Marienkirche (Büdingen)

Kirchengebäude in Büdingen, Hessen
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Die Marienkirche, auch Liebfrauenkirche genannt, ist die Hauptkirche der Stadt Büdingen in Hessen. Die Kirche entstand unter der Regierung Heinrich von Isenburgs im Jahre 1367 und 1370 als hölzerne „Liebfrauenkapelle“ auf dem damaligen Marktplatz innerhalb der Stadtmauern. Sie war die Nachfolgerin der außerhalb der Stadt gelegenen Pfarrkirche St. Remigius.

Südseite der Marienkirche
Blick auf die Marienkirche vom Pfaffenwald
Standort der Marienkirche in der Altstadt

Entstehung der Marienkirche

Mit dem Wachstum der Bevölkerung, wuchs auch das Bedürfnis, ein eigenes Gotteshaus in der Stadt zu haben, so dass 1367 die hölzerne Kapelle zunächst als ein Provisorium entstand, das den Stadtbürgern den oft gefährlichen Weg zur außerhalb des Schutzes der Stadtmauern liegenden Remigiuskirche ersparen sollte. 1367 wird die „Liebfrauen-Kapelle“ auch zum ersten mal urkundlich als hölzerne Kapelle erwähnt.

Bereits 1377, erst zehn Jahre nach ihrem Bau, wurde die Marien- oder Liebfrauenkapelle unter Johann I. von Isenburg und seiner Gemahlin Sophie von Wertheim in Steinbauweise umgebaut, vermutlich, weil die hölzerne Kapelle nicht mehr genügte. Der Umbau erfolgte als dreischiffige Basilika, die aus der Not des in der Stadt nur spärlich vorhandenen Raum in Nord-Süd-Richtung orientiert war. Wesentliche Baureste dieser ersten steinernen Kirche sind noch als Bestandteile der heutigen Marienkirche erhalten, wie der Triumphbogen und das erste Joch der Choranlage auf der Südseite, der heutigen Seitenkapelle und das gotisches Portal unter dem Gewölbe des heutigen Turms auf der Nord-Seite, das die Jahreszahl 1370 trägt. Das Portal weist durch seine beträchtlich vertiefte Lage auf ein wesentliches Problem der Büdinger Altstadt hin: Die häufigen Überschwemmungen durch den Seemenbach und die damit verbundene Anschwemmung von Boden im Stadtbereich.

1378 konnte der Altar- und Messedienst in der neuen Kapelle aufgenommen werden. Diether von Isenburg, Erzbischof von Mainz, gestattete wegen der Gefahr feindlicher Überfälle auf dem Weg zum und während des Gottesdienstbesuchs in der Remigiuskirche, die Messe in der Liebfrauenkirche lesen zu lassen. Entsprechend der zunehmenden Rechte der Kapelle verlor die Remigiuskirche im Großendorf an Bedeutung. Ab 1444 durfte in der Liebfrauenkirche das „Salve Regina“ gesungen werden. Erzbischof Theodorius von Mainz genehmigte ein Jahr später, dort ein tägliches Messopfer abzuhalten. 1456 wurde der Bau zwischen Kirche und Kirchturm um die „Neue Schule“ ergänzt.

Auch außerhalb der Stadtmauer bestanden Kapellen, etwa die dem Evangelisten Johannes geweihte Burgkapelle oder die zwischen Stadt und Friedhof gelegene Corporis-Christi-Kapelle (erbaut 1350). Die Corporis-Christi-Kapelle, meistens Herrgottskirche genannt, diente bis ins späte Mittelalter der Sebastiansbruderschaft als Gotteshaus. Noch heute unklar ist der Standort der St. Nikolauskapelle. Mit der Reformation verwaisten diese Kapellen, verfielen und wurden später abgebrochen. Einzig Bestand hatte die Kapelle in der Burg.

Umbau zur heutigen Gestalt

 
Das 'Jüngste Gericht' über dem Triumphbogen
 
Netzgewölbe mit Wappenschilden
 
Hochaltar

Unter der Herrschaft des kunstsinnigen Grafen Ludwig II und seine Gemahlin Maria von Nassau erfolgte zwischen 1476 und 1491 der Umbau der Kapelle in eine gotische Residenzkirche, die damit ihre heutige bauliche Gestalt erhielt. Um Platz für den Bau des neuen Gotteshaus zu schaffen, mussten verschiedene Häuser der Altstadt abgebrochen werden. Der Bau begann, wie die Bauinschrift belegt, mit der Errichtung des lichtdurchfluteten Chores, der der Kirche eine feierliche Note verleiht. Durch den Umbau wurde die Ausrichtung der Kirche in die liturgischen korrekte Ost-West-Richtung gedreht. Der Bau griff in vielen Bereichen Elemente der Frankfurter Kirchenbauschule auf.

Mit dem Grundriss des Langhauses orientierten sich die gräfliche Bauhütte unter Meister Hans Kune offensichtlich den der nahen Klosterkirche in Hirzenhain, während das weit gespannte Netzgewölbe im dominierenden Mittelschiff dem Langhausgewölbe der früheren Peterskirche in Frankfurt entspricht. Im Gegensatz zu den figurierten Gewölben in den Bauten der Frankfurter Schule finden sich im Treffpunkte der Rippen kein schmückendes Blattwerk. Statt dessen wurden dort der Bedeutung als Residenzkirche entsprechend skulptierte Wappenschilde der Ahnen des Bauherrn Ludwig II. und seiner Gemahlin Maria von Nassau anzuheftet. Derartige Motive waren vor dem Bau der Marienkirche am Mittelrhein unbekannt. Prägend für andere Bauten der ausgehenden Hochgotik, wie etwa für Hitzkirchen, Bischofsheim, Hanau, Babenhausen oder Groß-Umstadt, war der Einfluss der während der Bauzeit entstandenen „Büdinger Bauschule“.

Die schmalen, längsrechteckigen Seitenschiffsjoche sind den breiten, querrechteckigen Mittelschiffsjochen zugeordnet und bilden so die Grundlage der weitgespannten Arkadenbögen. Die Kirche war mit prachtvollen Altären ausgestattet. Neben dem noch vorhandenen Hochaltar werden ein Marienaltar, ein Martins und ein St. Georgsaltar genannt. Die Wände waren mit beeindruckenden Wandmalereien bedeckt, von denen heute im Wesentlichen nur noch die Darstellung des jüngsten Gerichts über dem Triumphbogen erhalten ist.

Nach dem Abschluss der Baumaßnahme wurde die jetzt gotische Hallenkirche zur Stadtkirche erhoben. Nach ihrer Weihe im Jahre 1492 erhielt die Kirche 1495 auch das Taufrecht und übernahm damit alle gottesdienstlichen Funktionen der St.-Remigiuskirche im Großendorf. Die Stadt Büdingen gehörte dem Erzbistum Mainz an und unterstand kirchenrechtlich dem Archidiakonat des Marienstifts zu den Greden. Das Patronatsrecht über die Pfarrkirche und die Kapellen wurde vom Kloster Marienborn ausgeübt.

Reformation und Calvinismus

 
Epitaph Anton von Ysenburg und Elisabeth von Wied (1563)
 
Epitaph eines Hofbeamten

Die Reformation erreichte 1543 auch Büdingen. Zunächst wurden lediglich einige Umgestaltungen liturgischer Art vorgenommen, es blieb bis 1584 aber bei der lateinischen Messe, und auch die Fastenzeiten wurden beibehalten. Die Einrichtung der Kirche, wie die Altäre, die Heiligen und die Taufsteine, blieb durch die Einführung der lutherischen Lehre unverändert. Seit der Reformation diente der Chor auch als Grablege des Herren- und Grafenhauses und löste damit das Kloster Marienborn ab. Eine im Boden eingelassene Bronzeplatte hinter dem Altar belegt dies. Heute noch vorhanden ist das sandsteinerne Epitaph (Grabdenkmal) des Grafen Anton von Ysenburg und seiner Gemahlin Elisabeth von Wied aus dem Jahre 1563, das einem Mainzer Bildhauer „Schro“ zugeschrieben wird. Die lebensgroßen, höfisch gekleideter Figuren des Grafenpaares, teilen den noch Lebenden mit der Grabinschrift mit: „Ero Mors Tua mors - Ich bin tot und Du wirst auch sterben“. Bedeutende Familien des ysenburgischen Lehnshofes ließen sich vor den Altarstufen im Langhaus beerdigen, wovon einige an den Wänden des Langhaus aufgestellte oder eingemauert Grabsteine zeugen. Im Jahr 1556 wurde zwischen dem Turm und dem Langhaus die „Neue Schule“ eingerichtet.

Graf Wolfgang von Ysenburg-Kelsterbach, aus der Ysenburg-Ronneburger Linie, schloss sich der reformierten Lehre an. Sein Vetter Wolfgang Ernst I. (* 1560, † 1633) von der Birsteiner Linie folgte bald dessen Beispiel. Entsprechend dem Grundsatz Cuius regio, eius religio führte er die Reformation in seinem Landesteil ein. Büdingen war zu dieser Zeit aber gemeinsamer Besitz verschiedener Ysenburger Linien, deren Gegensätze auf konfessionellem Gebiet sich entsprechend auswirkten. Die religiösen Meinungsverschiedenheiten mit Graf Heinrich von der Ronneburger Linie begannen 1584 und endeten erst mit dem Tod Heinrichs 1601, nach dem Büdingen calvinistisch wurde.

Mit der konfessionellen Umstellung ging auch ein Bildersturm einher, bei dem viele Elemente der Innenausstattung verloren gingen. In den Kirchen und den wenigen verbliebenen Kapellen wurde alles geräumt, was aus katholischen oder lutherischen Zeiten stammte. Altäre, Kruzifixe, Heiligenbilder, Taufsteine wurden entfernt und zerschlagen und Wandgemälde übertüncht. In der Marienkirche überstanden einzig der Hochaltar und die genannten Epitaphe den Sturm. Die Grabmäler wurden durch hölzerne Verschläge verdeckt. Über viele Jahre blieb das religiöse Leben Büdingens gestört. Das Wandgemälde des jüngsten Gerichts wurde 1956 bei Renovierungsarbeiten entdeckt und wieder freigelegt.

Spätere bauliche Änderungen

An Stelle des zweiten Joches des älteren Marienchores der ersten Steinkirche wurde im Jahr 1602 auf der Südseite das „Neue Consistorium“, auch „Presbyterium“ genannt, erbaut. Dort traf sich das Consistorium, der Kirchenrat der Grafschaft Isenburg und Büdingen unter dem Vorsitz des damaligen Grafen Wolfgang Ernst.

1776 wurde der schadhafte gotischen Turmhelm durch eine neue barockene Haube ersetzt.

Im Chor findet sich heute eine Ehrentafel für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Der Altar ist mit einem aus der Zeit um 1500 stammende spätgotische Kruzifix geschmückt.

Schabemarken

 
Schabemarken der „Weisen Frauen“

An der Südseite des Chores der Marienkirche fallen eine Vielzahl von senkrechten Schabemarken an den äußeren Strebepfeilern ins Auge. Unterhalb der Rillen finden sich näpfchenartige Vertiefungen. Vermutlich handelt es sich dabei um Zeugnisse der Büdinger „Weisen Frauen“ aus dem 16. Jahrhundert. Diese rieben von der geheiligten Stätte Steinstaub ab, um daraus Arzneien zu erzeugen. Der im Mittelalter weit verbreitete Aberglaube besagte, dass der Staub, dem man daher gerne mit sich trug, vor allerlei bösen Geister schütze. Diesen Staub mischte man auch oft Heilmitteln bei, um üble Krankheiten zu verhüten oder zu heilen.

Über ein anderes Büdinger Heilmittel bereichtet der Kupferstecher Matthäus Merian: „Bey dieser Statt in einem Acker gibt es viel Krottenstein so äußerlich und innerlich das Gift abtreiben. Haben eine schöne Signatur am bufonis, gleich wie die Natterzungen in Malta sondere Signaturen haben.“ Bei den von Merian beschriebenen Krottensteinen handelt es sich um Versteinerungen von Muscheln aus dem Zechsteinmeer. Diese wurden in Mörsern pulverisiert und Arzneien beigemischt. Heute findet man diese vorzeitlichen Relikte noch am südlichen Ausgang des Eisenbahntunnels zwischen Büdingen und Gründau.

Weitere Entwicklungen

Durch das am 29. März 1712 durch Grafen Ernst Casimir erlassene Toleranzedikt ermutigt, siedelten ab dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 und vor allem zu Anfang des 18. Jahrhunderts siedelten sich Inspirierte, Separatisten, Pietisten und andere christliche Sekten in der Stadt Büdingen und auf den umgebenden Ländereien der Ysenburger Herren an. Ernst Casimir gestattete den nach Büdingen Zuziehenden „vollkommene Gewissensfreiheit“ und verlangte im Gegenzug, dass sie sich „im Bürgerlichem Wandel gegen Obrigkeit und Unterthanen sowohl als in ihren Häusern ehrbar, sittsam und christlich sich aufführen“ sollten. Sein eigentliches Ziel war es, dem von Krieg und Pest verursachten Bevölkerungsrückgang entgegenzuwirken.

Bereits im 17. Jahrhundert lebten wieder einzelne Lutheraner in Büdingen. Deren Anzahl stieg im 18. Jahrhundert zunehmend an, so dass 1769 eine eigene Pfarrei gegründet wurde. Nach vierjähriger Bauzeit konnte am 26. August 1774 die lutherische Kirche in der Schlossgasse geweiht werden. Das Gebäude diente von 1829 als Gymnasium und zwischen 1879 und etwa 1980 als Amtsgerichts. Dreihundert Jahre nach der Reformation 1517 vereinigten sich auch in Büdingen die Lutheraner und Reformierten zu einer evangelischen Gemeinde. Seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstand auch wieder eine katholische Gemeinde in Büdingen.

Als Bestandteil der Gesamtanlage Altstadt Büdingen genießt die Marienkirche Sonderschutz gem. Kap. II Art. 8 der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut.

Literatur/Quellen

  • Marienkirche von Dr. Walter Nieß in Jungborn Büdingen
  • Hans-Velten Heuson: Büdingen - Gestern und Heute: Arbeiten zur Geschichte der Stadt und ihres Umfeldes (1300 - 1945). Aufsatzsammlung von Hans-Velten Heuson. Zum 75. Geburtstag des Autors gesammelt und herausgegeben von Volkmar Stein, Büdingen 2004, 293 Seiten, A4.
  • Faltplan „Rundgang durch Büdingen“ mit erläuternden Texten von Hans-Velten Heuson
  • „Bürgerinformation“ der Stadt Büdingen, BVB-Verlagsgesellschaft mbH, 2003
Commons: Marienkirche (Büdingen) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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