Sprachkritik ist die normative Bewertung sprachlicher Äußerungen. Sie kann sowohl negativ (Tadel) als auch positiv (Empfehlung) sein. Sprachkritik ist teilweise in Sprachvereinen organisiert, wird aber auch von Einzelpersonen geübt.
Sprachkritik ist meist politisch und beruht auf keiner sprachwissenschaftlichen Basis. Häufig wendet sich Sprachkritik gegen den Sprachwandel.
Grundrichtungen nach Schiewe
Einen Überblick über die Geschichte der Sprachkritik gibt Jürgen Schiewe (Lit.: Schiewe, 1998). Er unterscheidet zwischen Sprachkritik
- als Kulturkritik (Pädagogik),
- als Normkritik (Grammatik),
- als Stilkritik (Rhetorik),
- als Textkritik (Philologie) und
- als Erkenntniskritik (Philosophie), also an der Leistung der Sprache als Mittel der Erkenntnis.
Grundrichtungen nach Polenz
Sprachwissenschaftler stehen der Sprachkritik häufig distanziert bis ablehnend gegenüber. Peter von Polenz (Lit.: Polenz, 1999) klassifiziert die Sprachkritik anhand von „sprachideologischen Haltungen“. Uwe Pörksen bezeichnet dessen Kritik an den Sprachkritikern der 1950er Jahre als „problematisch“, da Sprachkritiker die geschichtliche Dimension der Wörter und ihren Wahrheitsaspekt ernstnähmen. Sprachwissenschaftler wie Polenz vernachlässigten wegen ihres synchronen Ansatzes und ihrer Überzeugung von der Kontextdetermination der Wörter diese Aspekte.[1] Hier die Polenzsche Klassifizierung sprachkritischer Haltungen:
Sprachkonservative Haltung
Sprachverfall wird beklagt. Bestimmte Veränderungen im Sprachgebrauch gelten als negativ. Als positiv werden meist ein vergangener Sprachgebrauch (beispielsweise die Sprache Luthers oder Goethes) oder der eigene Sprachgebrauch angesehen. Ignoriert wird der der Sprache immanente Wandel und die Herausbildung differenzierterer neuer Formen.
Sprachelitäre Haltung
Es finde Verhunzung statt. Sprachmittel aus Subkulturvarietäten werden in den öffentlichen Gebrauch übernommen. Veränderungen der sozialen Struktur werden ignoriert. Stilistische Tabus in Textsorten werden für unveränderbar gehalten.
Historische Haltung
Vertreter der 'Historischen Haltung' berufen sich auf die Etymologie oder frühere Bedeutungen eines Wortes. Beispielsweise sei die Wendung "Welche Alternativen gibt es dazu?" falsch, weil lateinisch 'alter' nur eine Wahl zwischen zwei Möglichkeiten zulässt. Bekannt ist auch das Beispiel, dass man nicht "neu renovieren" könne, weil "neu" in "renovieren" bereits enthalten sei.
Ignoriert wird die Veränderbarkeit von Gebrauchsbedingungen (Bedeutungswandel). Außerdem wird von den Sprechern mehr Sprachbildung abverlangt als für die Kommunikationserfordernisse nötig ist.
Sprachpuristische Haltung
Sprachpuristen setzen sich für die 'Reinhaltung' der Sprache von Fremdwörtern und Eindringlingen aus anderen Sprachen ein. Im 18. Jahrhundert wandte man sich primär gegen das Französische und Lateinische, um Deutsch als allgemeinverständliche Wissenschaftssprache zu etablieren. Im 19. Jahrhundert standen primär nationalistische Beweggründe im Vordergrund. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wandte sich die Kritik vor allem gegen Anglizismen.
Ignoriert wird, dass das Deutsche seit jeher eine Mischsprache ist - mit sprachkulturellem Gewinn. Versuche, Fremdwörter zu übersetzen, sind häufig fehlgeschlagen. Teilweise stehen auch beide Ausdrücke nebeneinander, werden aber in unterschiedlichen Kontexten gebraucht. Während Anschrift primär amtssprachlich gebraucht wird, hat sich Adresse im öffentlichen Sprachgebrauch nicht verdrängen lassen, da das Wort zur Zeit der Übersetzung bereits etabliert war.
Sprachmonomane Haltung
Die sprachmonomane Haltung bezeichnet eine pedantische Sprachnorm-Auffassung. Unter Berufung auf den Duden oder andere Nachschlagewerke wird kritisiert, was dort nicht verzeichnet ist. Vertreter dieser Haltung gehen davon aus, dass jedes Wort an sich für etwas steht; Auffassung der Sprachwissenschaft ist, dass Wörtern erst im Gebrauch ihre Bedeutung verliehen wird.
Panlinguistische Haltung
Vertreter der panlinguistischen Haltung schreiben der Sprache selbst eine potentiell unmoralische Wirkung zu. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde von Sprachkritikern behauptet, die deutsche Sprache trage eine Mitschuld an den Vergehen der NS-Zeit. Von sprachwissenschaftlicher Seite wurde entgegnet, dass nicht grammatische Formen an sich moralisch oder unmoralisch sind, sondern der Mensch, der sie gebraucht, moralisch oder unmoralisch handeln kann.
Kulturrevolutionäre Haltung
Die kulturrevolutionäre Haltung wendet sich gegen Sprachbarrieren. Sie vertritt die Ansicht, dass Sprachnormen der Unterdrückung von Unterschichten dienen. Ignoriert wird, dass Sprachstandardisierung auch anderen Zwecken dient, beispielsweise der überregionalen oder wissenschaftlichen Kommunikation.
Aktuelle Entwicklungen
Als neuere Form der Sprachkritik ist die feministische Sprachkritik zu nennen. Die feministische Sprachkritik hat erfolgreich einige Änderungen im Sprachgebrauch erreichen können, beispielsweise die Durchsetzung femininer Berufsbezeichnungen (Lehrerin, Ärztin, Bundeskanzlerin) und das Binnen-I (z.B. SchülerInnen). Allgemein ist der Sprachkritik zugute zu halten, dass sie den reflektierten Umgang mit Sprache fördert.
Sprachkritik war häufig öffentlichkeitswirksam, emotional und feuilletonistisch ausgerichtet. In den letzten Jahren entwickelt sich jedoch in der Sprachwissenschaft der Wunsch nach einem gesellschaftsrelevanten, reflektierten und wissenschaftlich fundierten Vorgehen. Viele Sprachwissenschaftler halten heutzutage weder eine normative noch eine streng deskriptive Ausrichtung ihres Fachs für wünschenswert. Vielmehr versucht man, Empfehlungen auszugeben. Die Linguistik schätzt daher Sprachkritik höher ein. Somit könnte sie in die wissenschaftliche Betrachtung der Sprache einbezogen werden. Das könnte in der Form geschehen, dass die Sprachkritik den in der Öffentlichkeit thematisierten Sprachgebrauch aufgreift, so dass er von der Sprachwissenschaft mit Methoden der Sprachgeschichte untersucht werden könnte.
Bekannte Sprachkritiker
Kritiker der Sprache des Dritten Reiches
Siehe auch
Literatur
- Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur: 01-03/2005, 01/2006.
- Victor Klemperer: LTI [Lingua Tertii Imperii]. Notizbuch eines Philologen. Berlin: Aufbau-Verlag, 1947, 300 S.
- Dolf Sternberger; Gerhard Storz; W. E. Süskind: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Hamburg: Claassen, 1957, 134 S.
- Peter von Polenz (1999): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Teil 3: 19. und 20. Jahrhundert. Berlin: de Gruyter 1999. (De-Gruyter-Studienbuch) ISBN 3-11-014344-5
- Jürgen Schiewe (1998): Die Macht der Sprache: eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart. München: Beck 1998. ISBN 3-406-42695-6
- Dazu Rezension von Theodor Ickler in der Deutschen Sprachwelt
- Fritz Tschirch (1966 u. 1969): Geschichte der deutschen Sprache. I: Die Entfaltung der deutschen Sprachgestalt in der Vor- und Frühzeit. II: Entwicklung und Wandlungen der deutschen Sprachgestalt vom Hochmittelalter bis zur Gegenwart.
- Wolfgang Müller: Deutsch für Vor- und Nachdenker. In: texten + schreiben. (Kritische Sprachbeiträge von Heft 1/1981 bis Heft 4/1994)
- Walter Krämer: Modern Talking auf deutsch - ein populäres Lexikon. München; Zürich: Piper, 2000, 261 S., ISBN 3-492-04211-2