschichte der WTO verbündeten sich aber die Entwicklungsländer um die grossen Handelsmächte herauszufordern. So bekräftigten rund 70 Entwicklungsländer ihren kategorischen Wiederstand gegen die von den Industriestaaten geforderte Aufnahme von Verhandlungen über die "Singapurthemen", welche Investitionen, Wettbewerbspolitik, öffentliches Beschaffungswesen und Handleserleichterungen beinhalten, weshalb diese Verhandlungen gescheitert sind. Sie warfen den Industrieländer vor, die in der Entwicklungsrunde in Doha (Katar) eingegangenen Verpflichtungen nicht umzusetzen und lediglich ihre Partikularinteresse zu verfolgen. Sie hätten weitgehend von der Öffnung der Märkte des Südens profitiert, die vom International Monetary Found (kurz IMF) und von der Weltbank durchgesetzt wurden. An diesen Beispielen wird das Konfliktpotenzial – Ungleichgewicht der Machtverteilung innerhalb der WTO – das seit der Gründung des WTO latent vorhanden ist, ersichtlich. Jedoch nicht erst seit dem Inkrafttreten der WTO 1995 treten strukturelle Probleme der WTO ans Licht der Öffentlichkeit, sondern sie können schon seit den 80 Jahren beobachtet werden, etwa als Folgen der anfangs der 50-er Jahren gescheiterten Internatonal Trade Organisation (kurz ITO). In diesem Licht betrachtet ist der Entstehungsprozess der ITO von besonderem Interesse.

3 FAKTENMATERIAL ZUM SCHEITERN DER ITO Weshalb überhaupt Bemühungen statt fanden, um eine zukünftige ITO zu gründen, wird erst auf der Folie der historisch-politischen und makroökonomischen Zusammenhänge ersichtlich. In diesem Abschnitt soll daher ein kurze Skizze der wichtigsten Zusammenhänge gegeben werden.

3.1 HISTORISCH-MAKROÖKONOMISCHER HINTERGRUND In der großen weltweite Depression zwischen 1929- 1932, ausgelöst durch den „schwarzen Freitag“ an der New York Stock Exchange Börse 1929, traten die Strukturprobleme der protektionistischen Weltwirtschaftsordnung zu Tage und verschärften sich in den Krisenzeiten des Zweiten Weltkrieges. Schon im Ersten Weltkrieg brach das internationale Finanzsystem, das durch relativ freien Welthandel, den Goldstandart und freie Konvertierbarkeit der Währung gekennzeichnet war, zusammen. Durch unilaterale Maßnahmen versuchten die Staaten die eigene Wirtschaft auf Kosten der Exportchancen anderer Staaten zu stärken. Alle suchten ihr Heil auf Kosten der anderen. So flüchteten sich die Staaten nach 1929 zur Krisenbekämpfung, allen voran die USA, in eine Politik der Errichtung von Zollschranken, der Abwertung ihrer Währung und der Einführung von nichttarifären Handelsschranken (Importbeschränkungen). Es entwickelte sich ein Wirtschaftskrieg zwischen den Hauptakteuren der Weltwirtschaft (USA, Grossbritannien, Japan, Kanada), der eine Protektionismus- und Geldabwertungsspirale in Gang setzte, das wiederum ein Rückgang des Welthandelsvolumen provozierte und damit die Weltwirtschaftskrise extrem verschärfte, die sich durch eine hohen Zahl an Arbeitslosen, einer hohen Inflationsrate (z.T. Hyperinflation) charakterisieren lässt. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt 1932. Die Hauptakteure der Verhandlungen über die ITO waren ebenfalls die Siegermächte USA, England und Kanada. Die USA und England hatten aber unterschiedliche Voraussetzungen. England zum Beispiel war Ende des Zweiten Weltkrieges stark verschuldet mit über 5 Milliarden Dollar. Seine Schulden an die ehemaligen Kolonien betrug sogar 14 Milliarden Dollar. England musste irgendwie diese Schulden tilgen, andernfalls führte dies zur ständigem Ausfluss ihrer Goldreserven. (vergl. Cairncross 1996: 70) Im 19. Jh. war die Weltwährung das englische Pfund. Im 20. Jh. ist es der US-Dollar.

In der folgenden tabellarischen Übersicht wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Grossmächte – gemessen an ihrem durchschnittlichen Bruttosozialprodukt – ersichtlich.

Die durchschnittlichen Bruttosozialprodukte: 1900- 1987 in Dollars (vergl. Maddison 1989: 29) USA 221714 Grossbritannien 111586 Germany 89678 Frankreich 62288 Japan 29840 Im nächsten Abschnitt werden nun die historisch-strukturellen Hintergründe kurz dargestellt.

3.2 HISTORISCH-POLITISCHER HINTERGRUND Nachdem Deutschland 1939 in einem Blitzkrieg Polen angriffen hatte, erklärten Grossbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Die USA gab Grossbritannien ab Herbst 1940 immer mehr materielle Unterstützung (Lend-Lease-Agreement). Diese Unterstützung begann als parteiische Neutralität und entwickelte sich bis zum unerklärten Krieg. Durch den Angriff Deutschlands auf die UDSSR kam erst ein Rüstungshilfeabkommen (1. 10. 1941) zwischen USA, Grossbritannien und der Sowjetunion zustande. 1942 wurde in der Atlantikcharta durch Churchill und Roosevelt die Errichtung eines gemeinsamen Gremiums zur gemeinsamen strategischen Planung und Kriegsführung gegen Deutschland und Japan proklamiert. Am 2. 5. 1945 kapitulierte Berlin unter den Alliierten Streitkräften. Mit dem Atombombenabwurf der USA auf Hiroshima (6. 8. 1945) und Nagasaki (9. 8. 1945) wurde auch der Japanisch-Amerikanische Krieg dadurch beendet. (Brockhaus 2003: 359/360) Die enthusiastischen Zeit des wirtschaftlichen Aufschwunges der 50-er Jahren wurde durch der koreanische Krieg und den Beginn des Kalten Krieges jedoch stark überschattet. (Vernon 1996: 60)

3.3 HISTORISCHER ABRISS ÜBER DAS SCHEITERN DER ITO Alle waren noch nachhaltig von der grossen Wirtschaftsdepression der 30-er Jahren, die in den Zweiten Weltkrieg mündete, traumatisiert. Um dieselbe Weltwirtschaftkrise zu vermeiden, wurde schon während des Zweiten Weltkrieges durch die anglo-amerikanischen Siegermächte versucht eine neue liberale Weltwirtschaftsordnung durch eine internationale Organisationen zu begründen, die vor allem den Handel und die damit verbundenen Handelsbarrieren und Handelsschranken abbauen sollte. Sie wollten das "beggar thy neighbor autarctic policies"-System durch ein liberales Welthandelssystem ersetzen. (vergl. Reisman 1996: 82) Aus der ersten Verhandlungrunde (Bretton-Woods) gingen die Weltbank, der Internationale Monetary Found und einen Entwurf zu einer internationalen Handelsorganisation (International Trade Organisation; ITO) hervor. Da in dieser Arbeit die Frage gestellt wurde, welche Theorie das Scheitern der Entstehung der ITO adäquater erklärt, soll in einer kurzen Skizze der Verlauf der Verhandlungen und dessen beteiligten Staaten, die zur Entstehung der ITO hätten führen sollen, aufgezeigt werden. Während der Zweiten Weltkrieg in Europa tobte, fand 1941 in einer kleinen Gruppe von US-Regierungsmitglieder und Wirtschaftexperten das erste Gespräche über die zukünftige ITO statt. Sie wollten ein liberales Welthandelssystem gründen. Im Herbst 1945, wenige Monate nach dem Fall Deutschlands und Japans, folgten weitere Verhandlungen. Als Ergebnis dieser Verhandlungen veröffentlichte das U.S. Department of State das Dokument "Proposals for Consideration by an International Conference on Trade and Employment", das eine UN-Konferenz einberief, um eine neue Handelscharta auszuhandeln. Im Februar 1946 beriefen das United Nation Economic und das Social Council eine allererste Konferenz mit 18 Mitglieder ein, um die Basis für Handel und Wirtschaft zu schaffen. Die Mitglieder waren Repräsentanten aller Weltregionen. In den Folgemonaten arbeiteten die USA, Kanada und England das "Proposals for Consideration by an International Conference on Trade and Employment" in eine detaillierte "draft charter" um, die als Diskussionsbasis der kommenden Verhandlungen (Oktober- November 1946) für das "preparatory comitee“ im Church House, in London diente. (vergl. Reisman 1996: 83) Vom April- Oktober 1947, hielt das "preparatory comitee“ eine 2. Sitzung im Palais de Nations (Genf). Es teilte sich in verschiedene kleine Kommissionen auf, um die „draft trade charter“ für die nachfolgende Havanna Konferenz (November 1947) vorzubereiten und führten Verhandlungen mit den wichtigsten Ländern über konkrete Tarif und Zollsenkungen, welche zu den "tariff schedules" für die beteiligten Länder führte. Beide die „draft trade charter“ und die „tariff schedules“ bildeten das GATT. Auf der Havanna Konferenz im November 1947 wurde die „Havanna World Trade Charter" von 45 UN-Länder signiert. Es folgten weiter Verhandlungsrunden, in denen mehrere Tausend Tarifsenkungen ausgehandelt wurden. 1949 folgte die Runde in Annecy (Frankreich) mit 5000 Tarifzugeständnissen und 1950 die dritte Runde in Torquay (England). Anfangs der 50-er Jahren eröffnete die US-Regierung in der fünften Runde, dass sie die Ratifizierung der Havana-Charta vor dem US-Kongress nicht unternehmen würden. Die WTO beschreibt auf ihrer Site den Zusammenhang wie folgt:

„Although the ITO Charter was finally agreed at a UN Conference on Trade and Employment in Havana in March 1948, ratification in some national legislatures proved impossible. The most serious opposition was in the US Congress, even though the US government had been one of the driving forces. In 1950, the United States government announced that it would not seek Congressional ratification of the Havana Charter, and the ITO was effectively dead.”

Die Havanna-Charta wurde also vom US-Kongress nie ratifiziert, weshalb das Projekt „ITO“ begraben wurde und der Welthandel bis 1995 weiterhin durch das GATT bestimmt wurde.

3.4 UNTERSCHIED ZWISCHEN ITO UND GATT Der ursprüngliche Antrieb für die ITO war ambitiös. Sie sollte weit mehr beinhalten, als nur den Handel. Auf der aktuellen WTO-Site wird die Agenda wie folgt zusammengefasst: „It extended beyond world trade disciplines, to include rules on employment, commodity agreements, restrictive business practives, internatioanl investments and services.” Im Verlauf des Entstehungsprozesses der ITO wurden die “draft trade charter” ausgehandelt, welche ein Teil des GATT ist und folgendes beinhaltete: "traditional provisions", sowie “valuation for duty, national treatment on internal taxation, and regulation, quantitative restrictions, subsidies, antidumping, countervailing duties, state trading.” (vergl. Reisman 1996: 85) Die “draft trade charter” enthielt aber keine Bestimmungen über: “employment, investment, restrictive business practisees, commodity agreements or organisational provision to the ITO.” (vergl. Reisman 1996: 85) Die ursprünglichen Ambitionen der ITO waren daher viel progressiver als die des GATT. Die ITO sollte in Zukunft nicht nur Bestimmungen über den Handel enthalten, sondern auch Bestimmungen z.B. zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Als Organisationsform stellt das GATT bis zur Gründung der WTO am 1.1.1995 keine internationale Organisation dar, sondern nur ein multilaterales Handelsabkommen.