Weibliche Genitalverstümmelung
Unter Beschneidung weiblicher Genitalien wird im Wesentlichen die in vielen Kulturkreisen gängige Praxis der (Teil-)Amputation und Vernähung der äußeren weiblichen Geschlechtsteile (Klitoris, Labien) bezeichnet. In den betreffenden Kulturkreisen sind meist junge Mädchen, zuweilen auch erwachsene Frauen betroffen.
Auf Grund der weitreichenden Folgen für Körper und Seele der betroffenen Frauen steht diese Praxis seit längerem weltweit in der Kritik. Zur Verdeutlichung der Folgen wurde von Menschenrechtsorganisationen auch der Begriff Verstümmelung weiblicher Genitalien (kurz „FGM“ von engl. „female genital mutilation“, ugs. auch „weibliche Genitalverstümmelung“) geprägt.
Die UNO, UNICEF, UNIFEM und verschiedene Menschenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes und TARGET wenden sich gegen diese Praxis. Es handelt sich um eine ohne medizinische Gründe ausgeübte Tradition, die das Ansehen der Frauen in den Kulturen wesentlich bestimmt. Soziologisch gesehen ist sie Teil der patriarchalen Strukturen in der betreffenden Gesellschaft/Kultur, welche die Frau an ihren Mann binden soll.
Formen und Verbreitung
Die FGM ist in unterschiedlicher Form, und damit verbundenen Folgen für die Frau, in 28 afrikanischen Ländern, im Süden der arabischen Halbinsel (Jemen), im Irak und in Indonesien und Malaysia in unterschiedlichem Ausmaß verbreitet. Der geographische Ursprung dieser Praxis ist nicht bestimmbar.
Dunkelrot: Exzision und Infibulation
Hellrot: Klitoridektomie
Grün: Keine Anwendung.
Sie wird in der Regel durch so genannte Beschneiderinnen durchgeführt. Es wird unterschieden in
- Klitoridektomie: hierbei wird die Klitoris teilweise oder vollständig entfernt.
- Exzision: die teilweise oder komplette Amputation der Klitoris mit teilweiser oder vollständiger Entfernung der kleinen Labien. Exzision ist die am meisten verbreitetste Form der Verstümmelung, verbreitet in den meisten Ländern der Sudan-Zone (südlich der Sahara) und in Ostafrika, sowie, wenn auch in geringerem Ausmaß, in Ägypten, im südlichen Jemen, in Indonesien und Malaysia. Bei der
- Introzision: Es werden zusätzlich Haut und Gewebe aus der Vagina ausgeschält.
- Infibulation („pharaonische Beschneidung“): Diese gravierenste Form ist verbreitet in Somalia, in Djibouti und im Norden des Sudan, in einigen Regionen Ägyptens, Äthiopiens und weiter westlich in Mali. Es werden die Klitoris und die inneren und äußeren Schamlippen entfernt und die beiden Seiten der Vulva so zusammengenäht, dass die verbliebene Haut zu einer Brücke über der Vaginalöffnung und dem Ausgang der Harnröhre zusammenwächst. Indem bei der Wundvernähung ein Strohhalm oder ähnliches eingelegt wird, wächst die Wunde bis auf eine kleine Öffnung zu. Durch diese knapp erbsengroße Öffnung müssen Urin, Menstruationsblut und Vaginalsekrete austreten können, durch die Behinderung dieser Vorgänge kommt es zu zusätzlichen Schmerzen und Infektionsrisiken. Nach dem Eingriff werden die Betroffenen von den Knöcheln an bis zur Hüfte bandagiert, bis die Wunde verheilt ist. Dies kann bis zu vier Wochen dauern.
Der Infibulation folgen die- Defibulation: die Wiedererweiterung einer infubilierten Vaginalöffnung. Dies ist oft nötig, um den Geschlechtsverkehr zu ermöglichen. Gelingt dem (Ehe-)Mann die Öffnung der Vagina durch Penetration nicht, wird die infibulierte Vagina von ihm – seltener von einer Beschneiderin – mit einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand defibuliert. Zur Entbindung ist oft eine zusätzliche weitreichendere Defibulation notwendig.
- Reinfibulation (erneute Infibulation): nach einer Geburt wird die Vagina, die für die Geburt defibuliert wurde, in vielen Fällen nach Entfernung der Narbenränder erneut infubiliert. Nach mehreren Wiederholungen ist unter Umständen kein geeignetes Gewebe mehr für eine erneute Reinfibulation vorhanden.
Diese Klassifizierungen dienen lediglich als grobe Unterteilung. In der Realität existieren weitere Varianten. [1] Die Organisation TARGET erstellt dazu eine Karte für Afrika mit Zahlen der Betroffenen und der prozentualen Verbreitung je Land [2].
Von einer Beschneidung sind jährlich weltweit etwa drei Millionen Mädchen betroffen. Die Gesamtzahl der Betroffenen wird von Fachleuten auf weltweit 130 Millionen geschätzt. Auch in Europa sind Schätzungen zufolge hunderttausende Frauen betroffen [3].
Ursprünge und Hintergründe
Die Genitalbeschneidung an Frauen wird vielfältig begründet. Die Durchführung der Verstümmelung weiblicher Genitalien reicht zurück bis ins Alte Ägypten. Hier glaubte man an Doppelgeschlechtlichkeit. So war die Vorhaut des Mannes ein Überbleibsel der Frau und die Klitoris ein Überrest des Mannes. Um eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden zu können, wurden Männer und Frauen an ihren Genitalien beschnitten. Mit anderer Begründung wurde die Beschneidung von Frauen auch in Europa von der Barockzeit bis möglicherweise in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts durchgeführt. Hier wurde sie vor allem zur Behandlung der Masturbation – die als Krankheit angesehen wurde –, der Hysterie und anderer vermeintlich typisch weiblicher Störungen angewandt. So wird die Beschneidung auch praktiziert, um die Frau vor ihrer eigenen Sexualität und vor Übergriffen der Männer zu schützen. Ihre Praktizierung hat daher auch mit der Erwartung an die Rolle der Frau zu tun.
Tradition und sozialer Druck spielen bei der Durchführung der Beschneidung von Frauen eine große Rolle. So ist es in Gesellschaften, die sie praktizieren, nur schwer möglich, seine Tochter davor zu bewahren. Diese Mädchen werden andernfalls sozial ausgegrenzt und stigmatisiert. Sie haben keine Stellung in der Gesellschaft, ganz zu schweigen davon, dass kein Mann sie heiraten wird. Das ist in einer Gesellschaft, in der Frauen ökonomisch abhängig von den Männern sind, fatal. So haben Eltern kaum eine andere Wahl, als ihre Töchter zu einer Beschneiderin zu bringen, auch wenn sie selbst wissen, wie qualvoll ein solcher Eingriff ist.
Genitalverstümmelung in der Antike
Die Verstümmelung weiblicher Genitalien wurde in verschiedenen Zeiträumen und Teilen der Erde mit unterschiedlichen, oftmals auch nicht mehr bekannten Begründungen praktiziert.
Die ältesten Funde, die einen Rückschluss auf die Beschneidung der weiblichen Genitalien zulassen, stammen aus Ägypten. Dort entdeckten Forscher Mumien, die Anzeichen einer Beschneidung aufwiesen.
Die Verstümmelung weiblicher Genitalien wurde auch im römischen Imperium praktiziert. Allerdings waren ausschließlich Sklavenmädchen betroffen. Durch die Infibulation sollte einerseits eine Schwangerschaft verhindert werden, andererseits erzielte eine zugenähte „Jungfrau“ auf dem Sklavenmarkt einen viel höheren Preis. So erscheint die Beschneidung im alten Rom als ein Zeichen für Versklavung und Unterwerfung.
Im alten Testament wird den Juden in der Tora befohlen, die männlichen Nachkommen kurz nach der Geburt zu beschneiden, die Beschneidung der Mädchen wird aber verboten - dies lässt die Vermutung zu, dass auch schon in der Frühzeit des Judentums die weibliche Beschneidung bekannt war.
Medizinische Mythen
Die Beschneidung weiblicher Genitalien wurde auch aus Irrglauben heraus praktiziert, etwa dem, wonach erst der abgeschlossene weibliche Unterleib rein sei, weil aus ihm nur schwer Vaginalsekrete und Menstruationsblut austreten können. Andere sind, dass weibliche Genitalien weiter wüchsen, wenn sie nicht beschnitten würden; dass die Klitoris giftige Sekrete absondere, welche den Mann vergiften oder impotent machen könnten; oder gar, dass die Klitoris bei der Geburt den Säugling verletzen könne. Außerdem gab es die Vorstellung, dass die Beschneidung die Gesundheit fördere, indem die Fruchtbarkeit der Frau erhöht werde sowie Geburt und Schwangerschaft erleichtert würden.
Unterdrückung der weiblichen Sexualität
Ein Zweck der Beschneidung von Frauen dürfte sein, die Frau ihrer sexuellen Lust zu berauben und sie so auf ihre Reproduktionsfunktion zu reduzieren. Durch die Beschneidung entfällt in den meisten Fällen wohl jede Form von Lust oder Masturbation, welche als schädlich angesehen werden.
Tradition
Die stärkste Rechtfertigung der Genitalbeschneidung an Frauen ist die Tradition. Aus dem Wissen, dass die Verstümmelung seit langer Zeit praktiziert wird, ergibt sich der Schluss, dass es sich dabei um etwas absolut Notwendiges handle: ein Mädchen wird erst dann zur Frau, wenn es an seinen Genitalien beschnitten wurde. Die Vorstellungen der Menschen sind in der Weise geprägt, dass sie sich von unverstümmelten Frauen abgestoßen fühlen, sie als unrein empfinden und Männer nicht bereit sind, sie zu heiraten. Der Akt der Beschneidung kann in den Rahmen eines Initiationsrituales eingebettet sein, ein großes Fest, an dem das Mädchen Geschenke erhält und im Mittelpunkt steht.
In keiner Religionsgemeinschaft ergibt sich die Notwendigkeit der Beschneidung von Frauen aus der schriftlichen Überlieferung: weder in der Bibel noch im Koran findet sie Erwähnung.
Vorkommen im Islam
In der Regel wird die Genitalbeschneidung unter Berufung auf einige Hadithe im Islam religiös legitimiert. Hadith bilden neben dem Koran die zweite Quelle islamischer Gesetze. Dabei handelt es sich um Aussprüche, die dem Propheten Mohammed zugesprochen werden. Laut eines Hadiths soll der Prophet gesagt haben: „Nimm ein wenig weg, aber zerstöre es nicht. Das ist besser für die Frau und wird vom Mann bevorzugt.“ Dieses Hadith wird verschieden interpretiert. Eine Ansicht besagt, dass sich das „ist besser für die Frau und wird vom Mann bevorzugt“ auf das „zerstöre nicht“ bezieht. Mohammed hätte dann mit der vorislamischen Tradition nicht brechen wollen, bevorzugte selbst aber deren Unterlassung. Eine andere Deutung geht davon aus, dass es sich um ein Makrumah handelt, eine freiwillige ehrenvolle Tat, deren Unterlassung nicht bestraft wird. Zu diesen Deutungen kommt hinzu, dass der Islam das Recht der Frau auf sexuelle Befriedigung, wenn sie verheiratet ist, ausdrücklich anerkennt. Außerdem ist einer der höchsten Werte der Scharia die „Huma“, die körperliche Unversehrtheit. Daraus lässt sich folgern, dass die weibliche Beschneidung nicht ursprünglich auf den Islam zurückzuführen ist. Gleichwohl begründen einige ihr Vorgehen mit dem Koran, obwohl die Beschneidung von Frauen in diesem nicht erwähnt wird.
Von den vier sunnitischen Rechtschulen (madhhab) befürworten zwei die Genitalbeschneidung an Frauen (Malikiten und Hanbaliten); die Schafiiten halten sie sogar für eine religiöse Pflicht. In Ländern mit schafiitischer Rechtsschule ist sie deshalb auch allgemein verbreitet. Die Hanafiten lehnen die Beschneidung von Frauen ab. [Quelle: Bosworth/van Donzel, The encyclopedia of Islam, S.20]
In einigen wenigen Gegenden wird von islamischen Geistlichen die Meinung vertreten, der Islam verlange diese „Reinigung“. Die Beschneidung von Frauen wird auch, insbesondere in Nordostafrika, außerhalb des Einflussbereichs des Islam massiv praktiziert. So wird sie unter anderem auch von Christen und äthiopischen Juden, oft unter Berufung auf Jahrtausende alte Traditionen, angewandt.
Klitorisamputation und Masturbation
Zu Beginn des 19. Jh. war in Europa die Vorstellung verankert, die Masturbation sei eine Perversion. Diese sollte mit allen Mitteln verhindert werden. Zunächst griff man auf sanfte „Therapien“ zurück: Überwachung, kalte Bäder und Trinken von Mineralwasser. Später trugen die Frauen Keuschheitsgürtel. In England entdeckte der Arzt Isaac Baker Brown Mitte des 19. Jh. die operative Behandlung: den Frauen wurde die Klitoris entfernt. Damit sollten Masturbation sowie Hysterie behandelt werden. So wurden einige Frauen des gehobenen Bürgertums ihrer Klitoris beraubt. Browns Methode wurde später auch in Amerika in einigen Fällen praktiziert.
Aus der Barockzeit gibt es Erzählungen, dass solche Behandlungen bei Mädchen mit dem Brenneisen erfolgten und bei Jungen die Vorhaut mit Silberdraht zugenäht wurde.
Noch unzureichend ist die Verstümmelung weiblicher Genitalien als Behandlungsmethode in Deutschland untersucht. Auch in modernen Nachschlagewerken beschränken sich die Darstellungen zur Beschneidung/Genitalverstümmelung auf fremde Kulturen.
Noch 1923 schrieb Maria Pütz in ihrer Dissertation:
„In drei mir speziell von Herrn Professor Dr. Cramer gütigst überlassenen Fällen trat nach Entfernung der Clitoris und einer teilweisen oder vollständigen Exzision der kleinen Labien vollständige Heilung ein. Masturbation wurde nicht mehr geübt, und selbst nach einer Beobachtungszeit von mehreren Monaten blieb der Zustand unverändert gut. Trotz dieser erfreulichen Resultate der Clitoridektomie bei Masturbation gibt es nun sehr viele Fälle, bei denen das Uebel durch irgend welche operative Eingriffe nicht zu beeinflussen ist […]
Ein zweiter Einwurf der Gegner ist der, dass durch Herabsetzung der Libido auch die Konzeptionsmöglichkeit aufgehoben werde. Auch dieser Einwand ist unberechtigt; denn es steht fest, dass frigide Frauen, die den Coitus nur als Last empfinden und sich keiner sexuellen Befriedigung erfreuen, dennoch konzipieren und gesunde Kinder gebären.“
Die Betroffenen
In Gebieten, in welchen die Verstümmelung weiblicher Genitalien Tradition hat, sind alle Frauen betroffen. Das Beschneidungsalter variiert je nach Tradition, die Mädchen werden zwischen der ersten Lebenswoche, im vorpubertären Alter, in der Pubertät oder vor oder nach der Eheschließung beschnitten. Erwachsene Frauen werden manchmal kurz vor der Eheschließung einer noch drastischeren Form unterzogen. Dies liegt dann meist darin begründet, dass dem Ehemann oder der Schwiegermutter die bestehende Genitalverstümmelung als nicht ausreichend erscheint. Im Allgemeinen sind die Mädchen, die einer Genitalbeschneidung unterzogen werden, zwischen vier und zwölf Jahren alt.
In letzter Zeit ist ein Rückgang des Alters der Betroffenen zu beobachten. Dies kann als eine Gegenreaktion auf bestehende Gesetze gegen die Beschneidung von Frauen interpretiert werden und in der gestiegenen Aufklärung unter Jugendlichen begründet liegen. Je jünger die Mädchen sind, desto geringer ist zum Einen ihr Kenntnisstand über die Genitalbeschneidung; zum Anderen können sie sich nicht gegen die Verstümmelung wehren oder sich ihr gar entziehen. Zahlen des Kinderhilfswerks zeigen, dass die Beschneidung von Frauen in der ländlichen Bevölkerung häufiger vorkommt als in der städtischen. In der ländlichen Bevölkerung findet die Praktik bei ca. 73 % der Bevölkerung Zuspruch, in der städtischen Bevölkerung bei ca. 67 %. Als Grund hierfür wird der – insbesondere für Frauen – geringe Zugang zu Schulbildung auf dem Land angesehen. Damit geht ein stärkeres Festhalten an Traditionen und eine größere soziale Kontrolle als in der Großstadt einher. Allerdings ist in letzter Zeit in eher intellektuellen Milieus der Trend zur sogenannten Medikalisierung, also der Durchführung der Beschneidung in Krankenhäusern oder durch medizinisches Personal, zu beobachten. Untersuchungen in Europa haben ergeben, dass Migranten zum Teil an der Praxis der Genitalverstümmelung festhalten. Die Mädchen werden im Herkunftsland der Eltern oder illegal in einem europäischen Land beschnitten.
Die Ausführenden
Die Ausführenden der weiblichen Genitalverstümmelung sind in der Regel Frauen. Es kann sich dabei um traditionelle Hebammen, Heilerinnen oder professionelle Beschneiderinnen handeln. In den Städten wird in den reichen Schichten die Prozedur von Ärzten, ausgebildeten Krankenschwestern oder Hebammen unter klinikähnlichen Bedingungen durchgeführt (sog. Medikalisierung). Eher selten kommt es vor, dass Medizinmänner oder Barbiere die Mädchen verstümmeln, z.B. im Norden der Demokratischen Republik Kongo. Traditionelle Beschneiderinnen lernen das Handwerk von ihren Müttern. Es ist eine hochangesehene Tätigkeit, die der Familie der Beschneiderin ein relativ hohes Einkommen sichert. Die Beschneiderinnen verfügen meistens nicht über fundierte anatomische Kenntnisse. Dies kann zu weiteren schweren Verletzungen führen, zumal im Alter die Sehkräfte und die motorischen Fähigkeiten nachlassen. Als Werkzeuge werden (Spezial-)Messer, Rasierklingen, Scheren, Glasscherben oder auch Fingernägel benutzt. Oft werden mehrere Mädchen mit demselben Werkzeug verstümmelt. Um die Wunde zu verschließen, werden Akaziendornen, Bindfaden, Schafdarm, Pferdehaar, Bast oder Eisenringe verwendet. Substanzen wie Asche, Kräuter, kaltes Wasser, Pflanzensäfte, Blätter oder Wundpressen aus Zuckerrohr sollen die bei der Amputation der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane meist auftretende starke Blutung stoppen. Die Verstümmelungen finden meistens unter unhygienischen Bedingungen außerhalb von Krankenhäusern statt. Die Betroffenen erhalten meistens keinerlei Narkose. Da der Genitalbereich mit vielen Nerven versorgt ist, führen Eingriffe ohne Narkose zu besonders starken Schmerzen, so dass die Mädchen oder Frauen von mehreren Erwachsenen gehalten werden müssen.
Gesundheitliche Konsequenzen und Todesfolgen
Die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien stellt eine irreparable Schädigung der sexuellen funktionellen Einheit von Frauen dar. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass ca. 10 % der Betroffenen an akuten und ca. 25 % an langfristigen Komplikationen sterben. Die gesundheitlichen Konsequenzen erstrecken sich auf akute (zum Beispiel Schock oder hoher Blutverlust), chronische (zum Beispiel Harnwegsinfektionen), psychische sowie psychosomatische (Trauma) Folgen. Der Eingriff hat großen Einfluss auf die sexuelle Erlebnisfähigkeit der Frauen, wobei zu bemerken ist, dass die Frauen je nach kulturellem Hintergrund in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sind und daher der Grad der Einschränkung variieren kann. Der Geburtsvorgang wird bei infibulierten Frauen erschwert; es kann zu starken Komplikationen und im Extremfall zu Schäden für Mutter und Kind kommen.
Einer 2006 veröffentlichten Studie der WHO zufolge, an der 28.373 Schwangere in Afrika teilgenommen haben, starben von 1.000 Babys verstümmelter Mütter im Durchschnitt 10 bis 20 mehr als unter den Kindern unversehrter Frauen, das Todesrisiko der Kinder erhöhe sich durch die genitale Verstümmelung der Mütter um ein Viertel bis ein Drittel.[4]
Aktuelle Entwicklungen
Der Familiensenat des Karlsruher BGH hat 2005 (unter dem Aktenzeichen AZ XII ZB 166/03) entschieden, dass der Plan einer Frau, ihre Tochter nach Gambia zu bringen – einem Land, in dem etwa 80–90 % der Frauen der pharaonischen Beschneidung unterzogen werden – ausreicht, ihr das Sorgerecht für das Kind zu entziehen und es in eine Pflegefamilie zu geben.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat im April 2005 einen Asylanspruch festgestellt, wenn Genitalverstümmelung droht. Vor dem Hessischen VGH hatten eine 17-jährige Heranwachsende und ihre 8 Jahre alte Schwester gegen ihre Abschiebung nach Sierra Leone geklagt. Der Gerichtshof stellte fest, dass eine Abschiebung in ein Land unzulässig ist, in dem die Genitalverstümmelung an Frauen fest verwurzelte Tradition ist (80–90 Prozent der Frauen in Sierra Leone sind beschnitten) oder von den Behörden geduldet wird.[5] Die FAZ meldet unter Berufung auf einen bevorstehenden Beitrag in The Lancet (Band 366, Seiten 385–391), in einer Studie an etwa 280 Frauen, die 2003 und 2004 an zwei Krankenhäusern in Khartum untersucht wurden, seien 99 als unfruchtbar erkannt worden (mehr als jede Dritte), 180 waren erstmals schwanger. Alle waren als Mädchen verstümmelt worden. Die Forscher stellen fest, dass vor allem schwere Genitalverstümmelungen das Risiko einer Frau merklich steigern, unfruchtbar zu werden. Die Wissenschaftler hoffen mit diesem Argument den Glauben vieler Befürworter der Genitalverstümmelung zu widerlegen, ein Mädchen könne nur dann eine gute Ehefrau und Mutter werden, wenn man ihre Geschlechtsteile gemäß dem alten Brauch verändere.
Am 26. Oktober 2005 haben islamische Geistliche in Mogadischu eine „Fatwa“ veröffentlicht, die sich gegen die Beschneidung bzw. Genitalverstümmelung an Mädchen richtet. Darin wird die in Afrika weit verbreitete traditionelle Praxis als „unislamisch“ verurteilt. Sheich Nur Barud Gurhan, der stellvertretende Vorsitzender der Dachorganisation somalischer Geistlicher, setzte die Beschneidung mit einem Mord gleich. Zur Durchsetzung wird die Fatwa wahrscheinlich nicht kommen, da die in Somalia geltende schafiitische Rechtsschule die weibliche Beschneidung als verpflichtend (fard) einstuft und Somalia von Clanchefs beherrscht wird.
In Kenia ist die extrem traditionalistische Mungiki-Sekte im Zusammenhang mit Zwangsbeschneidungen in die Medien gekommen.
Bezeichnungen
Die Bezeichnung „Beschneidung“ ist eine gängige, aber von vielen als verharmlosend betrachtete Bezeichnung für Verstümmelungen an weiblichen oder männlichen Genitalien. Dieser Umstand sorgt vielfach für Kritik, kann aber im sprachlichen Austausch insbesondere mit den Betroffenen auch als Ausdruck der Diskretion verstanden werden. Für Kritik sorgt bei Anderen auch die Bezeichnung „Verstümmelung“, da sie zwar den Umstand und die Folgen beschreibt, jedoch auch geeignet sein könnte, Betroffene als „Verstümmelte“ zu stigmatisieren. In der fachlichen Auseinandersetzung werden meist Begriffe wie „Verstümmelung der (weiblichen) Genitalien, „genitale Verstümmelung“, international oft auch die Abkürzung FGM aus dem Englischen verwendet.
Die Bezeichnung Beschneidung weiblicher Genitalien wird aus folgenden Gründen von vielen als Euphemismus betrachtet:
- Die Bezeichnung „Beschneidung“ könnte den Eindruck erwecken, bei den Eingriffen an Frauen und Mädchen handle es sich um das Pendant zur „männlichen Beschneidung“, der teilweisen oder vollständigen Entfernung der männlichen Vorhaut, vergl. Zirkumzision. Lediglich eine Form, die sogenannte „milde Sunna“, das Einritzen, Einstechen oder Entfernen der Klitorisvorhaut, ähnelt - gemessen am Ausmaß des Eingriffes - dem Entfernen der männlichen Vorhaut. Tatsächlich aber sind die übrigen Formen von Verstümmelungen weiblicher Genitalien weitaus invasiver.
- „Beschneidung“ ist ein Begriff, der in mannigfaltigen Zusammenhängen verwendet wird, er bezeichnet (außer in der Verwendung für die männliche Beschneidung) nicht explizit „Genitalverstümmelung“.
- Im Bezug auf Eingriffe an den Genitalien wird „Beschneidung“ nicht nur für tätliche , sondern auch für freiwillige Körpermodifikationen oder medizinisch indizierte Maßnahmen verwendet.
Literatur
- Fadumo Korn: Geboren im Großen Regen (Autobiographie). Rowohlt TB Verlag, Hamburg 2004, ISBN 3499237989
- Waris Dirie: Wüstenblume (Autobiographie). Schneekluth Verlag, München 1998, ISBN 3-7951-1626-0
- Waris Dirie: Schmerzenskinder. Marion Von Schroeder Verlag, München 2005, ISBN 3-547-71067-7
- Terre des Femmes (Hg.): Schnitt in die Seele - Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung. Mabuse-Verl., Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-935964-28-5
- Marion Hulverscheidt: Weibliche Genitalverstümmelung: Diskussion und Praxis in der Medizin während des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. 189 S., Mabuse-Verl., Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-935964-00-5 (Mabuse-Verlag Wissenschaft 63; Zugl.: Göttingen, Univ., Dissertation 2000)
- Eiman Okroi: Weibliche Genitalverstümmelung im Sudan – „Female genital mutilation“. 150 S., 1. Aufl. Akademos-Wiss.-Verl., Hamburg 2001, ISBN 3-934410-29-4 (Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Dissertation 2001)
- Maria Pütz: Über die Aussichten einer operativen Therapie in gewissen Fällen von Masturbation jugendlicher weiblicher Individuen. Euskirch, Hochschulschrift: Universität Bonn, Dissertation, 1923.
- Alice Walker: Possessing the Secret of Joy (Roman). (1992, dt: Sie hüten das Geheimnis des Glücks, Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3499136600)
Siehe auch
Weblinks
- UNICEF-Mediathek mit pdf-Beiträgen zum Thema
- Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (pdf).
- Empfehlungen der Bundesärztekammer zum Umgang mit Patientinnen nach einer Genitalverstümmelun (für Ärzte)
- Weibliche Beschneidung und Islam, deutsche Übersetzung von Muslim Women's League (engl.)
- Historische und medizinische Aspekte
- Soziokultureller Bericht über Mädchenbeschneidung