Helmut Qualtinger (* 8. Oktober 1928 in Wien; † 29. September 1986 in Wien; oft als Helmuth Qualtinger geführt) war ein österreichischer Schauspieler, Schriftsteller, Kabarettist und Rezitator.
Leben
Qualtinger betätigt sich nach dem Krieg als Journalist, ist Gasthörer am Max-Reinhardt-Seminar und spielt auf einer Studentenbühne. Erste Auftritte als Kabarettist folgen ab 1947 im Studio der Hochschule in Wien, in der Kabarett-Revue Die Grimasse. Seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte er aber schon im Mai 1945 als selbsternannter Kulturkommissar. Er wird von der sowjetischen Besatzungsmacht für drei Monate inhaftiert, weil er mit einem Sowjetstern auf der Brust und einem selbstausgefertigten Ermächtigungsschreiben eine Villa für die Gründung eines linksgerichteten Theaters beschlagnahmte und Schauspieler warb. Qualtinger behauptet, ein Freund des Bürgermeisters, Leopold Hofrichter, habe ihn dazu ermächtigt, was dieser bestreitet.
1949 hat sein erstes Theaterstück Jugend vor den Schranken in Graz Premiere. In den Jahren bis 1960 arbeitet er vor allem an verschiedenen Kabarett-Stücken mit dem namenlosen Ensemble (Gerhard Bronner, Carl Merz, Louise Martini, Peter Wehle, Georg Kreisler, Michael Kehlmann).
Qualtinger ist berühmt-berüchtigt für seinen Schabernack, seine „practical jokes“. 1951 erlangt Qualtinger internationale Popularität, als er es schafft, eine Zeitungsente zu lancieren, in der der Wien-Besuch des berühmten Eskimodichters Kobuk mit seinem Werk „Das brennende Iglu“ angekündigt wird. Zahlreiche Reporter versammeln sich am 3. Juli 1951 am Wiener Westbahnhof. Dem Zug entsteigt statt des erwarteten Gastes Helmut Qualtinger mit Pelzmantel und -mütze. Von einem Radioreporter nach seinem ersten Eindruck von Wien befragt, antwortet er: „Haaß is'“ (heiß ist's).
1961 tritt Qualtinger in Der Herr Karl als Feinkostmagazineur auf und schafft damit seinen Durchbruch im deutschen Sprachraum. Der Herr Karl arbeitet im Keller eines Lebensmittelladens und erzählt einem imaginären Mitarbeiter von seinem Leben vor, während und nach dem Krieg. Äußerlich erscheint der Herr Karl als netter Kerl mit liebem Blick. Doch nach und nach erfährt der Zuschauer von dem Wendehals und Opportunisten Herrn Karl, der eigentlich ein gefährlicher, weil unberechenbarer Mitläufer ist. Hier ist seine Intonation bezeichnend: von einer Bewunderung der Nazis auf Wienerisch wechselt er schlagartig in eine Art verordneten Ekel in der Hochsprache. Wahrscheinlich haben mehrere authentische Gestalten als Vorbilder für den Herrn Karl gedient, unter anderem ein Magazineur, mit dem Qualtingers Kollege Nikolaus Haenel in einer Wiener Feinkosthandlung arbeitete. Zusammen mit Carl Merz schafft Qualtinger eine Schreckensfigur, die ihm in Österreich viele Feinde und sogar Morddrohungen einbringt; so offen hat vor ihm noch niemand den Durchschnittsbürger als Mittäter entlarvt und dargestellt.
Helmut Qualtinger gilt als eher schonungsloser Kritiker des gemeinen Mannes denn als Kritiker der Mächtigen. Dennoch wird ihm nachgesagt, dass er mit dem Lied „Der Papa wird's schon richten“ den Rücktritt eines damaligen Ministers der Bundesregierung bewirkte; dessen Sohn war in einen Autounfall mit Todesfolge verwickelt. Seine Meinungen und Kommentare schreibt er in einer bürgerlichen Zeitung, dem Kurier.
Am Theater tritt Qualtinger vor allem am Wiener Volkstheater unter Gustav Manker auf. In Johann Nestroys „Eine Wohnung zu vermieten“ und „Der Talisman“, in Wolfgang Bauers Uraufführung von „Sylvester oder das Massaker im Hotel Sacher“, Dostojewskis „Schuld und Sühne“, Kleist „Der zerbrochne Krug“, Shakespeare/Dürrenmatts „König Johann“, und in seinem eigenen Stück „Die Hinrichtung“.
Ab den 1970er Jahren verstärkt Qualtinger seine schriftstellerische Tätigkeit und geht vermehrt auf Lesetourneen. Seine Lesungen eigener und fremder Texte (u.a. auch Adolf Hitlers „Mein Kampf“) sind so erfolgreich, dass sie auch auf zahlreichen Sprechplatten erscheinen. Neben und vor allem nach seinen Kabarettzeiten spielt er unzählige Theater-, Film- und Fernsehrollen, zuletzt den Remigio da Varagine in Der Name der Rose von Umberto Eco an der Seite von Sean Connery.
Während der Aufnahmen zum Film „Der Name der Rose“ ist er ernsthaft krank. In den letzten Filmszenen muss häufig unterbrochen werden, da er unter starken Schmerzen leidet. „Der Name der Rose“ wird sein letzter Film.
Im Alter von 57 Jahren stirbt Qualtinger am 29. September 1986 in seiner Geburtsstadt Wien an seinem Leberleiden, welches sich vermutlich durch seinen Alkoholmissbrauch verstärkt hatte.
Werke
Filme
- „1. April 2000“, 1952, mit Hilde Krahl, Josef Meinrad, Waltraut Haas, Judith Holzmeister, Curd Jürgens, Paul Hörbiger, Hans Moser
- „Einmal keine Sorgen haben“ („Einen Jux will er sich machen“), 1953, Kraps, mit Walter Müller, Hans Moser, Nadja Tiller, Heinz Conrads
- „Hab ich nur deine Liebe“, 1953, mit Johannes Heesters
- „Hanussen“, 1955, Regie: O. W. Fischer, Georg Marischka, mit O. W. Fischer, Klaus Kinski, Siegfried Lowitz, Erni Mangold, Franz Muxeneder, Liselotte Pulver
- „Sonnenschein und Wolkenbruch“, 1955, mit Hans Holt, Loni Heuser, Heinz Conrads
- „Das Abgründige in Herrn Gerstenberg“, 1957, Der Schlechtere
- „Man müßte nochmal zwanzig sein“, 1958, mit Karlheinz Böhm, Johanna Matz, Ewald Balser, Susi Nicoletti, Peter Weck
- „Die schöne Lügnerin“, 1959, Regie; Axel von Ambesser, mit Romy Schneider, Helmuth Lohner, Hans Moser, Josef Meinrad
- „Mit Himbeergeist geht alles besser“, 1960, mit O. W. Fischer, Bill Ramsey, Fritz Muliar
- „Geschichten aus dem Wiener Wald“, 1961, Oskar, Regie: Erich Neuberg, Buch: Ödön von Horváth, mit Hans Moser, Johanna Matz, Walter Kohut, Jane Tilden
- „Die Kurve“, 1961, Regie: Peter Zadek, Buch: Tankred Dorst, mit Klaus Kinski
- „Der Herr Karl“, 1961, Regie: Erich Neuberg TV
- „Mann im Schatten“, 1961, Oberpolizeirat Dr. Radosch, mit Ellen Schwiers, Helmuth Lohner
- „Geschichten aus dem Wienerwald“, 1964, Regie: Erich Neuberg, mit Karl Hackenberg, Walter Kohut, Lotte Lang, Helmuth Lohner, Hans Moser, Paula Nefzger, Jane Tilden
- „Lumpazivagabundus“, 1965, mit Kurt Sowinetz, Alfred Böhm
- „Die Hinrichtung“, 1966, Engel, mit Kurt Sowinetz, Erni Mangold
- „Umsonst“, 1967, mit Fritz Eckhardt, Oskar Sima, Peter Weck
- „Der Paukenspieler“, 1967, Regie: Volker Schlöndorff, mit Helmuth Lohner
- „Das Schloß“, 1968, Burgel, Buch: Franz Kafka, mit Maximilian Schell
- „Kurzer Prozeß“, 1969, Pokorny
- „Das weite Land“, 1970, Buch: Arthur Schnitzler, mit O. W. Fischer, André Heller, Michael Heltau
- „Geschäfte mit Plückhahn“, 1971
- „Das falsche Gewicht“, 1973, Regie: Bernhard Wicki, Buch: Fritz Hochwälder, Joseph Roth
- „Der Kulterer“, 1973, Buch: Thomas Bernhard
- „Krankensaal 6“, 1974, Ragin
- „Der Richter und sein Henker“, 1975, Von Schwendi, Regie: Maximilian Schell, Buch: Friedrich Dürrenmatt, mit Jacqueline Bisset
- „Abelard“, 1975
- „MitGift“, 1976, Kommissar Huck, mit Senta Berger, Mario Adorf
- „Köznapi legenda“, 1976
- „Mulligans Rückkehr“,1977
- „Grandison“, 1979
- „Geschichten aus dem Wienerwald“, 1979, Zauberkönig, Regie: Maximilian Schell, mit Birgit Doll, Hanno Pöschl, Jane Tilden, Adrienne Gessner, Götz Kauffmann, André Heller
- „Das Diarium des Dr. Döblinger“, 1986, nach Geschichten von Heimito von Doderer, Regie: Michael Schottenberg
- „Der Name der Rose“, 1986, Remigio da Varagine, Cellerar, Regie: Jean-Jacques Annaud , mit Sean Connery, F. Murray Abraham, Christian Slater, Elya Baskin, Michael Lonsdale, Volker Prechtel, Urs Althaus, Valentina Vargas, Ron Perlman
Kabarettprogramme
- „Die Grimasse“, 1947, im „Studio der Hochschulen“ (Regie: Michael Kehlmann)
- „Blitzlichter“, mit Michael Kehlmann, Carl Merz, 1950, im „Kleinen Theater im Konzerthaus“
- „Reigen 51“, mit Michael Kehlmann, Carl Merz, Gerhard Bronner, 1951, im „Kleinen Theater im Konzerthaus“
- „Brettl vor'm Kopf“, mit Michael Kehlmann, Carl Merz, Gerhard Bronner u.a., 1952, im „Kleinen Theater im Konzerthaus“
- „Blattl vor'm Mund“, mit Michael Kehlmann, Carl Merz, Gerhard Bronner u.a., 1956, im „Intimen Theater“
- „Glasl vor'm Aug“, 1956, im „Intimen Theater“
- „Spiegel vor'm Gsicht“, 1958 (Fernsehproduktion)
- „Dachl über'm Kopf“, 1959
- „Hackl vor'm Kreuz“, 1959
- „Der Herr Carl“, mit Carl Merz, 1961
- „Alles gerettet“, mit Carl Merz, 1963
- „Die Hinrichtung“, mit Carl Merz, 1965
Diskographie
- „Der böhmische Herr Karl (Bohumil Hrabal)“, Preiser Records 93104
- „Der ewige Spiesser (Ödön von Horvath)“, Preiser Records 90198
- „Der Herr Karl (H. Q., Carl Merz)“, Preiser Records 93001
- „Der Qualtinger - ein kabarettistisches Porträt“, Preiser Records 93095
- „Die Hinrichtung (H. Q., Carl Merz)“, Preiser Records 90318
- „Der Rosenkavalier (Hugo von Hofmannsthal)“, 90130 (2 CD)
- „Die letzten Tage der Menschheit (Karl Kraus)“, Teile 1 bis 5, Preiser Records 93009, 93014, 93018, 93228, 93266
- „Die Qualtinger-Songs“, Preiser Records 90065
- „Fifi Mutzenbacher (Wolfgang Bertrand)“, Preiser Records 90950
- „Frühere Verhältnisse (Johann Nestroy)“, Preiser Records 93156
- „Hackl vor'm Kreuz“, Preiser Records 90162
- „Helmut Qualtinger liest Jaroslav Hasek: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“, Preiser Records 1986 (3CD)
- „Kabarett aus Wien“, Preiser Records 90081
- „Kabarettisten singen Klassiker“, Preiser Records 93098
- „Mein Kampf (Adolf Hitler)“, Preiser Records 93224 (2 CD)
- „Mit fremden Federn (Robert Neumann)“, Preiser Records 90194
- „Moritaten (mit Kurt Sowinetz)“, Preiser Records 90016
- „Österreichisches Lesebuch (Anton Kuh)“, Preiser Records 93006
- „Qualtinger in Linz“, Preiser Records 93039
- „Qualtinger liest Qualtinger (Gesamtausgabe)“, Preiser Records 90280 (4 CD)
- „Qualtingers böseste Lieder“, Preiser Records 90312
- „Reigen (Arthur Schnitzler)“, Preiser Records 93124 (2 CD), Regie: Gustav Manker, mit Hilde Sochor, Helmuth Lohner, Hans Jaray, Blanche Aubry, Christiane Hörbiger, Peter Weck, Robert Lindner)
- „Schallplattl vor'm Mund“, Preiser Records 90026
- „Schwarze Lieder“, Preiser Records 90007, nach Gedichten von H.C. Artmann und Gerhard Rühm, Musik: ernst Kölz
- „Schüttelreime (Franz Mittler, Hans Grümm u. a.)“, Preiser Records 90178
- „Travniceks gesammelte Werke (H. Q., Carl Merz)“, Preiser Records 9310
- „Villon (übersetzt von H. C. Artmann)“, Preiser Records 93037
- „Wiener Bezirksgericht (Günther Fritsch)“, Teile 1 bis 4, Preiser Records 93041, 93136, 93184, 90253
- „Toller. Szenen aus einer deutschen Revolution (Tankred Dorst)“, Preiser Records 99009
Literatur
- Günter Krenn: Helmut Qualtinger: die Arbeiten für Film und Fernsehen. Filmarchiv Austria, Wien 2003, ISBN 3901932259.
- Helmut Qualtinger: Werkausgabe. Herausgegeben von Traugott Krischke. Deuticke, Wien.
- Band 1: „Der Herr Karl“ und andere Texte fürs Theater. 1996
- Band 2: „Brettl vor dem Kopf“ und andere Texte fürs Kabarett. 1996
- Band 3: „Travniceks gesammelte Werke“ und andere Texte für die Bühne. 1996
- Band 4: „Heimat bist du großer Zwerge“ und andere Texte für die Bühne. 1997
- Band 5: Carl Merz und Helmut Qualtinger: „Blattl vorm Mund“. Satiren für den „Neuen Kurier“. Illustrationen von Rudolf Angerer. 1997
- Gunna Wendt: Helmut Qualtinger. Ein Leben. Deuticke, Wien 1999. ISBN 3216304396
- Quasi ein Genie - Helmut Qualtinger (1928-1986). Herausgegeben von Arnold Klaffenböck. Deuticke, Wien. Katalog zur Ausstellung des Wien Museum, 2. Oktober 2003 bis 6. Jänner 2004
Weblinks
- Vorlage:PND
- Vorlage:IMDb Name
- Helmut Qualtinger Portrait bei Kabarettlive.de
- Kurzbiografie
- Über Helmut Qualtinger
Personendaten | |
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NAME | Qualtinger, Helmut |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Kabarettist und schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 8. Oktober 1928 |
GEBURTSORT | Wien, Österreich |
STERBEDATUM | 29. September 1986 |
STERBEORT | Wien |