Wannseekonferenz

Konferenz von NS-Funktionären 1942 zur Organisation des Holocausts
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Die heute so genannte Wannseekonferenz war eine Zusammenkunft von fünfzehn hochrangigen Beamten des nationalsozialistischen Regimes, auf der die Deportation und Ermordung der europäischen Juden (Holocaust) organisatorisch geplant und koordiniert wurde. Sie fand unter strenger Geheimhaltung am 20. Januar 1942 im Gästehaus der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes am Berliner Großen Wannsee (ehemalige Villa Marlier, Am Großen Wannsee 56-58, erbaut 1914/1915 von Paul Otto August Baumgarten) statt.

Villa der Wannseekonferenz

Leiter der Konferenz war Reinhard Heydrich, der mit der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ beauftragte Chef des Reichssicherheitshauptamts. Teilnehmer waren acht Staatssekretäre verschiedener Ministerien, sechs Polizei- und Sicherheitsexperten und ein Ministerialdirektor. Protokollant war Adolf Eichmann.

Zum Zeitpunkt der Konferenz war der Völkermord an den Juden bereits in vollem Gange. Entgegen einer verbreiteten Meinung wurde die Judenvernichtung dort also nicht erst beschlossen, sondern die Opfergruppen wurden eingegrenzt und die Kooperation untergeordneter Stellen unter der zentralen Lenkung der Dienststelle von Heydrich gesichert.

Vorgeschichte

 
Auftrag Görings an Heydrich zur „Endlösung der Judenfrage" (letzte Zeile)

In einer Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 hatte Hitler die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa angekündigt, falls es den Juden gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen. Diesen Weltkrieg hatte er mit dem Russlandfeldzug selbst herbeigeführt.

Im Juni 1941 begannen die Heydrich unterstellten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD den Völkermord an den Juden mit systematischen Massenerschießungen in den besetzten Ostgebieten; diesen fielen bis Dezember etwa 370.000 Juden zum Opfer, wie Hitler sich berichten ließ. Hermann Göring beauftragte Heydrich am 31. Juli 1941 mit der Ausarbeitung eines „Gesamtentwurfes“ für die „Gesamtlösung der Judenfrage“. Seit Mitte Oktober 1941 liefen Transporte, zunächst von arbeitsfähigen Juden, nach Auschwitz-Birkenau und Belzec. Weitere Konzentrationslager wurden nun zu Vernichtungslagern ausgebaut. Am 8. Dezember 1941 wurden in Chelmno (Kulmhof) die ersten Juden in Gaswagen ermordet. Doch diese Methoden waren den NS-Führern zu ineffektiv; man suchte fortlaufend nach schnelleren, preiswerteren, weniger aufwändigen, die Ausführenden weniger belastenden Verfahren des Massenmordes.

Am 12. Dezember 1941 bestellte Hitler die Reichs- und Gauleiter der NSDAP ein, um sie in seine Entscheidung zur Vernichtung der Juden Europas einzuweihen. Joseph Goebbels notierte darüber in sein Tagebuch:[1]

Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlossen, reinen Tisch zu machen. [...] Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein.

Hans Frank, „Generalgouverneur“ des besetzten Polen, informierte seine Mitarbeiter am 16. Dezember 1941 über Hitlers Pläne: Es werde eine „große jüdische Wanderung“ nach Osten einsetzen. Er fuhr fort:[2]

Aber was soll mit den Juden geschehen? Glauben Sie, man wird sie im Ostland in Siedlungsdörfern unterbringen? Man hat uns in Berlin gesagt: Weshalb macht man diese Scherereien? Wir können im Ostland oder im Reichskommissariat auch nichts mit ihnen anfangen; liquidiert sie selber! [...] Wir müssen die Juden vernichten, wo immer wir sie treffen...

Am 18. Dezember 1941 befahl Hitler Heinrich Himmler, die Juden „als Partisanen auszurotten“. Damit waren nicht mehr nur sowjetische Juden gemeint, sondern alle Juden in von Deutschland besetzten Gebieten waren nun potentielle Todeskandidaten.

Wann der Beschluss zur Umsetzung des Völkermordes im industriellen Ausmaß tatsächlich fiel, ist unter Historikern umstritten; der Spätherbst 1941 erscheint den meisten jedoch als der wahrscheinlichste Zeitpunkt. Denn damals zeichnete sich das Scheitern des „Unternehmens Barbarossa" ab, das im Juni 1941 als Blitzkrieg begonnen worden war.

Zweck

Nach der Entscheidung zum Völkermord auf höchster Ebene zwischen Juni und Dezember 1941 war die Wannseekonferenz ursprünglich für den 9. Dezember 1941 anberaumt worden. Die Einladung dazu an Staatssekretäre und leitende SS-Führer schrieb und verschickte Adolf Eichmann, Heydrichs „Judenreferent“. Er war als Leiter des Gestapo-Referats IV B 4 unter anderem für „Juden- und Räumungsangelegenheiten“ zuständig und organisierte dann sämtliche Deportationen von Juden aus den von Deutschen besetzten Gebieten in die Arbeits- und Vernichtungslager. Er lieferte Heydrich auch Vorlagen und Zahlenmaterial für sein Einleitungsreferat und fertigte das Protokoll über die Konferenz an. Seine Einladung zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück" hob die „außerordentliche Bedeutung" einer Gesamtlösung der Judenfrage hervor. Dazu lag das Ermächtigungsschreiben Görings an Heydrich vom 31. Juli bei.

Doch am 7. Dezember wurde Pearl Harbor angegriffen; Hitler berief daraufhin den Reichstag für den 9. Dezember ein, um dort die Kriegserklärung gegen die USA zu verkünden. Heydrich und einige der zur Wannseekonferenz Eingeladenen waren Reichstagsmitglieder; daher ließ Heydrich die Konferenz kurzfristig absagen und später neue Einladungen zum 20. Januar 1942 verschicken.[3]

Der Historiker Christian Gerlach erklärt die Terminverschiebung damit, dass Hitler seine Entscheidung zum Völkermord am 12. Dezember 1941 bei einem Treffen der Reichs- und Gauleiter in den Privaträumen des Führers in der Reichskanzlei selbst verkündet habe und Himmler und Heydrich diese hätten abwarten wollen, um die Konferenzteilnehmer dann von den Details zu unterrichten. Dieser These widerspricht jedoch u.a. Hans Mommsen.[4]

Auf der Konferenz sollte in jedem Fall nicht der Völkermord beschlossen, sondern die allgemeine Richtung und die Opfergruppen der seit Monaten laufenden Mordmaßnahmen festgelegt und deren Umsetzung koordiniert werden.[5] Einige Historiker glauben, Hauptzweck der Wannseekonferenz sei zudem gewesen, wichtige Spitzenbeamte und Reichsbehörden zu Mitwissern und Mitverantwortlichen der Planungen zu machen.[6]

Teilnehmer

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Teilnehmer der Wannseekonferenz: Obere Reihe: Hofmann, Heydrich, Klopfer, Kritzinger, Bühler, Meyer, Neumann, Luther, Stuckart, Freisler. Zweite Reihe: Müller, Lange, Schöngarth, Leibbrandt. Unten links: Eichmann (Schautafel des Wannsee Museums, Berlin)

Folgende Beamte der nationalsozialistischen Regierung nahmen an der Konferenz teil:

Zudem waren noch weitere Vertreter von Reichsministerien und sogenannten Obersten Reichsbehörden eingeladen. Einige davon hatten jedoch ihre Teilnahme abgesagt, z.B. Leopold Gutterer, Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Er nannte terminliche Gründe für seine Absage, bat aber darum, über alle Folgetermine unterrichtet zu werden. [7]

Inhalte

Folgende Inhalte wurden erörtert und im Protokoll der Wannseekonferenz festgehalten:

Heydrich teilt mit, dass er von Göring zum „Beauftragen für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ bestellt sei und die Federführung beim „Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei“ liege. Auf dieser Sitzung wolle er sich mit den unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen abstimmen.

Heydrich berichtet über die erfolgte Auswanderung von rund 537.000 Juden aus dem Altreich, Österreich und dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, an deren Stelle nach „vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten“ treten solle. Für die „Endlösung der europäischen Judenfrage“ kämen rund 11 Millionen Juden in Betracht. Weiter heißt es:

In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.

Zunächst sollen die deutschen Juden in Durchgangsghettos und von dort aus weiter in den Osten transportiert werden. Juden im Alter über 65 Jahren und Juden mit Kriegsversehrung oder Träger des Eisernen Kreuzes I sollen in das KZ Theresienstadt kommen. Damit seien „mit einem Schlag die vielen Interventionen ausgeschaltet“.

Nachdem mögliche Schwierigkeiten bei der „Evakuierungsaktion“ in den „besetzten oder beeinflussten europäischen Gebieten“ angesprochen und diskutiert worden sind, wendet man sich der Frage zu, wie mit jüdischen Mischlingen und Mischehen zu verfahren sei. Das Protokoll gibt an, die Nürnberger Gesetze sollten „gewissermaßen“ die Grundlage bilden. Doch tatsächlich gingen die von Heydrich eingebrachten Vorschläge weit darüber hinaus:

  • Im Regelfall sollen „Mischlinge 1. Grades“ ungeachtet ihrer Glaubenszugehörigkeit wie Volljuden behandelt werden. Ausnahmen sind nur für solche Mischlinge vorgesehen, die mit einem „deutschblütigen“ Partner verheiratet sind und nicht kinderlos geblieben sind. Andere Ausnahmebewilligungen sind nur von höchsten Parteiinstanzen zu erteilen.
  • Alle „Mischlinge 1. Grades“, die im Deutschen Reich verbleiben dürfen, werden sterilisiert.
  • „Mischlinge 2. Grades“ werden im Regelfall den „Deutschblütigen“ gleichgestellt, sofern sie nicht durch auffälliges jüdisches Aussehen oder schlechter polizeilicher und politischer Beurteilung als Juden eingestuft werden.
  • Bei bestehenden Mischehen zwischen „Volljuden“ und „Deutschblütigen“ wird der jüdische Teil entweder „evakuiert“ oder auch nach Theresienstadt geschickt, falls Widerstand durch die deutschen Verwandten zu erwarten sei.
  • Weitere Regelungen werden für Mischehen angesprochen, bei denen ein oder beide Ehepartner „Mischlinge“ sind.

Diese detaillierten Vorschläge wurden vom Staatssekretär Stuckart, der 1935 mit der Ausarbeitung der Nürnberger Gesetze befasst gewesen war, als unpraktikabel zurückgewiesen. Er schlug vor, die Zwangsscheidung von Mischehen und Zwangssterilisierungen in Erwägung zu ziehen. Da in diesen Punkten keine Einigung herbeigeführt werden konnte, vertagte man diese Detailfragen auf die Folgekonferenzen.

Josef Bühler, Franks Staatssekretär im Amt des Generalgouverneurs, drängte Heydrich auf der Konferenz, die Mordaktionen in Polen zu beginnen, weil er hier keine Transportprobleme sähe und „die Judenfrage in diesem Gebiete so schnell wie möglich zu lösen“ wünschte. Die Eile hing mit den Rückschlägen der Wehrmacht an der Ostfront zusammen, die im Winter 1941/42 erstmals einer Großoffensive der Roten Armee ausgesetzt war. Damit wurden zeitweise erwogene Pläne zu einer großflächigen Zwangsumsiedlung von Juden nach Sibirien unrealisierbar.

Das Protokoll

Insgesamt wurden 30 Exemplare dieses als „Geheime Reichssache“ gestempelten Protokolls ausgestellt. Davon wurde bis heute nur das Exemplar des Konferenzteilnehmers Martin Luther, damals Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, aufgefunden. Es wurde erst 1947 von Robert Kempner während der Vorbereitungen für den „Wilhelmstraßen-Prozess“ in Nürnberg in Geheimakten des Auswärtigen Amtes entdeckt. Offenbar entging es nur deshalb der Vernichtung, weil Luther wegen eines Putschversuchs gegen Außenminister Ribbentrop im KZ Sachsenhausen inhaftiert war und deshalb Aktenmaterial zur Vorbereitung des Prozesses in Berlin-Lichterfelde ausgelagert war.

Auch wenn hier noch kein umsetzungsfähiger Gesamtplan für die "Endlösung" vorlag, so ist das Protokoll ein Schlüsseldokument für die Organisation des Völkermordes. Holocaustleugner versuchen darum, das Dokument als Fälschung zu „entlarven“. Dabei greifen sie oft auf ein Buch Kempners zurück,[8] in dem dieser in angreifbarer Weise Faksimiles mit Abschriften vermischt hat, ohne indes den Text selbst unkorrekt wiedergegeben zu haben. Der Historiker Norbert Kampe hat diese Fälschungsvorwürfe entkräftet. [9]

Der Inhalt des Protokolls ist nach Adolf Eichmanns Aussagen in seinem Prozess in Jerusalem 1961 eine „inhaltlich genaue Wiedergabe der Konferenz“. Eichmanns Aussagen widersprechen dem Konferenzprotokoll jedoch in manchen Punkten, besonders in Bezug auf die Bedeutung seiner eigenen Person bei der Konferenz. Die von ihm angegebene Dauer der Erörterungen von etwa anderthalb Stunden gilt jedoch als unstrittig.

Der erhaltene Protokolltext dokumentiert den Plan zur rationalisierten Ermordung aller europäischen Juden, das prinzipielle Einverständnis und die effektive Beteiligung des nationalsozialistischen Staatsapparates am Völkermord. Die Formulierung „entsprechend behandelt" in Eichmanns Wiedergabe des Einleitungsreferats von Heydrich wird als typische Tarnfloskel für die Ermordung der die Zwangsarbeit überlebenden Juden gesehen, da der Kontext keinen anderen Schluss zulässt. Nach Aussage Eichmanns in seinem Prozess war die tatsächliche Sprache unmissverständlich: Es wurde vom Töten und Eliminieren und Vernichten gesprochen.[10] Wieweit dies zutrifft und über welche Tötungsvarianten gesprochen wurde, ist unter Historikern umstritten.

Folgekonferenzen

Der ersten Wannseekonferenz auf Staatssekretärsebene folgten zwei Konferenzen auf Referentenebene zur Klärung weiterer Fragen. Diese Folgekonferenzen fanden am 6. März 1942 und 27. Oktober 1942 im Referat IV B 4 von Adolf Eichmann in der Berliner Kurfürstenstraße statt.

Nach einer Aufzeichnung des „Judenreferenten“ im Reichsaußenministerium, Franz Rademacher, wurde auf der Sitzung im März über den Vorschlag Stuckarts gesprochen. Dieser hatte für die Zwangssterilisation aller „jüdischen Mischlinge ersten Grades“ sowie für die Zwangsscheidung aller Mischehen plädiert. Da die Krankenhäuser nicht zusätzlich mit der Sterilisation belastet werden könnten, sollte diese Maßnahme bis zum Kriegsende aufgeschoben werden. Gegen eine zwangsweise Ehescheidung wurden allgemeine rechtliche Einwände sowie „propagandistische“ Gründe ins Feld geführt. Damit waren die absehbaren Widerstände insbesondere von Seiten der katholischen Kirche und eine Intervention des Vatikan gemeint. Auch konnte man die Reaktionen der „jüdisch versippten“ Ehepartner schwer einschätzen. Wie sich 1943 anlässlich der Fabrikaktion beim Rosenstraße-Protest herausstellte, führte die vermeintlich drohende Deportation von jüdischen Ehepartnern tatsächlich zu öffentlichen Solidaritätsbekundungen der „deutschblütigen“ Angehörigen.

In der Folgekonferenz vom Oktober 1942 wurde die Forderung nach Zwangsscheidung von Mischehen erneut behandelt. Offenbar gab es jedoch Hinweise aus der Reichskanzlei, dass der „Führer“ während des Krieges keine Entscheidung treffen wolle. [11] Im Oktober 1943 vereinbarten Otto Thierack vom Justizministerium mit Himmler, die jüdischen Mischlinge vorerst nicht zu deportieren.[12] - Derartige Rücksichten auf die Stimmung der Bevölkerung wurden der SS in den besetzten Ostgebieten nicht abverlangt: Jüdische Ehepartner und die „jüdischen Mischlinge ersten Grades“ wurden dort in den Völkermord einbezogen.[13]

Strittig ist die Beurteilung der Rolle geblieben, die Stuckart mit seinen Vorschlägen einnahm. Nach Angaben seiner Untergebenen Bernhard Lösener und Hans Globke hat Stuckart den Kompromiss-Vorschlag zur Massensterilisierung mit dem Hintergrundwissen gemacht, dass dies zumindest während des Krieges nicht realisierbar sei. Damit habe er die Deportation und Ermordung der deutschen „Mischlinge ersten Grades“ verhindert. Andererseits wäre sein Vorschlag einer Zwangsscheidung für Mischehen, die den Tod des jüdischen Partners zur Folge gehabt hätte, rasch realisierbar gewesen.[14]

Einordnung

Aus dem Konferenzprotokoll ist zu erschließen, dass zuvor von höchster Stelle entschieden worden war, den seit 1941 stattfindenden Massenmord an zunächst meist männlichen arbeitsunfähigen Juden nunmehr zu einem systematischen Völkermord an allen europäischen Juden auszudehnen.[15] Sandkühler stellte als entscheidende Auswirkung heraus, dass bis zur Wannseekonferenz in Ostgalizien Jüdinnen und Juden ermordet wurden, die von den Nazis als arbeitsunfähig eingestuft wurden; nach der Wannseekonferenz galt der Mordbefehl für alle Juden, mit Ausnahme der winzigen Zahl derer, die in der Erdöl-Industrie als unentbehrlich deklariert wurden.

Die Wannseekonferenz war nur ein bürokratischer Vorgang zur Klärung von Zuständigkeiten der beteiligten Stellen und der Eingrenzung des zu ermordenden Personenkreises. Die „Endlösung der Judenfrage“ wurde hier also nicht „beschlossen“, wie oft irrtümlich behauptet wird: Dieser Beschluss konnte nicht durch untergeordnete Personen, sondern nur auf allerhöchster Ebene gefasst werden. Erst daraufhin sollte nun die Federführung des Reichssicherheitshauptamts festgeschrieben sowie Kooperation und Koordinierung der beteiligten Stellen sichergestellt werden. Die im Protokoll angesprochene Absicht Heydrichs, einen „Entwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Belange im Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage“ anzufertigen und diesen Göring zuzuleiten, wurde nicht verwirklicht.[16]

Das Haus der Wannsee-Konferenz bezeichnet die weitverbreitete Annahme, hier sei der Völkermord beschlossen worden, als "fast nicht mehr revidierbaren Irrtum der Geschichtsschreibung und der Publizistik". Die Wannseekonferenz ist dennoch von großer historischer Bedeutung: Hier wurde der europaweite Völkermord koordiniert und den höchsten Beamten aller wichtigen Ministerien zur Kenntnis gebracht, in denen anschließend zahlreiche Personen als „Schreibtischtäter“ organisatorische Unterstützung leisteten. [17]

Strafrechtliche Ahndung

Ein Drittel der Konferenzteilnehmer überlebte den Krieg nicht. Heydrich verstarb 1942 an den Folgen eines Attentats, Roland Freisler kam bei einem Bombenangriff ums Leben, Rudolf Lange und Alfred Meyer begingen Selbstmord. Martin Luther verstarb im Frühjahr 1945 an den Folgen seiner Haft im KZ Sachsenhausen. Heinrich Müller gilt als verschollen.

Mehrere Teilnehmer starben bald nach Kriegsende oder wurden wegen Kriegsverbrechen hingerichtet, wobei ihre Teilnahme an der Wannseekonferenz nicht Teil der Urteilsbegründung war. Wilhelm Kritzinger verstarb 1947 vor Eröffnung des Wilhelmstraßen-Prozesses, 1948 starb Erich Neumann. Eberhard Schöngarth wurde 1946 vom britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet, weil er persönlich die Erschießung eines Kriegsgefangenen angeordnet hatte. Josef Böhler wurde 1946 in Krakau zum Tode verurteilt.

Georg Leibbrandt war bis 1949 interniert; eine Voruntersuchung gegen ihn wurde 1950 eingestellt. Auch Gerhard Klopfer wurde 1949 aus der Internierungshaft entlassen; ein Ermittlungsverfahren wegen seiner Teilnahme an der Wannseekonferenz wurde 1962 eingestellt. Otto Hofmann war 1948 im Nürnberger Folgeprozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, wurde aber 1954 aus der Justizvollzugsanstalt Landsberg entlassen. Wilhelm Stuckart wurde im Wilhelmstraßen-Prozess zu einer Strafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt, doch kam er schon 1949 frei, da die Internierungshaft angerechnet wurde. Adolf Eichmann wurde 1962 in Jerusalem hingerichtet.

Gedenk- und Bildungsstätte

 
Blick von der Wannseebrücke auf den Wannsee

Nach Kriegsende nutzte die Rote Armee das Gebäude, später die US-Armee. Zeitweilig stand es leer. Nahezu die gesamte Einrichtung wurde geplündert. 1947 zog das August-Bebel-Institut der Berliner SPD ein. Seit 1952 diente es als Schullandheim des Bezirks Berlin-Neukölln. 1966 gründete der Historiker Joseph Wulf, der Auschwitz überlebt hatte, einen Verein zur Erforschung des Nationalsozialismus. Das Gebäude sollte als Dokumentationszentrum umgewidmet und vom Verein genutzt werden. Dieser Plan blieb lange umstritten. Erst 1988 erfolgten der Umbau und die historische Rekonstruktion von Villa und Garten für die Errichtung einer Gedenkstätte.

In den Räumen der Villa wurde 1992 die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz eröffnet. Im Erdgeschoss des Hauses informiert die Dauerausstellung „Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden“ über den Prozess der Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung der Juden zwischen 1933 und 1945 sowie über die während des Zweiten Weltkriegs von den Nationalsozialisten durchgeführte Ghettoisierung, Deportation und Ermordung der europäischen Juden im deutschen Einflussbereich. Nach Umbau und Überarbeitung wurde im Januar 2006 die neue Dauerausstellung eingeweiht.

Die Konferenz im Roman

Fever

Leslie Kaplan beschreibt in Fever die Bedeutung der Konferenz für Eichmanns Aufstieg in fiktiver Form. Demnach habe Eichmann sich eingebildet, dass das Zusammensitzen mit Heydrich für ihn ein Karrieresprung sei. Im Roman ist der erhoffte berufliche Aufstieg ein wichtiger Grund, dass Eichmann an den Massenverbrechen des Holocaust mitwirkte. Es habe sich dabei also um Morde ohne eigentliches Motiv gehandelt.

Vaterland

Robert Harris zeichnet in seinem Roman Vaterland die Vision, dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat und über ganz Europa herrscht. Die Juden sind aus dem gesamten Einflussgebiet verschwunden und ihre Existenz ist in der Bevölkerung eine verblassende, unausgesprochene Erinnerung. Wenige Tage vor Hitlers 75. Geburtstag beginnt eine Mordserie an ehemaligen Nazigrößen. Nach und nach deckt der ermittelnde SS-Fahnder auf, dass die Mordopfer die überlebenden Mitwisser des totgeschwiegenen Verschwindens der Juden sind. Der Roman beleuchtet dabei besonders die Konspirativität der Konferenz und die wenigen verbleibenden Belege.

Filme

Zweimal war die Wannseekonferenz Thema eines Spielfilms:

Die Wannseekonferenz (BRD 1984)

Darsteller:

Die Wannseekonferenz (USA/GB 2001)

(US-Originaltitel: Conspiracy)

Darsteller:

In beiden Fällen wurde die Länge des Films der Länge der historischen Konferenz angepasst, und ist demnach 85 Minuten lang. Die Drehbücher beider Filme basieren auf dem Protokoll, der detailliertesten Quelle zur Konferenz. Da das Protokoll jedoch keine wörtliche Rede wiedergibt, sind die Dialoge notgedrungen rekonstruiert und deshalb historisch nicht belegt.

Zur Pierson-Produktion ist zu beachten, dass beispielsweise Kritzinger als Zweifler dargestellt wird, was der Realität keineswegs entsprach. Zwar kann man in ihm nicht den klassischen Antisemiten sehen, jedoch hat er, ähnlich wie die anderen auf der Konferenz Anwesenden, im Nationalsozialismus Karriere machen können – obwohl er die Juden nicht hasste, hat er fleißig und willfährig an ihrer Vernichtung mitgewirkt – als Schreibtischtäter. Auch kann man bei den vielen Pausen, die in Piersons Darstellung während der Konferenz gemacht wurden, eher von dramaturgischer Inszenierung denn von historischer Realität ausgehen – dass die Anwesenden derart oft nach draußen gingen, um ein paar Häppchen zu nehmen, ist unwahrscheinlich.

Das Drehbuch von Piersons Film (der am historischen Ort gedreht wurde), wurde der 'Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz' vorab vorgelegt; jene wies auf Fehler hin. Es zeigt sich jedoch, dass die Produzenten von ihrer ursprünglichen Idee, einen dokumentarischen Film zu machen, abwichen - entstanden ist ein Film mit spannungsfördernden, klischeehaften, aber historisch nicht belegten Elementen.

Auch war die Wannseekonferenz in einer Szene der vierteiligen TV-Serie „Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiß“ zu sehen, allerdings mit nur zweien der fünfzehn Teilnehmer (Heydrich und Eichmann).

Belegstellen

  1. Guido Knopp, Holokaust, Goldmann 2001, ISBN 344215152X, S. 139
  2. Guido Knopp, a.a.O. S. 139f
  3. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz: Die Wannsee-Konferenz ..., S. 84
  4. Hans Mommsen: Auschwitz, 17. Juli 1942. Der Weg zur europäischen „Endlösung der Judenfrage“. dtv 30605, München 2002, ISBN 3-423-30605-X, S. 159f
  5. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg.): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5, S. 84
  6. so z.B. Peter Longerich: Politik der Vernichtung... München 1988, ISBN 3-492-03755-0, S.466
  7. Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die Bürokratie den Holocaust organisierte. München/Berlin 2002, ISBN 3548364039, S. 95
  8. Robert M.W. Kempner:Eichmann und Kompilzen. Zürich u.a. 1961
  9. Norbert Kampe: Überlieferungsgeschichte und Fälschungsvorwurf... In: Mark Roseman: Die Wannseekonferenz... München 2002, ISBN 3-548-36403-9, S. 157f - Faksimiles auch bei Wikisource
  10. Peter Longerich: Politik der Vernichtung... München 1998, ISBN 3-492-03755-0, S. 712, Anm. 238
  11. Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz... S. 144
  12. Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“, Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945. Hamburg 1999, ISBN 2-933374-22-7, S. 12
  13. Ursula Büttner: Die Verfolgung der christlich- jüdischen „Mischfamilien“. In: Ursula Büttner: Die Not der Juden teilen. Hamburg 1988, ISBN 3-7672-1055-X, S. 63
  14. Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz... S. 139ff
  15. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz: Die Wannsee-Konferenz ... Seite 99
  16. Hans Mommsen: Auschwitz, 17. Juli 1942..., München 2002, S. 163
  17. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz: Die Wannsee-Konferenz... Seite 100

Literatur

  • Mark Roseman: Die Wannsee-Konferenz. Wie die Bürokratie den Holocaust organisierte. Ullstein Vlg., München/Berlin 2002, ISBN 3548364039. Rezension von Peter Longerich [1]
  • Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz (Hrsg): Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Katalog der ständigen Ausstellung. Berlin 2006, ISBN 3-9808517-4-5 (Faksimili aller Exponate sowie Kommentare)
  • Christian Gerlach: Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden. In: Christian Gerlach: Krieg, Ernährung Völkermord. Deutsche Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, S. 79-152. Pendo, Zürich/München 2001, ISBN 3-8584-2404-8. Rezension von Götz Aly [2]
  • Wolf Kaiser: Die Wannsee-Konferenz. SS-Führer und Ministerialbeamte im Einvernehmen über die Ermordung der europäischen Juden. In: Heiner Lichtenstein/Otto R. Romberg (Hrsg.): Täter - Opfer - Folgen. Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart. 2. Aufl. , Bonn 1997, S. 24-37, ISBN 3-89331-257-9
  • Peter Longerich: Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden. Edition Hentrich, Berlin 1998, ISBN 3-89468-250-7
  • Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München 1998, ISBN 3-492-03755-0 (Kapitel VI D)
  • Johannes Tuchel: Am Großen Wannsee 56-58. Von der Villa Minoux zum Haus der Wannsee-Konferenz. Publikationen der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Bd. 1, Edition Hentrich, Berlin 1992, ISBN 3894680261
  • Thomas Sandkühler "Endlösung" in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941-1944. Dietz Verlag, Bonn 1996, ISBN 3801250229

Siehe auch

Dokumente

Historische Darstellungen

Filme


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