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Kiewer Rus

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Die ungefähre Ausdehnung der Kiewer Rus ca. 1000 n.Chr.

Die Kiewer Rus (russisch Киевская Русь, ukrainisch Київська Русь) ist ein mittelalterlicher Vorläuferstaat der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Weißrussland, mit Zentrum in Kiew.

Die Etymologie des Namens Rus hängt mit dem Stamm der Rus zusammen. Die Kiewer Rus entstand im 9. Jahrhundert aus dem Zusammenschluss der slawisch-warägischen Herrschaftsgebiete in Osteuropa. Sie erstreckte sich von den großen Handelsstädten Alt-Ladoga und Nowgorod im Norden bis zu den Außenposten Beresan und Tmutorokan im Süden, von den alten Städten Galitsch und Isborsk im Westen bis zu den Neugründungen Jaroslawl und Murom im Osten.

Dieses frühmittelalterliche Großreich, dessen riesiges Gebiet von Ostslawen, Finnen und Balten, sowie (marginal) von iranischen und turkstämmigen Völkern bewohnt wurde, wurde von den hauptsächlich aus Schweden stammenden Warägern oder Rus beherrscht, die den Großteil der Adels-, Händler- und Kriegerschicht bildeten. Die dominierende Kultur und Sprache war jedoch die Slawische, und auch die Waräger erfuhren bereits nach wenigen Generationen die vollständige Slawisierung.

Das 10. Jahrhundert kennzeichnete den Höhepunkt der Kiewer Macht, als Fürst Swjatoslaw das Chasaren-Reich zerstörte und vorübergehend weite Teile des Balkans (unter anderem das Bulgarische Zarenreich) eroberte.

Durch den hauptsächlich auf Konstantinopel ausgerichteten Handel kam es, trotz anfänglicher Eroberungsversuche seitens der Rus, zu engen Kontakten mit dem Byzantinischen Reich, die zur christlichen Missionierung und schließlich 988 zum Übertritt der Rus zum orthodoxen Glauben führten. So entstand zur 1. Jahrtausendwende aus der Verschmelzung von Skandinaviern und Slawen mit byzantinischer Kultur und Religion das Volk der Russen.

Die Kiewer Fürsten waren hoch angesehen und heirateten in ganz Europa; so schlossen sie dynastische Verbindungen unter anderem mit Norwegen, Schweden, Frankreich, England, Polen, Ungarn, dem Byzantinischen und dem Deutschen Reich. Eine Blütezeit erreichte die Kiewer Rus unter den Großfürsten Wladimir dem Heiligen (978-1015) und Jaroslaw dem Weisen (1019-1054). Letzterer ließ im ganzen Reich nach byzantinischem Vorbild viele Kirchen, Klöster, Schreibschulen und Festungsanlagen errichten, reformierte die russische Gesetzgebung und hielt sie erstmals schriftlich fest (Russkaja Prawda), und gründete in Kiew die erste russische Bibliothek.

Eine Belastung für die Kiewer Rus war die geographische Randlage in Europa an der Grenze zur asiatischen Steppe, aus der ständig neue Reitervölker wie Alanen, Petschenegen oder Polowzer kamen, die das Reich mit ihren Überfällen immer im Kriegszustand hielten. Das zweite große Problem war die Erbfolgeregelung nach dem Senioratsprinzip, wegen der das Reich bei fast jedem Thronwechsel Kräfte zehrende Bürgerkriege erlebte und sich ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts immer mehr aufspaltete.

Nach dem Tod des mächtigen Großfürsten Wladimir Monomach (1125), der die zerstrittenen Fürsten noch einmal einen konnte, kam es zum endgültigen Zerfall des Kiewer Reiches. Die Teilfürstentümer wurden jedoch weiterhin alle von Fürsten aus dem Geschlecht der Rurikiden regiert. Den ab 1223 einfallenden Mongolen fiel es dadurch aber leicht, die russischen Fürstentümer nacheinander zu unterwerfen.

siehe auch: Kategorie:Kiewer Rus

Sophienkathdrale im Nowgoroder Kreml: das zweitälteste erhaltene Gebäude einer russisch-orthodoxen Kirche

Zeittafel der Geschichte der Kiewer Rus

  • ca. 750: Skandinavische Siedlung in Staraja Ladoga (Alt-Ladoga)
  • ca. 838: Entstehung eines Rus-Staates am Dnipro, angeführt von einem Rus-Khagan
  • 844: Ibn Chordadhbeh schreibt nieder, dass die Rus "Eunuchen, männliche Sklaven, weibliche Sklaven, Biber- und Marderfelle sowie andere Pelze" verkaufen
  • 854-856: Wahrscheinliche Ankunft von 'Fürst' Rurik aus Skandinavien in Rurikowo Gorodischtsche
  • ca. 858: Rurik erobert das Gebiet um Kiew, das zuvor unter magyarischer und chasarischer Oberherrschaft stand
  • 859: Laut Nestorchronik erheben die Waräger Zins von den Slawen, Finnen und Esten
  • 860: Erster Angriff der Rus auf Konstantinopel
  • 862: Laut Nestorchronik kommt es zu Kämpfen zwischen Einheimischen und Warägern, die zur Vertreibung der Waräger führen. Danach reist eine Delegation der Slawen, Finnen und Esten nach Schweden und lädt die warägischen Rus dazu ein, über die zerstrittenen Stämme zu herrschen
  • 864-883: Rus überfallen und plündern islamische Städte am Kaspischen Meer
  • 865: Erneuter Angriff der Rus auf Konstantinopel
  • ca. 868: Rus unter Askold und Dir übernehmen Kontrolle über die slawische Stadt Kiew
  • 882: Oleg/Helgi wird Fürst von Kiew, Gründung der Kiewer Rus durch die Vereinigung der Warägerherrschaften im Norden (um Nowgorod) mit denen im Süden (um Kiew)
  • 902: 700 Rus-Söldner sind in byzantinischen Diensten an einer Militäraktion auf Kreta beteiligt
  • 907-913: Rus Feldzüge gegen das Byzantinische Reich sowie gegen islamische Länder
  • 907: Flottenangriff der Rus auf Konstantinopel, der byzantinische Kaiser zahlt Tribut und bietet Handelsprivilegien an
  • 920: Der arabische Handelsreisende Ibn Fadlan trifft die Rus in Bolgar an der Wolga und schreibt seinen berühmten Bericht über die Rus-Wikinger
  • ca. 930: Igor, Fürst der Wolga-Rus, übernimmt Herrschaft in Kiew
  • 944: Friedensvertrag zwischen der Kiewer Rus und dem Byzantinischen Reich
  • ca. 945: Olga wird Fürstin von Kiew
  • 955: Swjatoslaw, der Sohn von Igor/Ingvarr und Olga/Helga lässt sich taufen, bleibt aber nur oberflächlich christianisiert
  • 957: ernstgemeinte Taufe von Fürstin Olga durch byzantinische Priester
  • 965: Die Rus unter Swjatoslaw zerstören die Festung Sarkel und Itil, die Hauptstadt des Chasarenreichs, überfallen islamische Gebiete, erobern Küstengebiete an der Ostsee, und führen Krieg gegen die Wolga-Bulgaren, um die östlichen Handelswege in den Orient unter ihre Kontrolle zu bekommen
  • 967-969: Rus Feldzug unter Swjatoslaw quer durch den ganzen Balkan. In Thrakien nimmt Swjatoslaw 80 Städte an der Donau ein und legt sich den Zarentitel des bulgarischen Herrschers zu, der zum Vasall des russischen Großfürsten degradiert wurde. Swjatoslaw verkündet die geplante Verlegung seiner Hauptstadt von Kiew nach Preslaw an der Donau, weil dort "der Mittelpunkt seines Reiches läge"
  • 969: Rus unterwerfen die Chasaren
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Freske der Maria-Oranta in der Sophienkathedrale zu Kiew, 11 Jhdt.
  • 971: nach einer verheerenden Niederlage gegen die byzantinische Armee trifft Swjatoslaw an der Donau mit dem byzantinischen Kaiser Johannes Tsimiskes zusammen und schließt mit ihm einen Friedensvertrag, der ihn zum Verzicht auf Bulgarien und zur Rückkehr in die Kiewer Rus verpflichtet. Der byzantinische Chronist Leo Diaconus schreibt daraufhin sein berühmtes Portrait von Swjatoslaw nieder ('blond, blauäugig, Schnurrbart, rasiertes Haar bis auf zwei Haarlocken')
  • 972: Swjatoslaw wird auf dem Rückweg in sein Reich an den Dnjepr-Stromschnellen von Petschenegen getötet
  • 972-980: Jaropolk I. ist Fürst von Kiew
  • 980-982: Wladimir Swjatoslawitsch wird Großfürst von Kiew, und schlägt Aufstände slawischer Stämme nieder
  • 987: Wladimir Swjatoslawitsch lässt sich von byzantinischen Priestern in Kiew taufen. Daraufhin heiratet er die purpurgeborene byzantinische Prinzessin Anna. Damit wurde dem Fürsten der Rus als bis dato einzigem europäischen Herrscher die Ehre zu Teil, eine Tochter eines Kaisers von Byzanz zu ehelichen. Dem deutschen Kaiser Otto III. wurde diese Ehre kurz zuvor verwehrt
  • 988: Großfürst Wladimir I. (der Heilige) bekehrt die Rus zum orthodoxen Glauben. In Kiew werden heidnische Tempel zerstört und slawische Götzenbilder in den Dnjepr geworfen (siehe auch: Slawische Mythologie)
  • 990-1015: Krieg zwischen der Rus und den Petschenegen
  • 1024: Schlacht von Listwen: Im Kampf der Söhne Wladimirs um die Nachfolge unterliegt Jaroslaws Warägertruppe unter Jakun den slawischen Kontingenten seines Bruders Mstislaw
  • 1043: Letzter Flottenangriff der Kiewer Rus auf Konstantinopel, der erfolglos endete.
  • 1113-1125: Wiederkräftigung der zentralisierten Macht in Kiew durch Wladimir Monomach.
  • 1185: der Feldzug des russischen Fürsten Igor Swjatoslawitsch von Nowgorod-Sewersk, der in Igorlied beschrieben war.
  • 1223: Erste Schlacht der russischen Truppen mit den Mongolen am Fluss Kalka und ihre bittere Niederlage.
  • 1237-1239: Erster Zug der Mongolen unter Batu durch die nördliche Rus.
  • 1240-1242: Zweiter Zug der Mongolen unter Batu durch die südliche Rus und Zerstörung von Kiew am 6.Dezember 1240 nach 3 Monaten Belagerung. Dieses Ereignis kann man als Ende der Kiewer Rus betrachten.

Literatur

  • Ernst Kunik: Die Berufung der schwedischen Rodsen durch die Finnen und Slawen. Eine vorarbeit zur Entstehungsgeschichte des russischen Staaten. St. Petersburg 1845
  • Gottfried Schramm: Altrusslands Anfang, Freiburg 2002. ISBN 3-7930-9268-2
  • Simon Franklin und Jonathan Shepard: The Emergence of Rus 750-1200, London 1998. ISBN 0-582-49091-X (engl.)
  • David Nicolle und Angus McBride: Armies of medieval Russia 750-1250, Oxford 2001. ISBN 1-85532-848-8 (engl.)
  • Janet Martin: Medieval Russia 980-1584, Cambridge 1995. ISBN 0-521-36832-4 (engl.)

Siehe auch