Abstraktion

induktiver Denkprozess des Weglassens von Einzelheiten und des Überführens auf etwas Allgemeineres oder Einfacheres
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Abstraktion (lat. abstractus- "abgezogen" Partizip Perfekt Passiv von abs-trahere – "abziehen, wegschleppen, -führen; entfernen, trennen") bezeichnet einen Denkprozess, der bestimmte Eigenschaften von nicht-dinglichen und dinglichen Einheiten (Entitäten) zur Begriffsbildung in sprachliche Beschreibungen fasst. Nichtdingliche Einheiten sind zum Beispiel: "die Kälte", "die Eilfertigkeit", "die Wachsamkeit" und dingliche Einheiten "Fahrrad", "Haus", "Baum". Alle mentalen Denkprozesse ob geisteswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich, sind durch Abstraktion ein Konstruieren einer abstrakten Wirklichkeit, die nur den Menschen als denkendes Wesen zugänglich sind. So ist der Inhalt der Zeichnung eines Architekten eine nicht-dinglich, dargestellte Abstraktion, des noch zu bauenden Hochhauses - das erst dann konkrete - dingliche Wirklichkeit erlangt, wenn es gebaut ist.

Eine sprachliche Abstraktion ist die Bildung von Kategorien (Taxonomie), die nicht die Einzelobjekte beschreiben. Es wird dabei eine abstrakte Kategorie gebildet, die alle Eigenschaften der Einzelobjekte integriert, diese aber nicht genau benennt. Die Kategorie "Einrichtungs-Gegenstände" ist eine Abstraktion der konkreten Begrifflichkeiten: "Sofa", "Tisch", "Schrank", "Lampe" usw., die von der Kategorie "Einrichtungs-Gegenstände" umfasst wird.

Die Abstraktion in grammatische Kategorien wie Adverbien, Adjektive, Substantive, Prädikat, Kopula, ist eine erweiterte Denkleistung, die Klein-Kindern nicht zugänglich ist. Im Alltag vollzieht sich dieser Abstraktions-Prozess unwillkürlich und unbemerkt. Die Menschwerdung hing entscheidend mit der Entwicklung der Fähigkeit zur gedanklichen Abstraktion zusammen. Darüber jedoch, was genau unter Abstraktion zu verstehen ist, waren und sind sich Denker und Wissenschaftler nicht immer einig.

Kunst

In der Kunst bezeichnet man die Abstraktion als eine Gestaltung, bei der der Bezug zum Wirklichkeitsvorbild nicht mehr gegeben ist.

Das Thema wird unter abstrakte Kunst respektive abstrakte Malerei genauer abgehandelt.

Philosophie

In der Philosophie bedeutet Abstraktion das Absehen von bestimmten Aspekten der konkreten, miteinander zusammenhängenden Dinge, Personen oder Vorgänge in Natur und Gesellschaft. Auch in der Erforschung von beispielsweise Wirtschaft, Politik, Technik und in der Wissenschaft wird die Abstraktion in aller Regel ganz bewusst und gezielt angewandt. Schon Heraklit hat in allem Seienden nach dem Gemeinsamen gesucht. Platon, legte jedem Ding eine vollkommene Idee des Gegenstandes zugrunde, erkannte jedoch im Laufe der Zeit die damit verbundenen Denkschwierigkeiten. Aristoteles' versuchte der Schwierigkeiten durch das Konzept des Eidos Herr zu werden, einer Art Strukturprinzip des Seienden, das nicht – wie bei Platon – transzendent zu denken war, sondern im Seienden und unabtrennbar von ihm. Als absolutes Prinzip setzte Aristoteles das „unbewegte Bewegen“ an. In seiner Metaphysik arbeitete er als erster mehrere Prinzipien der Dinge heraus: Das Eidos, das Substrat (die Materie), das "Woher der Bewegung" und das „Worumwillen“. Danach bildet jedes Seiende ein komplexes und kompliziertes Ganzes. Von dem spätantiken Philosophen Boëthius stammt die Gegenüberstellung von abstrakt und konkret.

Es folgten andere große Denker, von denen jeder der Ansicht war, die Vorgänger hätten die Sache nur teilweise richtig oder ganz falsch gefasst und ein andere Thesen vorstellten. Der sogenannte Universalienstreit darüber, ob die abstrakten Begriffe "vor" oder "nach den Dingen" vorhanden bzw. gebildet würden, hielt die Denker des Mittelalters in Atem.

Johannes Duns Scotus beispielsweise ging bei seiner „abstraktiven“ Erkenntnis davon aus, dass ein Gegenstand nur durch die Sinne erfahrbar ist und im Verstand ein Bild erzeugt. Durch die unabhängige, aktive Tätigkeit des Verstandes wird diese noch ungeordnete Vorstellung als das Universelle im Abbild bestimmt. Das heißt, das im Bild enthaltene Allgemeine wird von den speziellen und stofflichen Bedingungen des individuellen Gegenstandes abstrahiert. Es entsteht die deutlich abgegrenzte Erkenntnis, die den Gegenstand begrifflich in allen seinen Facetten erfasst. Die Erkenntnis wird erst abgeschlossen, wenn sie im Gedächtnis verankert ist. Erst durch die (passive) Verinnerlichung wird ein Gegenstand intelligibel und kann als Möglichkeit in der Vergegenwärtigung aufleuchten, das heißt wieder in das Bewusstsein gerufen werden. Der einmal gewonnene Begriff eines Gegenstandes kann durch einen anderen Begriff ersetzt werden, wie auch Vorstellungen durch Kombination verändert oder neu erzeugt werden können.

Auch die englischen Philosophen, z. B. Locke und Berkeley (letzterer trieb die Abstraktion bis zum nicht mehr hintergehbaren „something“) sowie Leibniz, Spinoza und Descartes waren mit der Thematik befasst und stritten darum, ob unsere wesentlichen Begriffe angeboren oder erworben wären. An diesem Streit beteiligte sich auch Hume, der einen empiristischen Ansatz vertrat (Ursache und Wirkung beispielsweise wären lediglich aus der Erfahrung einer Folge von etwas auf etwas gebildet, jedoch wüssten wir niemals mit Sicherheit, ob morgen die Sonne wieder aufgehen würde) und Hume wurde wiederum von Kant kritisiert, der das Gegenkonzept der (vorauszusetzenden) „Bedingungen einer jeden Erfahrung“ entwickelte: die reinen Formen der Anschauung, die Kategorien des Verstandes, die Regulative der Vernunft.

Die philosophische Bewegung des sogenannten deutschen Idealismus um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (z.B. Hegel, Schelling) bestimmten als Gegenbegriff zur Abstraktion den sehr voraussetzungsreichen Begriff der Konkretion. Damit sollten die vorangegangenen Denkfehler behoben werden. Ihre Betrachtungsweise gehört zu dem Schwierigsten, was je von Denkern vorgetragen worden ist. Die Idealisten verstanden unter Konkretion nicht den Vorgang, das (landläufige) Konkrete zu denken oder einen (landläufigen) Allgemeinbegriff auf etwas Konkretes anzuwenden, sondern die "dialektische Aufhebung" des Unterschiedes von Abstraktem und Konkretem in einer höheren Einheit, die nach ihren Angaben erst ermöglichen sollte, die Wirklichkeit angemessen zu erfassen. Die Schwierigkeit dieser Konzepte zeigt sich allein darin, dass Hegel-Rezipienten meist ungewöhnlich vorsichtig mit ihren Interpretationen sind und teilweise sonst nicht übliche Satz-für-Satz-Interpretationen durchführen.

Heidegger (20. Jh.), der in „Sein und Zeit“ (1927) der gesamten Denktradition und insbesondere den Idealisten vorwarf, die „Alltäglichkeit“ übersprungen zu haben, bildete ein anderes Gegensatzpaar, das Abstraktion und Konkretion der „Alltäglichkeit“ fassen sollte: „Zuhandenheit“ und „Vorhandenheit“.

Im „Philosophischen Wörterbuch“ (Apel/Ludz, 1958) wird Abstraktion als Gegensatz zur Determination gesehen, also ganz anders als z. B. bei den Idealisten, und eine Reihe verschiedener Abstraktionsmethoden aufgezählt: isolierende oder generalisierende, quantitative oder qualitative, negative oder positive Abstraktion.

Wissenschaft und Moderne

Die verschiedenen Auffassungen der Erkenntnistheorie ergeben unterschiedliche Definitionsansätze von Abstraktion. Auch die Vertreter moderner Wissenschaftstheorie und Analytischer Philosophie beteiligten sich an diesem Disput.

Auch der Terminus Konkretisierung wird der Abstraktion gegenüber gestellt.

Einmütigkeit der Auffassungen ist nicht erreicht worden. Lediglich darüber herrscht seit alters Einigkeit, auch unter den Philosophen, dass Mathematik und Logik rein abstrakte Wissenschaften seien. Heute gilt auch die Systemtheorie der Informatik als rein abstrakte Wissenschaft.

Andere Wissenschaften lassen sich unter anderem aus abstrakter Sicht betrachten. In der Kunst bezeichnet man Werke als abstrakt, die sich von der gegenständlichen Sichtweise entfernen.

Abstraktionsfähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für schnelle Auffassungsgabe und damit effektives Lernen.

In der Lernpsychologie gibt es daher den Begriff der "progressiven Abstraktion", d.h. die Fähigkeit, gleichartige Informationen mehr und mehr unter bestimmten Oberbegriffen zusammenfassen zu können und somit sein Wissen immer engmaschiger zu vernetzen.

Siehe auch

Gegenteilige Ansätze:

Im Computerbereich: