Albert Pierrepoint
Albert Pierrepoint (* 30. März 1905 Clayton, Bradford; † 10. Juli 1992 Southport) war Henker in Großbritannien. Traditionell waren Henker in Großbritannien seit Ende des 19. Jahrhunderts keine Staatsangestellten; so erhielt auch Pierrepoint nur ein fixes Handgeld pro Hinrichtung und verdiente seinen Lebensunterhalt anfänglich als Auslieferungsfahrer eines Gemüsegroßhändlers, später als Gastwirt in Oldham (bei Manchester) und Hoole (bei Chester). Seinen Ruhestand verlebte er in Southport, zuletzt in einem Pflegeheim.
Leben
Vor Albert, der 1932 auf die berühmte geheime „Liste von Personen, die befugt sind, Hinrichtungen vorzunehmen“ der „Prison Commission“ gesetzt wurde, hatten schon zwei weitere Angehörige seiner Familie diesen Beruf ausgeübt: Sein Vater Henry Pierrepoint und sein Onkel Thomas Pierrepoint. Henry wurde von der Liste gestrichen, als er einmal ziemlich betrunken bei einer Hinrichtung erschien und seinen Assistenten John Ellis tätlich angriff, Thomas war der älteste Henker Großbritanniens, der noch im Alter von 75 Jahren tätig war. Albert Pierrepoint aber wurde der bekannteste Vertreter seine Familie in diesem nicht alltäglichen Beruf.
Pierrepoint sah seine Hauptaufgabe so wie viele seiner Amtsvorgänger darin, den Verurteilten möglichst schnell hinzurichten. Einerseits wurde damit die Todesangst des Delinquenten abgekürzt, andererseits bestand weniger Gefahr, dass der Verurteilte sich zur Wehr setzte. Die in Großbritannien übliche Hinrichtungsmethode des "long drop", also des "langen Falls", führte, wenn die Fallhöhe richtig berechnet war und der Strick sachgerecht plaziert war, auch sofort zum Tod. Pierrepoint legte bei manchen Hinrichtungen eine angezündete Zigarre in einen Aschenbecher im Aufenthaltsraum, die er nach seiner Rückkehr vom Schafott weiterrauchen konnte - so schnell ging die ganze Prozedur vor sich. Seinen eigenen Aussagen nach hatte er nur zweimal Probleme mit dem Verurteilten, sprich, diese setzten sich zur Wehr. "Aber das waren beide Ausländer, die Briten gingen immer ohne Wirbel, ohne Kampf!" streut Pierrepoint in seinen Memoiren seinen Landsleuten Rosen.
Durch seinen Einsatz bei den Kriegsverbrecherverfahren in Deutschland nach 1945 wurde er - entgegen der herrschenden Praxis und den Vorgaben der britischen Justiz - auch zum prominentesten Henker Großbritanniens im 20. Jahrhundert, da die Medien groß über ihn berichteten. Alle anderen „executioner“ (das oftmals ebenfalls verwendete Wort "hangman" war negativ besetzt) vor ihm lebten meist anonym - und wie freigegebene Unterlagen im britischen Staatsarchiv zeigen, meist in geordneten Familienverhältnissen - und outeten sich, wenn überhaupt, erst nach Niederlegung ihres Amtes. Von 1932 bis 1956 im Dienst, soll er 433 Männer und 17 Frauen gehängt haben, darunter (in Shepton Mallet) auch amerikanische Soldaten, die wegen Mord und Vergewaltigung an englischen Zivilpersonen verurteilt worden waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg hängte er über 200 deutsche Kriegsverbrecher, die durch die britische Militärjustiz im besetzten Deutschland bzw. Österreich verurteilt wurden.
Pierrepoint wird als „Brite vom alten Schlag“ beschrieben, tatkräftig und mit Sinn für Humor. Als er durch seine Einsätze in Deutschland und Österreich nach 1945 zu relativem Wohlstand gelangte, gab er seinen Job als Auslieferungsfahrer auf und wurde Gastwirt. Als Wirt des Pubs „Help the poor struggler“ in Hollinwood nahe Manchester wurden er und sein Lokal zum Ausflugsziel so mancher Busladung Touristen, die sich mit ihm fotografieren lassen wollten („to struggle“ wird im Englischen auch verwendet für „strampeln“ oder „baumeln“, und in diesem Kontext war der Name seines Pubs sehr treffend gewählt.....).
Wenn er nicht in seinem Pub hinter der Theke stand, vollstreckte Pierrepoint Urteile der ordentlichen Gerichte. Hier eine Auswahl der von ihm Gehängten:
- Am 13. Dezember 1945 13 deutsche Kriegsverbrecher: Irma Grese (22), Elisabeth Volkenrath, Johanna Bormann (alle drei KZ-Wärterinnen) und zehn männliche Todeskandidaten, unter ihnen Josef Kramer, Kommandant des Konzentrationslagers Bergen-Belsen.
- Im September 1946 hängte Pierrepoint in Graz (Österreich) mehrere Kriegsverbrecher. Er lernte bei dieser Gelegenheit den "Österreichischen Würgegalgen" kennen und war entsetzt. So unterwies er die österreichischen Henker in seiner Methode des "long drop". Als die österreichischen Gefängnisbehörden an der "alten" Methode festhalten wollten, traten die österreichischen Henker in den Streik (!), bis die britische Methode zugelassen wurde.
- Michael Manning († 20. April 1954), der letzte in der Republik Irland hingerichtete Straftäter.
- James Inglis, 1951 von Pierrepoint gehängt, kann für sich in Anspruch nehmen, der am schnellste gehängte Straftäter aller Zeiten zu sein. Pierrepoint brauchte für seine Hinrichtung nur 7 (!) Sekunden.
- Ruth Ellis war die letzte Frau, die in Großbritannien gehängt wurde († 13. Juli 1955). Die Mutter zweier kleiner Kinder hatte ihren Liebhaber erschossen. Das Verfahren löste eine Massenbewegung gegen die Todesstrafe aus. Um Gerüchten entgegen zu wirken, sprach Pierrepoint aber später auch über diese Hinrichtung und stellte klar, dass Ellis ihre Strafe voll akzeptiert hatte (sie hatte sich vor Gericht auch zu ihrer Tat bekannt).
- Im Jahr 1946 der im englischsprachigen NS-Propagandaradio als Lord Haw-Haw bekannt gewordene Verräter William Joyce. Joyce war eigentlich US-amerikanischer Staatsbürger und hätte deswegen eigentlich nicht wegen Verrats angeklagt werden können, er hatte sich aber einen britischen Pass erschlichen und dies genügte, um ihn als Verräter an Großbritannien zu hängen.
- 1953 Derek Bentley, dessen Verurteilung wegen des Mordes am Polizisten Miles umstritten war, und für dessen Freilassung sogar 200 Mitglieder des britischen Unterhauses, die Witwe Miles' und die Geschworenen des Prozesses plädierten. Bentley erhielt 1993 eine postume Begnadigung; das Urteil gegen ihn wurde 1998 aufgehoben.
- Timothy John Evans, erhängt am 9. März 1950 für die Ermordung seiner Tochter. Als wahrer Täter stellte sich der nekrophile Nachbar John Reginald Christie (hingerichtet von Albert Pierrepoint 1953) heraus. Timothy Evans wurde 1966 postum freigesprochen.
1956 trat Albert Pierrepoint von seinem Amt als Britain's Chief Executioner zurück. Auslöser seiner Entscheidung war die nicht erfolgte Bezahlung für eine angesetzte Hinrichtung. Der Verurteilte Thomas Bancroft wurde kurz vor der Vollstreckung begnadigt, als Pierrepoint bereits durch ein winterliches England mit vielen Mühen zur Hinrichtung angereist war. Es war das erste Mal, dass ein Todeskandidat so kurz vor dem Termin begnadigt wurde und es gab daher keine Richtlinien, wie in einem solchen Fall zu verfahren war. Nur eines stand fest: in England - im Gegensatz zu Schottland - wurden die Henker nur für durchgeführte Hinrichtungen bezahlt. Daher bot der zuständige Beamte von Lancashire Pierrepoint statt der vollen £15 Honorar (nach heutigem Geldwert ca. 600 Pfund bzw. 900 Euro) zunächst ein Pfund für seine Unkosten, später vier Pfund, was Pierrepoint als Beleidigung auffasste. Denn er hatte nicht nur eine waghalsige Reise über verschneite Straßen hinter sich, sondern er musste auch - da er mangels Hinrichtung nicht im Gefängnis übernachten konnte - in ein Hotel ausweichen, da eine Rückfahrt in der Nachr zu gefährlich war. Er wandte sich mit einem Schreiben an die "Prison Commission", aber diese wollte sich nicht einmischen, da die Bezahlung Sache der lokalen Gefängnisverwaltung war. Nach Erhalt seines Rücktrittsschreibens versuchte die Prison Commission zwar (bis dahin einmalig), ihn wieder zur Aufnahme seines Amtes zu bringen - so groß war inzwischen seine Reputation als effizienter und zuverlässiger Henker geworden - aber Pierrepoint lehnte ab. Nicht zufällig ist 1956 das einzige Jahr vor der Abschaffung der Todesstrafe, in dem keine Hinrichtung stattfand.
Pierrepoint wird oft als letzter Henker Großbritanniens bezeichnet. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen, da Todesurteile in Großbritannien bis zum 13. August 1964 vollstreckt wurden. An diesem Tag starben zwei wegen Raubmords Verurteilte zeitgleich am Galgen. Er war jedoch der letzte offizielle oberste Henker des Landes.
Gegner der Todesstrafe?
Ironischerweise scheint es, dass sich Pierrepoint vor allem gegen Ende seiner Karriere zu einem Gegner der Todesstrafe wandelte. Aus Erfahrung wusste er, dass Begnadigungen von Todeskandidaten meist nur das Ergebnis politischen oder öffentlichen Drucks waren, ohne dass ein Zusammenhang mit dem konkreten Fall bestand und die soziale und gesellschaftliche Stellung eines Verurteilten starken Einfluss auf eine Begnadigung hatte. Außerdem musste er am 28. November 1950 James Corbitt hinrichten, der regelmäßiger Besucher seines Pubs war. Noch am Abend bevor Corbitt aus Eifersucht seine Freundin umbrachte, hatte Pierrepoint mit ihm ein Duett gesungen. Pierrepoint betonte zwar immer, dass er Corbitt nicht näher kannte und ihm nicht einmal sein Familienname ein Begriff war (was logisch erscheint, weil er sonst Mittel gehabt hätte, diesen "Job" nicht ausführen zu müssen) und Corbitt nur ein Gast in seinem Pub war, trotzdem weckte Corbitts Hinrichtung in Pierrepoint die Überzeugung, dass die Todesstrafe keine Abschreckung darstellte. Diese Ansicht des Henkers wurde dadurch bestärkt, dass die meisten von ihm gehenkten Mörder ihre Tat in der »Hitze des Augenblicks« begangen hatten, und nicht aus Vorsatz oder als Raubmord (siehe auch Mord).
Pierrepoint blieb seiner Meinung treu, die er auch in seiner 1974 veröffentlichten Autobiografie vertritt:
- »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Hinrichtungen zwecklos sind. Sie sind lediglich ein antiquiertes Relikt eines primitiven Verlangens nach Rache, das es sich einfach macht und die Verantwortung für die Rache auf andere überträgt.«
Werke
- Executioner: Pierrepoint – Harrap, 1974. – ISBN 0340717017 (Autobiographie)
Filme
Das Leben von Albert Pierrepoint wurde im Jahr 2005 unter dem Originaltitel »The last hangman« (Der letzte Henker, siehe Weblink) verfilmt. Der Filmtitel ist historisch gesehen falsch. Denn – wie schon erwähnt – beendete Pierrepoint seine Tätigkeit bereits vor Abschaffung der Todesstrafe in Großbritannien. Der Filmtitel wurde später in »Pierrepoint« geändert. Der britische Regisseur Adrian Shergold wurde am 11. Juni 2006 auf dem 17. Internationalen Filmfest in Emden-Aurich-Norderney für diesen Film mit dem »Bernhard Wicki Preis« ausgezeichnet. Im Film wird Pierrepoint von Timothy Spall dargestellt.
Der Film selbst ist eine düstere Darstellung des Lebens von Pierrepoint, mit dunklen Bildern und expliziter Darstellung von Hinrichtungen. Exzellent gelungen ist die Ausstattung und die Wahl der Kostüme; historisch gesehen ist der Film nicht unbedingt akkurat; wer Pierrepoint's Biografie gelesen hat, merkt schnell, dass einige Daten und Fakten unrichtig wiedergegeben sind. Insbsondere die im Film dargestellte Freundschaft zu James Corbitt (siehe oben) ist frei erfunden und diente wohl nur dazu, um die "Läuterung" von Pierrepoint zum Gegner der Todesstrafe besser darstellen zu können.
Weblinks
- http://www.pierrepoint.co.uk/albert.htm
- http://www.imdb.com/title/tt0462477/ Film "The last hangman" auf IMDb
- BBC: How Britain made its executioners (engl.)
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Pierrepoint, Albert |
| KURZBESCHREIBUNG | Henker in Großbritannien |
| GEBURTSDATUM | 1905 |
| GEBURTSORT | Clayton |
| STERBEDATUM | 10. Juli 1992 |
| STERBEORT | Southport |