Die Salpetererunruhen im Hotzenwald
1. Einführung
In jeder Landschaft finden sich in der Geschichte ihrer Bewohner einige charakteristische Lebensformen und herausragende Ereignisse, die das Besondere dieser Region ausmachen und bis in die Gegenwart hinein die Gemüter bewegen. So deutet zum Beispiel im südlichen Schwarzwald die Salpeter-Siederei im Görwihler Heimatmuseum auf das bis etwa 1820 noch verbreitete Gewerbe des Salpeter-Siedens und zugleich auf die „Salpeterer-Unruhen“.
2.
Bäuerliche Selbstverwaltung - eine Besonderheit im Absolutismus
In der „Grafschaft Hauenstein“, einem Verwaltungsbezirk des ehemaligen Vorderösterreich, gab es damals noch, also im Jahre 1725, als die Unruhen begannen, eine Besonderheit in den absolutistisch regierten deutschen Staaten. Hier hatte sich eine Schicht „freier“ Bauern erhalten, die sich direkt und ausschließlich dem habsburgischen Kaiserhaus zugehörig wussten. Und es gab seit dem Mittelalter eine bäuerliche Selbstverwaltung auf dem „Wald“, wie damals der südliche Schwarzwald kurz genannt wurde. In acht Einungen, hatten zum Beispiel alle männlichen Einwohner das Recht, ihre Vertreter, die „Einungsmeister“, selbst zu wählen und diese wiederum besaßen eigene Rechte und Pflichten. Ihr „Redmann“, das war der jeweils gewählte Sprecher der Einungsmeister, saß sogar als Vertreter der Hauensteiner Einungen bzw. der „Landschaft“ neben den Städten und dem Adel mit Sitz und Stimme bei den Breisgauer Ständen in Freiburg. Die direkte Unterstellung unter das Kaiserhaus, das im Verwaltungsbezirk „Grafschaft Hauenstein“ durch den in Waldshut ansässigen Waldvogt vor Ort vertreten war, und die Einungsverfassung waren die zentralen Inhalte der Freiheit, für deren ungeschmälerten Erhalt sich die Bauern einsetzten. Sowohl die Herausbildung dieser Freiheiten als auch deren Ausgestaltung hatte mit jenen Freiheiten, die die Stedinger an der Unterweser (im dreizehnten Jahrhundert), die Friesen oder die Dithmarschen (im sechzehnten Jahrhundert) in harten Kämpfen verteidigten und dabei ganz oder teilweise verloren, wenig zu tun. Dennoch sind die Freiheiten von niedersächsischen, bayerischen und der schwäbisch-alemannischen Bauern im Südschwarzwald und in den Alpenregionen vergleichbar, wenn daran erinnert wird, dass sie sie von den jeweiligen Landesherren für besondere Leistungen erhielten: für Land, das dem Meer oder dem Wald abgerungen wurde, oder Freiheiten, die sie sich bewahrten, weil sie in den unwirtlichen Alpentälern siedelten und Alpenübergänge ermöglichen halfen. Auch für die freien Bauern und die bäuerliche Selbstverwaltung in der südwestlichen Schwarzwaldregion sind die Freiheiten, die sie sich bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein bewahrten, als Dank für Rodungsleistungen aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert zu betrachteten.
3.
Die "Freien" in den Einungen sahen Ihre Privilegien durch das Kloster St. Blasien bedroht
Görwihl war Hauptort der Einungen. Hier fanden vor dem Gasthaus „Adler“ die alljährlichen Einungsmeisterwahlen statt. Alle Einwohner waren auf diese Einungsverfassung stolz. Parallel hierzu hatten im Verlaufe von Jahrhunderten in der Grafschaft die Mönche des Klosters St. Blasiens in ihrem Zuständigkeitsbereich, dem „Zwing und Bann“, Bauern angesiedelt, die als Leibeigene das Land urbar machten. Das Kloster St. Blasien war von Generation zu Generation ein immer mächtigerer Grundherr geworden und hatte Leibeigenschaft und Hörigkeit in die Regionen der freien Bauernschaft u. a. um Görwihl, Hochsal oder Birndorf ausgedehnt. Klosterherrschaft einerseits und Einungswesen sowie freie Bauernschaft andererseits waren Konfliktpotenziale, die immer wieder zu hitzigen Auseinandersetzungen führten. Es sei nur an den Bauernkrieg erinnert, der in dieser Region seinen Ausgang nahm und in Kunz Jehle von Niedermühle einen seiner herausragenden Führer fand.
4.
Die Salpetererunruhen im 18. Jahrhundert
Auch am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts regte sich Widerstand. Einer, der Gefahren für Freiheit und Verfassung heraufziehen sah, war der Bauer und Salpeter-Sieder Hans-Friedolin Albiez aus Buch. Der damals schon über Siebzigjährige genoss großes Ansehen im Wald. Seine Agitation gegen das Kloster und für die „alten Rechte und Freiheiten“ fand Gehör. Und als im Mai 1727 die Bewohner der Grafschaft einem neuen Abt ein Treuegelöbnis ablegen sollten, verweigerten sie die „Huldigung“. Die Verweigerung der Huldigungsleistung gegenüber einer Obrigkeit aber galt als Aufstand. Es wurde Militär auf den Wald geschickt und in die Bauernhöfe einquartiert, so dass der Widerstand gegen die Huldigungsleistung rasch zusammenbrach. Der Salpeterer-Hans saß währenddessen in Freiburg im Breisgau, dem damaligen vorderösterreichischen Regierungssitz, im Gasthaus „Bären“ in Arrest. Dort starb er im September 1727. Andere Bauern übernahmen die Führung der Salpeterer, wie sie nun genannt wurden, und sorgten dafür, dass das Misstrauen gegen das Kloster und seine Bestrebungen, aber auch gegenüber der anderen Obrigkeiten nicht einschlief. Unter der Bauernschaft selbst bildeten sich Gruppen für und gegen die salpeterischen Bestrebungen und verschärften die Situation. Die den Salpeterern gegenüberstehenden Bauern nannte man nach den Namen der Anführer die “Tröndlinschen“ oder auch die „Ruhigen“. Die „Salpetererkriege“, wie sie hier und da auch genannt wurden, fanden darum auch überwiegend zwischen den gegnerischen Bauerngruppen statt – also jenen, die gegen den Ausverkauf alter Rechte und Freiheiten unüberhörbar Widerstand leisteten und den anderen, die zwar dasselbe wollten, aber andere „ruhige“ Wege beschreiten wollten, wie zum Beispiel sich frei zu kaufen. Als aber das Kloster sich 1738 entschloss, in den von den Einungen betriebenen Freikauf aller Bauern in den Einungsbezirken einzuwilligen und eine Volksabstimmung eine Mehrheit für den Loskauf erbrachte, wollten die salpeterisch gesonnenen Einungsgenossen nicht zahlen, als der Zahlungstermin heranrückte. Es kam sogar zu einem Treffen zwischen einem Bauernaufgebot der Unruhigen auf der einen und Militär auf der anderen Seite im Mai 1739 bei Etzwihl. Schüsse trieben die Bauern in die Flucht. Dieser zweite Salpetereraufstand endete mit Todesurteilen gegen einige Anführer. 1745 kam es zu zwei weiteren Unruheperioden. Im Frühling gab es sogar für zwei Wochen eine „Salpetererregierung“ in der Grafschaft, und im Herbst versuchten die Salpeterer zweimal, Waldshut zu stürmen, um dort einige inhaftierte Gesinnungsgenossen zu befreien. Diese Belagerung und versuchte Erstürmung von Waldshut und in diesem Zusammenhang stattfindende große nächtliche Schlägereien zwischen „Unruhigen“ und „Ruhigen“ oberhalb Schmitzingen bildeten einen vorläufigen Schlusspunkt der Salpetererunruhen. Es gärte aber "auf dem Wald" noch einige Jahre weiter. Erst mit der Deportation aller führenden Salpetererfamilien nach Ungarn erloschen die Unruhen zunächst. Sie fanden jedoch im neunzehnten Jahrhundert eine religiös legitimierte und stark veränderte Neuauflage.
5.
Die Salpeterer des neunzehnten Jahrhunderts
Auch diese neue widerständige Bewegung, deren Vertreter sich durchaus in der Tradition der ursprünglichen Salpeterer sahen, machte den Behörden zu schaffen. Inzwischen war dieser südliche Teil des Schwarzwaldes, die ehemalige „Grafschaft Hauenstein“, wie auch andere Teile Vorderösterreichs, an das neue Großherzogtum Baden gefallen. Die bis dahin katholischen Gebiete standen unter der Herrschaft eines evangelischen Großherzogs und seiner Verwaltung. Die Bewohner der Grafschaft, die am althergebrachten Kaiserhaus Habsburg hingen und sich mit ihm identifizierten, betrachteten die neue Regierung mit großem Misstrauen. Und die vielen Veränderungen, die der Wechsel der Zugehörigkeit mit sich brachte und die parallel liefen mit Veränderungen in Wirtschaft und Kultur, schufen Unruhe und provozierten Widerstand. Im neunzehnten Jahrhundert beschränkten sich die neuen „Salpeterer“ auf passive Formen des Widerstandes, wenn sie sich weigerten, ihre Kinder in die Schulen zu „unkatholischen“ Lehrern zu schicken oder nicht mehr in die Kirchen gingen, in denen Priester eines Reformkatholizismus (Wessenbergianismus) predigten. Mit der Zeit bröckelte dieser Widerstand. Nur ein harter Kern blieb übrig. Das waren auch damals die „Fundamentalisten“. Sie bildeten mit den Jahren eine sektenähnliche Vereinigung heraus, die erst im zwanzigsten Jahrhundert allmählich erlosch.
6.
Einige Bemerkungen zum Schluss.
Zu widerständigen Bewegungen in Deutschland
Wenn man beide widerständige Bewegungen auf ihre Gemeinsamkeiten prüft, dann besteht die größte Übereinstimmung darin, dass sich hier Personen beziehungsweise Personengruppen dagegen wehrten, dass sie von einer Obrigkeit gezwungen wurden, etwas zu tun oder zu lassen, was sie nicht wollten, weil es nach ihrer Überzeugung gegen Brauch und Herkommen war. Widerstands- und Protestbewegungen, die an überkommenen Verfassungen nichts geändert sehen möchten – ganz gleich ob es sich um politische, wirtschaftliche, kulturelle oder andere, das Alltagsleben berührende Gegebenheiten handelt – haben in Deutschland eine lange Tradition. Aber auch revolutionäre Bewegungen gab es, also Bestrebungen, die vorhandene politische und wirtschaftliche Machtverhältnisse abschaffen und erneuern wollten. Nur sehr selten führten sie zum Siege. Es unterlagen bis in die Gegenwart hinein meistens die Widerständigen gegen die staatlichen Gewalten, die das Militär zu ihrer Verfügung und die Gesetze auf ihrer Seite hatten und einsetzten. Noch eine Anmerkung: Die Salpetererunruhen waren keineswegs eine "revolutionäre" Bewegung. Sie lassen sich aber mit Fug und Recht einordnen in eine Geschichte der "Widerstandsbewegungen". Vgl. ausführlich dazu die Seiten auf der Homepage www.salpeterer.net
Zu den Salpeterunruhen in unserer "Erinnerungskultur"
In Görwihl, über dem Hochrheintal auf einer der nach Süden hin geneigten Sonnenterrassen des Schwarzwaldes gelegen, erinnert im Heimatmuseum eine Salpetersiederei an ein altes Handwerk und die widerständigen Bauern. Es kommen viele Besucherinnen und Besucher aus der näheren Umgebung, die noch nichts oder nichts Genaueres über die Salpeterer wissen. Dabei sind schon einige Bücher über die Salpeterer geschrieben worden. Und in den vergangenen Jahren forschten David M. Luebke an der University of Oregon in den USA und Tobias Kies an der Universität Bielefeld über die Salpeterer. Die Salpeterer sind also bis in die Gegenwart hinein für die historische Forschung interessant. Dass sich aber nicht nur Wissenschaftler für die Salpeterer interessieren, das zeigen uns die Bemühungen von Heimatkunde und Brauchtumspflege, die aus gegebenen Anlässen Salpeterer in Szene setzen. Auch Straßennamen, Gedenksteine, Gaststättennamen und sogar Fastnachts- und Musikvereine erinnern mit Namen und Aktivitäten an diese widerständige Bauernbewegung im Hotzenwald. Es sind außerdem Romane und Schauspiele über die Salpeterer geschrieben worden. In den Jahren 2004 und 2005 zum Beispiel wurde auf der Freilichtbühne am Klausenhof in Herrischried „Der Salpetererhans“ von dem Mundartdichter Markus Manfred Jung mit großem Erfolg aufgeführt. Im Sommer 2005 kam ein Spiel um den Salpetererhans auch auf der Freilichtbühne des Gasthauses Engel in Buch zur Uraufführung. Dieses, in mehreren Aufführungen stets ausverkaufte Schauspiel, das von der Dichterin Frau Christa Kapfer aus Steinen im Wiesental geschrieben und von einer großen Zahl engagierter Bürgerinnen und Bürger aus Buch gespielt wurde, trug - nach Ansicht der örtlichen Presse - viel zum Verständnis der Salpeterergeschichte unter der Bevölkerung bei. Auch 2006 wurde anlässlich der Waldshuter "Chilbi" in einem Heimatspiel der Salpeterer gedacht.
Immerhin deutet das zunehmende Interesse an der Salpetererthematik darauf hin, dass Fachleute und Laien gleichermaßen daran interessiert sind, diese regional wie überregional bedeutsame Bewegung aufzuhellen. Eine sehr ausführliche Darstellung der Rezeption der Salpetererunruhen bis in die Gegenwart befindet sich ebenfalls auf der Homepage "www.salpeterer.net"