Cemal Kemal Altun

türkischer Asylbewerber
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 1. November 2006 um 13:32 Uhr durch 145.254.42.159 (Diskussion) (Leben: einheitliche Zeit?). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Cemal Kemal Altun (* 13. April 1960 in Samsun (Türkei)[1]; † 30. August 1983 in West-Berlin) war ein türkischer Asylbewerber in Deutschland, der im Jahr 1983 während seines Abschiebungsverfahrens im Zusammenhang mit der ihm drohenden Auslieferung an die türkische Militärdiktatur Suizid beging. Aufgrund eines spektakulären tödlichen Sprungs des 23jährigen aus dem sechsten Stock des Verwaltungsgerichtes in Berlin erregte der Fall ein bundesweites Aufsehen. Altun gilt als erster in einer Reihe politischer Flüchtlinge, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aus Angst vor der Auslieferung an Unrechtsregimes selbst töteten.

Gedenkstein für Cemal Kemal Altun vor dem Gebäude Hardenbergstraße 20

Leben

Altun war schon früh – als Jugendlicher – politisch engagiert und in der linksgerichteten Republikanischen Volkspartei organisiert. Aufgrund von Reden auf Versammlungen und Flugblättern geriet er als Schüler und Student bereits ins Visier der nationalistischen Kräfte und wurde mehrfach angegriffen. Nach dem Militärputsch am 12. September 1980 wurden dann unzählige Regimekritiker, auch aus Altuns nächstem Umkreis, verhaftet, gefoltert oder ermordet. Am 8. November 1980 floh der kaum 20jährige Student Altun über Rumänien nach Bulgarien, Ungarn, in die Tschechoslowakei und über die DDR nach West-Berlin zu seiner dort lebenden Schwester. Wenige Monate später beantragte der Türke, als ihm bekannt wurde, dass die türkischen Behörden ihm eine Beteiligung an der Ermordung des Politikers Gün Sazaks unterstellten, politisches Asyl. Wegen des türkischen Haftbefehls wurde dann Altun allerdings, anstatt Asyl zu erhalten, am 5. Juli 1982 in West-Berlin inhaftiert. Am 21. Februar 1983 bewilligte die Bundesregierung die Auslieferung Cemal Altuns an die Türkei, in deren Militärdiktatur dem jungen Türken jedoch der „Tod durch unmenschliche Haftbdingungen, Folter oder Hinrichtung“ (amnesty international) drohte. Die Abschiebung wurde denn auch durch eine am 2. Mai 1983 von einer durch die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg zugelassenen Beschwerde gegen die Auslieferung Altuns zunächst aufgehalten. Nach 13 Monaten unter verschärften Bedingungen in dem Moabiter Gefängnis hatte man ihn aber bereits im März 1983 laut seinem Anwalt Wolfgang Wieland einmal mit den Worten „Jetzt geht's Richtung Türkei“ aus seiner Zelle geholt und zum Flughafen geleitet. Als die Anerkennung des Türken als politisch Verfolgter erfolgt war (der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten des Innenministeriums aber wiederum dagegen Klage einreichte), hatte der Fall Altun bereits eine europaweite Solidarität mit dem Asylbewerber ausgelöst.

Suizid

Ein weiteres Verfahren zur Klärung der Frage, ob Altun der türkischen Militärregierung ausgeliefert werden könne, fand ab dem 29. August im sechsten Stock des Verwaltungsgerichts Berlin statt. Am zweiten Verhandlungstag lief Altun, nachdem man ihm die Handschellen geöffnet hatte, auf ein offenes Fenster im Gerichtsaal zu und stürzte sich 25 Meter hinunter. Notärzte stellten nur noch den Tod des jungen Mannes fest. Die Bundesregierung reagierte bestürzt, war aber der Meinung, dass man mit einer Verzweiflungstat nicht habe rechnen können.

Nachwirkungen

Amnesty international schaltete eine Todesanzeige für Altun, in der es unter anderem hieß: „Die fortschreitende Aushöhlung des Asylrechts und die Atmosphäre der Ausländerfeindlichkeit haben ihm das Vertrauen in das Grundgesetz genommen. Im Alter von 23 Jahren starb er als Opfer einer Politik, die die guten Beziehungen zu den türkischen Militärs über den Schutz eines verfolgten Menschen stellte“. Amnesty bezeichnete die Verzweiflung Altuns als verständlich, die Haltung der Verantwortlichen hingegen nicht.

Von den Regierungspolitikern als „Einzelfall“ verharmlost, war der Suizid Altuns für SPD und Grüne gleichsam Anlass für heftige Vorwürfe gegen die Ausländerpolitik der Regierung, insbesondere den zuständigen Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann. Auch der spätere Außenminister Klaus Kinkel, der als Staatssekretär im Bundesjustizministerium die Auslieferung Altuns an die türkische Militärdiktatur befürwortet haben soll, wurde scharf angegriffen. Altuns Anwalt Wieland bestätigte diese Haltung Kinkels allerdings nicht; ihm zufolge hatte der Staatsekretär sogar, nur mündlich zwar, zugesichert, Altun würde nicht ausgeliefert.

Dem mit Altun ersten bekannt gewordenen Fall eines Flüchtlings, der in Deutschland Suizid aus Furcht vor der Abschiebung beging, folgten dennoch weit über hundert vergleichbare Fälle.

Die Gründung von Asyl in der Kirche in Berlin geht unmittelbar auf eine initiative Zusammenarbeit eines Unterstützungskomitees für die Freilassung Cemal Kemal Altuns zurück.

Der Tod Altuns hatte, durch das breite Aufsehen, das er erregte, auch längerfristige Auswirkungem auf die bundesweite Flüchtlingsarbeit, die unter anderem auch zur Gründung von PRO ASYL führten. Heiko Hoffmann von PRO ASYL sprach in einer Rede am 31. August 2003 in der Berliner Kirche zum Heiligen Kreuz davon, dass diese „von Ad-hoc-Bündnissen wie zum 40. Jahrestag der Befreiung mit Anzeigen wie ‚Hände weg vom Asylrecht‘ (initiiert unter anderen von amnesty international, der AWO und terre des hommes und unterzeichnet von über 100 Persönlichkeiten, darunter der Abgeordnete Otto Schily), über die ‚Konferenzen der Freien Flüchtlingsstädte‘, über regionale und landesweite Gründungen von Flüchtlingsräten, bis zu regelmäßigen Treffen der in der Flüchtlingsarbeit tätigen Verbände im Umfeld von UNHCR und ZDWF in Bonn [gingen].“ Allerdings habe laut Hoffmann „in der Politik [der Suizid Altuns] weder zum Umdenken noch zu einer Humanisierung der Asylpolitik“ geführt.

Gleichsam zu seinem 20. Todestag hielt es so auch Peter Döbel für notwendig, mit einem Kommentar im heute-journal an Kemal Cemal Altuns Suizid zu erinnern, und forderte ein Nachdenken darüber, warum Asylbewerber wie Altun immer wieder die Hoffnung und den Glauben an die „Garantien unserer Verfassung“ verlieren: „Musste er bei uns an dieser Angst sterben? Steht nicht im Grundgesetz: Politisch Verfolgte genießen Asyl? Steht da nicht auch, dass hier jeder Mensch die Gerichte zu Hilfe rufen darf? Es steht da.“

Im Hamburger Stadtteil Ottensen wurde das brachliegende Gelände der ehemaligen Eisengießerei Menck & Hambrock von der Hamburger Bevölkerung inoffiziell Kemal-Altun-Platz genannt. Im Stadtplan so nicht verzeichnet, benutzt selbst die Hamburger Bürgerschaft diesen Namen in ihren Schreiben. Offiziell bestätigt wurde er jedoch nie.

Cemal-Kemal-Altun-Mahnmal

Vor dem ehemaligen Berliner Verwaltungsgericht befindet sich heute ein Mahnmal für Cemal Kemal Altun. Die etwa vier Meter hohe, zwei Meter lange und einen Meter breite Steinskulptur eines ungenannten Künstlers ist von oben her mittig aufgebrochen und lässt zwei Hände erkennen. Auf beiden Seiten des Mals ist zu lesen – einmal in deutscher, einmal in türkischer Sprache: „Cemal Kemal Altun stürzte sich am 30. August 1983 als politischer Flüchtling hier aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts aus Angst vor Auslieferung in den Tod. Politisch Verfolgte müssen Asyl erhalten.“ Das Denkmal wurde 1996 von der damaligen Bezirksbürgermeisterin Berlin-Charlottenburgs, Monika Wissel, enthüllt.

Siehe auch


  1. Quelle: Deutschlandradio