Marktversagen

Begriff aus der Wohlfahrtsökonomik
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Der Begriff Marktversagen bezeichnet in der volkswirtschaftlichen Wohlfahrtstheorie in einem allokationsfunktionalen Modell eine Marktsituation, in der es einem sich selbst überlassenen Markt nicht gelingt, die Ressourcen (u. a. Arbeit, Kapital) effizient zuzuteilen. Dabei wird der Markt als zweckgebundener Funktionsträger für Ressourcenallokation verstanden.

Diskurse außerhalb der Ökonomie lösen aus politischen oder soziologischen Motiven häufig den theoretischen Begriff Marktversagen aus seiner modellkonsistenten Bedeutung heraus.

Bedeutung des Modells und Voraussetzungen

Durch den Preismechanismus kommt es in einem – modellhaft angenommenen – vollkommenen Markt normalerweise zu einem Marktgleichgewicht, das eine effiziente Allokation der Ressourcen herbeiführt.

Eine Situation wird dann als effizient bezeichnet, wenn sie pareto-optimal ist, d. h. es keine Möglichkeit gibt, die Ressourcen so zu verteilen, dass mindestens einer besser gestellt wird, ohne gleichzeitig andere schlechter zu stellen.

Weitere Voraussetzungen (zusätzlich zum vollkommenen Markt) für die Herausbildung eines effizienten Marktgleichgewichts und der damit verbundenen effizienten Allokation sind:

  1. vollständige Konkurrenz, keine Seite darf über Marktmacht verfügen
  2. Marktergebnisse berühren nur Käufer und Verkäufer, keine Dritten.
  3. Universalität: Alle knappen Güter gehören jemandem
  4. Exklusivität: ausschließbare Verfügungsrechte
  5. Transferierbarkeit: übertragbare Verfügungsrechte

Darüber hinaus müssen alle Marktteilnehmer vollständig über alle relevanten Faktoren informiert sein, also zum Beispiel über die Qualität eines Gutes.

In der Realität werden diese Voraussetzungen selten vollständig erfüllt und damit gibt es Gründe zur Annahme, dass der Markt bei der effizienten Güterallokation versagt.

Ursachen für Marktversagen

Asymmetrische Informationen

Wenn die potenziellen Vertragspartner in einem Markt nicht über annähernd gleiche Informationen verfügen, z. B. in Hinblick auf die Eigenschaften angebotener Ware, so kommt es zu einer ineffizienten Ressourcenallokation oder auch dazu, dass die schlechter informierten Marktteilnehmer benachteiligt werden. Qualitätsunsicherheit ist ein Beispiel für asymmetrische Information.

In Extremfällen kann es zu einem vollständigen Marktzusammenbruch kommen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist das des Markts für Gebrauchtwagen, das sogenannte Saure-Gurken-Problem, das von George A. Akerlof entwickelt wurde. Darüber hinaus beschäftigt sich die Informationsökonomie mit der Bedeutung, welche Informationen für einen effizienten Marktprozess haben.

Aus der elementaren Notwendigkeit von Markttransparenz für das Funktionieren von Märkten kann eine Begründung für bestimmte Regulationen und Institutionen abgeleitet werden. So übernehmen zum Beispiel die Stiftung Warentest und Verbraucherschutzzentralen die ökonomische Aufgabe, die Benachteiligung schwächerer Marktteilnehmer (hier: Konsumenten) und Marktversagen aufgrund unzureichender Information zu verhindern. Dem Verbraucherschutz dienen auch Teile des AGB-Gesetzes und der Wirtschaftsgesetzgebung, welche die Desinformation von Konsumenten und anderen Marktteilnehmern verbieten.

Öffentliche Güter

Märkte versagen i. d. R. bei der pareto-effizienten Bereitstellung öffentlicher Güter. Öffentliche Güter sind durch (weitgehende) Nichtrivalität im Konsum und (i. d. R.) Nichtausschließbarkeit vom Konsum gekennzeichnet. So ist zum Beispiel die Landessicherheit ein öffentliches Gut – es wird gleichzeitig von allen in einem Land Ansässigen konsumiert, ohne dass der Konsumnutzen jedes Einzelnen durch den Konsum anderer Individuen beeinträchtigt wird. Gleichzeitig kann kein einzelnes Individuum davon ausgeschlossen werden.

Die private (d. h. über Märkte oder ähnliche auf Freiwilligkeit beruhende) Bereitstellung derartiger Güter leidet unter Trittbrettfahrerverhalten, welches darin besteht, das Gut von den anderen bereitstellen zu lassen, um dann in den kostenfreien Genuss des Gutes zu kommen. Auch wenn insgesamt u. U. eine hinreichend große Zahlungsbereitschaft vorhanden wäre, käme aufgrund der Nichtausschließbarkeit dennoch keine kaufwirksame Marktnachfrage nach diesem Gut zustande.

Aufgrund des Versagens dezentraler Allokationsmechanismen für öffentliche Güter wird oft deren gesellschaftlich organisierte (i. d. R. also staatliche) Bereitstellung gefordert. Zwar kann der Staat durch Rückgriff auf Steuern und ähnliche Zwangsmittel die Finanzierung öffentlicher Güter sicherstellen. Ungelöst bleibt aber die Festlegung einer effizienten Bereitstellungsmenge für das öffentliche Gut. Um diese bestimmen zu können, sind Informationen über die individuellen Wertschätzungen (Zahlungsbereitschaften) unerlässlich. Die zuverlässige Erhebung derartiger Informationen ist aber schwierig oder gar unmöglich (so genanntes Gibbard-Satterthwaite-Theorem), jedenfalls aber mit Informationsbeschaffungskosten verbunden, welche das Erreichen einer effizienten Allokation be- oder verhindern. Im Übrigen verursacht jeder zusätzliche Konsum dieses Gutes Grenzkosten von Null, ein Ausschluss zusätzlicher Nutzer bedeutet damit Pareto-Ineffizienz, da umgekehrt aufgrund des nichtrivalisierenden Konsums ein höheres Nutzenniveau erreicht werden kann.

Externe Effekte

Eine Ursache, durch die es zu Marktversagen kommen kann, sind externe Effekte, also alle Fälle, in denen das Handeln der Marktteilnehmer (negative oder positive) Auswirkungen auf andere hat (beispielsweise also die Abgase des Autofahrens (negativ) oder die Verschönerung eines Gebäudes, die auch die umliegenden Gebäude aufwertet (positiv)). Die Interessen dieser Dritten werden von den am Markt handelnden Parteien nicht berücksichtigt, so dass die Zuteilung der Ressourcen volkswirtschaftlich betrachtet nicht mehr effizient ist: Da die Auswirkungen auf Dritte, die sich nicht wehren können, nicht in das Preiskalkül von Anbieter und Nachfrager einbezogen werden, haben sie keinen Einfluss auf den Preis, auch wenn die Dritten bereit wären, Geld für den Nichtabschluss (negative externe Effekte) oder Abschluss (positive externe Effekte) zu bezahlen.

Allerdings kann durch das Coase-Theorem gezeigt werden, dass es unter engen Voraussetzungen (klare Zuordnung von Eigentums- bzw. Verfügungsrechten, vollständige Rationalität, keine Transaktionskosten) zu Verhandlungen am Markt kommt, die zu einer Internalisierung (= Mitberücksichtigung) der externen Effekte durch die Marktteilnehmer führen. Nicht möglich sind diese Verhandlungen jedoch mit Marktteilnehmern, die es noch gar nicht gibt, aber zu denen Kosten (z. B. den für Umgang mit Nuklearmüll) in die Zukunft externalisiert wurden.

Marktmacht (Monopole)

Monopole sind in der Lage, Marktpreise zu bestimmen. Ein gewinnmaximierender Monopolist bietet seine Produkte zu Preisen an, die über den Grenzkosten liegen (Cournotscher Punkt). Eine effiziente Bereitstellung von (privaten) Gütern liegt vor, wenn der die Zahlungsbereitschaft für die letzte bereitgestellte Einheit den Grenzkosten ihrer Produktion entspricht. In einem Monopol ist diese Bedingung verletzt, da die Zahlungsbereitschaft für die letzte konsumierte Einheit gleich dem (über den Grenzkosten liegenden) Monopolpreis ist. Dieses Phänomen tritt nicht auf, wenn der Monopolist in der Lage ist, vollständige Preisdiskriminierung durchzuführen. In einer solchen Situation wird ein pareto-optimaler Zustand erreicht, bei dem der Monopolist aber die gesamte Konsumentenrente abschöpft.

Da positive Skaleneffekte zu einem natürlichen Monopol führen können, sind sie auch mögliche Ursache von Marktversagen, was staatliche Eingriffe begründen kann.

Ethische Aspekte

Das wirtschaftstheoretische Verständnis von Marktversagen und seiner Behebung widerspricht jedoch in manchen Bereichen der Vorstellung der Menschen, da es viele Bereiche nicht thematisiert, die umgangssprachlich als Marktversagen bezeichnet werden. Beispielsweise wäre ein freier Markt nicht in der Lage, der ganzen Bevölkerung eine ausreichende Gesundheitsversorgung zu garantieren, da der ärmere Teil der Bevölkerung nicht in der Lage ist, für diese Versorgung zu bezahlen. Hier liegt aber kein Fall des Marktversagens vor, da die Ressourcenverteilung effizient ist (Die Situation ist pareto-optimal, da niemand besser gestellt werden kann (ein armer Mensch wird versorgt), ohne dass jemand anderer schlechter gestellt wird (ein anderer muss dafür zahlen)).

Die von vielen Menschen gewünschte soziale Gerechtigkeit betrifft nicht unmittelbar das Marktgeschehen und wird von dem hier als Maßstab zu Grunde liegenden Pareto-Prinzip nicht thematisiert. Der umstrittene Wirtschaftsethiker Peter Ulrich spricht von einem vitalpolitischen Marktversagen, wenn der Markt nicht die von der Bevölkerung erwünschten Resultate produziert. Dieses Konzept verwechselt Kritikern zufolge ökonomische Einzelmärkte mit einem gesamtgesellschaftlichen Marktbegriff. Daher fehle es ihm an theoretischer Präzision, da keine eindeutigen Kriterien benennbar seien, die Eingriffe erforderlich machen und überdies unklar bleibe, welche Eingriffe hier erfolgreich sein können.

Marktversagen in den ökonomischen Denkschulen

Über die richtige Deutung und Überwindung von Marktversagen bestehen zwischen den verschiedenen ökonomischen Denkschulen umfassende Meinungsverschiedenheiten.

Neoklassische Schule

Die neoklassische Denkschule definiert solche Situationen als Marktversagen, in denen die sich in einer kompetitiven Ökonomie ergebende Allokation nicht paretoeffizient ist. Marktversagen liegt demnach vor, wenn es eine vom Wettbewerbsgleichgewicht verschiedene, aber erreichbare Allokation der Ressourcen gibt, die mindestens ein Individuum besser stellt, ohne ein anderes Individuum schlechter zu stellen (typischer Weise deutet das Vorliegen einer nicht pareto-effizienten Allokation auf die Existenz einer anderen Allokation hin, in der es jedem Individuum besser geht). In diesem Sinne geht Marktversagen mit einer Verschwendung bzw. dem nachteiligen Brachliegen gesellschaftlich knapper Ressourcen einher.

Die neoklassische Theorie trennt scharf zwischen Allokation und Distribution, wobei sie Marktversagen als rein allokativen Defekt definiert. Eine stark ungleiche Verteilung von Wohlstand und Einkommen ist somit aus Sicht der neoklassischen Theorie dann kein Marktversagen, solange die sie erzeugende Allokation pareto-effizient ist.

Der Erste Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik formuliert präzise, hinreichende Bedingungen, unter denen die Allokation in einer kompetitiven Ökonomie pareto-effizient ist. Sind eine oder mehrere dieser Voraussetzungen verletzt, so ist die Marktallokation nicht mehr notwendigerweise effizient. Hieraus ergeben sich potenziell Ansatzpunkte für staatliche Eingriffe.

Liegt hingegen eine pareto-effiziente Marktallokation vor, so bedeutet jedes Abweichen hiervon (z. B. durch Staatseingriffe), dass es mindestens einem Individuum in der Ökonomie schlechter gehen wird als zuvor. Dies mag erwünscht sein, etwa wenn die Verteilungssituation geändert werden soll, indem man von Reich nach Arm umverteilt. Mit Hilfe des Pareto-Kriteriums, welches nur eine unvollständige Ordnung über den gesellschaftlich erreichbaren Zuständen ermöglicht, sind derartige Maßnahmen dann nicht bewertbar.

Im Allgemeinen gehen Eingriffe in eine pareto-effiziente Marktallokation mit dem Verlust der Pareto-Effizienz einher; die einzige Form effizienzunschädlicher Eingriffe sind (praktisch nicht durchführbare) Umverteilungen der Anfangsausstattungen (Zweiter Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik).

Kritiker der neoklassischen Theorie hängen oft der Ansicht an, die neoklassische Theorie lehne staatliche Eingriffe, insbesondere aber sozialpolitische Maßnahmen und Einkommensumverteilung ab. Die neoklassische Theorie bezieht hier aber keinerlei normative Stellung. Sie stellt analytische Bedingungen bereit, wann Marktallokationen effizient sind – und wann nicht. Sodann verweist sie darauf, dass Umverteilung in einer effizienten Allokation in der Regel mit einer Effizienzeinbuße einhergeht (sog. equity-efficiency tradeoff) – allerdings ohne hieraus zu folgern, dass Umverteilung zu unterbleiben habe.

Der moderne Keynesianismus deutet die neoklassische Begründung für das Fehlen einer Vollbeschäftigung der Produktionsfaktoren (gemäß dem sayschen Theorem) als Marktversagen.

Ihre Ökonomen verneinen die Existenz von Marktversagen generell (siehe dazu beispielsweise [1]). Markt ist nach ihrer Auffassung gesellschaftliches (Miteinander-)Handeln von Menschen, ein offener Prozess, über dessen vorläufigen Ausgang die Menschen sich immer wieder neu einigen. Der Markt versage nicht, denn er sei keine handelnde Person und habe keine von Menschen willkürlich bestimmbare Aufgabe oder Funktion. Die Idee vom Marktversagen ist ebenso wie die ihr zugrundeliegende Vorstellung von einer Aufgabe oder Funktion des Marktes reine Theorie, sämtliche Beispiele beruhen auf der Anwendung dieser. Ökonomen, die auf Basis der Österreichischen Schule argumentieren, lehnen gewaltsame Eingriffe eines Staates in den Markt ab. Da solche Interventionen allein auf Wertentscheidungen von politisch entscheidenden Personen beruhen, richten sie sich grundsätzlich ausschließlich gegen die freien Vereinbarungen der Menschen im Markt, die von den Personen als Marktversagen fehlgedeutet werden.

Public-Choice-Theorie

Anhänger der Public-Choice-Theorie betonen einen fehlenden kausalen Bezug zwischen dem Vorliegen von Marktversagen und einem staatlichen Eingreifen. Sie begründen dies mit der Gefahr eines Staatsversagens, d. h. die durch einen staatlichen Eingriff verursachten Kosten könnten u. U. höher sein als die Kosten eines Marktversagens. Public-Choice-Ökonomen führen dies auf grundsätzliche Probleme demokratischer Systeme und den starken Einfluss von Lobbyisten zurück. Beides führen sie auf ein Rent-Seeking-Verhalten sowohl im privaten Sektor als auch in der Regierungs-Bürokratie zurück.

Die Denkrichtung deutet umgangssprachlich mit "Marktversagen" bezeichnete Fälle aus diesem Grund eher als das Fehlen des reinen Marktes aufgrund einer Subversion des freien Marktes durch die nötigende Wirkung eines politischen Eingriffs.

Amerikanischer Liberalismus

Von anderen Beobachtern (z. B. Sozialdemokraten und Anhängern des amerikanischen Liberalismus) erachten Marktversagen als ein grundsätzliches Problem unregulierter Märkte. Aus dieser Annahme heraus propagieren sie extensive staatliche Interventionen, durch die ihrer Meinung nach sowohl Effizienz als auch soziale Gerechtigkeit (i. d. R. interpretiert als eine Begrenzung von Ungleichheiten bei Wohlstand und Einkommen) erreichbar sind.

Insbesondere von der Public-Choice-Theorie werden daran die (zu) optimistischen Annahmen a) einer benevolenten Regierung sowie b) einer Fähigkeit der Bürger, das Regierungshandeln demokratisch zu kontrollieren, kritisiert. Hervorgehoben wird dabei die Gefahr des bereits erwähnten Staatsversagens.

Dem wird entgegnet, unter dem Gesichtspunkt von Markt- und Staatsversagen könne es nur um eine möglichst optimale Kombination aus Markt und Staatseingriffen gehen. So wird z. B. von kaum einem Ökonomen der Sinn einer staatliche Durchsetzung individueller Eigentums- und Vertragsrechte angezweifelt, woraus geschlussfolgert wird, ein vollkommen freier Markt sei sich selbst widersprechend.

Marxistische Schule

Die marxistische Schule hält ein System individueller Eigentumsrechte an Produktionsmitteln für ein grundsätzliches Problem und plädiert daher für eine gemäß anderen Entscheidungskriterien gesteuerte Allokation (üblicherweise demokratisch oder durch eine zentral planende Instanz, die demokratisch durch die Bevölkerung legitimiert ist). Damit unterscheidet sich die marxistische Deutung des Begriffs Marktversagen ganz wesentlich von denen anderer Denkschulen: Dort ist mit einem Marktversagen eine spezifische Situation eines ineffizienten Marktergebnisses verbunden, hier werden alle Märkte als ineffizient, da demokratisch nicht gewünscht, angesehen. Aus diesem Grund hält die marxistische Schule Marktversagen für einen inhärenten Bestandteil jedes kapitalistischen Systems.

Bezogen auf Marktversagen im engeren Sinne (d. h. bezogen auf eine rein marktliche Ineffizienz aufgrund der oben genannten Auslöser) kritisieren Marxisten, dass Regierungen häufig mit denen, die von Marktversagen profitieren (z. B. Umweltverschmutzer, Monopolisten) Bündnisse bilden, weswegen die Regierung kein neutraler Vermittler von technokratischen Lösungen sei. Gemäß dieser Theorie gehen Marktversagen und Staatsversagen eng miteinander einher. Nur öffentlicher Druck auf die Regierung und die vom Marktversagen profitierenden Unternehmen könne das Marktversagen reduzieren.

Marktversagen aus soziologischer Sicht

Niklas Luhmann

In seiner Soziologie der Wirtschaft setzt Niklas Luhmann den Begriff Marktversagen in Anführungszeichen. Der keynesianischen Gebrauch des Begriffes stellt sich als auf einer politischen Entscheidung basierend dar: "Im Bereich der Arbeit ... hat man unter politischem Druck darauf verzichtet, Knappheit durch Preise anzuzeigen. ... Man rechnet ... die Arbeitslosigkeit nicht auf zu hohe Arbeitspreise zu, sondern, unter Überspringen dieses Punktes, direkt auf 'Marktversagen'." (Die Wirtschaft der Gesellschaft, 1988, Kapitel 7.VII)

Was Luhmann unter Markt versteht, ist besonders gut verständlich an seiner Abgrenzung des Begriffes Marktwirtschaft zu dem zu verstehen, was Marktwirtschaft in seiner Systemtheorie nicht ist: Nicht Planwirtschaft und nicht Staatstätigkeit sind Gegenbegriffe zur Marktwirtschaft, sondern Subsistenzwirtschaft. Diesen Begriff definiert Luhmann dann als eine Wirtschaft, die ohne nennenswerte monetäre Vermittlung abläuft (Die Wirtschaft der Gesellschaft, 1988, Kapitel 3.III). Daraus folgt, dass der Markt durch monetäre Vermittlung gekennzeichnet ist. Marktversagen ist dann als das Versagen der monetären Vermittlung definierbar.

Staatseingriffe zur Überwindung von Marktversagen?

Die unterschiedlichen Denkschulen kommen somit zu ganz unterschiedlichen Deutungen, wann und ob Marktversagen überhaupt vorliegt. Die darauf aufbauenden Handlungsempfehlungen für die Politik unterscheiden sich dementsprechend stark.

Grundsätzliche Diskussion

Bürgerliche Ökonomen gehen üblicherweise davon aus, dass der Staat nur bei Marktversagen eingreifen sollte. Weitergehende Eingriffe würden demnach das Marktgeschehen unnötig belasten, da Märkte in ihren selbstregulierenden Prinzipien gestört würden. Weitergehende Eingriffe werden z. B. mit dem Aufbau eines Sozialsystems begründet.

Unter dem Lichte des Staatsversagens ist das Begehren, marktliche Ineffizienz mittels staatlichen Einschreitens zu minimieren, jedoch äußerst schwierig, da dem Staat die Bewertungen abgehen, die der Markt von selbst gegen die Ineffizienzen richten würde (siehe auch "The Myth of Efficiency" von Murray N. Rothbard). Mit anderen Worten: Der Staat muss die ihm zur Verfügung stehenden Mittel des Eingreifens sorgfältig auswählen, wenn er nicht selbst versagen will.

Von den Menschen, die einen Staat bilden, kann jedoch pragmatisch entschieden werden, die Verfolgung politischer Ziele der Minimierung marktlicher Ineffizienz überzuordnen. Das beeinträchtigt die marktliche Selbstoptimierung, aber die Bereitschaft, durch Eingriffe in optimierte Systeme vorübergehend Nachteile zu erleiden ist eine wichtige Option, die spieltheoretisch erklärt werden kann und die den Handlungsspielraum von Spielern sehr wirksam erweitert. Dies betrifft speziell kleine Staaten, deren Budgets einen Umfang haben, der niedriger ist, als das Handelsvolumen einzelner global agierender Großinvestoren. Dazu zählen staatliche Maßnahmen gegen die Wirkung von auf Ineffizienz spekulierenden Hedge-Fonds. Hier gelang es beispielsweise der generell marktwirtschaftlich orientierten malaysischen Regierung Ende der 1990er Jahre, durch strikte Währungskontrolle, die eigenen Interessen gegen Spekulationsfolgen zu schützen.

Eine Realität in der globalen Wirtschaft ist Wirtschaftskriminalität. Ihre Bekämpfung mit strafrechtlichen Mitteln ist eine klassische Aufgabe des Staates. Der Ansatz besteht hier darin, irreversiblen Schäden vorzubeugen, weil diese Schäden auf Grund ihrer Irreversibilität nicht durch marktliche Selbstregulierung kompensiert werden können. Allerdings ist in einer komplexen Welt die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität selbst wieder der Gefahr des politischen Missbrauches ausgesetzt, wie das Beispiel des Falles Chodorkowski in Russland zeigt.

Viele Globalisierungskritiker sind der Auffassung, dass bestimmte von ihnen als "öffentlich" bezeichnete Güter (z. B. Gesundheit oder Infrastruktur bei Trinkwasserversorgung) nicht für eine Vermarktlichung geeignet seien.

Staatliche Instrumente

Es gibt verschiedene Instrumente, mit denen der Staat im Markt agiert und den Markt reguliert. Der Staat übernimmt eine politische Funktion, Marktversagen zu erkennen und ggf. einzugreifen. Methoden sind:

  1. das Verhindern der Bildung von Monopolen, Kartellen oder Preisabsprachen durch Kartellgesetze
  2. die Festsetzung der Preise beim natürlichen Monopol
  3. Übernahme des Monopols durch staatlichen Monopol-Anbieter
  4. Internalisierung externer Effekte, also Einbeziehen als Kosten für die Produzenten, beispielsweise bei der Umweltverschmutzung, indem Produzenten Steuern auf den Ausstoß von Umweltgiften auferlegt werden (Pigou-Steuer)
  5. Zurücknahme des Staates aus dem Eingreifen in den Markt, welcher selbst zu Markt- bzw. Staatsversagen führt, zum Beispiel Wiederherstellung der Selbstregulierung in durch staatliche Monopolisierung und Regulierung blockierten Märkten
  6. Kommodifizierung bestimmter Güter. Darunter versteht man die Schaffung neuer Märkte wie beispielsweise beim Emissionsrechtehandel: Statt Umweltverschmutzung (negative externe Effekte) komplett zu verbieten oder mit staatlichen Quoten zu arbeiten, wird eine Lösung angestrebt, die den effizienzsteigernden Marktmechanismus in die Internalisierung der externen Effekte ersetzen soll (vgl. Coase-Theorem)

Siehe auch

Literatur

  • Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, (Marktversagen: S. 228), 1988, ISBN 3-518-28752-4
  • Michael Fritsch, Thomas Wein und Hans-Jürgen Ewers: Marktversagen und Wirtschaftspolitik: mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns. 6. Auflage. Verlag Vahlen, München 2005. ISBN 3-8006-3206-3
  • Akerlof, G. A.: The Market for "Lemons", in: Quarterly Journal of Economics, 84. Jg. (1970), S. 488-500.
  • Ulrich, Peter: Integrative Wirtschaftsethik – Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, 2., durchgesehene Auflage, Bern, Stuttgart, Wien: Paul Haupt, 1998.
  • Michael Perelman: The Perverse Economy - The Impact of Markets on People and the Environment, 2003, ISBN 1403962715
  • Richard Abel Musgrave/Peggy B. Musgrave/Lore Kullmer: Die Öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 6. Aufl., Tübingen 1994, ISBN 3825204499 (Marktversagen S. 67 ff.)
  • Myles, Gareth D., Public Economics, Cambridge: Cambridge University Press 1995, ISBN 521497698 (zum Marktversagen: Chapter 2; zum Marktversagen: Chapters 9-11)

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