Gegen Holger Voss fand in Deutschland eines der bekanntesten Strafverfahren wegen einer Meinungsäußerung im Internet statt.
Im Diskussionsforum des Online-Magazins Telepolis reagierte er sarkastisch auf den gewaltverherrlichenden Beitrag eines anderen Diskussionsteilnehmers. Voss' sarkastisch formulierte Gleichstellung von Krieg und Terrorismus wurde ihm zunächst als „Billigung von Mord“ (§ 140 StGB) ausgelegt, gegen ihn erging ein Strafbefehl über 1.500 Euro. Erst in einem Strafprozess wurde er von den Vorwürfen freigesprochen; in seinem Plädoyer argumentierte er, dass Kriege wie der mit deutscher Unterstützung geführte Afghanistankrieg moralisch der gleichen Gewaltlogik folgen wie die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA.
Ausgangspunkt der Diskussion war ein Artikel des Telepolis-Journalisten Harald Neuber vom 20. Juni 2002. Neuber berichtete über ein Massaker an afghanischen Kriegsgefangenen durch die afghanische Nordallianz, das mutmaßlich von Soldaten der USA und Großbritanniens unterstützt wurde. Ein Unbekannter lobte dieses Massaker und die Täter, „die sich trauen das Böse mit der Wurzel auszureissen und vom Antlitz des Planeten restlos zu vertilgen“. Holger Voss, der sich als Antimilitarist versteht, verdrehte diese Polemik satirisch, indem er die USA an Stelle der ermordeten Kriegsgefangenen setzte.
Der Fall fand besondere Beachtung, weil gegen Voss zunächst eine hohe Geldstrafe (1.500 Euro) festgesetzt wurde, obwohl sein Text eindeutig als Sarkasmus zu erkennen war und obwohl Staatsanwaltschaft und Gericht bekannt war, dass der Diskussionsbeitrag des Holger Voss nicht wörtlich gemeint war. Die Staatsanwältin und die Richterin wollten Voss dennoch wegen „Billigung von Mord“ verurteilt sehen: „Für den bedingten Vorsatz reicht es jedoch, dass der unbefangene Leser die Äußerung als Billigung verstehen kann.“
Der Strafprozess gegen Holger Voss fand weiter besondere Beachtung, weil der Provider T-Online Verbindungsdaten seines Kunden Voss illegal und entgegen den Datenschutzbestimmungen protokolliert hat. Am 1. Juli 2005 entschied das Amtsgericht Darmstadt, dass das Speichern von IP-Adressen bei Flatrates illegal ist, da sie bei der Abrechnung nicht benötigt werden. Auch das Landgericht Darmstadt schloss sich in der Berufungsverhandlung, zu der es keine Revision zugelassen hat, am 25. Januar 2006 dieser Ausfassung an. Somit muss T-Online die IP-Adresse des Kunden unmittelbar nach Verbindungsende löschen. Die übertragene Datenmenge darf ebenfalls nicht erfasst werden, lediglich der Zeitraum, wann eine Verbindung bestand, darf aufgezeichnet werden. In diesem Punkt unterlag Holger Voss in erster Instanz. Am 25. Januar 2006 fiel das Urteil des Landgerichts Darmstadt jedoch für die Telekomtochter und andere Flatrate-Anbieter negativ aus: Es dürfen bei einem Flatrate-Vertrag nicht mehr IP-Nummer sowie übertragenes Datenvolumen gespeichert werden, da diese für die Abrechnung nicht notwendig sind. Das Landgericht Darmstadt hatte eine Revision nicht zugelassen. Gegen diese Entscheidung hat T-Online am 13. April 2006 eine Nicht-Zulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Die Revisionsbegründung wurde beim BGH eingelegt. Die Revision muss aber noch zunächst überhaupt angenommen werden vom BGH, bevor inhaltlich über sie entschieden wird. Die Telekomtochter unternimmt damit enorme Anstrengungen, ihre bisherige Praxis beibehalten zu können und Nutzerdaten bei Flatrate-Nutzern bis 80 Tage nach Rechnungsstellung zu speichern. So beugt sie sich dem Urteil bisher nur gegenüber dem Kläger. Sie löscht nur dessen Daten "von Hand" und speichert die aller anderen Nutzer nach wie vor. Sie fühlt sich den anderen Nutzern nicht verpflichet, da sie - insoweit zu Recht - der Meinung ist, das Urteil wirke nur zwischen den Parteien (inter partes) und nicht allgemein (inter omnes). Angesichts der im Dezember 2005 durch das EU-Parlament erlassenen neuen Richtlinie zur Speicherung der Online-Identität wird es jedoch voraussichtlich nicht mehr lange andauern, bis Nutzerdaten umfangreich gespeichert werden können, da die Richtlinie auf kurz oder lang in das deutsche Recht einfließen wird. Damit argumentiert auch T-Online. Es ist dennoch zu hoffen, dass der BGH die Gelegenheit zu urteilen wahrnimmt und nicht wartet, "bis sich alles von selbst erledigt". Die angesprochene Richtlinie greift denn auch in erster Linie die Speicherung zu bestimmten Zwecken - namentlich der Terrorfahndung - auf und erlaubt keine allgemeine Speicherung. Für die einzelnen Nutzer bleibt die Möglichkeit gegen T-Online individuell vorzugehen. Die Argumente aus dem Fall Voss dürften allgemein übertragbar sein. Alternativ kann selbstredend auch zu einem anderen Provider gewechselt werden, der in Befolgung der Vorschriften die Daten unverzüglich (in der Praxis meist in wenigen Tagen) löscht. Dabei ist darauf zu achten, dass der Provider nicht nur Produkte von T-Online (nun wieder T-Com) weiterverkauft sondern ein eigenes Produkt.
Mittlerweile hat der BGH die Beschwerde von T-Online wegen Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen. Somit ist das Urteil des Landgerichts Darmstadt rechtskräftig.
Weblinks
- BGH bestätigt Urteil zur Löschung von IP-Adressen
- Der erste legal anonyme Heise-Forenposter?
- Meldung bei Heise Online zum Urteil des Landgerichts Darmstadt
- Voss' Dokumentation des Verfahrens
- Voss' Aussage vor Gericht
- Meldung bei Heise Online
- Meldung bei Telepolis
- Meldung in der "graswurzelrevolution"
- Links zu Presseberichten
- Voss zur illegalen Datensammlung bei Providern
- Meldung bei Heise Online - Revision
Personendaten | |
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NAME | Voss, Holger |
KURZBESCHREIBUNG | Ausfechter eines der bekanntesten Strafverfahren |