Ein Freudscher Versprecher (nach Sigmund Freud, engl.: Freudian slip) ist eine sprachliche Fehlleistung, bei der die eigentliche Meinung oder Intention des Sprechers unfreiwillig zutage tritt.
Allgemeine Beschreibung
Schon die Bewertung „Fehl“-leistung ist motiviert und kann „Ausrutschern“ unterliegen. So wird bei den Freudschen Fehlleistungen anstatt des eigentlich angedachten Wortes etwas gesagt, das dem Gedachten sogar besser entspricht. Freud hat dieses Phänomen im Rahmen der „Psychopathologie des Alltagslebens“ unter der Voraussetzung, es existiere eine psychische Motivierung, untersucht. Seit dem allgemeinen Bekanntwerden seiner auf den Befunden gegründeten Theorie hat jemand, dem ein solcher Versprecher unterläuft, einen schlechten Stand, seinem Publikum nachzuweisen, dass es sich gar nicht um das Fauxpas der Freudschen Art handelt, während vor Freud dies ein Anlass zur Heiterkeit, völligen Unverständnisses oder empörten Getuschels gewesen wäre. Den Hauptbeitrag zur Aufdeckung dieses alltäglichen Phänomens lieferte die Traumdeutung (- der Königsweg in das Unbewusste), da die Symbole der Träume oft sehr deutlich, auch ohne aufwendige Analyse ihrer Botschaften, zum Ausdruck bringen, was aus Gründen des sittlichen Anstandes nicht ausgesprochen, geschweige getan wird.
Beispiel von Freud, das er wiederum von Meringer/Mayer hat: Jemand sagt etwa auf einer Versammlung, es seien „Dinge zum Vorschwein gekommen“. In „Vorschwein“ wird deutlich, dass hier eine Bewertung durch den Sprecher eine gewisse Rolle spielt, entweder der Dinge, die da zum Vorschein gekommen sind (das wären dann Schweinereien) oder eines Akteurs (das wäre dann ein Schwein). Die Bewertung sollte nicht verbalisiert werden, hat sich aber Bahn verschafft, indem sie sich in die aktuelle Äußerung als Versprecher eingeschoben hat. Aus der Sicht von dessen Motivation, handelt es sich dann erst bei den ihn unterdrückenden Maßnahmen um die eigentlichen „Fehl“-Leistungen...
Begründungen der Theorie
Freudsche Versprecher sind solche, bei denen eine psychische Motivation angenommen wird, ein 'Sinn', wie es bei Freud heißt, um eine Abgrenzung gegen die Urteile „Zufall“ oder „physikologischer Hintergrund“ als Ursache solcher (Fehl- oder Richtig-)Leistungen vorzunehmen. An dieser Bestimmung wird zugleich die Bandbreite des Problemfeldes deutlich: Einerseits handelt es sich um ein Phänomen. Das heißt: Es ist für den Sprecher mindestens potentiell erkennbar, dass seinen Zuhörern etwas zu Ohren kam, was so nicht bewusst beabsichtigt gewesen war. (Rosa Ferber hat allerdings festgestellt, dass die meisten Versprecher gar nicht bemerkt werden, weder von den Sprechern noch ihrem Publikum.) Andererseits handelt es sich bei Freuds Aussage, es stecke ein 'Sinn' hinter allgemein allen sog. 'Freudschen Fehlleistungen', um die wissenschaftliche Interpretation eines Phänomens: Unter der Prämisse, dass der Versprecher einen unbewussten oder vorbewussten Beweggrund zur Ursache habe - einen erkennbaren Sinn oder Struktur -, besteht die erste Aufgabe darin, zu untersuchen, welcher als der wahrscheinlichste angenommen werden kann.
Akzeptanz und wissenschaftliche Abgrenzung
Gegenüber dieser Vorgehensweise spaltet sich das wissenschaftliche Lager in mindestens drei Teile auf:
- Die einen halten die Frage der Motivierung überhaupt für verfehlt und falsch und wollen nur Untersuchungen zulassen, die sich aus der Sicht der rein physiologischen Prozesse mit der Sprachproduktion und den deren Ablauf störenden Versprechern befassen. Für dieses Lager sind Versprecher wertvolle Fenster, die Einblicke u.a. in die neurologisch gesteuerte Sprachproduktion gestatten. Eine Vertreterin ist hier z.B. Nora Wiedenmann.
- Michael Motley wäre dagegen ein Vertreter des anderen Lagers, der in der Psycholinguistik die Motivierung von Versprechern experimentell nachzuweisen versucht,
- und Dilger/Bredenkamp kombinieren beide Ansätze. Einen Überblick über die Theorie Freudscher Versprecher bietet Staffeldt.
Sicherlich ist es nicht möglich, hinter jeder Art von Versprechern eine Freudsche Fehlleistung zu entdecken, da es zweifellos auch rein organisch bedingte Störungen des ordentlichen Sprachablaufs gibt, genetische Defekte oder solche, die auf die äußere Zerstörung von Arealen des Sprachzentrums im Gehirn zurückzuführen sind. Insbesondere aber ist die Frage der Motivierung bei lexikalischen Versprechern nicht unangebracht. Je nachdem, welche Auffassung man von den psychischen Vorgängen und der 'Topologie des psychischen Apparates' hat, wird man der lebendigen Schöpferigkeit des Unbewussten mehr oder weniger Wirkungskraft zuschreiben. Eines aber scheint klar zu sein: Wer sich jemals ernsthaft in einen Betrachtungsdiskurs über seine Fehlleistungen begibt, wird Erstaunliches entdecken.
Beispiele
- „Geeinigt haben wir uns endgültig auf gar nichts.“ (Angela Merkel in Bezug auf das Steuerkonzept der Union am Montag 4. Juli 2005 in Berlin nach einer Präsidiumssitzung). - Süddeutsche Zeitung vom 5. Juli 2005, Titelseite, Artikel „Union will Einkommensteuer senken“
- Erläuterung: Bewusst intendiert war hier die Aussage, man habe sich noch nicht endgültig über die Details des Steuerkonzeptes geeinigt. So wie Frau Merkel den Satz formulierte, kommt jedoch deutlich ihre Frustration über die teilweise gegensätzlichen Vorstellungen ihrer Parteigenossen zum Ausdruck, indem sie ihn (unbewusst) so formuliert, dass er aussagt, man habe sich nicht geeinigt und werde sich auch nie einigen.
- „… wenn wir pfleglich miteinander untergehen ...“
- Kontext: Koalitionskrise in Bonn.
- Bundeskanzler Helmut Kohl am 15. März 1989 zu Journalisten über ein langes und wichtiges (Krisen-) Gespräch zur weiteren Zusammenarbeit zwischen CDU/CSU und der FDP.
- Eigentlich gemeint war „umgehen“.
- Ein Pastor gerät durch den Wunsch seiner Frau, sich Taft für ihren Pelzmantelkragen kaufen zu wollen, in Konflikt mit seiner Sparsamkeit. Im Gottesdienst am folgenden Sonntag betet er zur Verwunderung der Gemeinde anstelle von „Herr gib uns Kraft zum Tragen“: „Herr gib uns Taft zum Kragen.“ (Dieses Beispiel stammt aus der Erzählung "Taft zum Kragen" der baltischen Schriftstellerin Else Hueck-Dehio.)
- In einem Vater-Sohn-Gespräch über Natur und Chemie sagt der Sohn statt Organismus Orgasmus. Er bringt damit unbeabsichtigt seinen Wunsch zum Ausdruck, mit seinem Vater auch über sexuelle Themen in der Pubertät reden zu können.