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Die Mittelägyptische Sprache war die Sprache des Alten Ägypten während des sog. Mittleren Reiches sowie alleinige Schriftsprache unter den ersten Königen der 18. Dynastie und bildet eine Entwicklungsstufe der Ägyptischen Sprachen. Es folgte dem Altägyptischen, von dem es sich nur geringfügig unterscheidet, und wurde im 14. Jh. v. Chr. vom Neuägyptischen abgelöst, war jedoch auch danach noch als klassische Literatur- und Inschriftensprache bis ins 4. Jh. n. Chr. in Gebrauch. Auch die moderne Erforschung des Ägyptischen konzentrierte sich lange auf das klassische Mittelägyptisch.
Die Erforschung des Mittelägyptischen begann mit der Entzifferung der Hieroglpyhen durch Jean-François Champollion, das Mittelägyptische als getrennte Sprachstufe des Ägyptischen wurde jedoch erst später erkannt. Wesentliche Fortschritte im Verständnis des Mittelägyptischen erzielte die von Adolf Erman begründete sog. Berliner Schule, die sich immer mehr auf die Erforschung des Mittelägyptischen konzentrierte. 1894 legte Erman die erste moderne Grammatik (4. Auflage: 1928) des Mittelägyptischen vor, die durch Alan H. Gardiners umfassende Egyptian Grammar von 1927 (siehe Literaturverzeichnis unten) noch weit übertroffen wurde. Gleichzeitig erreichte die Berliner Schule durch die Publikation des Wörterbuchs der ägyptischen Sprache (1927-1961) wesentliche Fortschritte im Bereich des ägyptischen Lexikons. In der Mitte des 20. Jahrhunderts hielt man die Erforschung der mittelägyptischen Grammatik im wesentlichen für abgeschlossen und wandte sich der Sprache der naturwissenschaftlichen Texte und den dem Altägyptischen nahestehenden Sargtexten zu. Jedoch entfachte Hans J. Polotsky die Diskussion um die Grammatik durch seine ab 1944 entwickelte "Standardtheorie" erneut. Er nahm an, dass das Ägyptische kaum echte Verbalsätze besessen habe und das suffixkonjugierte Verb stattdessen in eine nominale, adverbiale oder adjektivische Funktion transponiert wurde. Diese Ansicht wird bis heute diskutiert und modifiziert. Aber auch außerhalb der Syntax ist die Forschung noch in Bewegung, so konnte Wolfgang Schenkel erst 2005 nachweisen, dass das mittelägyptische Vergangenheitstempus sVorlage:Unicodem.n=f (s.u.) aus zwei syntaktisch unterschiedbaren Formen besteht. Diese Ungewissheiten gerade auf dem Gebiet der Verbalmorphologie sind übrigens darin begründet, dass viele Verbaltempora keine oder eine, da aus einem schwachen Konsonanten bestehend, nur sporadisch geschriebene konsonantische Endung aufweisen, sondern nur durch die innere vokalische Struktur gekennzeichnet waren, die sich nur teilweise in Modifikationen des Konsonantenbestandes bemerkbar macht.
Die Phonetik einer toten Sprache wie des Mittelägyptischen lässt sich naturgemäß nicht bestimmen; über die Phonologie sind aber regelhafte Rekonstruktionen möglich. Trotzdem hängt es von der wissenschaftlichen "Schule" ab, welchen Phonemwert man ansetzt. Im folgenden wird der Ansatz dargestellt, der in der jüngsten Zeit am stärksten vertreten wurde. Wie in allen Sprachen gibt es eine gewisse Varianz zwischen Phonem- und Graphemsystem, d. h., nicht alle Phoneme werden durch ein eigenes Graphem repräsentiert und umgekehrt wird nicht jedes Graphem für nur ein Phonem verwandt. Eine Besonderheit des ägyptischen Lautsystems, die es mit anderen afroasatischen Sprachen gemeinsam hat, ist, dass es neben stimmlosen und stimmhaften auch emphatische Konsonanten besitzt, die vermutlich mittels Postglottalisation artikuliert wurden.
Das Mittelägyptische weist folgende Plosive auf (NB: die ursprünglich ebenfalls vorhandenen stimmhaften Plosive außer /b/ haben sich durch bestimmte Entwicklungsprozesse meist zu Frikativen entwickelt):
Bilabiale
Alveolare
Velare
Stimmlos
p
t
k
Stimmhaft
b
g
Emphatisch
d
q
Das ägyptische g lässt sich in zwei Laute (g1 und g2 unterteilen [1], die beide aus afroasiatischem /g/ hervorgingen. Aufgrund dieser Verwandtschaft sieht man g traditionell als stimmhaftes Gegenstück zu k; aufgrund der koptischen und arabischen Gegenstücke ordnet dagegen W. Schenkel g1 als palatalisiertes k oder Labiovelar, g2 als emphatischen Vertreter zu g1 ein.
Das Ägyptische verfügte darüber hinaus noch über die palatalen Plosive c (stimmlos nichtaspiriert), transkribiert als Vorlage:Unicode
und c' (stimmlos mit Zusatzmerkmal Emphase), transkribiert als Vorlage:Unicode
, die sich unter bestimmten, nicht vollständig geklärten, Umgebungsbedingungen aus den velaren Plosiven q bzw. k entwickelten. Später wurden diese Laute (seit dem frühen 2. Jt. v. Chr.) in der Artikulation noch weiter nach vorn verschoben und damit zu t bzw. t' (transkribiert als d).
Dazu ist jedoch anzumerken, dass s und z seit dem Mittleren Reich in der Aussprache zusammengefallen waren und daher auch in der Schrift nicht mehr konsequent unterschieden wurden. Das als /Vorlage:Unicode/ notierte Graphem diente ursprünglich (im 3. Jt. v. Chr.) zur Notation des stimmhaften dentalen Plosivs /d/, der im Mittleren Reich zu einem stimmhaften Pharyngal wurde. Die Bestimmung der Differenz zwischen Vorlage:Unicode und Vorlage:Unicode ist umstritten, dürfte aber eher durch Position, denn durch den Unterschied stimmhaft/stimmlos bestimmt sein.
r, das in der Schrift durch n, r, j, nr oder 3 angedeutete l[2], sowie möglicherweise 3, dem früher der Lautwert des hebräischen Aleph zugeordnet wurde; heute wird es aber aufgrund afroasiatischer Etymologien und der Fremdnamenschreibung des Mittleren Reiches eher als ein r-haltiger Laut, der wohl im späteren Mittelägyptisch verschwand oder zumindest zu einem schwachen Vokal abgeschwächt wurde, angesehen. Dazu kommen j, wohl ein Aleph/Hamza-Laut, y (jj) [j] und w, das wohl teils [w], teils [u] ausgesprochen wurde. Die Vokale wurden in den Hieroglyphen und im Hieratischen gar nicht mitgeschrieben, sodass die Vokale des Mittelägyptischen nur durch Vergleiche mit dem Koptischen, griechischen Umschreibungen ägyptischer Namen und ähnlichen Hinweisen ungefähr erschlossen werden können.
Grammatik
Das Mittelägyptische kannte die beiden Genera Maskulinum und Femininum sowie die Numeri Singular, Dual und Plural:
Maskulinum
Femininum
Singular
sn "Bruder"
sn.t "Schwester"
Dual
sn.wj "die beiden Brüder"
sn.tj "die beiden Schwestern"
Plural
sn.(w)w "Brüder"
sn.wt "Schwestern"
Es existieren drei Arten von Personalpronomina, absolute (unabhängige) wie
jnk "ich", enklitische wie
wj "mich, ich" und Suffixpronomina wie
=j "ich, mein", die an ein Substantiv angehängt ein Besitzverhältnis ausdrücken: pr=j "mein Haus". Wichtig sind sie zudem bei der sogenannten Suffixkonjugation, der häufigsten Art von Verbformen des Mittelägyptischen. Bei ihr wurde ein pronominales Subjekt durch die angehängten Suffixpronomina und ein nominales Subjekt durch ein nachgestelltes Substantiv gekennzeichnet. Dabei dienten kleine Suffixe am Verbalstamm zur Bildung von acht [3] bis sechzehn [4] Tempora. Ihre drei wichtigsten Tempora sind im folgenden tabellarisch zusammengestellt:
Subjekt
sḏm=f "Er hört"
sḏm.n=f "Er hörte"
sḏm.jn=f "Da hört(e) er"'
1. Person Sg.
sḏm=j
sḏm.n=j
sḏm.jn=j
2. Person Mask. Sg.
sḏm=k
sḏm.n=k
sḏm.jn=k
2. Person Fem. Sg.
sḏm=ṯ
sḏm.n=ṯ
sḏm.jn=ṯ
3. Person Mask. Sg.
sḏm=f
sḏm.n=f
sḏm.jn=f
3. Person Fem. Sg.
sḏm=s
sḏm.n=s
sḏm.jn=s
1. Person Pl.
sḏm=n
sḏm.n=n
sḏm.jn=n
2. Person Pl.
sḏm=ṯn
sḏm.n=ṯn
sḏm.jn=ṯn
3. Person Pl.
sḏm=sn
sḏm.n=sn
sḏm.jn=sn
Substantiv "König"
sḏm nswt
sḏm.n nswt
sḏm.jn nswt
Dazu ist anzumerken, dass die Formen nur teilweise auf die in der Übersetzung verwendeten Zeitstufen begrenzt waren, so kann die Vorlage:Unicode-Form auch perfektisch und die Vorlage:Unicode-Form selten futuristisch auftreten.
Neben der Suffixkonjugation weist das Ägyptische das Pseudopartizip oder Stativ, bei dem es sich um eine teils aktivische, teils passivische Vergangenheitsform handelt, die Relativform sowie einen Infinitiv und fünf Partizipen auf.
Wie in anderen afroasiatischen Sprachen muss ein Satz im Ägyptischen kein Verb enthalten, um vollständig zu sein, stattdessen gibt es auch Adjektival- (nfr wj "ich bin gut"), Substantival- (ntf Vorlage:Unicode "er ist ein Gott") und Adverbialsätze (Vorlage:Unicode "der Wind ist hinter dir").
Wortschatz
Der Wortschatz des Hieroglyphisch-Ägyptischen umfasst über 20.000 Wörter, auf das Mittelägyptische entfallen dabei etwa 11.000 Wörter. Eine Vielzahl von Worten ist abgeleitet, vgl. die von einer Wurzel *Vorlage:Unicode "spucken" abgeleiteten Worte Vorlage:Unicode "ausspeien", Vorlage:Unicode "ausspeien", Vorlage:Unicode, Vorlage:Unicode "Auswurf" [5]. Für viele ägyptische Worte lassen sich afroasiatische Etymologien herstellen, bemerkenswert ist dabei die Beibehaltung alten Wortguts im religiösen Kontext: äg. b3 "Heiliger Bock" = akkadischbVorlage:Unicoderu "Kalb", kuschitisch *br- "Kalb, Lamm", tschadisch *bur- "Schaf, Ziege"[6] sowie möglicherweise ägyptisch jmny "Beiname des Re" = (?) Tschadisch *myan- "Tag"[7]. Außerdem wurde seit dem Mittleren Reich eine große Anzahl an fremden Lehenwörtern ins Ägyptische aufgenommen[8], z.B. ym "Meer" aus semitisch jm "dass.". Rar sind Fremdwörter aus südlichen Sprachen, dazu könnten bjr "Schiff" = Ndam (tschadisch) burō "Boot" [9] und dng/d3ng/dnrg/d3g (=*dlg) "Zwerg" = amharischdenk "dass."[10] = Kuschitisch *dink- "dass." [11] = Nefusa (Berberisch) a-dǝnǯal "dass." [12], das aufgrund der Lautkorrespondenzen nicht urverwandt sein kann, gehören.
Textbeispiel
Das folgende Textbeispiel bildet einen Auszug aus der Geschichte des Sinuhe, einer fiktiven Biographie aus dem Mittleren Reich.
rnp.t-zp 30 3bd 3 3ḫ.t sw 7. jˁr nṯr r 3ḫt=f nswt-bjtj sḥtp-jb-rˁ sḥrj=f r p.t ẖnm m jtn ḥˁw-nṯr 3bḫ m jrj sw. jw ẖnw m sgr jb.w m gm.w rw.tj wr.tj ḫtmw šny.t m tp ḥr m3st pˁt m jm
Jahr 30, 3. Monat der Achet-Jahreszeit, 7. Tag. Der Gott stieg auf seinem Horizont, der König von Ober- und Unterägypten Sehetepibre (Amenemhet), er entfernte sich zum Himmel und vereinigte sich mit der Sonne, der Leib des Gottes vereinigte sich mit dem, der ihn geschaffen hatte. Die Residenz war in Schweigen und die Herzen waren in Schwäche, das große Doppeltor war geschlossen, der Hofstaat hatte den Kopf auf den Knien, die Adligen waren in Klage.
Quellen
↑Wolfgang Schenkel: Glottalisierte Verschlußlaute, glottaler Verschlußlaut und ein pharyngaler Reibelaut im Koptischen, Rückschlüsse aus den ägyptisch-koptischen Lehnwörtern und Ortsnamen im Ägyptisch-Arabischen. In: Lingua Aegyptia 10, 2002. S. 1-57 ISSN 0942-5659. S. 31 ff.
↑Eine andere Erklärtung hierfür bietet Christopher Ehret: Reconstructing Proto-Afroasiatic (Proto-Afrasian): Vowels, Tone, Consonants, and Vocabulary.University of California Publications in Linguistics 126, California, Berkeley 1996. ISBN 0520097998
↑W. Schenkel: Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift (siehe Literaturliste).
↑Siehe die Zusammenstellung der Verbalbildung bei E. Edel: Altägyptische Grammatik, §§ 424-445
↑zitiert nach Orel/Stolbova: Hamito-Semitic Etymological Dictionary (Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, Band 18), Brill Leiden 1995 ISBN 9004100512 Nr. 340-341
↑Zu den semitischen Fremdwörtern siehe Wolfgang Helck: Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr., (Ägyptologiesche Abhandlungen, Band 5) 2. Auflage, Harrassowitz, Wiesbaden 1971 ISBN 3-447-01298-6
↑Orel/Stolbova Nr. 336 (dort als urverwandt angesehen, was aber unwahrscheinlich ist, da das Wort erst im Neuen Reich und in Gruppenschreibung auftritt.)
↑Erman/Grapow: Wörterbuch der Ägyptischen Sprache (siehe Literaturverzeichnis), Bd. V S. 470