Die komplexen Zahlen erweitern den Zahlenbereich der reellen Zahlen derart, dass auch Wurzeln negativer Zahlen berechnet werden können.
Dies gelingt durch Einführung einer neuen Zahl als Lösung der Gleichung . Diese Zahl wird auch als imaginäre Einheit bezeichnet (in der Elektrotechnik wird statt i ein j benutzt, um eine Verwechslung mit dem Symbol der Stromstärke zu vermeiden).
Der Ursprung der Theorie der imaginären Zahlen, das heißt aller Zahlen, deren Quadrat eine negative reelle Zahl ist, geht auf den italienischen Mathematiker Raffaele Bombelli bis ins 16. Jahrhundert zurück. Die Einführung der imaginären Einheit als neue Zahl wird Leonhard Euler zugeschrieben.
Komplexe Zahlen werden meist in der Form dargestellt, wobei und reelle Zahlen sind und die imaginäre Einheit ist. Auf die so dargestellten komplexen Zahlen lassen sich die üblichen Rechenregeln für reelle Zahlen anwenden, wobei stets durch ersetzt werden kann und umgekehrt.
Der so konstruierte Zahlenbereich der komplexen Zahlen hat eine Reihe vorteilhafter Eigenschaften, die sich in vielen Bereichen der Natur- und Ingenieurswissenschaften als äußerst nützlich erwiesen haben. Einer der Gründe für diese positiven Eigenschaften ist die algebraische Abgeschlossenheit der komplexen Zahlen. Dies bedeutet, dass jede algebraische Gleichung über den komplexen Zahlen eine Lösung besitzt. Diese Eigenschaft ist der Inhalt des Fundamentalsatzes der Algebra. Ein weiterer Grund ist ein Zusammenhang zwischen trigonometrischen Funktionen und der Exponentialfunktion, der über die komplexen Zahlen hergestellt werden kann.
Für die Menge der komplexen Zahlen wird das Symbol verwendet.
Definition
Als komplexe Zahlen bezeichnet man die Zahlen der Form (bzw. in verkürzter Notation ), wobei für die Addition:
und für die Multiplikation gilt:
Die imaginäre Einheit ist dabei eine nicht-reelle Zahl mit der Eigenschaft ; obige Formel für die Multiplikation ergibt sich damit durch einfaches Ausmultiplizieren und Neugruppieren.
Man nennt den Realteil und den Imaginärteil von .
Eine formale Präzisierung wäre beispielsweise die folgende: Die komplexen Zahlen sind ein Körper , der die reellen Zahlen als Teilkörper enthält, zusammen mit einem Element , das die Gleichung erfüllt, so dass sich jedes Element von auf eindeutige Weise in der Form mit schreiben lässt. Zwei Paare und können auf eindeutige Weise miteinander identifiziert werden.
Zur Notation
- Die -Notation wird auch als kartesische oder algebraische Form bezeichnet. Die Bezeichnung kartesisch erklärt sich aus der Darstellung in der komplexen bzw. Gaußschen Zahlenebene (s. weiter unten).
- In der Elektrotechnik wird das kleine i schon für zeitlich veränderliche Ströme verwendet (siehe Wechselstrom) und kann zu Verwechselungen mit der imaginären Einheit führen. Daher wird in diesem Bereich der Buchstabe verwendet [z. B. Taschenbuch der Hochfrequenztechnik Bd.1..3; Meinke, Grundlach, 1992 ].
- In der Physik wird zwischen für Wechselstrom und für die imaginäre Einheit unterschieden. Dies führt durch die recht klare Trennung beim aufmerksamen Leser nicht zu Verwechslungen und wird in dieser Form weitgehend sowohl in der physikalisch-experimentellen als auch in der physikalisch-theoretischen Literatur angewendet. Siehe auch: komplexe Wechselstromrechnung
- Komplexe Zahlen werden häufig auch unterstrichen dargestellt, um sie von reellen Zahlen zu unterscheiden.
Rechenregeln in der algebraischen Form
Addition, Subtraktion
Analog zur Addition
funktioniert auch die Subtraktion
- .
Multiplikation
Der Realteil des Produkts besteht aus dem Produkt der Realteile minus dem Produkt der Imaginärteile, der Imaginärteil des Produkts ist die Summe der beiden gemischten Produkte „Realteil mal Imaginärteil“:
Division
Der Quotient zweier komplexer Zahlen und mit lässt sich berechnen, indem man den Bruch mit dem komplex konjugierten des Nenners erweitert. Der Nenner wird dadurch reell:
Rechenbeispiele
Addition:
Subtraktion:
Multiplikation:
Division:
Weitere Eigenschaften
- Der Körper der komplexen Zahlen ist einerseits ein Oberkörper von , andererseits ein zweidimensionaler -Vektorraum.
- Die Körpererweiterung ist vom Grad ; genauer ist isomorph zum Quotientenkörper , wobei das Minimalpolynom von über ist. Ferner bildet bereits den algebraischen Abschluss von .
- Als -Vektorraum besitzt die Basis . Daneben ist wie jeder Körper auch ein Vektorraum über sich selbst, also ein eindimensionaler -Vektorraum mit Basis .
- und sind genau die Lösungen der quadratischen Gleichung . In diesem Sinne kann als „Wurzel aus “ aufgefasst werden.
- ist im Gegensatz zu kein geordneter Körper, d. h. es gibt keine mit der Körperstruktur verträgliche Ordnungsrelation „<“ auf . Von zwei unterschiedlichen komplexen Zahlen kann man daher nicht sagen, welche von beiden die größere bzw. die kleinere Zahl ist.
Komplexe Zahlenebene
Während sich die Menge der reellen Zahlen an einer Zahlengeraden veranschaulichen lässt, kann man die Menge der komplexen Zahlen als Ebene (komplexe Ebene, Gaußsche Zahlenebene) veranschaulichen. Dies entspricht der "doppelten Natur" von als zweidimensionalem reellem Vektorraum. Die Teilmenge der reellen Zahlen bildet darin die waagerechte Achse, die Teilmenge der rein imaginären Zahlen (d. h. mit Realteil 0) bildet die senkrechte Achse. Eine komplexe Zahl besitzt dann die horizontale Koordinate und die vertikale Koordinate .
Gemäß Definition entspricht die Addition komplexer Zahlen der Vektoraddition. Die Multiplikation ist in der gaußschen Ebene eine Drehstreckung, was nach Einführung der Polardarstellung weiter unten klarer werden wird. Besonders in der Physik wird die geometrisch anschauliche Ebene häufig als die komplexe Zahlenebene aufgefasst und der Notation der komplexen Zahlen der Vorzug vor der Vektordarstellung gegeben.
Polarform und Exponentialform
Jede komplexe Zahl kann in der Form
dargestellt werden, da und ist.
- Die Darstellung heißt Polarform oder trigonometrische Form.
- Die Darstellung mit Hilfe der komplexen e-Funktion heißt auch Exponentialform.
Vermöge der Eulerschen Identität sind Polarform und Exponentialform bedeutungsgleich. Für die Polarform gibt es auch die alternativen Schreibweisen
- .
In der komplexen Zahlenebene entspricht dabei der euklidischen Vektorlänge (d. h. dem Abstand zum Ursprung 0) und dem mit der reellen Achse eingeschlossenen Winkel der Zahl .
Üblicherweise wird der Betrag oder Modul von (Schreibweise ) genannt, wird ein Argument (oder auch Winkel oder Phase) von genannt. Da und demselben Winkel entsprechen, ist die Polardarstellung zunächst nicht eindeutig. Deshalb schränkt man meist auf das Intervall ein und spricht dann von dem Argument von ; der Zahl ließe sich jedes beliebige Argument zuordnen.
Alle Werte bilden den Einheitskreis der komplexen Zahlen mit dem Betrag .
Komplexe Konjugation
Dreht man das Vorzeichen des Imaginärteils einer komplexen Zahl um, erhält man die zu konjugiert komplexe Zahl (manchmal auch geschrieben).
Die Konjugation ist ein Körperautomorphismus (involutorischer Automorphismus), da sie mit Addition und Multiplikation verträglich ist, d. h. für alle gilt
- .
In der Polardarstellung hat die komplex konjugierte Zahl bei unverändertem Betrag gerade den negativen Winkel von . Man kann die Konjugation in der komplexen Zahlenebene also als die Spiegelung an der reellen Achse identifizieren. Insbesondere werden unter der Konjugation genau die reellen Zahlen wieder auf sich selbst abgebildet.
Das Produkt einer komplexen Zahl mit ihrer komplex Konjugierten ergibt das Quadrat des Betrages:
Umrechnungsformeln
Von der algebraischen Form zur Polarform
Für in algebraischer Form ist
- ;
für wird das Argument wie folgt bestimmt:
Die Berechnungsvariante über den Arcustangens benötigt Fallunterscheidungen, da der Sonderfall extra behandelt werden muss und da der Tangens denselben Wert zweimal im Intervall annimmt. Die Verwendung der arccos-Version kommt mit weniger Fallunterscheidungen aus, da nur das Problem der doppelten Winkel zu behandeln ist. Die neueren Programmiersprachen stellen aber meist eine ArcTan-Funktion zur Verfügung, die den Wert je nach Vorzeichen von a und b dem passenden Quadranten zuordnet (häufig mit Namen atan2).
Eine oftmals sehr praktische Alternative, die ohne Fallunterscheidung auskommt ist
Von der Polarform zur algebraischen Form
Wie weiter oben stellt a den Realteil und b den Imaginärteil jener komplexen Zahl dar.
Multiplikation und Division in der Polarform
Bei der Multiplikation werden die Beträge multipliziert und die Phasen addiert:
Bei der Division wird der Betrag des Dividenden durch den Betrag des Divisors geteilt, und die Phase des Divisors von der Phase des Dividenden subtrahiert:
Multiplikation in der Exponentialform
Hier werden die Beträge multipliziert und die Phasen addiert:
Wurzeln
Beim Rechnen mit Wurzeln ist größte Vorsicht angebracht, da die bekannten Rechenregeln für reelle Zahlen hier nicht gelten. Egal, welchen der beiden möglichen Werte oder man für festlegt, erhält man z. B.
Pragmatische Rechenregeln
Am einfachsten lassen sich die Berechnungen folgendermaßen durchführen:
- Addition und Subtraktion komplexer Zahlen werden (in der algebraischen Form) komponentenweise durchgeführt.
- Bei der Multiplikation komplexer Zahlen werden ihre Beträge multipliziert und ihre Argumente (Winkel) addiert.
- Bei der Division komplexer Zahlen werden ihre Beträge dividiert und ihre Argumente (Winkel) subtrahiert.
- Beim Potenzieren einer komplexen Zahl mit einem reellen Exponenten wird ihr Betrag potenziert und ihr Argument (Winkel) mit dem Exponenten multipliziert.
- Beim Radizieren (Wurzel ziehen) einer komplexen Zahl mit einem reellen Exponenten wird ihr Betrag radiziert und ihr Argument (Winkel) durch den Exponenten dividiert. Hierdurch entsteht die erste Lösung. Bei einer -ten Wurzel entstehen Lösungen, die im Winkel von um den Ursprung der Gauß'schen Ebene verteilt sind. Siehe Wurzel (Mathematik)
Konstruktion der komplexen Zahlen
Damit die obige axiomatische Definition einen Sinn hat, muss nachgewiesen werden, dass es überhaupt einen Körper mit den benötigten Eigenschaften gibt. Dies leisten die folgende Konstruktionen.
Paare reeller Zahlen
Die Konstruktion nimmt zunächst keinerlei Bezug auf die imaginäre Einheit : Im 2-dimensionalen reellen Vektorraum der geordneten reellen Zahlenpaare wird neben der Addition
(das ist die gewöhnliche Vektoraddition) eine Multiplikation durch
definiert.
Nach dieser Festlegung schreibt man , und wird zu einem Körper, dem Körper der komplexen Zahlen.
Erste Eigenschaften
- Die Abbildung ist eine Körpereinbettung von in , vermöge derer wir die reelle Zahl mit der komplexen Zahl identifizieren.
Bezüglich der Addition ist:
- die Zahl das Nullelement in und
- die Zahl das inverse Element in .
Bezüglich der Multiplikation ist:
- die Zahl das neutrale Element (das Einselement) von und
- das Inverse (Reziproke) zu ist .
Bezug zur Darstellung in der Form a + bi
Durch wird die imaginäre Einheit i festgelegt; für diese gilt .
Jede komplexe Zahl besitzt die eindeutige Darstellung der Form
mit ; dies ist die übliche Schreibweise für die komplexen Zahlen.
Polynome: Adjunktion
Eine weitere Konstruktion der komplexen Zahlen ist der Faktorring
des Polynomringes in einer Unbestimmten über den reellen Zahlen. Die Zahl i entspricht dabei dem Bild der Unbestimmten , die reellen Zahlen werden mit den konstanten Polynomen identifiziert.
Dieses Konstruktionsprinzip ist auch in anderem Kontext anwendbar, man spricht von Adjunktion.
Matrizen
Die Menge der -Matrizen der Form
- mit
bildet ebenfalls ein Modell der komplexen Zahlen: Reelle Zahlen entsprechen Diagonalmatrizen
die Zahl i ist die Matrix
Die zu diesen Matrizen gehörenden linearen Abbildungen sind, sofern und nicht beide null sind, Drehstreckungen im Raum . Es handelt sich genau um dieselben Drehstreckungen wie bei der Interpretation der Multiplikation mit einer komplexen Zahl in der gaußschen Zahlenebene.
Geschichtliches
Die Unmöglichkeit der oben angegebenen Lösung ist bei der Behandlung der quadratischen Gleichung schon sehr früh bemerkt und hervorgehoben worden, z. B. schon in der um 820 n. Chr. verfassten Algebra des Muhammed ibn Mûsâ Alchwârizmî. Aber bei dem nächstliegenden und unanfechtbaren Schluss, dass diese Art von Gleichung nicht lösbar ist, blieb man nicht stehen.
In gewissem Sinne ist bereits der Italiener Gerolamo Cardano (1501–1576) in seinem 1545 erschienenen Buch Artis magnae sive de regulis algebraicis liber unus darüber hinausgegangen. Er behandelt dort die Aufgabe, zwei Zahlen zu finden, deren Produkt 40 und deren Summe 10 ist. Er hebt hervor, dass die dafür anzusetzende Gleichung:
- oder
keine Lösung hat, fügt aber einige Bemerkungen hinzu, indem er in die allgemeine Lösung der quadratischen Gleichung
für und die Werte (−10) und 40 einsetzt. Wenn es also möglich wäre dem sich ergebenden Ausdruck
- oder
einen Sinn zu geben, und zwar so, dass man mit diesem Zeichen nach den selben Regeln rechnen dürfte, wie mit einer reellen Zahl, so würden die Ausdrücke
- oder
in der Tat eine Lösung darstellen.
Für die Quadratwurzel aus negativen Zahlen und allgemeiner für alle aus einer beliebigen reellen Zahl und einer beliebigen reellen Zahl zusammengesetzten Zahl
- oder
hat sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Bezeichnung imaginäre Zahl eingebürgert.
Im Gegensatz dazu wurden als gewöhnliche Zahl die reellen Zahlen bezeichnet. Eine solche Gegenüberstellung der zwei Begriffe findet sich in der 1637 erschienenen Geómetrie von Descartes und taucht dort wohl zum ersten Mal auf.
Heute bezeichnet man nur noch den Ausdruck, der durch die Wurzel aus einer negativen Zahl gebildet wird, als imaginäre Zahl und die von beiden Arten von Zahlen gebildete Menge von Zahlen als komplexe Zahlen. Man kann daher sagen, dass Cardano zum erstem mal im heutigen Sinne mit komplexen Zahlen gerechnet hat und damit eine Reihe von Betrachtungen angestellt hat.
Da das Rechnen mit diesen als „sinnlos“ angesehenen Zahlen zunächst als bloßes Spiel erschien, war man umso überraschter, dass dieses „Spiel“ sehr häufig wertvolle Ergebnisse lieferte oder schon bekannten Ergebnissen eine befriedigendere Form zu geben erlaubte. So kam Leonhard Euler zum Beispiel in seiner Introductio in analysin infinitorum zu einigen bemerkenswerten Gleichungen, die nur reelle Zahlen enthielten und sich ausnahmslos als richtig erwiesen, die aber auf anderem Wege nicht so einfach gewonnen werden konnten.
So kam es, dass man diese Zahlen nicht als widersinnig verwarf, sondern sich immer mehr mit ihnen beschäftigte. Trotzdem umgab dieses Gebiet der Mathematik noch immer etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes und Unbefriedigendes. Erst durch die Abhandlung Essai sur la répresentation analytique de la direction aus dem Jahre 1797 des norwegisch-dänischen Landmessers Caspar Wessels (1745–1818) wurde die Aufklärung über diese Zahlen angebahnt. Diese Arbeit, die er bei der dänischen Akademie einreichte, fand anfangs keine Beachtung. Ähnlich erging es Arbeiten anderer Mathematiker, sodass diese Betrachtungen noch mehrfach angestellt werden mussten.
Als Erster definierte Augustin Louis Cauchy 1821 in seinem Lehrbuch Cours d'analyse eine Funktion komplexer Variablen in die komplexe Zahlenebene und bewies viele grundlegende Sätze der Funktionentheorie.
Allgemeine Beachtungen fanden sie erst dann, als auch Carl Friedrich Gauß im Jahre 1831 in einem Artikel in den Göttingschen gelehrten Anzeigen dieselben Auffassungen entwickelte, offensichtlich ohne Wissen von irgendwelchen Vorgängern.
Heute machen diese Dinge keinerlei begriffliche oder tatsächliche Schwierigkeiten. Durch die Einfachheit der Definition, der bereits erläuterten Bedeutung und Anwendungen in vielen Wissenschaftsgebieten stehen die komplexen Zahlen den reellen Zahlen in nichts nach. Der Begriff der "imaginären" Zahlen, im Sinne von eingebildeten bzw. unwirklichen Zahlen, hat sich also im Laufe der Jahrhunderte als schiefe Auffassung erwiesen.
Anwendung
Komplexe Zahlen in der angewandten Mathematik
Komplexe Zahlen haben in der Physik und Technik eine wichtige Rolle als Rechenhilfe. So lässt sich insbesondere die Behandlung von Differentialgleichungen zu Schwingungsvorgängen vereinfachen, da sich damit die komplizierten Beziehungen in Zusammenhang mit Produkten von Sinus- bzw. Kosinusfunktionen durch Produkte von Exponentialfunktionen ersetzen lassen, wobei lediglich die Exponenten addiert werden müssen. So fügt man dazu beispielsweise in der komplexen Wechselstromrechnung willkürliche aber passende Imaginärteile in die reellen Ausgangsgleichungen ein, die man bei der Auswertung der Rechenergebnisse dann wieder ignoriert. Es handelt sich dabei lediglich um einen Rechentrick ohne philosophischen Hintergrund.
In der Fluiddynamik werden komplexe Zahlen eingesetzt, um ebene Potentialströmungen zu erklären und zu verstehen. Jede beliebige komplexe Funktion eines komplexen Arguments stellt immer eine ebene Potenzialströmung dar – der geometrische Ort entspricht dem komplexen Argument in der gaußschen Zahlenebene, das Strömungspotenzial dem Realteil der Funktion, und die Stromlinien den Isolinien des Imaginärteils der Funktion mit umgekehrtem Vorzeichen. Das Vektorfeld der Strömungsgeschwindigkeit entspricht der konjugiert komplexen ersten Ableitung der Funktion. Durch das Experimentieren mit verschiedenen Überlagerungen von Parallelströmung, Quellen, Senken, Dipolen und Wirbeln kann man die Umströmung unterschiedlicher Konturen darstellen. Verzerren lassen sich diese Strömungsbilder durch konforme Abbildung – das komplexe Argument wird durch eine Funktion des komplexen Arguments ersetzt. Beispielsweise lässt sich die Umströmung eines Kreiszylinders (Parallelströmung + Dipol + Wirbel) in die Umströmung eines tragflügel-ähnlichen Profils (Schukowski-Profil) verzerren und die Rolle des tragenden Wirbels an einer Flugzeug-Tragfläche studieren. So nützlich diese Methode zum Lernen und Verstehen ist, zur genauen Berechnung reicht sie im allgemeinen nicht aus.
Wichtig ist auch die Anwendung komplexer Zahlen bei der Berechnung uneigentlicher reeller Integrale im Rahmen des Residuensatzes der Funktionentheorie.
Komplexe Zahlen in der reinen Mathematik
Ein wichtiges Anwendungsgebiet in der reinen Mathematik ist die analytische Zahlentheorie. Man nutzt aus, dass die ganzen und die rationalen Zahlen, die eines der Hauptstudienobjekte der Zahlentheorie sind, in den komplexen Zahlen liegen. Die so gewonnene Freiheit erlaubt die Anwendung analytischer Methoden, die ggf. Rückschlüsse auf die ganzen und rationalen Zahlen zulassen.
Ferner liefern die komplexen Zahlen die Ausgangsbasis für die sog. komplexe Geometrie, d. h. das Studium komplexer Mannigfaltigkeiten. Dieses Gebiet ist schon für sich genommen sehr wichtig. Außerdem liefern Aussagen der komplexen Geometrie oft Hinweise auf Zusammenhänge in der algebraischen Geometrie, welche sehr ähnliche Gebilde studiert.