Supply-Chain-Management

Modell der Logistik
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Als Supply Chain (deutsch: Lieferkette, logistische Kette oder auch Wertschöpfungskette, Wertsystem) wird ein unternehmensübergreifendes virtuelles Organisationsgebilde (Netzwerk) bezeichnet, das als gesamtheitlich zu betrachtendes Leistungssystem spezifische Wirtschaftsgüter für einen definierten Zielmarkt hervorbringt.

Beispiele für Supply Chains sind etwa die Lieferketten der Automobilindustrie oder die textile Wertschöpfungskette. Im Extrem kann die Supply Chain dabei von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling (manchmal auch der Entsorgung) von Alt-Produkten reichen („from dirt to dirt“). Die interorganisationale Arbeitsteilung zwischen den beteiligten selbständigen Unternehmen definiert Ausdehnung und Struktur der Supply Chain. Durch die Tendenz zur Konzentration auf Kernkompetenzen (Outsourcing, Verringerung der intraorganisationalen Arbeitsteilung) entwickeln sich zunehmend differenziertere (d. h. arbeitsteiligere) Supply Chains.

Im Ergebnis konkurrieren auf den jeweiligen Zielmärkten nicht vertikal integrierte Einzelhersteller, sondern stattdessen komplex strukturierte alternative Wertschöpfungssysteme (Lieferketten), die sich aus systemisch verbundenen, aber autonom agierenden unternehmerischen Einheiten zusammensetzen. Wettbewerbsvorteile erlangen solche dezentral organisierten Wertsysteme insbesondere durch eine marktadäquate Konfiguration ihrer Struktur sowie durch eine überlegene Koordination der autonom gesteuerten Aktivitäten in der Supply Chain.

Das Supply Chain Management (SCM) zielt in diesem Sinne auf eine langfristige (strategische), mittelfristige (taktische) und kurzfristige (operative) Verbesserung von Effektivität und Effizienz industrieller Wertschöpfungsketten ab, und dient mit der IuK-Unterstützung, der Integration aller Unternehmensaktivitäten von der Rohstoffbeschaffung bis zum Verkauf an den Endkunden in einen nahtlosen Prozess. Alternativ werden auch die Begriffe Versorgungskettenmanagement und Lieferkettenmanagement verwendet.

Abgrenzung von der Logistik

SCM und Logistik werden vielfach synonym verwendet. In der Tat zielen SCM wie Logistik auf die Gestaltung von Objektflüssen (Güter, Informationen, Werte) entlang den Prozessstufen der Lieferkette, wobei sie auf eine Steigerung des (End-)Kundennutzens (Effektivität) und auf eine systemweite Verbesserung des Nutzen/Kosten-Verhältnisses (Effizienz) zielen.

Insbesondere bei Transport und Lagerhaltung im Unternehmen macht der Übergang zum modernen Supply Chain Management einen qualitativen Sprung. Während die Logistik die Objektflüsse weitgehend unabhängig von institutionellen Fragestellungen betrachtet hat, bezieht das SCM die Strukturierung und Koordination autonom agierender unternehmerischer Einheiten in einem Wertschöpfungssystem explizit in die Analyse ein. Das SCM betont somit in Abgrenzung zur Logistik den interorganisationalen Aspekt der logistischen Managementaufgabe. Das Supply Chain Management kann viel mehr als ein neuer Ansatz der Betriebswirtschaftlehre angesehen werden, der sich auch über die Grenzen des Betriebes erstreckt. Er beinhaltet nicht nur die Logistik, sondern alle anderen Felder der Betriebswirtschaftlehre z. B. Marketing, Produktion, Unternehmensführung, Unternehmensrechnung und Controlling.

Prof. Dr. Herbert Kotzab schreibt in seinem Beitrag „Zum Wesen von Supply Chain Management vor dem Hintergrund der betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption“ über die Thematik und vergleicht den deutschen Ansatz der betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption mit dem des Supply Chain Management. Demnach umfasste der deutsche Ansatz bereits ein ganzheitliches Management entlang der gesamten Wertschöpfungskette, bevor es die englische Betitelung Supply Chain Management annahm. Die Autoren Paul Larson und Arni Halldorsson erörterten in ihrem Artikel „Logistics versus supply chain management: an international survey“ aus dem Jahre 2004 die Thematik. Sie gehen der Fragestellung nach, ob die Gebiete Logistik und Supply Chain Management eine Vereinigungsmenge, eine Schnittmenge darstellen oder ob sie gar disjunkt sind.

Charakteristika des SCM-Systems

  • Ausgedehnte Optimierung der innerbetrieblichen Logistikkette auf externe Partner
  • Flexibilisierung der Leistungserstellung in Bezug auf Nachfrageschwankungen
  • Erhöhung der Transparenz der Wertschöpfungsstufen

Theoretische Grundlagen des Supply Chain Managements

Die besonderen Eigenschaften des (Gesamt-)Systems „Supply Chain“ ergeben sich aus dem spezifischen dynamischen Zusammenwirken der Lieferkettenglieder. Diese System-Eigenschaften lassen sich nicht aus der Summe der Eigenschaften der beteiligten Einzelglieder ableiten, vielmehr treten als Ergebnis komplexer dynamischer Prozesse neue Eigenschaften des Gesamtsystems hervor (Emergenz). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem SCM stützt sich deshalb (was die formal/mathematische Seite anbelangt) stark auf die Erkenntnisse der Systemtheorie sowie der Chaos- und Komplexitätsforschung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht finden bei der Analyse von SCM-Problemstellungen insbesondere Erklärungsansätze der neuen Institutionenökonomik (Transaktionskostentheorie, Theorie der Verfügungsrechte, Prinzipal-Agent-Theorie) sowie der Ressource-Based-View Anwendung.

Die Zielsetzungen einer Supply Chain

  • Orientierung am Endkunden
  • Steigerung der Kundenzufriedenheit durch bedarfsorientierte Lieferung
  • Raschere Anpassung an die Änderungen des Marktes
  • Reduzierung des Bullwhip-Effekts
  • Vermeidung von „Out-of-Stock“-Situationen (ausverkaufter Artikel) und damit verbundenen Opportunitätskosten
  • Senkung der Lagerbestände in der gesamten Supply Chain
  • Kostenvorteile durch ganzheitliche Optimierung des Lieferprozesses über mehrere Stufen hinweg
  • Vereinfachung des Güterflusses
  • Verkürzung von Lieferzeiten
  • Qualitätsvorteile

Typische Problemstellungen des Supply Chain Managements

Charakteristische Problemstellungen des Supply Chain Managements sind beispielsweise:

  • Kooperation und Wettbewerb zwischen den Mitgliedern einer Supply Chain (können dezentral gesteuerte Supply Chains wettbewerbsfähiger sein als vertikal integrierte Wettbewerber – und warum?)
  • Allokation von Leistungsprozessen und Dispositionsrechten sowie von Kosten- und Finanzierungslasten bzw. -risiken und die Verteilung von Wertschöpfungsanteilen in der Supply Chain
  • Konfiguration der Prozessstrukturen in der Supply Chain
  • Nutzung und Ausgestaltung alternativer Koordinationsformen: bspw. durch zentrale Planung mittels zweckmäßig konstruierter Anreizsysteme und abgestimmten Zielen, Performance Management und Performance Measurement Systemen, durch systemweite Informationstransparenz oder durch unternehmensübergreifendes, organisatorisches Lernen mit entsprechender Verhaltensanpassung der autonom handelnden Einheiten
  • Abbau von Fehlerquellen und Störpotentialen an den Schnittstellen der Supply-Chain-Glieder (Qualitätsmanagement); Robustheit der Supply Chain gegen Störungen
  • Bewältigung der Nachteile ungleich verteilten Wissens und verzerrter Informationsausbreitung in der Supply Chain (Informationsasymmetrien); beispielhaft durch den so genannten Peitscheneffekt zum Ausdruck gebracht
  • Ganzheitliches Bestandsmanagement für mehrstufige Lagerhierarchien (Echelon Inventory Planning)
  • Bewältigung von Komplexität und Variantenvielfalt in der Supply Chain (insbesondere Postponement und Entkopplungspunkt)

Erfolgsfaktoren vom SCM-System

Praktische Umsetzung des Supply Chain Managements

Als früher Ausdruck der Hinwendung der Industrie zu SCM-Konzepten kann die etwa 1980 einsetzende Just-in-Time-Bewegung (JIT) angesehen werden. JIT zielt auf eine zeitlich eng koordinierte Kopplung der Produktionsprozesse von Hersteller und Lieferant. Besondere Beachtung fand dieses Konzept in der Automobilindustrie. Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung des JIT-Gedankens waren neben der gezielten Flexibilisierung und qualitativen Stabilisierung der Leistungsprozesse auf der Lieferseite insbesondere die logistische Kopplung der Produktionsprozesse von Lieferant und Hersteller über die Verbrauchsermittlung, unter weitgehendem Verzicht auf Lagerbestände als Problempuffer, sowie unter Verwendung standardisierter Ladungsträger und Prozesse. Exemplarische Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die aus Japan kommende Kanban-Steuerung erlangt (Pull-Prinzip in der Produktionssteuerung).

Im Handel und in der Konsumgüterindustrie manifestiert sich das Supply Chain Management insbesondere als Teil des Efficient-Consumer-Response-Konzeptes (ECR). Hierbei handelt es sich um eine branchenweite Initiative zur optimalen Angebotsstruktur für Konsumenten in Handelshäusern bei gleichzeitiger Rationalisierung von Supply-Chain-Prozessen. Das Konzeptgebäude stützt sich auf Set spezifische Basistechnologien (z. B. Barcodes, Standards für den elektronischen Datenaustausch), logistischer Standardprozesse (z. B. Cross-Docking, Vendor Managed Inventory oder Co-Managed Inventory) und einen Prozess marketingorientierter Angebotsoptimierung: Category Management, die in einem übergreifenden gemeinsamen Planungsprozess (Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment) verknüpft sind.

Eine branchenübergreifende Initiative maßgeblicher Großunternehmen hat mit der Erarbeitung des Supply-Chain Operations Reference Modells (SCOR-Modell) die Grundlage für die modellhafte Darstellung, die Leistungsmessung und den Leistungsvergleich sowie für das Reengineering von Supply-Chain-Prozessen geschaffen. Das SCOR-Modell will die Kommunikation über Supply-Chain-Strukturen und Supply-Chain-Prozesse zwischen den beteiligten Unternehmen erleichtern, indem es einen allgemeinen begrifflichen und konzeptionellen Bezugsrahmen hierfür schafft.

Zunehmenden Einsatz finden spezifische Software-Systeme, die auf die operative Planung und Steuerung der Supply-Chain-Aktivitäten gerichtet sind. Diese Systeme werden bspw. als Advanced Planner and Optimizer (APO), APS-System (Advanced Planning and Scheduling) oder auch als ERP-II-Systeme bezeichnet. Als Betreiber solcher Planungssysteme bieten sich insbesondere große elektronische Marktplätze an.

Software, die SCM unterstützt, tendiert neuerdings dazu, den Zustand der Lieferkette in (nahezu) Echtzeit darzustellen. Dazu werden die Güter entlang der Kette an bestimmten (Übergabe-)Punkten mit Hilfe von BDE-Systemen erfasst. Dies kann z. B. durch Scannen eines individuellen Barcodes oder durch Lesen eines RFID-Tags erfolgen. Durch die Möglichkeit der Verknüpfung dieser Echtzeitdaten mit im System hinterlegten Sollzeiten besteht die Möglichkeit mit Hilfe eines Supply Chain Event Management (SCEM) gezielt in das Logistiksystem eingreifen zu können.

Grenzen des Supply Chain Managements

Die Transportkosten sind durch die Liberalisierung und das Ausflaggen gesunken, daher spielt der Transportaufwand pro Volumen- oder Masseneinheit oft keine Rolle in der Planung. Besonders JIT-Systeme erzeugen aber zwei wesentliche Probleme in der Praxis:

  • durch KEP-Dienste und kleinteilige Lieferungen überlastete Docks und Laderampen
  • durch lange und häufige Transportvorgänge verletzliche Strukturen (Verkehrsstaus, Streiks, Naturgewalten, …)

Telematik-Systeme können hier die Symptome lindern ohne allerdings die auslösenden Probleme zu kurieren. Abhilfe schaffen klare Vorgaben die Druck zur Kooperation unter den Zulieferern ausüben und eine Risikominimierung durch Einführung zusätzlicher Kriterien bei der Planung der Wertschöpfungskette. Regionale Zukäufe verringern die Latenzzeiten, erhöhen also die Regelbarkeit des Systems und vermindern das Risiko langer Transportwege.

Literatur

  • Knut Alicke: Planung und Betrieb von Logistiknetzwerken., Springer 2005, ISBN 3540229981.
  • Holger Arndt: CSupply Chain Management. Optimierung logistischer Prozesse., 2. Aufl., Wiesbaden 2005. ISBN 3409225587.
  • Ronald H. Ballou: Business Logistics / Supply Chain Management. Planning, Organizing, and Controlling the Supply Chain. 5. Aufl., Upper Saddle River 2004. ISBN 0131492861.
  • Axel Busch/Wilhelm Dangelmaier: Integriertes Supply Chain Management., Gabler, 2. Aufl., Wiesbaden 2004. ISBN 3409219587.
  • Thonemann, Ulrich, et. al; Supply Chain Champions, Financial Times Deutschland/Gabler, 2003, ISBN 3-40912-441-1.
  • Jörg Thomas Dickersbach: Supply Chain Management with APO. Springer, Berlin 2005. ISBN 3540260293.
  • Martin Grieger: Internet-based Electronic Marketplaces and Supply Chain Management". Samfundslitteratur, Copenhagen, 2004.
  • Knut Hildebrand (Hrsg.): Supply Chain Management, HMD 243, dpunkt.verlag, Heidelberg 2005, ISBN 3-89864-344-1.
  • Horst Wildemann (Hrsg.): Supply Chain Management. München 2000. ISBN 3931511480.
  • Helmut Bartsch, Peter Bickenbach: Supply Chain Management mit SAP APO - Supply-Chain-Modelle mit dem Advanced Planner & Optimizer 3.1. Galileo Press. ISBN 3898421112.
  • Tobias Blecher: Status quo des Supply Chain Management. Saarbrücken 2006, ISBN 3865502539.
  • Rolf G. Poluha: Anwendung des SCOR-Modells zur Analyse der Supply Chain. 2. Auflage, Lohmar und Köln 2006, ISBN: 3-89936-509-7.
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