Catilinarische Verschwörung
Die Catilinarischen Verschwörungen waren zwei Umsturzversuche des römischen Senators Lucius Sergius Catilina in den Jahren 66 v. Chr. und 63 v. Chr., durch die er die Consul zu werden versuchte. Beide Umsturzversuche misslangen. Die bekanntere ist die zweite Verschwörung, die besonders durch Ciceros überlieferte Reden gegen Catilina sowie die detaillierten historischen Beschreibungen von Plutarch und Sallust erhalten worden ist.
Die Vorgeschichte
Catilinas Leben und Verschwörungen im Überblick | |
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108 | Geburtsjahr |
17.11.89 | Catilina wird als Mitglied des Consiliums des Consuls Gnaeus Pompeius Strabo im Feldlager vor Asculum genannt. |
ab 83 | Catilina wird Anhänger Sullas. |
etwa 82 | Ermordung des Bruders; Gerüchte. |
nach 1.11.82 | Catilina leitet ein Proskriptions- und Tötungskommando Sullas. Ermordung seines Schwagers M. Marius Gratidianus. |
82 | Legat Sullas; Belagerung von Praeneste. |
nach 82 | Ermordung seines Schwagers Q. Caecilius. |
73 | Anklage wegen Unzucht mit der Vestalin Fabia, der Schwester Ciceros. Freispruch. |
67-66 | Praetor in der Provinz Africa. |
66 | Anklage wegen Ausbeutung der Provinz. Consul Tullus lehnt Catilinas Kandidatur für das Amt des Consuls für 65 ab. |
Sommer 66 | L. Aurelius Cotta und L. Manlius Torquatus werden vom Senat zu den nächsten Consuln bestimmt. |
Dezember 66 bis Februar 65 | Erste Catilinarische Verschwörung; Fehlschlag. |
Sommer 65 | Wegen der bestehenden Anklage wird Catilina nicht als Kandidat für das Consulat 64 zugelassen. |
Ende 65 | Catilina wechselt das Lager: Wahlbündnis mit Caesar und Crassus. Zweite Ehe; Tod des Sohnes. |
1. Halbjahr 64 | Wahlkampf um Consulat für 63. Erst gute Chancen, doch Cicero und Antonius gewinnen. |
Ende 64 | Anklage wegen seiner Henkertätigkeit unter Sulla (82). Freispruch durch Caesar als Richter. |
Anfang 63 | Wahlkampf für 62. Caesar und Crassus ziehen sich zurück. Catilina plant einen Mordanschlag gegen die Consuln und sammelt Gefolgschaft aus Etrurien und der Transpadana. Verrat seiner Pläne durch Q. Curius über Fulvia an Cicero. |
Sommer 63 | Erneute Wahlniederlage: Cicero und Antonius werden Consuln. C. Manlius sammelt Truppen. Catilina plant Attentate und Brandanschläge in Rom für den 27. Oktober. |
21.10.63 | Der Senat erklärt den Staatsnotstand; Cicero und Antonius erhalten dictatorische Vollmachten. |
7.11.63 | Versammlung der Verschwörer im Hause des Laeca. Mordplan gegen Cicero. |
Nacht vom 7. zum 8.11.63 | Der Attentatsversuch schlägt fehl. |
8.11.63 | Senatssitzung im Tempel des Jupiter Stator. Ciceros 1. Rede gegen Catilina: "Verlasse die Stadt!" |
9.11.63 | Catilina flieht aus Rom. Einige Verschwörer bleiben. Ciceros Rede auf dem Marsfeld. |
15.11.63 | Ächtung von Catilina und Manlius. |
Ende November | Catilina will die Allobroger anwerben. Die verraten Cicero den Plan. Verhaftung der in Rom verbliebenen Verschwörer. |
3.12.63 | Ciceros Rede (3. Rede) auf dem Marsfeld. Danach steht das Volk auf seiner Seite. |
5.12.63 | Der Senat verhängt auf Catos Drängen das Todesurteil gegen die gefassten Verschwörer. Es wird sofort ausgeführt. |
Januar 62 | In der Schlacht bei Pistoria wird die Armee der Verschwörer geschlagen. Catilina und Manlius fallen. |
Die Ereignisse um Catilina fallen in eine Zeit des politischen Umbruchs: noch glaubten viele Römer, die bisher bestehende Staatsform, die Republik, wieder zu alter Blüte zurück führen zu können. Doch die Vertreter der neuen Staatsform, der Alleinherrschaft eines zentralen Herrschers, des Imperators, standen schon bereit, die maroden Strukturen zu zerbrechen und die Macht zu übernehmen. Ein Kind dieser Zeit war Catilina, der mit den Mitteln, die er beim Diktator Sulla gelernt hatte, ein Amt der Republik zu erobern suchte, das ihm verweigert wurde: das Amt des Consuls.
Die Endphase der römischen Republik
Ein kurzer Überblick über die Ereignisse der letzten Jahrzehnte der Republik vor der Übernahme der Regierung durch Caesar hilft uns, zu verstehen, was Catilina trieb. Denn Catilina war ein Kind seiner Zeit. Und wie sah die aus?
Armeereform und Bürgerkrieg
Rom hatte sich ausgedehnt. Aus einem kleinen Stadtstaat war in wenigen Jahrzehnten eine Weltmacht entstanden, die den gesamten Mittelmeerraum beherrschte. Um 130 v. Chr. reichte die bisherige Form des Soldatentums, nämlich bei Bedarf ein Bürgerheer zu bilden, nicht mehr aus. Mit einer Wehrreform wurde es durch das Berufsheer ersetzt. Die Bürger mussten nicht mehr Haus und Hof verlassen, um in Krieg und Kampf zu ziehen. Diese Maßnahme hatte allerdings einen Effekt, an den niemand gedacht hatte: die Feldherren wurden plötzlich zu großen Machthabern. Stehende Heere, eingeschworen auf einen einzelnen Mann - das führte innerhalb kurzer Zeit zum Wunsch einiger dieser Feldherrn, die Macht in Rom zu übernehmen. Es kam zum Bürgerkrieg: eine Reihe von römischen Heeren bekämpfte sich gegenseitig, um ihren jeweiligen Oberbefehlshaber an die Macht zu bringen.
Natürlich gewann der Skrupelloseste von allen: Sulla.
Sulla und die Folgen
Sulla ließ sich vom Senat zum Dictator ernennen. Der Senat hatte, mit all den Soldaten vor den Toren Roms, kaum eine Chance, dies zu verweigern. Sulla schrieb ein neues Gesetzbuch. Sulla ließ seine Gegenspieler ermorden. Sulla verteilte die Besitztümer um - wer ihm folgte bekam das, für was die reichen Gegenspieler sterben mussten: Gelder, Güter, Sklaven. Nach drei Jahren Schreckensherrschaft trat Sulla von seinem Amt zurück, im Glauben, der Republik den alten Glanz zurück gegeben zu haben. Nur wenige Tage darauf starb er. Eines natürlichen Todes, wohlgemerkt.
Doch Sullas Rücktritt hinterließ Lücken. Es gab keine starke politische Führungsstruktur mehr, denn Sulla hatte alle, die ihm gefährlich werden konnten, umbringen lassen. Es gab keine wirtschaftliche Führungsstruktur mehr, denn Sulla hatte die Besitzer von Landgütern, Schiffen und Handelshäusern töten und die Reichtümer unter seine Gefolgsleute aufteilen lassen. Es gab kein Vertrauen des Volkes in die Führungsspitze des Landes und in die alten Ideale, denn Sulla und seine Leute hatten ausschließlich ihren eigenen Machthunger gestillt. Die Republik war tot. Sie wusste es nur noch nicht.
Ausdehnung und politische Struktur des römischen Reiches
Zusätzlich zur politischen und moralischen Zerrüttung des Weltreichs Rom gab es ein organisatorisches Problem. Rom war die Zentrale eines riesigen Reiches, aber es gab keine Möglichkeit, Nachrichten und Befehle rasch in jede Ecke dieses Imperiums zu übermitteln. Die einzelnen Provinzen mussten lokal verwaltet werden, praktisch unkontrolliert von Rom. Zudem dauerte die Amtszeiten der Consuln und der Statthalter jeweils nur ein Jahr, waren also viel zu kurz, um bei den weiten und langen Wegen sinnvolle Prüfungen der Steuern und der Amtsführung zu ermöglichen. Zusätzlich fehlte auch das Personal: das gesamte römische Imperium wurde von weniger Menschen verwaltet und kontrolliert, als heute in den Ämtern und Behörden einer Kleinstadt arbeiten. So wurden die Provinzen sehr rasch zur Pfründe der Statthalter, die sich die Taschen ungehindert vollstopfen konnten. Dieser Umstand wird für unsere Geschichte wichtig werden.
Die Schere: arm und reich
Was geschieht, wenn die moralischen Werte genau so versagen wie die Strafverfolgung, wenn politische Schwäche auf zügellose Raffgier stößt, wenn eine neue und ungebildete Führungsschicht ungehindert allen Reichtum auf sich zieht? Die wenigen Reichen und Mächtigen werden noch reicher und noch mächtiger, und das Volk verarmt. Unzufriedenheit mit den Verhältnissen macht sich breit. Und Verschuldung. Und Hunger. Es gibt keine sozialen Sicherungssysteme.
Cäsar und Crassus
Einige der Reichen machen sich die Unzufriedenheit der Massen zu Nutze. "Panem et circenses", Brot und Spiele, lassen die Herzen der breiten Volksschichten jenen zufliegen, die kostenlos Brot verteilen lassen, die kostenlos Spiele in den Arenen Roms veranstalten. Cäsar gehört zu ihnen, und Crassus, sein reicher taktischer Verbündeter, der zusammen mit seinem politischen Gegner Pompeius, jetzt erfolgreicher und vom Volk geliebter Feldherr, Consul des Jahres 70 v. Chr. war. Beide halten die Republik für nicht mehr zeitgemäß. Sie streben nach der Macht, nach jener Staatsform, die Sulla bereits vorgelebt hatte: der Alleinherrschaft. Nur würden sie die Macht nicht wieder abgeben. Sie wollen Imperatoren sein. Und die Unzufriedenheit des Volkes soll sie dorthin tragen. Aber sie brauchen noch jemanden, der die Schmutzarbeit für sie erledigt.
Catilinas Charakter
In Catilina finden sie ihn: den Mann für's Grobe. Catilina stammt aus einer adeligen Familie, deren Ruhm verblasst. Von seinem Vater ist - durch Cicero - nur ein höchst blamabler Auftritt als Zeuge vor Gericht überliefert: er lässt sich vom gegnerischen Anwalt durch übertriebene Demut unglaubwürdig machen. Catilina selbst ist nicht dumm, und er ist von dem Wunsch beseelt, nach oben zu kommen, Macht und Geld zu haben. Seine Chancen sind gut, denn als Spross einer - wenn auch heruntergekommenen - Adelsfamilie, der gens Sergia hat er die Möglichkeit, nein, die Pflicht, eine Karriere in der Politik einzuschlagen.
Emporkömmling unter Sulla
Der junge Adelige Catilina bekommt seine ersten Aufgaben unter Sulla zugewiesen. Die Zustände waren rau, die Umgangsformen auch. Aber Catilina ist lernfähig, und er will an die Macht. Sein Schwager steht ihm im Weg - und wird von Catilina höchstselbst ermordet. Das war aber auch unter Sulla ein Kapitalverbrechen - außer, wenn das Opfer auf einer der Subskriptionslisten Sullas steht. Catilina denkt praktisch: er lässt den Ermordeten nachtragen. So wird er, nach bereits begangener Tat, vom Mörder zum Wohltäter des Staates. Dafür gibt es sogar Geld aus den beschlagnahmten Gütern der Opfer.
Mit diesem Geld als Startkapital beginnt Catilina seine politische Karriere. Er hat auch ein Ziel: er will das höchste Staatsamt erreichen, das Consulat. Damals bedeutete das, eine bestimmte Reihenfolge von Ämtern (den cursus honorum) zu erreichen und sich in ihnen zu bewähren: der Quaestor zuerst (heute so etwas wie der Finanzminister), dann das Aedilenamt (etwa: Bürgermeister der Stadt Rom), danach der Prätor (Statthalter einer Provinz), und schließlich das höchste Staatsamt, das Consulat. Jedes dieser Ämter ist unter den Senatoren hochbegehrt.
Statthalterschaft in der Provinz Africa
Die Karriereleiter bis ganz nach oben zu besteigen ist ein teurer Spaß. Es gilt, Bestechungsgelder zu bezahlen, teure Geschenke ans Volk zu geben (um sich beliebt zu machen), einen aufwändigen Lebensstil zu führen. Wie so viele Aufsteiger ist auch Catilina in notorischer Geldnot. Die Gelder, die er unter Sulla ansammeln konnte, sind längst verbrauchst; Schulden türmen sich auf. Da trifft es sich gut, dass es das Amt des Statthalters von Provinzen gibt: wie will Rom kontrollieren, wieviele Steuern in Catilinas Tasche fließen und was in Rom auftaucht? Jeder Statthalter macht es so. Es ist sogar ein wichtiger Grund, um Statthalter zu werden.
Catilina bewirbt sich um eine der reichsten Pfünden, die das römische Imperium zu verteilen hat: die Provinz Africa. Im Jahr 68 v. Chr. bekommt er sie. Für ein Jahr soll Catilina sie verwalten, die Steuern erheben und nach Rom weiterleiten. Und er hat ein Heer, um die Ruhe im Land zu gewährleisten und den Steuerfluss sicher zu stellen.
Catilina nutzt die Aufgabe, wie wohl alle Statthalter, um einen Teil der Steuern in seine eigenen Taschen fließen zu lassen. Er erhöht die Abgaben; die Truppen, die ihm zur Verfügung stehen, geben seinen Forderungen den nötigen Nachdruck. Catilina presst die Provinz aus wie eine Zitrone. Die reichste Provinz Roms wird nach seiner Statthalterschaft auf Jahre hinaus als Pfründe nachfolgender Statthalter uninteressant sein.
Die Anklage
Catilina ist zufrieden: im Jahr 67 v. Chr. kehrt er nach Rom zurück, mit genügend Geld in der Tasche, um sich sinnvoll für das höchste Amt, das der römische Staat zu vergeben hat, bewerben zu können: das Konsulat. Nächstes Jahr, also 66 v. Chr., soll es soweit sein. Doch nun taucht ein Gesandter der Provinz Africa in Rom auf und legt dem Senat Zahlen vor: Catilina hat es übertrieben. Die Provinz hat unter ihm zu sehr gelitten, Catilina hat zu viel Geld in seine eigene Taschen fließen lassen. Der Senat wird aktiv: er lässt die Anklage gegen Catilina zu. Und dieser Anklage wegen wird Catilina nicht als Kandidat für das höchste Staatsamt zugelassen.
Wenn es nicht freiwillig geht, dann muss es eben mit Gewalt gehen, denkt sich Catilina. Und beginnt mit den Vorbereitungen zu einem Staatsstreich.
Die erste Catilinarische Verschwörung
Er will Consul werden an Stelle des Consuls! Und wenn man ihn nicht wählt, nun, dann müssen die nächsten beiden Consuln dran glauben, denn dann wird er nachrücken! Die bereits gewählten Consuln für das nächste Jahr, 65 v. Chr., sollen ihm Platz machen für sein Machtstreben - und weil er als Consul nicht wegen seiner Taten als Statthalter verurteilt werden kann.
Auch Caesar und Crassus sind eingeweiht, ziehen im Hintergrund die Fäden, bezahlen die nötigen Banden, bestechen, intrigieren, diffamieren. Denn für diese Beiden ist alles gut, was ihrem Konkurrenten, dem populären Feldherrn Pompeius, schadet. Wenn Catilina als Consul eben jenem Pompeius das Vertrauen entzieht, ihn möglicherweise sogar anklagt - es lässt sich immer etwas finden, wenn man nur gut sucht -, dann wäre das hilfreich für die eigenen Pläne.
Doch auch dieser Versuch, an die Macht zu kommen, schlägt fehl. Die gedungenen Mörderbanden sind nicht rechtzeitig vor Ort: ein Absprachefehler. Schlechte Organisation.
Doch die Bewaffneten sind nicht unbemerkt geblieben. Caesar und Crassus distanzieren sich sofort öffentlich von dem Anschlag. Warum eigentlich, wenn sie doch gar nichts damit zu tun haben? Man glaubt ihnen.
Und Catilina? Jeder weiß Bescheid, doch keiner hat Beweise. Ist noch mal gut gegangen. Allerdings sind jetzt auch die letzten kläglichen Reste seines guten Rufs zerstört.
Doch Catilina will Consul werden an Stelle des Consuls! Also bewirbt er sich auf's Neue für das Amt. Diesmal geht es um das Jahr 64 v. Chr.. Doch auch sie wird vom Senat zurückgewiesen. Seines versuchten Umsturzes wegen? Aber nein: sein Prozess ist noch nicht entschieden! Nicht der Mordversuch an den Consuln, der ja Hochverrat ist, sondern der Prozess wegen Ausbeutung der Provinz Africa verhindert Catilinas berufliches Weiterkommen.
Scheinbare Entspannung
Endlich: das Gerichtsurteil
So steht also Catilinas nächster Schritt fest: endlich diesen Prozess vom Tisch fegen! Und wie geht das am Leichtesten? Man zücke etwas Geld! Catilina wird, bitte nicht vergessen, noch immer vom vermutlich reichsten Menschen seiner Zeit, Crassus, unterstützt, um dem Feldherrn Pompeius ein politisches Gegengewicht zu geben. Catilina ist der Mann, der für Crassus die Kastanien aus dem Feuer holen soll.
Cicero hält einen Freispruch für unmöglich; Catilina für unschuldig zu erklären sei das Gleiche, so meint er, wie zu behaupten, es sei am Mittag dunkel. Und doch: genau das geschieht! Alle Anklagen werden zurückgewiesen; Catilinas Weste gilt wieder als rein und unbefleckt... Zur Kandidatur um das Amt des Consuls für das Jahr 63 v. Chr. wird er daher zugelassen. Sein direkter Gegenkandidat ist Cicero, ein homo novus, ein aufstrebender und im Senat ungeliebter Außenseiter, der die alten römischen Ideale vertritt. Catilina wird leichtes Spiel haben.
Cicero wird Consul
Der Wahlkampf, den Catilina nun beginnt, führt rasch zu einer großen Popularität des "Rebellen". Denn Catilina verspricht Allen Alles: den Armen Brot, den Reichen Macht, den zwangsangeschlossenen Bundesgenossen (besonders den Etruriern) größeren politischen Einfluss. Aber was, wenn es wieder schief geht? Diesmal will Catilina nicht verlieren. Seine Reden sind hitzig, ja, revolutionär. Er hetzt. Zur Sicherheit läßt er unter seinen Anhängern übertriebene Andeutungen von Heeren, die im Verborgenen warten, verbreiten. Er wird, so lässt er seine Anhänger wissen, im nächsten Jahr Consul, so oder so.
Unschön, wenn in solch entscheidender Situation jemand plaudert. Unser Jemand heißt Quintus Curius. Er stammt zwar aus edler Familie, ist aber alles Andere als ein edler Charakter. Einst war er Senator, aber wegen unsittlichen Lebenswandels wurde er aus dem hohen Haus ausgeschlossen. Nun gehört er zu den Anhängern Catilinas.
Dieser Curius hat eine Geliebte: die Adelige Fulvia. Das wäre zwar nicht allzu schlimm gewesen, aber leider ist Fulvia verheiratet. Ehebruch gilt als höchst unmoralisch und wird mit dem Tode bestraft. Also müssen die Beiden den Mund halten.
Curius will seiner reichen Geliebten imponieren. Leider ist er aber verarmt, kann also keine teuren Geschenke machen. Und so beginnt er, Fulvia mit seinen Erzählungen von den Heeren des Catilina beeindrucken zu wollen. Fulvia wiederum erzählt umgehend ihren Freunden davon, natürlich ohne ihre Quelle zu nennen. Und weil ihre Freunde, wie sie selbst, Adelige sind, ist nach kurzer Zeit der Senat informiert: Catilina hat Heere gesammelt!
Der Senat wird unruhig: dagegen muss etwas getan werden. Und so wird der Gegenkandidat plötzlich der heimliche Favorit: Cicero, ein ungeliebter Aufsteiger in die edle Riege des Senats. Normalerweise hätte man ihn geschnitten. Nun ist er die bessere Wahl. Und tatsächlich: Catilina verliert gegen den Außenseiter. Cicero ist einer der beiden neuen Consuln für 63 v. Chr., und wieder hat Catilina verloren.
Und einen entscheidenden Fehler begeht er auch: er sucht nicht nach dem Informanten, der geplaudert hatte. Catilina wird es in Kürze bereuen.
Die zweite Catilinarische Verschwörung
Jetzt hat Catilina die Geduld verloren. Er macht, was er seinen Anhängern versprochen hat: er greift zur Gewalt. Er will neuer Consul sein!
Vorbereitungen zum Umsturz
Zunächst einmal gilt es, die nicht vorhandenen Heere aufzustellen. Rasch findet er jemanden, der verdeckt eine Armee rekrutiert und bewaffnet: Gaius Manlius, einen ehemaligen Hauptmann aus Sullas Armee. Er wird den bewaffneten Aufstand organisieren.
Dann muss der Platz des Consuls wieder frei werden. Also muss Cicero, der zugleich am Schärfsten gegen Catilina arbeitet, sterben.
Mordanschlag auf Cicero
Am Abend des 7. November 64 v. Chr. trifft sich im Hause des Marcus Porcius Laeca in der Gasse der Sichelschmiede die Führungsspitze der Verschwörer. Catilina erklärt seinen Plan: erst einmal muss Cicero sterben, dann stößt Catilina zu Manlius' Heer. Während er mit diesem Heer auf Rom zu marschiert sollen die Verschwörer in Rom mit Morden und Brandstiftungen für Aufstände sorgen. Dadurch würden dann die römischen Heere gegen zwei Fronten kämpfen müssen. Nur so hätten sie eine Chance gegen deren militärische Übermacht.
Ein Senator und ein Ritter, die zu den Verschwörern gehörten, erklären sich bereit, den Anschlag unverzüglich auszuführen. Sie wollen mit Bewaffneten am frühen Morgen in Ciceros Haus gehen, angeblich um einen der damals üblichen Ergebenheitsbesuche abzustatten. Wenn sie gehen würden sollte Cicero nicht mehr leben.
Nicht nur die Mörder verlassen aufgeregt das Haus. Auch Curius hat seiner Fulvia wieder etwas zu erzählen.
Fulvia erkennt sofort die Gefahr, die in dieser Nacht dem römischen Staat droht. Diesmal geht sie direkt zu Cicero. Sie erreicht ihn vor den Mördern. Cicero verlässt das Haus, denn gegen diese Übermacht hätte er keine Chance. Er ist also nicht da, als die Attentäter ihm ihre "Aufwartung" machen wollen. Der Anschlag ist vereitelt.
Ciceros Rede im Tempel des Jupiter Stator
Cicero geht sofort in die Offensive. Schon für den nächsten Morgen lässt er den Senat einberufen. Aber nicht, wie üblich, im Capitol, sondern im symbolträchtigen Tempel des Jupiter Stator, "des Jupiter, der die Feinde stehen bleiben lässt". Normalerweise ist dies ein öffentlich zugänglicher Raum, doch heute, am 8. November 64 v.Chr., halten Soldaten alle zurück, die nicht dem Senat angehören. Überall in der Stadt marschieren Truppen auf. Die Menge ist alarmiert, es brodeln Gerüchte.
Und dann erscheint - Catilina! Er, selber Senator, hat ja das Recht, an dieser Sitzung teilzunehmen. Aber er, der Kopf der Verschwörung, mitten in der Höhle des Löwen? Das ist Dreistigkeit!
Und so beginnt Cicero seine Rede in einem Wutausbruch: "Wie lange noch, Catilina, willst Du unsere Geduld missbrauchen? Wie lange noch soll uns Dein wahnsinniges Treiben verhöhnen? Wo ist die Grenze Deiner Prahlerei und hemmungslosen Frechheit?" Frage um Frage prasselt auf Catilina nieder. Im Raum verteilte Protokollführer notieren jedes Wort mit, das Cicero spricht; später wird er sie als die erste seiner Vier Reden gegen Catilina veröffentlichen.
Aber Ciceros Anklage steht, bei allem Zorn, auf tönernen Füßen: er hat keine Beweise. Denn die Ehebrecherin Fulvia wäre nicht glaubwürdig (abgesehen davon, dass sie sich selbst der Todesstrafe aussetzen würde), und der angekündigte Mordanschlag hat nicht stattgefunden: Cicero war ja außer Haus. Cicero ist sich darüber im Klaren. So kann er auch nicht jene Mitverschwörer und Hintermänner benennen, die an diesem Anschlag beteiligt sind, er kann nicht einmal den Kopf der Verschwörung, eben jenen Catilina, der noch vor wenigen Stunden Mordpläne gegen ihn ausheckte, verhaften lassen. Catilina versucht, Ciceros Anklage als haltlose Anklage eines neidischen Emporkömmlings darzustellen. Erfolglos. Und die Protokollführer, die im Saal noch immer jedes Wort mitschreiben, nehmen seine letzte Drohung auf, bevor Catilina ungehindert das schwer bewachte Haus verlässt: "So will ich den Brand, der mich verzehren soll, unter Trümmern ersticken!"
Am nächsten Tag verlässt er ungehindert die Stadt (bitte schön: ein öffentlich des Hochverrats angeklagter Mann!) und stößt zu Manlius und seinem Heer. Cicero stellt sich noch am selben Tag auf das Marsfeld und erläutert dem Volk die Situation, kann es auf seine Seite ziehen. Eine knappe Woche später erklärt der Senat, der die Augen nicht mehr vor den umstürzlerischen Umtrieben Catilinas verschließen kann, Catilina und Manlius für vogelfrei.
Offener Aufruhr: Catilina sammelt Truppen
Catilina und Manlius werben jetzt gemeinsam mehr Kämpfer an. Natürlich betonen sie nicht etwa Catilinas mehrfach enttäuschtes Machtstreben, sondern die Wohltaten, die sie dem Staat bringen wollen: Brot und Spiele. Und für die Habgierigen unter den Zuhörern: Plündern ist auch drin.
Innerhalb weniger Wochen haben die Beiden 20.000 Mann um sich versammelt: vornehmlich die Abenteuerlustigen und die Gierigen. Nicht nur den armen Teil der Bevölkerung spricht Catilina an; auch die oberen Schichten sind vertreten. Sogar Senatorensöhne schließen sich den Aufständischen an.
Allerdings gibt es ein Problem: die Waffen reichen nicht. Nur 5.000 Mann können "richtig" bewaffnet werden. Der Rest trägt Spieße, Lanzen, angespitzte Pfähle. Dies ist keine Armee, dies ist eine Schlägertruppe. Catilina weiß, dass er so keine Chance gegen ein reguläres römisches Heer hat.
Deswegen sollen einige in Rom verbliebene Verschwörer in der Hauptstadt für Unruhe sorgen und römische Truppen binden. "Mord, Brandstiftung und andere Kriegsgreul", so Sallust, sollen Rom heimsuchen. Der Kopf der Verschwörer in Rom, Publius Lentulus, soll in dem Augenblick diese Ereignisse auslösen, wenn Catilina zum Heer des Manlius gestoßen ist und gegen Rom vorrückt. Aber Lentulus traut sich nicht. Er schreibt Catilina einen Brief, in dem er ihn auffordert, erst mal bis vor die Tore der Stadt vorzurücken, damit er ihn notfalls unterstützen kann.
Catilina kann nicht. Seine Ausrüstung reicht nicht. Er braucht also Verbündete, die nicht nur Kampfgeist, sondern auch noch ihre eigenen Waffen mitbringen.
Verrat am Verräter: die Allobroger petzen
Abgeordnete eines gallischen Volksstamms, der Allobroger, befinden sich gerade in Rom. Sie haben ein großes Problem: Steuerschulden, die sie nicht bezahlen können. Deswegen wollen sie im Senat vorstellig werden und um Steuerbefreiung bitten. Aber es sieht verdammt schlecht aus...
Genau dies sind die Leute, die Catilina gesucht hat. Und zufällig befindet sich in den Reihen der Verschwörer in Rom genau der richtige Mann, um die Allobroger anzuwerben: Publius Umbrenus, ein Kaufmann, der im Stammesgebiet der Allobroger Handel getrieben hatte und dabei die Stammesfürsten kennen lernte, die nun in Rom weilen.
Auf dem Forum, mitten im Herzen der Stadt, die er verraten will, trifft Umbrenus "zufällig" auf die Abgesandten, hört sich ihre Klagen an und hat eine tolle Idee, wie sie ihre Schulden los werden könnten: wenn sie sich den Aufständischen unter Catilina anschließen würden stünde der in ihrer Schuld, und die Sache mit den Steuerschulden könnten sie vergessen. Die Allobroger sind begeistert. Die Allobroger stimmen zu.
Aber kaum sind sie wieder allein beginnen sie zu grübeln. Nein, nicht das schlechte Gewissen quält sie, sondern die Habgier: wenn sie nun zu Cicero gehen und ihm alles erzählen, wird der sie dann nicht viel reicher belohnen? Wäre das nicht außerdem auch viel gefahrloser?
Cicero ist über die Chance, die sich ihm bietet, begeistert. Er will sie nutzen, um endlich unumstößliches Beweismaterial gegen Catilina in die Hand zu bekommen. Und so verabredet er mit den Allobrogern eine List.
Kurz darauf bekommt Lentulus Besuch von den Stammesfürsten: sie brauchen schriftlich, was er ihnen versprochen hat. Nur so könnten sie ihre Krieger bewegen, sich dem Aufstand anzuschließen. Arglos schreibt Lentulus alles nieder, begleitet mit anderen Anführern zusammen die Allobroger zurück nach Rom - und wird an der Mulvischen Brücke von Ciceros Soldaten überwältigt.
Cicero hat alles: die Beweise, die wichtigsten Verschwörer. Nur Catilina und Manlius fehlen. Noch.
Catilinas Ende in der Schlacht
Nun geht alles schnell. Der Brief an Catilina ist eindeutig, es gibt keine Möglichkeit, sich herauszureden. In der Senatssitzung vom 5. Dezember werden die gefassten Hochverräter, allen voran Lentulus, zum Tode verurteilt und sofort, in Gegenwart Ciceros, hingerichtet. Die Volksmenge jubelt Cicero zu, nennt ihn pater patriae, Vater des Vaterlands. Es ist der Höhepunkt in Ciceros Leben.
In Catilinas Lager treffen die Nachrichten aus Rom sehr schnell ein. Und sofort laufen die meisten der Aufständischen davon: das kann nur schief gehen. Nur ein kleiner harter Kern verbleibt bei Catilina und Manlius. Catilina führt den Trupp in Eilmärschen bis in die Nähe von Pistoria. Dort stellt ihn Antonius, der aus dem Süden mit einem Heer herangeeilt war, das für Catilinas verbliebene Truppen erkennbar zu mächtig ist. Und noch immer gibt Catilina nicht auf, im Gegenteil: in einer letzten Rede fordert er seine Männer auf, für die politischen Ideale der Revolution zu kämpfen und zu sterben.
Dann geht es los. Sallust berichtet, dass Catilinas Restheer rasch aufgerieben wird, trotz des massiven persönlichen Eingreifen Catilinas an allen kritischen Punkten. Sallust war von der Tapferkeit des Haudegens in seiner letzten Schlacht beeindruckt. Tapferkeit, virtus, ist eines der großen römischen Ideale, die unabhängig vom Anlass bewundert werden.
Schließlich ist die Schlacht vorüber. Catilina wird, von seinen Truppen getrennt, unter einem Berg von Leichen seiner Gegner gefunden. Er lebt noch ein paar Minuten. Sein Gesicht zeigt noch immer den Trotz, der ihn durch sein Leben getragen hatte.
Dann ist alles vorbei.
Die politischen Folgen
All diese dramatischen Ereignisse, all die großen Reden, all die Kämpfe und Toten - was änderten sie in der römischen Geschichte? Nichts. Die Ereignisse rund um Catilina waren Symptome einer Krankheit, nicht die Krankheit selbst. Mit dem Ende der Verschwörung schien die alte Staatsform, die Republik, gerettet. Doch sie war nicht erneuert. Die alten Probleme blieben; niemand nahm sie in Angriff.
So klang die Republik in letzten Kämpfen und Bürgerkriegen aus. Nur achtzehn Jahre später wird Cäsar die Macht erobern und sich den Lorbeerkranz als Alleinherrscher auf Lebenszeit, ernannt vom Senat, auf seine Schläfen setzen - um von den letzten Verfechtern der alten Staatsform ermordet zu werden. Doch der politische Umschwung ist nicht rückgängig zu machen: Cäsars Nachfolger Augustus wird die neue politische Struktur, den Imperialismus, zementieren. Bis zum Ende des römischen Staates wird die alte Ordnung nicht wieder errichtet.
Catilina freilich wird nicht vergessen. In den Köpfen der Menschen bleibt er als Erzbösewicht, als die Urform des egoistischen Umstürzlers, bestehen. Viele seiner angeblichen Untaten werden später übrigens als reine Propaganda von Ciceros Seite erkannt. Doch das Bild des ruchlosen Schlägers und Spitzbuben wird in den Köpfen bis auf den heutigen Tag bestehen bleiben.
siehe auch: Portal und Themenliste Rom
Vertiefende Stichworte
Dieser Artikel stellt in einigen Bereichen, besonders in der Vorgeschichte, die Vorgänge bewusst vereinfacht dar. Der Umfang des Artikels wäre sonst um mindestens ein weiteres Drittel angestiegen, ohne dass das Verständnis der Vorgänge wesentlich vertieft worden wäre. Für diejenigen, die es genauer wissen möchten (oder müssen), folgt hier eine Liste mit vertiefenden Themen:
- Die Reformen der Gracchen: Tiberius Gracchus, 133 v. Chr., und Gaius Gracchus, 123 v. Chr.
- Der Bundesgenossenkrieg, 91 v. Chr. bis 88 v. Chr. (Unsichere Bündnispartner als Mitursache für innenpolitische Probleme Roms)
- Spartacus und der Sklavenaufstand (73 v. Chr. bis 71 v. Chr.) (Innenpolitische Schwächen und wie sie gelöst wurden)
- Popularen und Optimaten (Politische Hauptströmungen im Rom vor der Zeitenwende)
- Strabo (lange Jahre der Vorgesetzte in Sullas Armee und das prägende Vorbild des jungen Catilina)
- Verres (Freund des jungen Catilina und Vorbild für das "Ausnehmen" von Provinzen als Statthalter)
Literatur
- Sallust, Sämtliche Schriften, Phaidon Verlag Essen, ISBN 3-88851-031-7
- Cicero, Werke in drei Bänden, darin "4 Reden gegen Catilina", Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, ISBN 3-351-01474-0
- H. D. Stöver, Verschwörung gegen Rom, Econ Verlag GmbH Düsseldorf und Wien, ISBN 3-430-18798-2