Rudolf Bahro

deutscher Journalist, Politiker, Philosoph
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Rudolf Bahro (* 18. November 1935 in Bad Flinsberg; † 5. Dezember 1997 in Berlin) war ein deutscher Journalist und Politiker.

Bahro bei Bundesversammlung der Grünen

Kindheit und Ausbildung

Bahros Vater Max Bahro war Viehwirtschaftsberater. Die Mutter starb, als Rudolf Bahro neun Jahre alt war bei der Evakuierung am Ende des Zweiten Weltkrieges. Bahro kam ab Februar 1945 erst in die Tschechoslowakei, dann Wien und Kärnten und schließlich nach Biedenkopf an der Lahn. 1946 traf Bahro seinen Vater wieder, der in der Nähe der Oder das Kriegsende überstanden hatte und dort eine neue Familie gründete. Von 1946 bis 1950 besuchte Rudolf Bahro die Grundschule in verschiedenen Orten im Oderbruch und schließlich in Fürstenberg (heute Eisenhüttenstadt). Von 1950 bis 1954 besuchte er die Oberschule. 1950 wurde er Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und bereits 1952 Mitglied der SED. An der Humboldt-Universität in Berlin studierte Bahro von 1954 bis 1959 Philosophie. Sein Diplomarbeitsthema lautete „Johannes R. Becher und das Verhältnis der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Partei zur nationalen Frage unseres Volkes“.

Berufliche Karriere

Nach dem Diplom ging Bahro nach Sachsendorf (Oderbruch), wo er u. a. für die Dorfzeitung „Die Linie“ verantwortlich wurde. Er heiratete 1959 die ins Oderland versetzte Slawistin Gundula Lembke. 1960 wurde Bahro Mitglied der Universitätsparteileitung in Greifswald und gründete dort die Zeitung „Unsere Universität“, deren verantwortlicher Redakteur er wurde. 1960 erschien sein erstes Buch, ein Band mit Gedichten: „In dieser Richtung“. Ab 1962 arbeitete er als Referent für den Zentralvorstand der Gewerkschaft Wissenschaft in Berlin. Dort war er für den Kontakt zu den Naturwissenschaftlern an den Universitäten zuständig.

Abkehr von der SED-Ideologie

Von 1965 an war Bahro stellvertretender Chefredakteur der von der FDJ herausgegebenen Jugend- und Studentenzeitschrift „Forum“. Wegen des nicht genehmigten Abdrucks von Volker Brauns „Kipper Paul Bauch“ wurde er 1967 dieses Postens enthoben. Bis 1977 stieg Bahro bis zum Abteilungsleiter „Wissenschaftliche Arbeitsorganisation“ (WAO) im Berliner Gummikombinat auf und arbeitete als Parteiorganisator seines Bereiches. Nebenberuflich schrieb er an seiner Dissertation „Über die Entfaltungsbedingungen der Hoch- und Fachschulkader in volkseigenen Betrieben der DDR“, die er 1975 an der TH Merseburg einreichte. Sie wurde trotz dreier positiver Gutachten angesichts zweier Negativ-Gutachten abgelehnt. Außerdem schrieb Bahro seit 1972 an der „Alternative“, als Antwort auf den Einmarsch der Staaten des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei 1968. 1973 ließen sich er und seine Frau Gundula Bahro scheiden, damit sie und die Kinder vor zu erwartenden staatlichen Repressalien bewahrt bleiben würden.

Verurteilung und Abschiebung

Der Vorabdruck seines Buches Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus im westdeutschen Magazin Der Spiegel und die nachfolgende Verhaftung am 25. August 1977 machten Rudolf Bahro weltweit bekannt. Am 1. Februar 1978 engagierten sich zahlreiche Schriftsteller in einem Leserbrief an die Londoner Tageszeitung The Times für Bahros Freilassung. Unter ihnen waren Heinrich Böll, Graham Greene und Arthur Miller. Am 30. Juni 1978 wurde Bahro wegen „landesverräterischer Sammlung von Nachrichten“ und „Geheimnisverrats“ zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt, was internationale Proteste und eine Solidaritätsbewegung auslöste. Bahro wurde mit der „Carl-von-Ossietzky-Medaille“ der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet und zum Mitglied des schwedischen und des dänischen P.E.N.-Zentrums ernannt. 1979 erhielt Bahro den Londoner Isaac-Deutscher-Memorial-Preis. Im Oktober 1979 wurde er anlässlich des 30. Jahrestages der Gründung der DDR amnestiert und in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Juristischer Verteidiger zu DDR-Zeiten war Gregor Gysi, mit dem Bahro bis zu seinem Tod befreundet blieb. Lawrence Krader nannte Bahro in seinem Beitrag über die „asiatische Produktionsweise“ ein „Gewissen der Revolution, dessen Stärke die Wahrheit“ sei.

Wirken in Westdeutschland

Bahro nahm Lehraufträge in Bremen und West-Berlin an. Im Januar 1980 war er mit Herbert Gruhl und Petra Kelly einer der Gründer der „Grünen“. Er plädierte für ein Zusammengehen von Rot und Grün, für eine neue soziale Bewegung jenseits der traditionellen Ideologien, die Aufgabe linken Sektierertums und das Angehen der ökologischen Frage. Anfang 1980 wurde er an der Universität Hannover mit seiner in Merseburg zurückgewiesenen Dissertation promoviert. 1983 konnte er sich hier auch in Sozialphilosophie habilitieren. Im Sommer 1983 verbrachte Bahro einige Wochen in Rajneeshpuram, in der Kommune von Bhagwan Shree Rajneesh (Osho) in Oregon (USA). Bahros darauf folgende positive Äußerungen zu Bhagwan und Rajneeshpuram bezogen sich, wie bereits in der „Alternative“ angelegt, auf die Verknüpfung von Welt- und Selbstveränderung. Zugleich sah er vieles kritisch an dem Experiment in Rajneeshpuram, insbesondere die unreflektierten Machtstrukturen. Im Laufe des Jahres 1984 radikalisierte sich seine Position gegenüber den Grünen. Er versuchte dort einerseits Menschen um sich zu scharen, die „Kommune wagen“ wollen, andererseits konstatierte er bei den Grünen einen „ultimativen Machtwahn“ – eine Gier, sich durch Aufstieg zur politischen Macht zu verwirklichen. Im Sommer 1985 trat Rudolf Bahro aus der Partei aus. Er schrieb an seinem neuen Buch „Logik der Rettung“. Das Buch, das 1987 erschien, war seine Reaktion auf Gorbatschows Perestroika. Er knüpfte an die Fragen nach Bedingungen für die allgemeine Emanzipation an, die er bereits im Schlusskapitel der „Alternative“ gestellt hat - mit dem Ziel, Basisgemeinden einer „Unsichtbaren Kirche“ zu schaffen. 1988 heiratete Bahro in Niederstadtfeld (Eifel) Beatrice Ingermann.

In Berlin nach der Wende

Im November 1989 verließ Rudolf Bahro die „Lernwerkstatt“ in Niederstadtfeld und ging in die DDR zurück. Am 16. Dezember 1989 sprach er vor den Delegierten des letzten SED- und zugleich Gründungsparteitag der PDS und präsentierte seine Vision des sozialökologischen Umbaus der DDR. Er erntete jedoch weit gehendes Unverständnis für seine radikal-ökologischen Ideen. Im Frühjahr 1990 begann Bahro mit dem Aufbau eines „Instituts für Sozialökologie“ an der Humboldt-Universität Berlin. Am 15. Juni 1990 wurde er vom Obersten Gericht der DDR vollständig rehabilitiert. Ab dem Wintersemester 1990/91 hielt er Vorlesungen zu Fragen der ökologischen Krise, in denen er seine in der Logik der Rettung aufgeworfenen Thesen weiterentwickelte. Unterstützt durch den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf initiierte und förderte Rudolf Bahro die praktische Entwicklung sozial-ökologischer Experimente. Bekannt ist vor allem das „LebensGut Pommritz“ bei Bautzen. Ein weiterer Ökohof, der aus der Gemeinschaft für Sozialökologie hervorgegangen ist, liegt bei Prenzlau. Im September 1993 nahm sich Bahros Frau Beatrice das Leben. Anfang 1995 wurde bei Rudolf Bahro Blutkrebs diagnostiziert. Er heiratet Marina Lehnert.

Rudolf Bahro stirbt am 5. Dezember 1997 in Berlin. Der Verdacht, wonach sein Tod darauf zurückzuführen sei, dass ihn das MfS als Häftling Bestrahlungen mit einer Röntgenkanone ausgesetzt habe, konnte bisher nicht bewiesen werden. [1]

Werke

  • Rudolf Bahro In dieser Richtung. Gedichte, Ostberlin 1960
  • Rudolf Bahro „Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus“, Köln 1977, Inhaltsverzeichnis: Inhaltsverzeichnis
  • Rudolf Bahro „Ich werde meinen Weg fortsetzen“. Eine Dokumentation, Köln, 1977
  • Rudolf Bahro ... die nicht mit den Wölfen heulen. Das Beispiel Beethoven. Und sieben Gedichte, Köln 1979
  • Rudolf Bahro Plädoyer für eine schöpferische Initiative. Zur Kritik von Arbeitsbedingungen im real existierenden Sozialismus, Köln 1980
  • Rudolf Bahro Elemente einer neuen Politik. Zum Verhältnis von Ökologie und Sozialismus, Westberlin 1980
  • Rudolf Bahro Wahnsinn mit Methode. Über die Logik der Blockkonfrontation, die Friedensbewegung, die Sowjetunion und die DKP. Ein langer Brief, Westberlin 1982
  • Rudolf Bahro, Ernest Mandel, Peter von Oertzen Was da alles auf uns zukommt. Perspektiven der 80er Jahre, 2 Bände, Westberlin 1980
  • Rudolf Bahro Pfeiler am anderen Ufer. Beiträge zur Politik der Grünen von Hagen bis Karlsruhe, Berlin, Bremen, 1984
  • Rudolf Bahro, Jan Foudraine, Adolf Holl, Erich Fromm Radikalität im Heiligenschein. Zur Wiederentdeckung der Spiritualität in der modernen Gesellschaft, Westberlin 1984
  • Rudolf Bahro From Red to Green. Interviews with New Left Rewiew, London, 1984
  • Rudolf Bahro Building the Green Movement, London, Philadelphia, 1986
  • Rudolf Bahro„Logik der Rettung“. Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik, Köln 1987 Leseprobe, Inhaltsverzeichnis, Rezensionen
  • Rudolf Bahro, Leonhard Neidhart, Norbert Leser, Michael Voslensky Die Zukunft der Demokratie. Entwicklungsperspektiven in Ost und West, Wien 1988
  • Rudolf Bahro„Rückkehr. Inweltkrise als Ursprung der Weltzerstörung“, Köln 1991 Inhaltsverzeichnis
  • Rudolf Bahro„Apokalypse oder Geist der neuen Zeit“, Berlin 1995 Inhaltsverzeichnis
  • Rudolf Bahro Das Buch von der Befreiung aus dem Untergang der DDR, Berlin 1995 (z.Zt. noch unveröffentlicht)
  • Rudolf Bahro Gastrede auf dem SED/PDS-Parteitag am 16. Dezember 1989, in: Hrsg. Lothar Hornbogen, Detlef Nakath, Gerd Rüdiger Stephan Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS. Protokoll der Beratungen am 8./9. und 16/.17. Dezember 1989 in Berlin, Berlin 1999
  • Rudolf Bahro, Franz Alt, Marko Ferst; Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges Kultursystem, Berlin 2002, Leseproben-Inhaltsverzeichnis-Rezensionen ISBN 3-8311-3419-7

Quellen

  1. Peter Wensierski: „In Kopfhöhe ausgerichtet“. DER SPIEGEL 20/1999 vom 17. Mai 1999, S. 42-44

Literatur / Anzeigen

  • Marko Ferst: Rudolf Bahro - vom DDR-Kritiker zum spirituellen Ökologen. In: Udo E. Simonis u.a. (Hrsg.): Jahrbuch Ökologie 2005, C. H. Beck Verlag, München 2004, ISBN 3-40651-105-8
  • Guntolf Herzberg, Kurt Seifert: Rudolf Bahro - Glaube an das Veränderbare. Eine Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-86153-270-0
  • Jean Fuchs: Der grüne Verrat - Niedergang einer Vision. Verlag Die Blaue Eule, Essen 2005, ISBN 3-89924-115-0
  • Jutta Ditfurth: Feuer in die Herzen. Gegen die Entwertung des Menschen. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1992, erweiterte und aktualisierte Neuausgabe 1997, ISBN 3-89458-159-X
  • Maik Hosang, Kurt Seifert (Hrsg.): Integration. Natur – Kultur – Mensch. Ansätze einer kritischen Human- und Sozialökologie. Ökom Verlag, München 2006, ISBN 3-86581-051-9

Siehe auch

Ökologische Plattform, Robert Havemann, DDR-Opposition, DDR-Bürgerrechtler, Subsistenzwirtschaft