Wahn

Krankheitssymptom aus dem Fachgebiet der Psychiatrie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2004 um 17:56 Uhr durch Robert Kropf (Diskussion | Beiträge) (Größenwahn). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Dieser Artikel befasst sich mit der Erkrankung Wahn. Weiteres siehe: Köln-Wahn.


Als Wahn bezeichnet man eine Überzeugung, die objektiv der Realität widerspricht und die nicht von der Mehrheit der Menschen geteilt wird, von der der Betroffene aber trotz aller Gegenbeweise nicht abzubringen ist. Es gibt auch Wahnthemen bei denen kein Gegenbeweis möglich ist ("ich bin ein Prophet und Gott hat mich ausgewählt der Menschheit zu predigen"). Ein wichtiges Merkmal ist die extreme Gewissheit mit der der Betroffene daran festhält. Ein Wahn ist, etwa im Gegensatz zum Aberglauben, auch nicht durch den soziokulturellen Hintergrund des Betroffenen erklärbar. Wahngedanken werden in der Psychiatrie auch als inhaltliche Denkstörungen bezeichnet.

Ursachen

Wahnsymptome sind Zeichen einer psychischen Störung, beispielsweise bei einer schizophrenen Psychose, jedoch ebenso bei einer Vielzahl anderer psychischer Störungen wie der (endogenen) Depression, Manie, anhaltenden wahnhaften Störung (entspricht in etwa der älteren Bezeichnung Paranoia), ebenso auch bei Demenzen und weiteren psychischen Erkrankungen mit diagnostizierbarer organischer Ursache. Für Schizophrenien sind eher bizarre Wahninhalte, meist ohne wirklich logischen Zusammenhang typisch, ebenso Erklärungswahn der andere Symptome der Schizophrenie (wie akustische Halluzinationen) für den Betroffenen plausibler macht.

Ausprägungen

Teilweise werden von den Betroffenen ausgefeilte und umfassende "Wahngebäude" errichtet, in die das alltägliche Erleben einbezogen und umgedeutet wird (z.B. "das parkende Auto da draußen dient nur dazu, eine Abhöranlage zu tarnen"). Man spricht dann auch von systematisiertem Wahn, der in sich durchaus eine gewisse Logik aufweisen kann. Manchmal beschränkt sich die Wahnsymptomatik aber auch auf ein einziges und scharf umgrenztes Gebiet ("Frau X ist eine Hexe"), und die Betroffenen stehen ansonsten durchaus "auf dem Boden der Tatsachen".

Bei der anhaltenden wahnhaften Störung ist der Wahninhalt in sich relativ schlüssig und nicht bizarr. Tatsächliche Ereignisse werden einbezogen. Es kann ein komplexes, in sich geschlossenes Wahnsystem entstehen, dann spricht man auch von Paranoia. Es handelt sich in diesem Fall nicht um eine schizophrene Psychose; die Betroffenen weisen keine sonst für die Schizophrenie typischen Symptome auf (Halluzinationen, Ich-Störungen, formale Denkstörungen usw.).

Sie erscheinen geordnet, logisch und bis auf den Wahn psychisch völlig unauffällig. Typisch ist z.B. eine Überzeugung, dass andere Menschen sich gegen die betroffene Person verschwören, hinter dem Rücken über sie reden und Komplotte schmieden. Dies alles wird mit logischen Argumenten und tatsächlichen Ereignissen ausgebaut. Die anhaltende wahnhafte Störung ist oft chronisch und kaum behandelbar.

Für eine Depression mit Wahnsymptomen sind z.B. ein Verarmungswahn, ein Schuldwahn und Katastrophendenken typisch.

Für eine Manie dagegen sind eher Größenwahn und ähnliche Themen kennzeichnend. Ein Maniker glaubt etwa, er sei der genialste und begabteste Mensch, ein hochbegabter Künstler, ein genialer Musiker mit großem Talent, und kauft sich daraufhin einen teuren Flügel, obwohl er noch nie im Leben Klavier gespielt hat oder er mietet ein Atelier. Auch Erfinderwahn kommt vor.

Wenn der Wahninhalt in dieser Weise mit der Stimmung des Betroffenen übereinstimmt, spricht man auch von einem synthymen Wahn. Ein dysthymer Wahneinfall passt dagegen inhaltlich nicht zur psychischen Gestimmtheit.

Personen mit Demenz können ebenfalls Wahnsymptome zeigen. Häufig ist dabei die wahnhafte Überzeugung, von anderen Menschen bestohlen zu werden, aber auch andere Wahnthemen.

Bei der Alkoholkrankheit bzw. allen Suchterkrankungen mit geistiger Degeneration bzw. Beeinträchtigung treten auch verschiedene Formen des Wahns auf, darunter am häufigsten Eifersuchtswahn.

Ebenfalls möglich ist ein so genannter induzierter Wahn, eine sehr seltene Störung. Er wird auch symbiontischer Wahn oder Folie à deux genannt. Hier übernimmt ein enger Angehöriger, der viel Zeit mit einem unter einer Wahnsymptomatik (unabhängig der Ursache) leidenden kranken Menschen verbringt, meist also der Lebenspartner, die Wahnideen des Kranken. Durch soziale Isolierung und eine zunehmend als feindlich oder bedrohlich empfundene Umwelt wird das gemeinsame Wahnerleben verstärkt; der Wahn schafft Gemeinsamkeit und Kommunikation. Bei einer vorübergehenden Trennung der Personen bildet sich dann die wahnhafte Symptomatik bei der Person mit dem induzierten Wahn meist rasch zurück.

Da Kinder bis zum älteren Schulalter in der Regel ihre Einschätzungen der Realität von den Eltern übernehmen, sind sie besonders gefährdet, in den Wahn von Eltern einbezogen zu werden und daran teilzuhaben. Das dem Wahninhalt entsprechende Verhalten des Kindes wirkt dann als Bestätigung für den Wahn der Eltern. Für Kinder kann eine solche Konstellation schwerwiegende Folgen haben. Ist beispielsweise ein Elternteil wahnhaft überzeugt, dass das Kind psychisch verändert oder gestört sei, besteht die Gefahr, dass das Kind diese Überzeugung in sein Selbstbild, sein Erleben und Verhalten übernimmt. Dadurch kann es zu einer Identitätsstörung kommen.

In Zusammenhang mit dem induzierten Wahn wird vermutet, dass auch "falsche Erinnerungen" beispielsweise bezüglich eines sexuellen Missbrauchs entstehen können (false memory syndrome).

Beeinträchtigungswahn und Verfolgungswahn

Der Betroffene fühlt sich von seiner Umwelt beeinträchtigt, d.h. er fühlt sich von seinen Mitmenschen beleidigt, erniedrigt, verhöhnt, man trachtet nach seinem Leben usw. Eine stärkere Form des Beeinträchtigungswahns ist der Verfolgungswahn: der Betroffene fühlt sich verfolgt und/oder beobachtet, z.B. von Agenten, Ausserirdischen oder anderen. Er interpretiert dabei Ereignisse in seiner Umgebung häufig als Spionageaktionen.

Beziehungswahn

Der Betroffene bezieht Dinge und Ereignisse in seiner Umgebung auf sich, die objektiv gar nichts mit ihm zu tun haben; die betroffene Person glaubt beispielsweise, dass Fernsehnachrichten versteckte Botschaften an sie persönlich enthalten.

Verarmungswahn

Der Betroffene fühlt sich arm, oder fürchtet, zu verarmen, obwohl es dafür keinerlei Hinweis gibt bzw. seine finanzielle Situation vollkommen unverändert ist.

Größenwahn (Megalomanie)

Der Betroffene hält sich für eine wichtige politische oder religiöse Persönlichkeit, die Reinkarnation großer Persönlichkeiten, für einen Gott oder einen Propheten. Ähnlich ist z.B. der sog. Sendungswahn ("ich muss die Menschheit erlösen").

Sonderformen sind:

  • Sendungswahn
  • politischer Wahn
  • religiöser Wahn (mit Heilsauftrag)
  • wahnhafte Erhöhung der eigenen Person
  • Heilswahn
  • Weltverbesserungs- bzw. Welterneuerungwahn
  • Omnipotenzwahn

Schuldwahn

Der Betroffene glaubt, dass er Schuld an Ereignissen hat, mit denen er offensichtlich nichts zu tun hat (z.B. "wegen mir gibt es Armut auf der Welt"). Siehe auch Beziehungswahn. Meist führt er es darauf zurück, sündig zu sein, gegen göttliche oder moralische Prinzipien verstoßen zu haben, sich versündigt zu haben und erwartet, dafür bestraft zu werden. Daher auch Versündigungswahn genannt.

Katastrophendenken

Der Betroffene befürchtet ständig, dass schlimme Ereignisse eintreten, z.B. dass nahe Verwandte krank werden, ihnen etwas zustößt oder dass sie plötzlich sterben.

Krankheitswahn

Der Betroffene glaubt sich unheilbar krank, dem Siechtum oder dem Tod nahe u.a. durch Krebs, Multiple Sklerose, HIV oder diffuseren Erkrankungen wie Schrumpfung innerer Organe/Hirnschwund. Siehe auch Hypochondrie.

Nichtigkeitswahn

Der Betroffene hält sich für sehr minderwertig, unwichtig, im Extremfall (nihilistischer Wahn) für gar nicht existent.

Erfinderwahn

Der Betroffene hält sich für einen genialen Erfinder, entwickelt zahllose Apparaturen, die teilweise gar nicht funktionieren oder keinen Zweck erfüllen.

Eifersuchtswahn

Der Betroffene ist maßlos eifersüchtig auf seinen Lebenspartner, interpretiert offensichtlich grundlos diverse Ereignisse als Beweis für einen Treuebruch. Eifersuchtswahn tritt am häufigsten bei Alkoholkrankheit auf und kann zu Gewalt gegen den Partner führen.

Sonstige Formen


Umgang mit Wahn

Es ist sinnlos, einen Betroffenen von seiner wahnhaften Überzeugung abbringen zu wollen. Für den Erkrankten besteht eine "Wahngewissheit", er braucht keine Beweise für seinen Wahn. Gegenbeweise werden unerschütterlich ignoriert oder in den Wahn eingefügt ("die haben die Kamera, die mich ausspioniert, jetzt woandershin gebracht"). Es ist ja gerade das Kennzeichen des krankhaften Wahns, dass sich dieser vom Betroffenen nicht rational überprüfen lässt.

Man sollte also den Wahn weder angreifen, noch sich auf den Wahninhalt einlassen und so tun, als ob er real sei (dies kann allenfalls zu einer kurzfristigen Entspannung führen). Stattdessen sollte man anerkennen, dass der Wahninhalt für den Betroffenen eine Realität darstellt, und dass dieser dadurch meistens sehr belastet und geängstigt ist.

Falls der Betroffene sich aggressiv oder ablehnend verhält, sollte man dies also keinesfalls auf sich persönlich beziehen; die Überzeugung, etwa verfolgt, bedroht oder unrettbar verloren zu sein, löst beim Betroffenen natürlich dramatische psychische und emotionale Folgen aus.

Eine Behandlung ist aufgrund der fehlenden Einsicht nicht immer einfach. Gelegentlich kann ein Patient durch Angehörige oder den Arzt trotz Uneinsichtigkeit dennoch zur Behandlung motiviert werden.

Teilweise besteht auch eine so genannte doppelte Buchführung, d.h. der Patient hält am Wahn fest (und meint beispielsweise, er würde von außerirdischen Wesen verfolgt) hat aber gleichzeitig eine gewisse Krankheitseinsicht, begibt sich selbst in Behandlung und nimmt seine Medikamente regelmäßig.

Wenn eine Eigen- oder Fremdgefährdung besteht und keine Einwilligung zur Behandlung vorliegt, muss diese zwangsweise erfolgen.

Behandlung

Die Behandlung ist je nach zugrundeliegender Erkrankung (z.B. Schizophrenie, Depression, Manie) unterschiedlich, da ein Wahn mehr den Charakter eines Symptoms als einer Krankheit hat.

Wichtig ist, dass die genaue Diagnose abgeklärt wird, um eine sinnvolle Behandlung zu gewährleisten.

Prinzipiell kommen bei Wahn unterschiedlicher Art Neuroleptika aufgrund ihrer antipsychotischen Wirkung in Frage. Bei Erkrankungen wie Depression und Manie erfolgt dies dann meist zusätzlich zur antidepressiven bzw. antimanischen Medikation.

Mit Hilfe von Neuroleptika lässt sich oft eine rasche Besserung der Wahnsymptomatik erzielen. Bestimmte Wahnformen, wie z.B. Wahn im Rahmen einer anhaltenden wahnhaften Störung können aber auch weitgehend therapieresistent sein.