In der Musik bezeichnet man als Kastraten einen Sänger, dem zur Erhaltung seiner Sopran- oder Alt-Stimme vor dem Stimmbruch die Keimdrüsen, also beide Hoden, entfernt wurden, so dass in der Pubertät die Hormone fehlten, die beim unverstümmelten Heranwachsenden den Stimmwechsel herbeiführen. So erlangt der junge Mensch zwar die Größe eines Erwachsenen, behält aber seine Knabenstimme, mit der er später so kräftig singen kann wie ein Mann.Es wird auch der Penis abgeschnitten.
Geschichte
Kastraten waren im europäischen Musikleben des 17. und 18. Jahrhunderts beliebt und genossen oft hohes Ansehen. Zu den berühmtesten Kastraten des 18. Jahrhunderts zählen Senesino, Farinelli, Caffarelli und Antonio Bernacchi. Sie gehörten zu den ersten Superstars der Musik, ihr Genre war vorzugsweise die Oper.
Die Praxis der Kastration war jedoch durchaus mit Problemen verbunden: Knaben mussten schon früh (vor dem Einsetzen der Pubertät, siehe auch Stimmbruch) kastriert werden, um ein normales hormongesteuertes Wachstum zu verhindern. Zu diesem frühen Zeitpunkt konnte man natürlich nicht wissen, wie sich der betroffene Knabe stimmlich entwickeln wird - eine Kastration war alles andere als eine Garantie dafür, dass ein Junge später zu einem großem Sänger wird. So wurden zeitweilig tausende Knaben kastriert - in der Hoffnung darauf, dass sie später einmal auf den Bühnen der Welt stünden. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle wurde diese naive Hoffnung jedoch enttäuscht und die verstümmelten Männer hatten ein schweres Leben zu führen. Selbstverständlich waren es nach einer Kastration nicht allein die Stimmbänder, deren Wachstum anders verlief. Dem männlichen Körper fehlten in der entscheidenden Wachstumsphase wichtige Hormone: oft wurden sie überproportional groß und dick, waren Riesen mit einer mächtigen Kinderstimme. Auf der Bühne begeisterten sie oft das Publikum - im privaten Leben waren sie jedoch merkwürdige Zwitterwesen, die außerhalb ihrer künstlerischen Anerkennung wenig Zuneigung fanden. Die Kastration wurde zwar schon früh verboten, jedoch noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder angewendet. Obwohl sich auch Vertreter des katholischen Glaubens gegen die Kastration aussprachen, fanden gerade in kirchlichem Umfeld zahlreiche Kastraten eine Anstellung. 1922 starb mit dem päpstlichen Sänger Alessandro Moreschi einer der letzten Kastraten und der einzige, von dem Tondokumente erhalten sind.
20. Jh.
Seit der Abschaffung der Kastrationspraxis stellt die Besetzung von Männerrollen in Sopran- oder Altlage ein besonderes Problem für die Aufführung Alter Musik dar. Im 20. Jahrhundert war es lange üblich, solche Rollen in typische Männerlagen zu transponieren, um den von Werken des 19. Jahrhunderts geprägten Hörerwartungen zu entsprechen (→ Heldentenor). Mit der Entwicklung der Historischen Aufführungspraxis hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass eine Änderung der Stimmlage die Struktur der Musik beeinträchtigt – insbesondere etwa bei Liebesduetten in Barockopern, bei denen die beiden Stimmen oft in der gleichen Lage miteinander verwoben sind. Deshalb behilft man sich mit Frauenstimmen oder Countertenören, die aber mit ihrer Falsetttechnik sicherlich einen anderen Klang aufweisen als ein echter Kastrat. In wenigen Ausnahmefällen erhalten sich Männerstimmen auch ohne Kastration in Sopranlage. Diese männlichen Sopranisten sind vor allem für Alte Musik sehr gefragt.
Die Möglichkeiten digitaler Klangmanipulation wurden im Film (1994) über den Kastraten Farinelli angewandt, um aus den Stimmen einer Sopranistin und eines Countertenors eine synthetische Kastratenstimme zu mischen. Der sich ergebende Klangeindruck darf aber in seinem Realismus angezweifelt werden.
Kastraten als Thema in der Literatur
Im Buch Melodien von Helmut Krausser wird die fiktive Figur des Kastraten Pasqualini umfänglich beschrieben und besonders auf seinen Leidensweg und seine Stellung in der Gesellschaft eingegangen.
Siehe auch
- Eunuch
- Kastration
- Liste berühmter Sängerinnen und Sänger klassischer Musik - Kastraten sind dort ebenfalls aufgeführt
Literatur
- Richard Somerset-Ward: Angels & monsters: male and female sopranos in the story of opera, 1600 - 1900, Yale Univ. Press, 2004
- Hans Fritz: Kastratengesang: hormonelle, konstitutionelle und pädagogische Aspekte, Schneider, 1994