Die Vegetabilgerbung (auch pflanzliche Gerbung, Lohgerbung, Altgerbung, Rotgerbung) bezeichnet die Gerbung von Häuten mit pflanzlichen Tanninen, wodurch pflanzlich gegerbtes Leder entsteht.
Eigenschaften
Vegetabil gegerbtes Leder besitzt eine braune bis rötlich-braune Farbe und ist aufgrund des Gerbstoffanteils von bis zu 30 % schwerer und fester als andere Leder.[1] Die Molmasse der verwendeten pflanzlichen Gerbstoffe liegt zwischen 500 und 3000 g/Mol.[2] Niedrigere Molmassen von Tanninen weisen eine schwächere Gerbwirkung auf, höhere eine zu geringe Diffusion in die innere Schicht der Haut.[2] Dennoch sind die Polyphenole unter 500 g/Mol wichtig für die Solubilisierung der Gerbstoffe, da die größeren Polyphenole relativ hydrophob sind und wenig wasserlöslich.[2] Die Bindung der Gerbstoffe an die Kollagenfasern der Haut erfolgt über hydrophobe Wechselwirkungen sowie über Wasserstoffbrückenbindungen mit den Carbonylgruppen des Peptid-Rückgrats des Kollagens.[2]
Zwei Arten von Tanninen werden zur Vegetabilgerbung verwendet, die hydrolysierbaren Pyrogallolgerbstoffe (Gallotannine und Ellagitannine) und die kondensierten Pyrocatechingerbstoffe. Beide gehören zu den Polyphenolen. Die Reaktivität von Tanninen äußert sich in einer Adstringenz.[2] Die Adstringenz kann durch Fällung einer Gelatinelösung gemessen werden.[2] Gallotannine sind adstringenter als Ellagitannine.[2] Die hydrolysierbaren Tannine erzeugen im Leder eine Schrumpfungstemperatur in wässriger Lösung < 80 °C,[2] die kondensierten bis 85 °C.[1] Zudem basiert die Gerbungswirkung der hydrolysierbaren Tannine ausschließlich auf Wasserstoffbrückenbindungen und ist durch Chaotrope oder manche organischen Lösungsmittel reversibel, während bei kondensierten Tanninen nur 90 – 95 % entfernbar sind, da teilweise eine kovalente Bindung mit der ε-Aminogruppe der Aminosäure Lysin im Kollagen entsteht.[2] Die hydrolysierbaren Tannine sind lichtechter als die kondensierten Tannine, welche durch die räumliche Nähe der Benzolringe zur oxidativen Kupplung der aromatischen Gruppen und somit zur Rotfärbung neigen.[2] Die hydrolysierbaren Tannine weisen nach Hydrolyse Carboxygruppen auf, die den pH-Wert des Leders puffern und weniger anfällig für Änderungen pH-Werts machen (wie Roter Zerfall), weshalb sie für Archivierungszwecke bevorzugt werden.[2]
Die Reaktivität kann über zwei Wege gesteigert werden. Zum Einen nimmt sie zu, wenn der pH-Wert von 2,5 auf 3,5 – 4,5 angehoben wird.[2] Zum Anderen können die Tannine (vor allem die weniger wasserlöslichen kondensierten Tannine) durch Behandlung mit Natriumbisulfit sulfonyliert werden, wodurch die Wasserlöslichkeit zunimmt.[2] Wenn die Diffusion groß ist (bei niedriger Gerbstoffkonzentration), sinkt die Reaktivität, was in guter Durchdringung, aber schlechter Fixierung des Gerbstoffs im Leder resultiert. Und wenn die Reaktivität groß ist (bei hoher Gerbstoffkonzentration), sinkt die Diffusion, was in einer geringen Durchdringung und schlechter Gerbung der inneren Schicht des Leders resultiert.
Tanninquellen[2]
Pflanze | Tanninquelle | Tannintyp | Polyphenole 500 – 3000 g/mol | Polyphenole < 500 g/mol | Gerbstoff |
---|---|---|---|---|---|
Kastanien | Holz | hydrolysierbar | 5–15 % | 1–2 % | Castalagin, Vescalagin |
Myrobalan | Nüsse | hydrolysierbar | 25–48 % | 14–17 % | Chebulinsäure |
Sumachgewächse | Blätter | hydrolysierbar | 22–35 % | 14–15 % | |
Eichen | Holz | hydrolysierbar | 4–10 % | 1–2 % | |
Eichen | Rinde | kondensiert | 6–17 % | 5–6 % | |
Quebracho | Holz | kondensiert | 14–26 % | 1–2 % | |
Mimose | Rinde | kondensiert | 22–48 % | 7–8 % | |
Mangrove | Rinde | kondensiert | 16–50 % | 9–15 % |
In Europa werden neben Fichten- und Eichenrinde auch andere Quellen für Tannine verwendet, wie Kastanienrinde, Galläpfel, Pflanzengallen, Olivenbaumblätter, Rhabarberwurzel. In anderen Regionen werden auch Myrtenblättriger Gerberstrauch, Notholithocarpus densiflorus, Akazien (Gerberakazie), Hemlocktannen, Quebracho, Divi-Divi-Baum und Sumachgewächse verwendet.
Vergleich zur Chromgerbung
- Der Gerbstoff ist ein nachwachsender Rohstoff.
- Geschwindigkeit: Die Chromgerbung dauert weniger als 24 Stunden im Gegensatz zu mehreren Monaten bei der pflanzlichen Gerbung.[1]
- Stabilität gegenüber Wasser und Hitze: mit der Chromgerbung ist eine Schrumpftemperatur von 110 °C erreichbar im Vergleich zu maximal 85 °C bei der pflanzlichen Gerbung, je nach pflanzlichem Gerbstoff.[1]
- Wenig modifiziertes Kollagen: chromgegerbtes Leder enthält 4 % Cr2O3 im Vergleich zu 30 % Tannine, wodurch das pflanzlich gegerbte Leder steifer wird und weniger Anwendungsmöglichkeiten erlaubt.[1] Umgekehrt wird pflanzlich gegerbtes Leder verwendet, wo hohe Festigkeiten notwendig sind.
- Hydrophobierung: chromgegerbtes Leder ist wasserabweisender als pflanzlich gegerbtes Leder, wodurch eine Hydrophobierung leichter zu erreichen ist.[1]
- Helle Farbe: die helle Farbe chromgegerbten Leders erlaubt ein Färben mit hellen Farbtönen. Zudem wirkt Chrom(III) als Mordant bei der Fixierung von Farbstoffen im Leder.[1]
- Lichtechtheit: je nach verwendetem Tannin (vor allem kondensierte Tannine) dunkeln pflanzlich gegerbte Leder nach.[1]
Geschichte
Die pflanzliche Gerbung wird seit prähistorischen Zeiten verwendet.[2] In der Altgrubengerbung wurden Häute abwechselnd mit Gerberlohe aus Fichten- oder Eichenrinde in Gruben geschichtet, die mit Wasser aufgefüllt wurden, und „ein Jahr und ein Tag“ stehengelassen.[2] Gelegentliches Walken beschleunigte den Gerbvorgang. Die zur Gewinnung genutzten Wälder wurden auch als Lohwälder bezeichnet; zur Zerkleinerung wurden oft sogenannte Lohmühlen betrieben. Im europäischen Mittelalter wurde insbesondere die Stieleiche für Gerberzwecke in sogenannten Lohwäldern kultiviert. Die gerbstoffhaltige Rinde der Bäume wurde mit dem sogenannten Lohlöffel abgeschält (das mittelhochdeutsche Wort lo bezeichnet abreißen, schälen, löchern) und in Lohmühlen verbracht, wo sie zur schließlichen Lohe zermahlen wurde. Diese Mühlen befanden sich meist in direkter Nähe von Gerbereien und geben bis heute Straßen und Plätzen in deutschen Städten ihren Namen. In der Kölner Innenstadt etwa erinnern Rothgerberbach, Blaubach und Mühlenbach an Lohmühlen, die ihre Rinde über den Rheinauhafen bezogen haben. Ein Teil des Marktviertels nannte sich bereits im 12. Jahrhundert Lohmarkt. Andere Beispiele sind die Lohmühleninsel am Landwehrkanal in Berlin-Kreuzberg, wo seit 1750 Lohe erzeugt worden war, und der Stadtteil Löbervorstadt in Erfurt. Auch Familiennamen wie Lohmann, Lohmüller, Löhrer, Loher, Löhr oder Luerer gehen auf dieses Handwerk zurück. Die ausgelaugte Lohe wird gepresst als Lohkäse bezeichnet und wurde als Brennstoff oder Düngemittel verwendet.
Heutzutage werden Häute in der Grubengerbung mit vier oder mehr Gruben im Gegenstromprinzip gegerbt, bei dem die frisch angesetzte Gerbstofflösung (Extrakt, Brühe) für Häute verwendet werden, die am meisten Gruben durchlaufen haben und bereits am stärksten gegerbt sind und umgekehrt.[2] Die frischen Häute erhalten die Gerbstofflösungen, die schon in allen anderen Gruben verwendet wurden, sodass die Tanninkonzentration dort am niedrigsten ist und besser in die mittlere Schicht der Haut eindringen kann.[2]
Literatur
- Fritz Stather: Gerbereichemie und Gerbereitechnologie, 4. Auflage, Akademie Verlag, Berlin 1967.
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h Tony Covington: Tanning Chemistry, Kapitel 11: Mineral Tanning: Chromium(III). Royal Society of Chemistry, Cambridge, 2009. ISBN 978-0-85404-170-1, S. 204ff.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r Tony Covington: Tanning Chemistry, Kapitel 13: Vegetable Tanning. Royal Society of Chemistry, Cambridge, 2009. ISBN 978-0-85404-170-1, S. 281ff.