Anarchokapitalismus

ökonomische Theorie und politische Philosophie
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Der Anarchokapitalismus (auch Marktanarchismus, Anarcholiberalismus) ist eine sozialphilosophische Theorie, die eine staatsfreie, vom freien Markt, von freiwilligen Übereinkunften und von freiwilligen vertraglichen Bindungen geprägte Gesellschaft befürwortet.

Anarchokapitalisten sehen einen freien Markt und Privateigentum als notwendig an, um ein hohes Maß an Wohlstand zu erreichen und aufrecht zu erhalten. Sie betrachten Staaten als illegitim und bringen sowohl radikal-liberale, libertäre, ökonomische als auch soziologische Argumente gegen Staaten vor. Staaten seien Aggressoren, die Menschen in ihrer Freiheit beschränkten, illegitime Gewalt und Zwang ausübten und sich fremdes Eigentum aneigneten. Eine Regierung unterscheide sich von "anderen kriminellen Banden"[1] dadruch, dass eine Bevölkerung in der Regel Taten, die als Verletzung von Rechten angesehen würden, wenn sie von Privatpersonen verübt würden, in einem anderem Licht sehe, wenn sie von der Regierung ausgingen. Weiterhin ermögliche die Existenz staatlicher Macht es manchen Mitgliedern einer Gesellschaft, sich selbst Vorteile gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern zu verschaffen und diese auszubeuten.

Der Begriff Anarchokapitalismus wurde erstmalig von dem libertären Wirtschaftswissenschaftler Murray Rothbard verwendet, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts Elemente der Österreichischen Schule, des klassischen Liberalismus und des amerikanischen individualistischen Anarchismus des 19. Jahrhunderts miteinander verband.[2] Zentral in Rothbards Theorie sind die Souveränität des Individuums und das Nichtaggressionsprinzip.

Geschichte und Einflüsse

Klassischer Liberalismus

 
Gustave de Molinari (1819–1912)

Der klassische Liberalismus hatte großen Einfluss auf den Anarchokapitalismus. Seit John Locke befassten sich klassische Liberale mit zwei Hauptthemen: der Freiheit des Individuums sowie mit der Begrenzung und Kontrolle staatlicher Macht. Nach Locke geht der Staat aus der Gesellschaft hervor. Wie er, waren und sind die meisten Liberalen der Ansicht, der Staat sei notwendig, solle seine Rolle aber darauf beschränken, Freiheit und Besitz der Mitglieder einer Gesellschaft zu schützen. Weitergehende staatliche Eingriffe in die Gesellschaft lehnen sie ab.

Seit dem ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert wandten sich einige Anhänger des Liberalismus gegen diese etatistische, also die Existenz staatlicher Ordnungssysteme befürwortende Sichtweise. Sie betrachteten es als inkonsistent, einerseits Eigentumsdelikte als verwerflich anzusehen und es andererseits einem liberalen Staat zu erlauben, sich durch die Ausübung staatlichen Zwangs die Mittel zur Finanzierung der von ihm bereitgestellten Schutzdienstleistungen zu verschaffen. Sie sahen also einen Gegensatz zwischen freiwillig interagierenden Menschen - sprich: der Gesellschaft - und der "Institution der Gewalt" - sprich: dem Staat.[3]

Einer der ersten Liberalen, der die Möglichkeit der Privatisierung des Schutzes von Freiheit und Besitz diskutierte war der deutsche Physiokrat Jakob Mauvillon im 18. Jahrhundert. In den 1840ern, traten Julius Faucher und Gustave de Molinari ebenfalls dafür ein. Molinari schrieb 1849 in seinem Werk Über die Produktion von Sicherheit: "Keine Regierung sollte das Recht haben, jemanden daran zu hindern, in Konkurrenz mit ihr zu treten oder von Käufern von Sicherheit zu verlangen, dieses Gut ausschließlich von ihr zu erwerben." Ein staatliches Gewaltmonopol zum Schutz der Güter Eigentum und Sicherheit liege nicht im Interesse der Individuen, da die Ausschaltung des Wettbewerbs die Sicherheitsleistungen verteuern und die Qualität verschlechtern müsse.

Ähnlich sah es der politische Ökonom Frederic Bastiat: "Der Staat ist die großartige Fiktion, durch die jeder danach strebt, auf Kosten der anderen zu leben." Und der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau schrieb im Jahr 1849: "Von Herzen bejahe ich das Motto: 'Jene Regierung ist die beste, die am wenigsten regiert.' (...) Letztendlich läuft es auf folgendes hinaus, welches ich ebenso glaube: 'Jene Regierung ist ist beste, welche überhaupt nicht regiert.' Wenn die Menschheit bereit dafür ist, wird das die Regierung sein, welche sie haben wird." [4]

Nach Molinari wurde die staatskritische, liberale Tradition in Europa und den Vereinigten Staaten vor allem in den frühen Schriften Herbert Spencers sowie von Autoren wie Paul Émile de Puydt ("Panarchie"), Auberon Herbert und Albert Jay Nock ("Our Enemy, The State") fortgeführt.

Individualistischer Anarchismus

Neben dem klassischen Liberalismus übte der amerikanische individualistischen Anarchismus starken Einfluss auf den Anarchokapitalismus aus.

Zu dessen bekanntesten Vetrtretern gehört der Journalist Benjamin Tucker. Er stand in der Tradition liberaler, nordamerikanischer Denker wie Thomas Jefferson, Lysander Spooner, Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau, der europäischen Anarchisten Pierre Joseph Proudhon und Michail Bakunin sowie dem deutschen Philosophen Max Stirner. Anfänglich sich auf Kant berufend, betonte sein Konzept des Anarchismus die "gleiche Freiheit aller".

Tucker definierte Anarchismus als "die Lehre, dass alle Angelegenheiten des Menschen von Individuen oder freiwilligen Vereinigungen bewerkstelligt werden und der Staat abgeschafft werden sollte".[5] Er glaubte, dass die "Unterdrückung und Einschränkung des Wettbewerbs" durch den Staat zur Konzentration von Reichtum, sowie zur Unterdrückung und Ausbeutung einiger Gesellschaftsmitglieder führe. Der Staat erreiche dies vor allem durch vier "Monopole":

  1. durch das Geldmonopol,
  2. das Landmonopol,
  3. durch Importzölle,
  4. sowie durch das Patentwesen.

Er trat dafür ein, Freiheit und Besitz durch private Institutionen zu verteidigen. Verteidigung sei eine Dienstleistung wie jede andere, die sowohl erwünscht sei, als auch für den, der sie in Anspruch nehme, einen Wert darstelle.[6]

Österreichische Schule

 
Ludwig von Mises (1881-1973)

Als Gründer der Österreichischen Schule, einer Strömung der Volkswirtschaftslehre, gilt Carl Menger mit seinen 1871 erschienenen Werk Grundsätze der Volkswirtschaftslehre.

Der Begründer der österreichischen Kapitaltheorie, Eugen von Böhm-Bawerk, setzte sich früh mit dem Marxismus auseinander und versuchte mit seinem Werk Kapital und Kapitalzins (1884 - 1889), die Arbeitswerttheorie von Karl Marx systematisch zu widerlegen. Ludwig von Mises entwickelte Böhm-Bawerks Theorien weiter. In seinem Buch Die Gemeinwirtschaft begründete er 1922 theoretisch, warum eine Planwirtschaft nicht funktionieren könne.

Von Mises hielt jeden staatlichen Eingriff, der über den Schutz von Leben, Freiheit und Besitz hinausgehe, für gefährlich. Solche Interventionen zögen immer weitere nach sich und führten schließlich zu einer radikalen Senkung des allgemeinen Wohlstands. Der Wohlstand moderner Gesellschaften sei durch freies Wirtschaften entstanden und könne nur durch freies Wirtschaften fortbestehen.

In seinem 1927 erschienen Buch Liberalismus nahm er Stellung zum in Europa aufkommenden Faschismus. Er schrieb: "Was die liberale Taktik von der faschistischen scheidet, ist nicht die Auffassung über die Notwendigkeit, bewaffneten Angreifern mit den Waffen Widerstand zu leisten, sondern die grundsätzliche Einschätzung der Rolle, die der Gewalt im Machtkampfe zukommt. Die große Gefahr, die von Seite des Faschismus in der Innenpolitik droht, liegt in dem ihn erfüllenden Glauben an die durchschlagende Wirkung der Gewalt."

Bedeutende Nachfolger Mises' waren Friedrich August von Hayek und Murray Rothbard. Hayek entwickelte insbesondere eine Konjunkturtheorie, welche im scharfen Gegensatz zu konjunkturtheoretischen Modellen des Keynesianismus steht. Rothbard verband Erkenntnisse der Österreichischen Schule mit klassischem Liberalismus und individualistischem Anarchismus. Er war maßgeblicher Vordenker der anarchokapitalistischen Bewegung in den USA und einer der Gründer der Libertarian Party.

Inhalte

Die Souveränität des Individuums und das Nichtaggressionsprinzip

Die Souveränität des Individuums und das Nichtaggressionsprinzip sind zentrale Prinzipien des Anarchokapitalismus.

Rothbard schreibt sinngemäß in „Law, Property Rights, and Air Pollution“ [7]

"Das zentrale Axiom der libertären Theorie bedeutet, dass jeder Mensch Eigentümer seiner selbst ist, mit absoluten Rechten über seinen eigenen Körper. Daraus folgt, dass es niemandem gestattet sein kann, in das gewaltlos geschaffene bzw. erworbene Eigentum einer anderen Person oder anderer Personen gewaltsam einzugreifen. Daraus folgt auch, dass jede Person rechtmäßig besitzen darf, was sie sich zuerst rechtmäßig, also ohne Aggression ausgeübt zu haben, angeeignet hat und durch ihre Arbeit und Investitionen aufgewertet hat. Von diesen beiden Axiomen - dem Eigentum seiner selbst und seiner gewaltlos erworbenen bzw. erschaffenen Güter - stammt die Begründung für das gesamte System von Eigentumstiteln in einer Gesellschaft mit freiem Markt. Dieses System etabliert das Recht jedes Menschen sich selbst zu besitzen, das Recht sein Eigentum zu verschenken, zu vererben oder vertragsgemäß zu tauschen."

Für Anarchokapitalisten bedeutet Souveränität des Individuums bzw. Selbsteigentum, dass jeder Mensch ein Recht zur Selbstbestimmung hat, dass er allein das Recht besitzt, über seinen Körper und seine Lebensweise zu bestimmen. Rothbard begründet die Souveränität des Individuums durch Falsifikation aller möglichen Alternativen.

Das Nichtaggressionsprinzip bedeutet für Anarchokapitalisten ein Verbot der Initiierung von und der Drohung mit Gewalt. Jegliche Aggression verletze die Freiheit anderer. Nur in Notwehrsituationen sei der Einsatz von Gewalt und die Drohung mit Gewalt zulässig. Das Nichtaggressionsprinzip verbietet Körperverletzung oder Mord ebenso wie Eigentumsdelikte. Zu letzteren zählen Anarchokapitalisten Betrug und Diebstahl, aber auch der Zwang zu unfreiwilligen Steuern und Abgaben sowie Enteignungen durch den Staat.[8]

Die Initiierung von Gewalt ist üblicherweise als Aggression und Zwang bezeichnet. Der Unterschied zwischen libertären Anarchokapitalisten und libertären Minimalstaatlern besteht in erster Linie darin, wie weitgehend sie dieses Axiom anwenden. Die Minarchisten, wie sie z.B. in den libertären Parteien anzutreffen sind, möchten den Staat lediglich in eine kleinere und weniger in die Privatsphäre eingreifende Institution zurückdrängen, öffentliche Polizei, Gerichte und Militär jedoch beibehalten. Im Gegensatz dazu lehnen Anarchokapitalisten das Existenzrecht des Staates überhaupt ab, da jeder Staat per Definition als nach innen (Steuern und Regulierungen) und außen (externe Konflikte) aggressiv agierender territorialer Monopolist verstanden wird und somit gegen das Nicht-Aggressions-Axiom verstößt. Der Staat ist aus diesem Verständnis heraus die einzige Einheit in der menschlichen Gesellschaft, die ihre Einnahmen aus legalisierter Aggression bezieht, was von Natur aus das zentrale Axiom des Libertarismus verletzt.[9]

Einige wie Rothbard bejahen das Nicht-Aggressions-Prinzip als die wesentliche Moral oder die Basis natürlicher Rechte. Andere wie David Friedman nehmen als philosophischen Grundsatz das universale Selbstinteresse der Menschen keine Opfer von Aggression zu werden. Sie verurteilen weniger die inhärente Amoral aggressiver staatlicher Eingriffe, die es dem Staat als Machtmonopolisten erlaubt das Nicht-Aggression-Axiom zu beugen, sondern argumentieren, dass sich das Recht gegen Aggression aus dem gegenseitigen Selbstinteresse der jeweiligen Vertragsparteien ergäbe, weder Zwang und Gewalt zu initiieren, noch gegen sich selbst zu akzeptieren.

Stefan Blankertz schreibt über das Nichtaggressionsprinzip und das libertäre Recht: "Jemand, der einer anderen Person seinen Willen ohne deren Zustimmung aufzwingt, muss zustimmen, selbst einem beliebigen stärkeren Willen unterworfen zu werden. Das heißt: Wenn genügend viele Menschen erkennen, dass das libertäre Recht Freiheit, Sicherheit und Wohlstand bringt, können sie dies gegen Widerstand durchsetzen. (...) Als Illustration eine Anwendung als Beispiel: Der Dieb muss – logisch gesehen – zustimmen, dass ihm das geraubte Gut bzw. ein Äquivalent davon abgenommen wird. Denn entweder erkennt er das Eigentum an (dann muss er zugeben, ein Unrecht begangen zu haben) oder er leugnet das Recht auf Eigentum: dann kann er nichts dagegen einwenden, dass man ihm etwas wegnimmt." [10]

Privateigentum

Eigentum wird aus Sicht von Anarchokapitalisten durch "Vermischung der Natur mit der eigenen Arbeit" (John Locke) geschaffen, indem jemand sich einen Gegenstand, der von keinem anderen Menschen genutzt oder als Eigentum beansprucht wird, angeeignet und durch eigene Arbeit aufwertet. Rothbard schreibt: "In einer freien Gesellschaft, ist jeder Teil der Natur, der nie zuvor genutzt wurde, besitzerlos. (...) Wenn Kolumbus auf einem neuen Kontinent landet, ist es dann legitim für ihn ,den neuen Kontinent oder den Bereich soweit seine Augen sehen als sein Eigentum zu erklären? Dies wäre in der freien Gesellschaft, wie wir sie postulieren, eindeutig nicht der Fall. Kolumbus oder Krusoe müssten das Land nutzen, es in irgendeiner Weise kultivieren, bevor er behaupten könnte, es zu besitzen. (...) Ungenutztes Land müsste besitzerlos bleiben, bis ein erster Nutzer eintrifft. Jeder Versuch, einen Anspruch auf eine Ressource zu erheben, die jemand nicht nutzt, müsste als Angriff auf die Besitzrechte eines zukünftigen ersten Nutzers gewertet werden." [11]

Anarchokapitalisten leiten das Recht auf Eigentum aus dem Recht auf Selbsteigentum ab. Rothbard schreibt: "Falls jeder Mensch das Recht an seinem eigenen Körper hat und falls er Objekte der Natur benutzen und transformieren muss, um zu überleben, dann hat er das Recht das von ihm geschaffene Produkt zu besitzen." Nachdem Eigentum durch Arbeit geschaffen wurde, kann er durch freiwilligen Handel oder als Geschenk an einen neuen Eigentümer weitergegeben werden; ein erzwungener Transfer von Gütern wird als illegitim angesehen.

Rothbard schreibt weiterhin: "Probleme und Schwierigkeiten treten immer dann auf, wenn das Erstnutzer-Erstbesitzer-Prinzip nicht beachtet wird. In fast allen Ländern haben Regierungen Anspruch auf neues, ungenutztes Land erhoben. (...) Nehmen wir an die Regierung entledigt sich ihrem ungenutzten Land durch der Verkauf in einer Auktion an den Höchstbietenden. Da die Regierung keinen gültigen Besitzanspruch hat, hat der Käufer diesen ebenfalls nicht. Falls der Käufer, wie dies häufig passiert, das Land "besitzt" es aber nicht nutzt oder darauf siedelt, wird er zum Landspekulanten in einem abwertenden Sinne. Der wirkliche Nutzer ist (...) gezwungen, das Land vom Spekulanten zu pachten oder zu kaufen, obwohl dieser keinen gültigen Besitzanspruch hat."[12]

Gemäß Ludwig von Mises waren umfangreicher Landbesitz immer das Resultat von durch Staaten erzwungenen Landmonopolen und resultierten nicht aus der Kumulation kleiner Parzellen durch Marktprozesse. "Nirgends und zu keiner Zeit entstand umfangreicher Landbesitz durch das Wirken der ökonomischen Kräfte des Marktes. Er ist das Resultat militärischer und politischer Anstrengungen. Durch Gewalt begründet, wird er ausschließlich von Gewalt aufrecht erhalten."[13]

Dadurch, dass sich der Staat Teile des Landes aneignet, es dem Markt entzieht und damit das Angebot künstlich senkt, erzielen Landbesitzer laut Rothbard höhere Gewinne mit der Verpachtung und dem Verkauf von Land, als es in einem freien Markt möglich wäre. [14] Auch stelle die Regierung der Vereinigten Staaten bestimmten Unternehmen der Holz-, Erdöl-, Bergbau- und Farmindustrie große Teile des Landes zu politisch festgelegten Preisen, welche sich unterhalb des Marktpreises befänden, zur Verfügung, schreibt Bernie Jackson. Umweltverschmutzung und ein Raubbau an der Natur werde für diese Unternehmen dadurch profitabel, dass sie keine Marktpreise für die von ihnen genutzten Ressourcen zahlen müssten.[15]

Falls Besitz von Staaten gehalten wird, tritt Rothbard für die Rückgabe an den privaten Sektor ein. "Jeder Besitz in den Händen des Staates ist in den Händen von Dieben und sollte so schnell wie möglich befreit werden." Rothbard unterstützt weiterhin die Expropriation von "nominellem Privateigentum", falls es das "Resultat von durch den Staat initiierter Gewalt" sei. Er schlägt vor, dass Unternehmen, die mindestens zu 50% durch den Staat finanziert wurden, von den Mitarbeitern zu ihrem Eigentum erklärt werden. Er schreibt: "(...) was wir beanstanden sind ungerechtfertigte Besitzansprüche. Wir sind nicht für Privateigentum per se, sondern für unschuldiges, nicht kriminelles Privateigentum." Karl Hess schreibt: "[Der] Libertarismus (...) wünscht in keiner Weise jeden Besitz, der heute Privateigentum genannt wird, zu verteidigen. (...) Vieles Eigentum ist gestohlen. Viele Besitzansprüche sind fragwürdig. Alles davon ist verschlungen mit einem amoralischen Zwangsstaatssystem."[16]

Aus dem vom Recht auf Selbsteigentum abgeleiteten Recht auf Privateigentum folgt für Anarchokapitalisten auch die Illegitimität des Staates: "Außer dem Ausschluss von nicht gerechtfertigten Aktivitäten wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Hausfriedensbruch, Raub, Einbruch, Diebstahl und Betrug ist die Ethik des Privateigentums auch inkompatibel mit der Existenz eines Staates, definiert als einer Institution, die ein erzwungenes territoriales Monopol auf endgültige Entscheidung (Jurisdiktion) und/oder das Recht Steuern zu erheben besitzt."[17]

Recht und Ordnung

In einer anarchokapitalistischen Gesellschaft würden der Schutz von Leben, Freiheit und Besitz sowie die Lösungsfindung in Streitfällen als private Dienstleistungen angeboten. Molinari schrieb: "Unter einer freiheitlichen Ordnung würde sich der Aufbau der Sicherheitsindustrie nicht von anderen Industrien unterscheiden."[3] Befürworter des Anarchokapitalismus weisen darauf hin, dass Mediatoren, Schiedsgerichte und Sicherheitsunternehmen bereits in bestimmten Bereichen, in denen sie vom jeweiligen Staat geduldet würden, erfolgreich ihre Dienste anbieten.

In einer solchen Gesellschaft würden Vertragspartner beim Abschluss eines Vertrages festlegen, welcher Dienstleister im Falle eines Streites für die Schichtung zuständig ist und welche Rechtsnorm dem Vertrag zugrundeliegt. Auch würden Dienstleister, die Kunden den Schutz von Leben, Freiheit und Besitz anbieten, von Kunden verlangen, bestimmte Rechtsnormen anzuerkennen. Ein Vertrag zwischen Sicherheitsdienstleister und Kunde könnte zum Beispiel festlegen, wie zu verfahren sei, wenn dem Kunde ein Delikt wie zum Beispiel Diebstahl vorgeworfen wird.[18]

Anarchokapitalisten sind der Meinung, Sicherheitsdienstleister in einer anarchokapitalistischen Gesellschaft hätten ein hohes wirtschaftliches Interesse daran, friedvolles Handeln zu bevorzugen und individuelle Rechte zu respektieren. Gewalttätige Auseinandersetzungen würden für die jeweiligen Unternehmen hohe Kosten verursachen und somit die Profitabilität des entsprechenden Unternehmens verringern. Auch könnten Unternehmen, die friedliche Lösungen bevorzugten, ihre Dienste zu geringeren Preisen anbieten und hätten somit einen Marktvorteil. Mafiöse Organisationen hätten es in einer anarchokapitalistischen Gesellschaft schwer, auch weil die durch Verbote von Drogen, Prostitution, Glücksspiel und anderer "opferloser Verbrechen" künstlich geschaffene und von ihnen genutzte Marktnische nicht mehr existiere.[19]

David Friedman schreibt in The Machinery of Freedom: "Vielleicht die beste Möglichkeit zu erkennen, warum der Anarchokapitalismus so viel friedlicher wäre als unser jetziges System, ist durch eine Analogie. Angenommen (...) die Kosten für einen Umzug von einem Land in ein anderes wären Null. Jeder lebt in einem Wohnmobil und spricht die selbe Sprache. An einem Tag kündigt der Präsident von Frankreich an, dass wegen Problemen mit den Nachbarländern neue Steuern erhoben und die Wehrpflicht in Kürze eingeführt werde. Am nächsten Morgen stellt der Präsident fest, ein friedliches aber verlassenes Land zu regieren und die Bevölkerung wird auf ihn selbst, drei Generäle und vierundzwanzig Kriegsreporter reduziert sein." [18]

Private Hilfe für Bedürftige und freiwillige Vorsorge

Anarchokapitalisten setzen auf Nachbarschaftshilfe und mildtätige, private Institutionen oder Stiftungen, um bedürftigen Menschen zu helfen. Sie argumentieren, solche Institutionen seien aufgrund der Konkurrenz verschiedener Organisationen um private Spender unbürokratischer und effizienter als staatliche Institutionen. Zudem sind Anarchokapitalisten der Ansicht, dass Menschen mehr für wohltätige Zwecke spendeten, wenn die Belastung durch Abgaben an den Staat wegfiele. Bei zunehmendem Wohlstand steige weiterhin die Spendenbereitschaft an. Als Beispiel hierfür führen sie die Zunahme der Spendenbeträge während des Wirtschaftsbooms der 80er Jahre an, in dem sich die Spendenbeträge linear zum Einkommenswachstum vermehrt habe.

Weiterhin sehen sie die Möglichkeit, sich durch freiwillige, private Versicherungen gegen unvorhergesehene Notlagen abzusichern.

Kritik

Kritik am Anarchokapitalismus kann mehreren Kategorien zugeordnet werden. Es gibt Kritiker, die der Meinung sind, der Anarchokapitalismus würde in der Praxis nicht funktionieren. Andere Kritiker sind der Meinung, ein kapitalistisches System brauche einen mit Zwang und Gewalt operierenden Staat, um funktionieren zu können. Weiterhin gibt es Utilitaristen, die der Meinung sind, eine anarchokapitalistische Gesellschaft würde nicht das "größtmögliche Maß an Nutzen" schaffen.

Objektivisten sind der Meinung, eine anarchokapitlistische Gesellschaft würde in einem "Krieg aller gegen alle" (Hobbes) und im Chaos enden. Streitigkeiten zwischen Kunden verschiedener Sicherheitsdienstleister würden letztendlich zum Krieg zwischen diesen führen.[20] Roy Childs antwortete auf diese Kritik, Sicherheitsdienstleister in einer anarchokapitalistischen Gesellschaft hätten ein ökonomisches Interesse daran, in Konfliktsituationen Lösungen zu finden, die ohne den Einsatz von Gewalt auskommen. Es sei davon auszugehen, dass Sicherheitsdienstleister untereinander Vereinbarungen darüber träfen, wie sie im Falle eines Konfliktes zwischen Kunden zu einer friedlichen, einvernehmlichen Lösung gelangen.[21]

Für klassische Anarchisten ist eine Kombination von Kapitalismus und Anarchismus unmöglich, da der Anarchismus Macht von Menschen über andere Menschen ablehne, im Kapitalismus aber immer Machtgefälle wie zwischen Arbeitgeber - Arbeitnehmer, Konsument - Produzent, etc. bestehe. Eine Gesellschaft könne deshalb entweder kapitalistisch oder anarchistisch sein. Weiterhin glauben manche Sozialisten und Anti-Kapitalisten, Arbeitnehmer würden in allen kapitalistischen Gesellschaften "ausgebeutet".

Auch wird eingewendet, in eine solchen Gesellschaft würden die Reichen herrschen. Roderick Long entgegnet auf diesen Einwand, in einer Gesellschaft, in der ein Staat eine hohe Bedeutung im wirtschaftlichen und sozialen Leben habe, sei seiner Einschätzung nach die Macht der Reichen wesentlich höher als in einer anarchokapitalistischen Gesellschaft. Ein Reicher, der einen Staat zu einer für ihn vorteilhaften Maßnahme bewegen möchte, die anderen Nachteile bringe und die einen Staat 1 Million Dollar koste, könne dies in einer staatskapitalistischen Gesellschaft erreichen, indem er einen korrupten Bürokraten mit ein paar Tausend Dollar besteche. Wenn er aber in einer anarchokapitalistischen Gesellschaft den Inhaber eines privaten Sicherheitsdienstleisters zu einer ähnlichen Maßnahme bewegen wolle, müsse er mehr als 1 Million Dollar Bestechungsgeld zahlen[22] (vgl. Kapitalismuskritik, Sozialdarwinismus).

Minarchisten und Etatisten sind weiterhin der Meinung, das Trittbrettfahrer-Problem würde den Anarchokaptalismus in modernen Gesellschaften unmöglich machen. Nach ihrer Meinung gibt es lebenswichtige Dienstleistungen - wie Sicherheit und Verteidigung - die nur von einem Staat mit einem territorialen Monopol bereitgestellt gestellt werden könnten. Eine anarchokapitaliste Gesellschaft würde deshalb früher oder später zu einer Katastrophe und zur Wiedererrichtung eines Staates führen. Stefan Blankertz hält dem entgegen: "Angenommen, es gäbe keine staatliche Polizei. Vielmehr müsste jeder Bürger seine Sicherheit durch private Wachdienste selbst organisieren. Der Wachmann, der das Haus von Familie Müller beobachtet, schreckt jedoch auch Diebe ab, die bei Familie Meyer einzubrechen beabsichtigen. Familie Meyer bekommt also die Sicherheit umsonst, sie ist »Trittbrettfahrer«. (...) Doch die Meinung derjenigen, die von »Marktversagen« sprechen, ist nicht überzeugend. Wenn Familie Müller Angst vor einem Überfall hat, wird sie den Wachdienst engagieren, egal ob die Nachbarn mit profitieren oder nicht. Denn: Niemand würde freiwillig in Angst und Schrecken leben nur darum, weil die Nachbarn in dem Fall, dass man für sich selbst den Schrecken abstellt, auch einen Vorteil hätten." [23] Weiterhin, argumentieren Anarchokapitalisten, sei die Annahme falsch, dass Menschen ausschließlich egoistisch handelten. Dies zeigten sowohl die Existenz gemeinnütziger Organisationen als auch Ergebnisse der Experimentellen Ökonomie. [24]

Utilitaristische Kritiker glauben, dass der Anarchokaptaltimus nicht den größtmöglichen Nutzen für eine Gesellschaft bringe. Utilitaristische Kritik wird von Anhängern unterschiedlicher politischer Auffassungen und Ideologien geübt und unterschiedliche Kritiker sind unterschiedlicher Meinung darüber, welches Gesellschaftssystem einer Gesellschaft den größtmöglichen Nutzen biete. Anarchokapitalisten sehen im Gegensatz zu ihren utilitaristischen Kritikern das Nichtaggressionsprinzip als notwendige Voraussetzung für ein zivilisiertes menschliches Miteinander an. Ihrer Meinung nach sollte dieses nicht wegen vager, von Utilitaristen behaupteter Vorteile aufgegeben werden.[25]

Quellenangaben

  1. Usenet Post von David D. Friedman in humanities.philosophy.objectivism [1]
  2. Rothbard, Murray N. (1988) "What's Wrong with Liberty Poll; or, How I Became a Libertarian", Liberty, July 1988, p.53
  3. a b Molinari, Gustave de (1849) The Production of Security (trans. J. Huston McCulloch) Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Molinari-1849“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  4. Thoreau, Henry David (1849) Civil Disobedience
  5. Benjamin Tucker: State Socialism and Anarchism
  6. Benjamin Tucker: "On Picket Duty." Liberty. Jul 30, 1887; 4, 26. p4.
  7. Rothbard, Murray N. (1982) "Law, Property Rights, and Air Pollution" Cato Journal 2, No. 1 (Spring 1982): pp. 55-99. Retrieved 20 May 2005
  8. http://www.mises.org/rothbard/newliberty.asp
  9. http://www.mises.org/rothbard/ethics/ethics.asp
  10. Stefan Blankertz: Was hat es mit dem Naturrecht auf sich?, eigentümlich frei - Nr. 6 (2/99)
  11. Murray Rothbard, Man, Economy, and State: A Treatise on Economic Principles, Seite 147
  12. Murray Rothbard, Power and Market: Government and the Economy, Kansas City 1977, Seite 132
  13. Ludwig von Mises, Socialism ,Yale University Press, New York, 1951, Seite 375
  14. Rothbard, Power and Market, Seite 68
  15. Bernie Jackson, "The Fine Art of Conservation," The Freeman: Ideas on Liberty (October 1998)
  16. Hess, Karl (1969) Letter From Washington The Libertatian Forum Vol. I, No. VI (June 15, 1969)
  17. Hoppe, Hans-Hermann (2002) "Rothbardian Ethics"
  18. a b Friedman, David D. (1973):The Machinery of Freedom: Guide to a Radical Capitalism. Harper & Row ISBN 0060910100
  19. [http://www.gmu.edu/departments/economics/bcaplan/anarfaq.htm#part10 Anarchist Theory FAQ - How would anarcho-capitalism work?
  20. Ayn Rand: The Nature of Government
  21. Roy A. Childs: Objectivism and the State - An Open Letter to Ayn Rand. In: Liberty Against Power
  22. Roderick T. Long: Libertarian Anarchism - Responses to Ten Objections
  23. Stefan Blankertz: Kritische Einführung in die Ökonomie des Sozialstaates. Mai 2005, S. 136f.
  24. Anarchist Theory FAQ - The public goods problem
  25. Robert Nozick (1973): Anarchy, State, and Utopia

Literatur


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