Sperrdifferential

schaltbares Getriebe zum Drehzahlausgleich an einer Antriebsachse
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 26. Oktober 2006 um 00:03 Uhr durch WikipediaMaster (Diskussion | Beiträge) (Kategorie:Getriebe). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Sperrdifferenziale bzw. -tiale ersetzen normale Differenzialgetriebe in einem mehrspurigen Kraftfahrzeug und dienen dazu, Schlupf (im Extremfall Durchdrehen) am Rad mit der geringeren Bodenhaftung zu vermindern oder verhindern, indem sie entweder den Antriebsstrang versteifen (Drehzahlausgleich vermindern) oder das Drehmoment auf das Rad mit der besseren Bodenhaftung verteilen.

Die Terminologie der Begriffe „Sperrdifferenzial“ und „Differenzialsperre“ ist historisch bedingt:

Eine Differenzialsperre besteht aus einem normalen Differenzial und einer mechanischen Sperre (z. B. Klauenkupplung), die unter schweren Bedingungen (Geländefahrt, Eis, usw.) manuell zugeschaltet wird und das Differenzial außer Funktion setzt und beispielsweise verblockt, so dass die vom Differenzial bekannte Ausgleichsfunktion nicht mehr gegeben ist. Man nennt diese Form der Sperre auch „100%-Sperre“ (mehr dazu später).

Das Sperrdifferenzial ist ein Ausgleichsgetriebe mit schlechtem Wirkungsgrad und lässt teilweise eine Ausgleichsbewegung zu, bremst diese Ausgleichsbewegung aber ab und bei diesem Vorgang des Abbremsens entsteht durch die Reibung vor allem bei Geländeeinsatz große Mengen an Hitze. Dieses wird (vor allem in der Schweiz) auch als „Differenzialbremse“ bezeichnet, was angesichts der Lamellenkupplungen, die für die Bremswirkung sorgen, eher der technischen Richtigkeit entspricht.

Die Differenzialsperre ist so gesehen ein Spezialfall des Sperrdifferenzials mit 100% Sperrwirkung und das normale (offene) Differenzial ist ein Spezialfall mit 0% Sperrwirkung.

Zweck eines Sperrdifferenzials

Im Wesentlichen gibt es zwei Gründe eine Sperre in ein Fahrzeug einzubauen:

  • In Geländefahrzeugen: um die Traktion zu verbessern
  • In sportlichen Fahrzeugen: um das Handling zu verbessern, z. B. um höhere Kurvengrenzgeschwindigkeiten zu erreichen oder um die Kurvenstabilität bei höheren Geschwindigkeiten zu erhöhen.

Als Traktionsdifferenziale kommen vor allem 100%-Sperren (also Differenzialsperren) und Visco-Kupplungen in Frage. Um das Handling zu verbessern, empfehlen sich drehmomentfühlende Sperren mit geringem Sperrwert.

In der Praxis werden immer häufiger (Antriebs-)Schlupfregelungen, aufgrund der Übersetzung aus dem Englischen (Traction Control) auch „Traktionskontrollen“ genannt, verbaut (z. B. ASC, ASR, ...) die mit dem elektronischen Fahrstabilitätssprogramm des Fahrzeuges (ESP, DSC, ...) geliefert werden. Diese Lösungen ahmen teilweise den Effekt des Sperrdifferenzials nach, haben aber auch Nachteile, denn im Vergleich zu Sperrdifferenzialen

  • bremsen diese Systeme Motorleistung in erheblichem Umfang weg, was bei schwerem Gelände oder im sportlichen Einsatz nachteilig ist, und sie
  • sind von geringerer Regelgüte.

Traktionskontrollen, die über einen Bremsen- und teilweise Motoreingriff (Leistungsdrosselung) wirken, können daher als kostengünstige Vorstufe zum Sperrdifferenzial gesehen werden. Ihr Vorteil gegenüber einfachen Sperrdifferenzialen liegt neben den geringeren Kosten darin, dass sie durch die elektronische Steuerung angepasst reagieren können, um einerseits Traktion und andererseits Stabilität sicherzustellen.

Nachteile von einfachen Sperrdifferenzialen

Einfache Sperrdifferenziale reagieren auf unterschiedliche Drehzahlen und Drehmomente ohne Rücksicht auf die Ursachen. In manchen Situationen ergeben sich deshalb Nachteile.

  • So ermöglicht oft nur eine Trennkupplung die Kombination mit ABS, weil ansonsten die Rückwirkung zwischen einzelnen Rädern die Regelung erschwert oder unmöglich macht.
  • Sie reagieren empfindlich auf Bereifung mit unterschiedlichem Abrollumfang (zB durch unterschiedlichem Luftdruck, verschiedener Profiltiefe), weil sie zu Differenzdrehzahlen führen und erhöhten Verschleiß zur Folge haben. So dürfen nach Reifenpannen meist nur vollwertige Ersatzreifen, nicht aber zB Noträder verwendet werden.
  • Bei Kurvenfahrt können sie zu einem verstärkerten Untersteuern führen.
  • Bei einseitig glatter Fahrbahn kann die unterschiedliche Aufteilung der Drehmomente an den einzelnen Rädern einer Achse bei heckgetriebenen Fahrzeugen dazu führen, dass sich das Fahrzeug dazu neigt, sich in Richtung der glatteren Seite zu drehen.

Elektronisch gesteuerte Sperrdifferenziale vermeiden diese Nachteile.

Einbauort

Dabei gibt es – wie beim normalen Differenzial – zwei Anwendungsbereiche für ein Sperrdifferenzial:

  • Zwischen den beiden Rädern einer Achse als Achsdifferenzial;
  • Zwischen den Achsen als Zentraldifferenzial oder Längsdifferenzial, welches hinter dem normalen Wechselgetriebe (Handschaltung, Automatik, sequentielles Getriebe, ...) in einem zusätzlichen Verteilergetriebe eingebaut ist.

Für die folgenden Erläuterungen soll hier von einem Achsdifferenzial ausgegangen werden.

Bauarten

Von der mechanischen Seite lassen sich Sperrdifferenziale in mehrere Typen untergliedern:

  • Bei drehmomentfühlenden Sperrdifferenzialen (wie z. B. Torsen A, Torsen B, Torsen C, Super LSD, Helical LSD, Sensitorque wie auch einige Lamellensperrdifferenziale) hängt die Sperrwirkung vom übertragenen Moment ab, diese liegt z. B. bei Sensitorque zwischen 0 und 92%. Wenn kein Antriebsmoment da ist (Kupplung getreten) oder ein Rad in der Luft hängt, sperrt das Differenzial nicht. Vorteilhaft, wenn im Fahrzeug ABS und ESP verwendet werden (aufgrund der gegenwärtig hohen Verbreitung von ABS und ESP also nahezu bei allen Straßenfahrzeugen).
  • Bei drehzahlfühlenden Sperrdifferenzialen (insbesondere Viskokupplungen, fliehkraftbetätigte Sperren und der Visco-Lock) hängt die Sperrwirkung von der Differenzdrehzahl der Räder ab. Je größer die Drehzahldifferenz, um so größer ist die Sperrwirkung. ABS und ESP müssen angepasst werden, häufig ist eine zusätzliche Trennkupplung oder ein Freilauf nötig.
  • Bei einer Festwertsperre wird die Sperre vorgespannt, so dass auch ohne Drehzahldifferenz und ohne Antriebsmoment schon eine Sperrwirkung vorliegt. Diese einfache Form der Sperre wird fast nur noch in Kombination mit anderen Sperrentypen verwendet und dort häufig durch Vorspannung mit einer Feder realisiert.
  • Bei elektronisch gesteuerten Sperrdifferenzialen wird die Wirkung und der Einsatz der Sperre von einem Fahrdynamik-Regler im Fahrzeug gesteuert. Derzeit ist die Verbreitung noch gering (z. B. Porsche Cayenne / VW Touareg, Land Rover Discovery, Ferrari F430), aber in der Zukunft werden hier die größten Marktpotenziale vermutet.
  • Eine Besonderheit stellt das automatische Sperrdifferenzial (ASD, SA-Code 211) von Mercedes dar. Über die ABS-Drehzahlsensoren registriert ASD einen Schlupf (Drehzahlunterschied) an der angetriebenen Hinterachse und beaufschlagt das integrierte Lamellen-Sperrdifferenzial (Grundsperrwert etwa 30%) im Hinterachsmittelstück hydraulisch mit Druck. ASD sperrt in diesem Moment zu 100% und macht aus dem Sperrdifferenzial eine kraftschlüssige Differenzialsperre. Ein gelbe Kontrolleuchte in Form eines Warndreiecks im Tachometer zeigt die Aktivität des Systems an. Beim Bremsen wird die volle Sperrwirkung sofort aufgehoben. Das System arbeitet bei Geschwindigkeiten bis zu ca. 30 km/h und fand Verwendung in den 4-, 5-, & 6-Zylindermodellen der Baureihen W126, W140, W129, W124, W201, sowie bei den allradgetriebenen 4MATIC Modellen des W124.

Mechanischen Sperren sind stets eine Kombination dieser Grundtypen.

  • Eine Sonderform sind Differenziale mit nicht konstanter Übersetzung, die beispielsweise in Baumaschinen zum Einsatz kommen. Durch die periodisch schwankende Übersetzung des Ausgleichsgetriebes werden an den Rädern unterschiedliche Drehmomente erzeugt.

Die Physik der Sperre

Ein normales Differenzial ohne Sperrwirkung wird auch als offenes Differenzial bezeichnet. Idealerweise können die beiden Räder frei drehen, die Reibungsverluste im offenen Differenzial wären dann 0 (praktisch gesehen verhalten sich auch offene Differenziale wie drehmomentfühlende Sperren mit geringem Sperrwert). Bei einem Sperrdifferenzial versucht man, den Wirkungsgrad des offenen Differenzials zu verschlechtern.

Die Charakteristik einer Sperre wird über den Sperrwert (in %) und bei drehmomentfühlenden Sperrdifferenzialen auch über den „Torque Bias Ratio“ (TBR, Drehmomentverhältnis) bestimmt. Konstant ist der Sperrwert / TBR nur bei reinen drehmomentfühlenden Differenzialen. Dazu betrachtet man die Drehmomente, die auf das linke und das rechte Rad übertragen werden. Beim offenen Differenzial kann das Drehmoment rechts (MR) nicht anders sein, als das Drehmoment (ML) beim linken Rad, im Idealfall des reibungsfreien, offenen Differenzials ist der Sperrwert = 0% und der TBR = 1. Bei für drehmomentfühlenden Ausgleichsgetrieben mit symmetrischer (50:50) Drehmomentaufteilung ist der TBR gleich dem Kehrwert des Standgetriebe Wirkungsgrades. Beispielsweise weist ein Ausgleichsgetriebe mit einem Wirkungsgrad von 50% einen TBR von 2,0 auf.

Die allgemeinen Formeln für symmetrische Differenziale lauten:

  [Sperrwert, Wertebereich zwischen 0%...100%]
  [Torque Bias Ratio, Wertebereich zwischen 1... ]

Formeln zur Umrechnung zwischen beiden Werten:

 

Sperrwert bzw. TBR sind nur bei drehmomentfühlenden Sperren und bei Festwertsperren konstant.

Sportwagen mit Sperrdifferential

Sportwagen mit Sperrdifferential werden immer seltener. Heute wird das Sperrdifferential meist durch elektronische Regelsysteme (Traktionskontrollen, Stabilitätsprogramme) ersetzt. Grund hierfür sind höheren Kosten für ein Sperrdifferential und die Tatsache, dass die meisten Fahrer das Potential eines solchen Differentials nicht ausnutzen können.

Hier eine Liste mit Sportwagen, die ein vollwertiges Sperrdifferential besitzen:

Heckantrieb

  • BMW M3, M5, M6, Z4 M, Z4 M Coupé
  • Nissan 350Z
  • Toyota Supra
  • Ferrari, alle
  • Porsche GT2, GT3

Frontantrieb

  • Honda Integra Type R
  • Mini Cooper S

Allradantrieb

  • Audi quattro

Animierte Grafiken von Sperrdifferenzialen und Hintergrundinformationen: www.ArsTechnica.de