Friedrich Kellner

August Friedrich Kellner (* 1. Februar 1885 in Vaihingen an der Enz, † 4. November 1970 in Lich) war ein deutscher Sozialdemokrat, Justizinspektor und Tagebuchschreiber. Im Geheimen hatte er während des „Dritten Reiches“ Tagebücher geführt. Er sagte später dazu:
- „Ich konnte die Nazis damals nicht in der Gegenwart bekämpfen. Also entschloss ich mich, sie in der Zukunft zu bekämpfen. Ich wollte kommenden Generationen eine Waffe gegen jedes Wiederaufleben solchen Unrechts geben. Meine Augenzeugenberichte sollten die barbarischen Akte aufzeichnen und auch zeigen, wie man sie beenden konnte.“
Familie und Ausbildung
August Friedrich Kellner wurde am 1. Februar 1885 in Vaihingen an der Enz geboren. Er war das einzige Kind von Georg Friedrich Kellner, einem Bäcker aus dem thüringischen Arnstadt, und Barbara Wilhelmine Vaigle aus Bissingen an der Enz. Sie und ihre Vorfahren gehörten der evangelischen Kirche an. Als Friedrich vier Jahre alt war, zog die Familie nach Mainz um, wo sein Vater als Bäckermeister in „Goebels Zuckerwerk“ arbeitete.
Im Dezember 1902, im Alter von 17 Jahren, bestand Friedrich Kellner die Abschlussprüfung der Oberrealschule an der Mainzer Goetheschule. Er begann seine berufliche Laufbahn im Amtsgericht Mainz als Büroangestellter. Dort arbeitete er von 1903 bis 1933 und wurde nacheinander Justizsekretär, Buchhalter und Justizinspektor.
Militärdienst und Ehe
Friedrich Kellner leistete seinen Reservedienst in der Armee in den Jahren Jahre 1907 und 1908 in der 6. Kompanie des Infanterie-Leibregiments „Großherzogin“ (3. Großherzoglich Hessisches) Nr. 117 Mainz. 1913 heiratete Friedrich Kellner Pauline Preuss aus Mainz. Ihr einziges Kind, Karl Friedrich Wilhelm Kellner, wurde einige Jahre später geboren.
Als 1914 der erste Weltkrieg begann, wurde er als Offiziers-Stellvertreter im Infanterie-Regiment „Prinz Carl“ (4. Großherzoglich Hessisches) Nr. 118, Worms, einberufen, und kämpfte im September zunächst in der Schlacht an der Marne in Frankreich. Einige Monate später wurde er in Kämpfen nahe Reims verwundet und zur Erholung ins Mainzer St. Rochus-Hospital geschickt.
Politische Aktivitäten
Trotz dieser offensichtlichen Loyalität dem Kaiserreich gegenüber begrüßte Friedrich Kellner die Geburt der deutschen Demokratie nach dem Krieg. Er wurde zum eifrigen politischen Organisator für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Von den ersten Tagen der Weimarer Republik an bezog er gegen den nach seiner Ansicht gefährlichen Extremismus der Kommunisten und der Nationalsozialisten Stellung. Bei Kundgebungen zeigte er oft Adolf Hitlers “Mein Kampf” und rief dem Publikum zu: „Gutenberg, deine Druckerpresse ist von diesem üblen Buch verletzt worden”. Mehr als einmal wurde er von Nazischergen verprügelt und bedroht, weil er sich öffentlich gegen sie wandte.
Zwei Wochen bevor Adolf Hitler Reichskanzler wurde und ehe die Nazis ihre politischen Gegenspieler ernstlich verfolgten, brachte Friedrich Kellner seine Ehefrau und seinen Sohn nach Laubach in Sicherheit. Dort arbeitete er auch selbst im Amtsgericht. 1935 emigrierte der Sohn in die USA, um der Einberufung in die Wehrmacht zu entgehen. Während der Novemberpogrome 1938 versuchten die Kellners, ihren jüdischen Nachbarn zu helfen. Sie wurden gewarnt, dass sie das gleiche Schicksal wie ihre Nachbarn erleiden würden, wenn sie mit ihrem Widerstand gegen die Nazipolitik weitermachten. Ihnen wurde gedroht, selbst eingesperrt zu werden, weil sie auf die Laubacher Bevölkerung einen „schlechten Einfluss“ hätten.
Weil er nicht weiter offen politisch tätig sein konnte, vertraute Friedrich Kellner von da an seine Gedanken einem geheimen Tagebuch an. Er wollte seinem Sohn in Amerika sowie kommenden Generationen vermitteln, wie wichtig es sei, dass Demokratien gegen Diktaturen aufstehen. Er wollte alle davor warnen, jemals Tyrannen besänftigen zu wollen, ihrem Terrorismus nachzugeben oder ihrer Propaganda Glauben zu schenken. Als der Krieg endete, hatte Friedrich Kellner 861 Seiten in zehn Bänden seines Tagebuchs gefüllt.
Nach dem Krieg
Nach dem Ende des Krieges half Friedrich Kellner beim Wiederaufbau der SPD in Laubach und wurde zeitweilig deren Vorsitzender. Er war von 1945 bis 1946 Beigeordneter der Stadt Laubach. Von 1956 bis 1960 war er erster Stadtrat der Stadt Laubach und damit Vertreter des Bürgermeisters.
Von 1933 bis 1947 war Friedrich Kellner Geschäftsleiter am Amtsgericht Laubach. Von 1948 bis 1950 war er Bezirksrevisor beim Landgericht Gießen. Von 1950 an war er trotz seines Ruhestands wieder drei Jahre lang als Prozessagent und Rechtsbeistand am Amtsgericht Laubach zugelassen.
1968 gab er das zehnbändige Tagebuch, das er zwischen 1939 und 1945 heimlich geschrieben hatte, seinem amerikanischen Enkel, um es übersetzen und veröffentlichen zu lassen.
Am 4. September 1970 starb Friedrich Kellner und wurde an der Seite seiner Frau und seiner Eltern auf dem Mainzer Hauptfriedhof beerdigt.
Tagebuch des Friedrich Kellner

Das Tagebuch besteht aus 10 Bänden und insgesamt 861 Seiten. Es gibt 676 einzelne datierte Eintragungen und mehr als 500 Zeitungsausschnitte.
Kellner glaubte, seine Aufzeichnungen belegten nicht nur die Ereignisse in jenen Jahren, sondern enthielten auch das Rezept, wie man solche von Menschen angerichteten Katastrophen künftig verhindern könnte: Durch den Widerstand gegen Ideologien, die menschliches Leben und persönliche Freiheit missachten.
Rezeption
Die Arbeitsstelle Holocaustliteratur der Justus-Liebig-Universität Gießen strebt die Veröffentlichung der Tagebücher an. Der stellvertretende Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur, Dr. Sascha Feuchert, bewertete sie als eines der umfangreichsten geheimen Tagebücher aus der Zeit des Nationalsozialismus.[1]
Im Frühling 2005 wurden die Tagebücher im George Bush Presidential Library ausgestellt[2].
Der „Gießener Anzeiger“ und der Heimatkundliche Arbeitskreis Laubach präsentierten im September 2005 im Laubacher Heimatmuseum gemeinsam eine Ausstellung über die Tagebücher[3].
Im Sommer 2006 wurden die Tagebücher im Holocaust-Museum Houston ausgestellt[4].
Eine kanadische Filmgesellschaft drehte im Jahr 2006 einen Dokumentarfilm über seine Aufzeichnungen mit dem Titel „My Opposition: the Diaries of Friedrich Kellner“[5].
Quellen
- ↑ Sascha Feuchert, Justus Liebig Universität
- ↑ George Bush Presidential Library, College Station, Texas
- ↑ Heimatkundlicher Arbeitskreis Laubach
- ↑ Holocaust Museum Houston
- ↑ http://www.telefilm.gc.ca/data/production/prod_4338.asp?lang=en&
Weblinks
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Kellner, Friedrich |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Sozialdemokrat, Justizinspektor und Tagebuchschreiber |
| GEBURTSDATUM | 1. Februar 1885 |
| GEBURTSORT | Vaihingen an der Enz |
| STERBEDATUM | 4. November 1970 |
| STERBEORT | Lich (Hessen) |