Mit dem Ungarischen Volksaufstand versuchten die Ungarn im Oktober 1956, sich von der sowjetischen Unterdrückung zu befreien. Der Ungarische Volksaufstand wird heutzutage in Ungarn als Revolution (forradalom) bezeichnet. Die damaligen kommunistischen Machthaber nannten ihn Konterrevolution (ellenforradalom). Er begann am 23. Oktober 1956 mit einer Großdemonstration in Budapest und endete am 4. November 1956 durch den Einmarsch der Roten Armee. Die Kämpfe gegen die Armee dauerten allerdings noch einige Wochen, im Gebirge sogar bis Anfang 1957.

Vorgeschichte
Zusammenfassung von Vorgeschichte des Ungarischen Volksaufstandes
Verlauf
Als Ungarischer Volksaufstand werden eigentlich die Ereignisse in der Zeit vom 23. Oktober bis zum 4. November bezeichnet. Aber auch die Zeit danach war durchsetzt von Verfolgung und Niederschlagung der letzten Widerstand leistenden Gruppen.
Beginn - der 23. Oktober
Den Studenten der Technischen Universität Budapest wird eine Demonstration zur Solidarität mit dem polnischen Arbeiteraufstand genehmigt. Sie wollen mit dieser Demonstration aber viel mehr erreichen und ihre politischen Interessen kundtun. Die Studenten trafen den Nerv der Ungarn, die sich zu Tausenden dem Demonstrationszug anschlossen. Der Zug endete zunächst am Josef-Bem-Platz auf der Budaer Donauseite, wo die Forderungen der Studenten verlesen wurden. Obwohl fast keine Verstärker verwendet wurden, strömten immer mehr Menschen zu dieser Massenkundgebung. Während ein Teil der Demonstranten zum Parlament weiterzog, marschierte ein Großteil zum Rundfunkgebäude auf der Pester Donauseite. Dort wollten sie ihre Forderungen über den staatlichen Sender verbreiten. Jedoch wurde aus dem Rundfunkgebäude das Feuer auf die Demonstranten eröffnet. Durch ungarische Soldaten gelangten die Demonstranten an Waffen, so dass sie sich zur Wehr setzen konnten und das Gebäude stürmten.
Am Abend versammelten sich ca. 300.000 Menschen vor dem Parlament und forderten Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen, mehr Unabhängigkeit von der Sowjetunion sowie die Ernennung des reformorientierten Kommunisten Imre Nagy zum Regierungschef. Nagy, der die Demonstranten aufforderte, nach Hause zu gehen, wurde überraschend noch in derselben Nacht vom Zentralkomitee der Partei der Ungarischen Werktätigen zum Ministerpräsidenten berufen. Unterdessen hatte die Sowjetunion begonnen, militärisch einzugreifen, noch bevor Parteichef Ernő Gerő darum ersucht hatte. Im Laufe des Nachmittags hatten Demonstranten das Stalin-Denkmal auf dem Heldenplatz gestürzt und mit einem Traktor vor das Parlamentsgebäude gezogen.
Vom 24. Oktober bis zum 4. November
Ab dem 24. Oktober weitete sich der Aufstand auf andere Städte aus. Es entstanden Arbeiter-, Revolutions- und Nationalräte. Ein landesweiter Generalstreik setzte ein. Die ersten unabhängigen Zeitungen erschienen.
Am 25. Oktober wurde Parteichef Ernő Gerő abgesetzt. Vor dem Parlamentsgebäude schossen Mitglieder des gefürchteten Staatssicherheitsdienstes ÁVH in die Menge, wobei mehr als 100 Menschen starben.
Am 27. Oktober gab Imre Nagy seine neue Regierung und die Auflösung des ÁVH bekannt, am darauf folgenden Tag die Anerkennung der Revolution.
Am 30. Oktober verkündete Nagy das Ende der Einparteienherrschaft und bildete eine Mehrparteienregierung. Die Sowjetunion ließ sich zunächst scheinbar auf Verhandlungen über einen Abzug ein, bereitete jedoch bereits einen Angriff vor. Kardinal József Mindszenty wird aus der Haft befreit.
Als Nagy die Neutralität Ungarns erklärte und das Land aus dem Warschauer Pakt austrat, begannen die Truppen der Sowjetunion mit der Niederschlagung des Volksaufstandes und besetzten u. a. das Parlamentsgebäude. Bewaffnete Gruppen nahmen den Widerstand wieder auf.
Vom 4. bis 15. November tobten heftige Kämpfe im Land, speziell in der Hauptstadt Budapest. Die Zivilbevölkerung griff für die Regierung zu den Waffen, litt jedoch an Munitionsmangel und war den sowjetischen Streitkräften an Personal und Material hoffnungslos unterlegen, so dass die Niederlage programmiert war. Die Kämpfe forderten auf ungarischer Seite etwa 2.500 Tote, die sowjetischen Truppen verloren nach eigener Darstellung ca. 700 Mann. Einzelne Schätzungen gehen von höheren Zahlen aus.
Vor und während des Aufstandes wurde den Aufständischen über Radio Free Europe militärische Unterstützung durch den Westen versprochen und so zum Aufstand angespornt; ein Versprechen, dessen Erfüllung aber ausweislich US-amerikanischer Regierungsdokumente zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war.
Zeit nach dem 4. November
Trotz des Einmarsches der Roten Armee leisteten immer noch einzelne Gruppen Widerstand. Doch mit der Zeit begann eine Massenflucht über das seit 1955 freie Österreich in den Westen. Die meisten Flüchtlinge wurden im Raum Wien gesammelt und mit dem Notwendigsten versorgt. In Ostösterreich entstanden eine Reihe von Flüchtlingslagern; zum Teil dort, wo ein Jahr zuvor erst die Sowjetarmee nach dem Staatsvertrag ausgezogen war, wie in Traiskirchen oder dem Schloss Liechtenstein in Maria Enzersdorf. Da Österreich nicht alle Flüchtlinge aufnehmen konnte, wurden viele auf andere westliche Staaten verteilt. Die meisten Ungarn durften sich dabei ein Land und mitunter eine bestimmte Region in diesem Land aussuchen. Viele davon gingen auch nach Übersee. Insgesamt flohen über 200.000 Ungarn ins westliche Ausland, viele über die Brücke von Andau. Etwa 70.000 blieben dauerhaft in Österreich.
1957 gründeten geflüchtete Ungarn in Baden bei Wien das noch heute bestehende Orchester "Philharmonica Hungarica", das seinen Sitz seit 1960 in Marl (Westfalen) hat und den künstlerischen und faktischen Rang eines Staatsorchesters der Bundesrepublik Deutschland erreichte.
Niederschlagung und Säuberungen
Imre Nagy wurde am 22. November verhaftet, obwohl man ihm Straffreiheit zugesichert hatte, und im Juni 1958 nach einem Schauprozess hingerichtet. An 350 Personen wurden Todesurteile vollstreckt, nach der Erreichung seines 18. Geburtstages auch an dem Fachschüler Péter Mansfeld. Im Anschluss an den Aufstand kam es zu Säuberungswellen. Neuer Ministerpräsident wurde János Kádár, der außenpolitisch einen streng moskau-treuen Kurs verfolgte, nach einer Phase der Restauration innenpolitisch jedoch Reformen durchführte (siehe Gulaschkommunismus).
Ziele und Forderungen der Aufständischen
Der Aufstand hatte sowohl nationalen als auch anti-totalitären Charakter.
Nationale Unabhängigkeit
Die Studenten der Budapester Technischen Universität forderten, als notwendige Voraussetzung für Reformen, den Abzug der sowjetischen Truppen und darüber hinaus die Wiedereinführung der ungarischen Nationalfeiertage und Staatssymbole. Außerdem forderten sie die Entfernung der Stalin-Statue. Bezeichnenderweise begann ihre Demonstration am 23. Oktober am Denkmal des polnischen Generals Josef Bem, der 1849 als Befehlshaber für die Revolution und die nationale Unabhängigkeit kämpfte.
In Forderungskatalogen tauchte auch die Forderung auf, das Kossuth-Wappen, welches das Emblem der Revolution von 1848 und 1946 Staatswappen war, wiedereinzuführen, ebenso den 15. März (Gedenktag der Revolution von 1848) als Nationalfeiertag, sowie die nach sowjetischem Vorbild gestalteten Uniformen abzuschaffen. Nach Ausbruch des Aufstandes wurde die Forderung erhoben, den 23. Oktober zum Nationalfeiertag zu erklären.
Die Forderung nach Überprüfung der internationalen Vereinbarungen und Außenhandelsverträge richtete sich gegen den Abhängigkeitsstatus gegenüber der Sowjetunion. Generell wurde die Beendigung der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit gefordert.
Nach der sowjetischen Intervention am 24. Oktober hatte sich aus dem Aufstand gegen die stalinistische Diktatur ein nationaler Freiheitskampf entwickelt. Die wichtigste Forderung war nun der sofortige Abzug der gegen die Revolution eingesetzten sowjetischen Truppen. Ein Erfolg der demokratischen Umgestaltung schien nur ohne Präsenz sowjetischer Truppen möglich, da diese das alte System mit militärischer Gewalt verteidigten.
Um den 29. Oktober reichten die Entmachtung Ernő Gerős, des bisherigen Ministerpräsidenten András Hegedűs und die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes für eine Stabilisierung der Lage jedoch nicht mehr aus. Die bewaffneten Aufständischen, die politischen Gruppierungen, Arbeiterräte und Revolutionskomitees forderten neben dem vollständigen Abzug der sowjetischen Truppen den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt und die Erklärung der Neutralität Ungarns.
Demokratie und politische Freiheiten
In ihrer Erklärung forderten die Studenten der Technischen Universität von Budapest ein Mehrparteiensystem, freie Wahlen und bürgerliche Freiheitsrechte. Sie verlangten die Bestrafung der Schuldigen des Rákosi-Regimes, darunter Mátyás Rákosi und der ehemalige ZK-Sekretär Mihály Farkas, die Abschaffung der Ablieferungsquoten in der Landwirtschaft, das Streikrecht, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit.
Während der Demonstrationen am Nachmittag und Abend des 23. Oktober forderten die Massen u. a. die Verlesung der studentischen Forderungen im Rundfunk und die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Imre Nagy.
Die von den Studenten formulierten Forderungen wurden schnell Allgemeingut unter den Aufständischen. Die Arbeiterräte forderten ausnahmslos das Streikrecht. Der Arbeiterrat im Industrierevier Csepel forderte bereits am 24. Oktober ausdrücklich die Religionsfreiheit.
Nachdem am 25. Oktober Einheiten des Staatssicherheitsdienstes bei einer Demonstration vor dem Parlamentsgebäude durch Schüsse in die Menge mehr als 100 Menschen töteten, wurde überall die sofortige Auflösung des Sicherheitsdienstes gefordert.
Ferner erhoben die Arbeiterräte, die etwa anderthalb Millionen Menschen vertraten, Anspruch auf Beteiligung an der Macht.
Im Jahr 1991 wird vom ungarischen Parlament die Verjährung der Verbrechen rund um den Volksaufstand aufgehoben, um noch lebende Personen dem Gericht zuführen zu können.
Siehe auch
Artikel
- Hungary-1956 flickr photo group social networking - photos
- 1956 original newspapers historic front pages
Personen
Literatur
- Was in Ungarn geschah. Der Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen. Herder-Bücherei Nr. 9, Freiburg 1957
- György Dalos: Ungarn in der Nußschale. Geschichte meines Landes. München, 2004, 199 Seiten. ISBN 3-406-51032-9
- György Dalos,Erich Lessing1956. Der Aufstand in Ungarn, 2006, ISBN 3-406-54973-X
- J.G.Farkas (Hrsg.): Die ungarische Revolution 1956. Rundfunk-Dokumente unter besonderer Berücksichtigung der studentischen Bewegung. Selbstverlag, München 1957
- Agnes Heller / Ferenc Feher: Ungarn '56 - Geschichte einer antistalinistischen Revolution, Hamburg, 1982, ISBN 3879752222
- György Litván/János M. Bak (Hrsg.): Die Ungarische Revolution 1956. Reform – Aufstand – Vergeltung. Wien 1994 ISBN 3-85165-123-5
- Paul Lendvai: Die Ungarn. Ein Jahrtausend Sieger in Niederlagen. München 1990 ISBN 3-57000-218-7
- Paul Lendvai: Der Ungarnaufstand 1956 – eine Revolution und ihre Folgen. C. Bertelsmann Verlag, München, 2006, 318 S. ISBN 3570005798. Rezensionen bei www.perlentaucher.de
Weblinks
- www.1956andhungary.hu
- Ungarn 1956 – eine multimediale Webausstellung.
- Der Volksaufstand in Ungarn 1956
- Studienreise der Bundeszentrale für politische Bildung nach Ungarn Vergiss Ungarn nie! Begegnungsreise anlässlich des 50. Jahrestages des ungarischen Volksaufstands von 1956
- Paul Lendvai: Herbst der Freiheit. Mutig erheben sich die Ungarn 1956 gegen die stalinistische Diktatur. Doch Moskau schlägt erbarmungslos zurück – und der Westen schaut zu. In: Die Zeit, 28.09.2006 Nr. 40, S. 102
- Wiener Zeitung: Das kurze Glück der Revolution
- NZZ: Der ungarische Volksaufstand 1956 - «Sieg einer Niederlage»