Henry Kissinger

US-amerikanischer Diplomat, Politiker (Republikaner) und Friedensnobelpreisträger (1923–2023)
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Henry Alfred Kissinger, eigentlich Heinz Alfred Kissinger (* 27. Mai 1923 in Fürth) ist ein US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Politiker deutscher Herkunft.

Henry Kissinger

Leben und Werk

Ausbildung und wissenschaftliche Karriere

Henry Kissinger wurde als Heinz Alfred Kissinger in Fürth i.Bay. geboren, sein Vater war Lehrer. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft flohen seine Eltern mit ihm 1938 aus dem nationalsozialistischen Deutschen Reich in die USA. Er ging in New York City auf die George Washington High School. Am 19. Juni 1943 erhielt Kissinger die Staatsbürgerschaft der USA und wurde im selben Jahr zum Militärdienst bei den Landstreitkräften eingezogen. Der Zweite Weltkrieg brachte ihn nach Deutschland. Nach dessen Ende blieb er in Deutschland und arbeitete in der amerikanischen Besatzungszone beim Spionageabwehrdienst.

Im Jahr 1947 kehrte er in die USA zurück und studierte am Harvard College, wo er 1950 seinen Bachelor erhielt. 1952 schloss er seinen Master ab und zwei Jahre später seine Promotion, beide an der Harvard University. Seine Promotionsschrift wurde später unter dem Titel „A World Restored: Metternich, Castlereagh and the Problems of Peace 1812-1822“ veröffentlicht und wurde ein erfolgreiches Standardwerk der Geschichtsschreibung. Von 1954 bis 1971 war er Mitglied des Lehrkörpers der Harvard University sowie Mitarbeiter im Department of Government. 1954 bearbeitete er die Frage nach der militärischen Herausforderung der USA durch die Sowjetunion für sein Werk „Nuclear Weapons and Foreign Policy“. Von 1957 bis 1960 war Kissinger Direktor des Harvard Center for International Affairs und von 1958 bis 1969 Direktor des Harvard Defense Studies Program. Von 1950 bis 1960 war er außerdem Berater der Behörde für Waffenentwicklung beim Vereinigten Generalstab und von 1961 bis 1968 Berater der US-Agentur für Waffenkontrolle und Abrüstungsfragen. Im Jahr 1977, nach seinem Ausscheiden aus der Politik, nahm er eine Professur für Internationale Diplomatie an der Georgetown University in Washington (D.C.) an.

Politische Laufbahn

Erste politische Erfahrung sammelte Henry Kissinger als Berater des Gouverneurs Nelson A. Rockefeller ab 1957. In der Folge wurde er auch von den US-Präsidenten John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson und Richard Nixon geschätzt. Mit der Wahl Richard Nixons zum Präsidenten 1968 wurde Kissinger offizieller Berater für Außen- und Sicherheitspolitik (National Security Advisor). Die USA hatten zu dem Zeitpunkt vor allem aufgrund des Vietnamkrieges im außenpolitischen Bereich deutliche Probleme, zugleich hatte die Sowjetunion im Nahen Osten die politische Oberhand gewonnen.

Im Juli und November 1971 unternahm er zwei geheime Reisen in die Volksrepublik China, um in Gesprächen mit dem damaligen Premierminister Zhou Enlai den Weg für Nixons Besuch und eine Normalisierung der Beziehungen zwischen China und den USA zu bereiten. Diese Verhandlungen führten dazu, dass Kissinger heutzutage von führenden chinesischen Politikern häufig als „der alte Freund des chinesischen Volkes“ bezeichnet wird.

Im gleichen Jahr bereiste er auch die Sowjetunion, wo er in Moskau das erste Abkommen zur Rüstungsbegrenzung zwischen den USA und der Sowjetunion vorbereitete. Er etablierte eine Politik der Entspannung zwischen beiden Staaten und war der amerikanische Unterhändler in den Strategischen Rüstungsbegrenzungsgesprächen, die im SALT I Vertrag gipfelten, sowie für den ABM-Vertrag zur Begrenzung strategischer Raketen (Anti Ballistic Missiles).

Auch mit dem nordvietnamesischen Lê Ðức Thọ traf er sich im Geheimen und bereitete mit ihm Friedensgespräche vor, die 1973 zu einem Friedensvertrag im Vietnamkrieg führten. Der Krieg selber ging jedoch noch bis 1975, da Lê Ðức Thọ die weitere Einmischung und Waffenlieferung der USA an die südvietnamesischen Truppen mit weiteren Kriegshandlungen beantwortete. Trotzdem erhielten beide Politiker 1973 den Friedensnobelpreis für den Friedensvertrag, den Lê Ðức Thọ im Gegensatz zu Kissinger jedoch ablehnte, da der Krieg zu dieser Zeit noch andauerte.

Im September 1973 übernahm er unter Richard Nixon das Amt des Außenministers, das er auch im Kabinett von Gerald Ford bis Januar 1977 innehatte.

Von 1973 bis 1974 spielte Kissinger eine große Rolle in den Friedensbemühungen zwischen Israel und den arabischen Ländern, vor allem Syrien. Er handelte das Ende des Jom-Kippur-Krieges aus, der mit Ägyptens und Syriens Versuch der Rückeroberung des im Sechstagekrieg an Israel verlorenen Sinai bzw. der annektierten Golanhöhen begonnen hatte. Kissigers intensive Reisetätigkeit zwischen den Konfliktparteien führte zur Entstehung des damals viel gebrauchten Begriffes Pendeldiplomatie (Shuttle Diplomacy).

Aufgrund seiner Politik gegenüber kleineren Dritte-Welt-Staaten gehört Kissinger dennoch zu den umstrittensten Außenpolitikern der Ära des Kalten Krieges. So unterstützten er und die CIA 1973 den blutigen Putsch des Generals Augusto Pinochet gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende in Chile, da dessen sozialistische Ausrichtung als Bedrohung der US-amerikanischen Interessen in Lateinamerika verstanden wurde (Domino-Theorie). Wegen der Verstrickungen Kissingers in diesen Fall sowie seiner vermuteten Beteiligung an der Operation Condor Mitte der 1970er Jahre ergingen bis heute mehrere gerichtliche Vorladungen in verschiedenen Ländern, denen Kissinger allerdings nie nachgekommen ist. 2001 machte die brasilianische Regierung die Einladung für eine Rede in São Paulo rückgängig, weil sie die Immunität Kissingers nicht garantieren konnte.

Mittlerweile offengelegte Geheimdokumente belegen ebenfalls, dass Kissinger zusammen mit dem damaligen US-Präsident Gerald Ford die völkerrechtswidrige indonesische Invasion Osttimors autorisierte, die von Dezember 1975 bis Februar 1976 ca. 60.000 Opfer kostete. Kissinger bestritt, überhaupt von den Plänen für die Invasion gewusst zu haben, bis inzwischen freigegebene Dokumente das Gegenteil bewiesen.

Von dem US-amerikanischen Star-Journalisten Seymour Hersh wird Kissinger u. a. 1983 in dessen Buch The Price of Power: Kissinger in the Nixon White House massiv angegriffen. Hersh kommentiert Kissingers Verantwortung für die Bombardierung von Zivilisten in Vietnam und Kambodscha folgendermaßen: „When the rest of us can't sleep we count sheep, and this guy [Kissinger] has to count burned and maimed Cambodian and Vietnamese babies until the end of his life.“ (Übersetzung: Wenn der Rest von uns nicht einschlafen kann, zählen wir Schafe, und dieser Typ [Kissinger] muss bis zum Ende seiner Tage verbrannte und verstümmelte kambodschanische und vietnamesische Babys zählen.)

Mit der Amtsübernahme des US-Präsidenten Jimmy Carter schied Henry Kissinger aus dem Amt und zog sich weitestgehend aus dem politischen Wirken zurück. Die Globalisierung kennzeichnete er wie folgt: „Globalisierung ist nur ein anderes Wort für U.S. Herrschaft.“[1] Er unterstützte die Präsidentschaftskandidatur Ronald Reagans 1981 und wurde nach dessen Wahl auch in dessen Beraterstab aufgenommen. Ebenfalls trat er im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen von 2000 als Unterstützer des Kandidaten George W. Bush in der Öffentlichkeit auf.

Sonstiges

1987 erhielt er den Karlspreis der Stadt Aachen. 2005 wurde ein von Aachener gesellschaftlichen und politischen Kräften unterstützter und bisher nicht beschiedener Bürgerantrag gestellt, Kissinger wegen seiner maßgeblichen Beteiligung an Kriegsverbrechen den Karlspreis abzuerkennen. Kissinger ist seit 1998 Ehrenbürger seiner Heimatstadt Fürth. Sein Leben lang ist er treuer Anhänger des Fußballclubs SpVgg Greuther Fürth, dessen Spielergebnisse er sich übermitteln lässt. Zuletzt weilte er 2004 in Fürth. Seit 1996 ist Kissinger Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der bundesunmittelbaren Otto-von-Bismarck-Stiftung.

Kissinger schaffte es wie kein US-Außenminister vor ihm oder nach ihm, Star-Status zu erlangen. Man sah ihn auf vielen gesellschaftlichen Ereignissen mit Showstars wie Frank Sinatra, außerdem wurde ihm ein Verhältnis mit der US-Schauspielerin Jill St. John nachgesagt, das er nie dementierte. Kissinger avancierte zum Medienstar, indem er geschickten Umgang mit Journalisten pflegte. Als Nixon durch die Watergate-Affäre unter Druck geriet und sich stärker aus der Öffentlichkeit zurückzog, besetzte Kissinger den freigewordenen Leerraum und avanciert zu einer Art Ersatz-Präsident. Der für seine Bescheidenheit bekannte Ford wiederum gestattete es dem – nicht zuletzt durch den Nobelpreis – prominent gewordenen Kissinger, seine Star-Rolle weiterzuspielen, auch wenn er ihn schließlich vom Posten des Sicherheitsberaters entband.

Kissinger ist ausserdem Mitglieg im Council on Foreign Relations und regelmäßiger Teilnehmer der Bilderberg-Konferenzen.

Auszeichnungen und Ehrungen

Schriften

  • Kernwaffen und auswärtige Politik. Oldenbourg, München 1959
  • Die Entscheidung drängt. Grundfragen westlicher Außenpolitik. Econ, Düsseldorf 1961.
  • Großmachtdiplomatie. Von der Staatskunst Castlereaghs und Metternichs. Econ, Düsseldorf 1962
  • Amerikanische Außenpolitik. Econ, Düsseldorf 1962.
  • Was wird aus der westlichen Allianz? Econ, Düsseldorf 1965.
  • Memoiren 1968–1973. C. Bertelsmann, München 1979, ISBN 3-57003-138-1
  • Memoiren 1973–1974. C. Bertelsmann, München 1982, ISBN 3-57000-710-3
  • Die weltpolitische Lage. Reden und Aufsätze. C. Bertelsmann, München 1983, ISBN 3-57006-890-0
  • Weltpolitik für Morgen. Reden und Aufsätze 1982–1985. C. Bertelsmann, München 1985, ISBN 3-57006-694-0
  • Das Gleichgewicht der Großmächte. Manesse, Zürich 1986, ISBN 3-71758-062-0
  • Weshalb ich ein Faschist bin. C. Bertelsmann, München 1981, ISBN 3-57503-338-4
  • Die sechs Säulen der Weltordnung. Siedler, Berlin 1992, ISBN 3-88680-358-9
  • Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik. Siedler, Berlin 1994, ISBN 3-88680-486-0
  • Jahre der Erneuerung. Erinnerungen. C. Bertelsmann, München 1999, ISBN 3-570-00291-8
  • Die Herausforderung Amerikas. Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Propyläen, München 2002, ISBN 3-549-07152-3

Literatur

  • Ralph Berger: Die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der VR China, 1969–1979. Die geheimen Verhandlungen von Henry A. Kissinger mit Mao Zedong, Zhou Enlai und Deng Xiaoping. Frankfurt am Main u. a.: Lang 2003. (= Studien zur internationalen Politik; 4) ISBN 3-631-50283-4
  • Edith J. Fresco-Kautsky: Henry A. Kissinger. Historiker und Staatsmann. Köln u. a.: Böhlau 1983. (= Dissertationen zur neueren Geschichte; 13), ISBN 3-412-02183-0
  • Larry Berman: No peace, no honor. Nixon, Kissinger, and Betrayal in Vietnam. New York, NY u.a.: Free Press 2001. ISBN 0-684-84968-2
  • Stephan Fuchs: „Dreiecksverhältnisse sind immer kompliziert“. Kissinger, Bahr und die Ostpolitik. Hamburg: Europäische Verl.-Anst. 1999, ISBN 3-434-52007-4
  • Jussi Hanhimäki: The flawed architect. Henry Kissinger and American foreign policy. Oxford u.a.: Oxford University Press 2004, ISBN 0-19-517221-3
  • Seymour Hersh, The Price of Power: Kissinger in the Nixon White House. 1983
  • Christopher Hitchens: Die Akte Kissinger. Stuttgart u. a.: Dt. Verl.-Anst. 2001. ISBN 3-421-05177-1. Original: The Trial of Henry Kissinger. Verso, 2001, ISBN 1-859-84398-0
  • Walter Isaacson: Kissinger. Eine Biographie. Berlin: Ed. q 1993, ISBN 3-86124-144-7
  • Eugene Jarecki: The Trials of Henry Kissinger. (DVD), 2002
  • Robert D. Schulzinger: Henry Kissinger. Doctor of diplomacy. New York: Columbia Univ. Pr. 1989, ISBN 0-231-06952-9
  • William Shawcross: Schattenkrieg. Kissinger, Nixon und die Zerstörung Kambodschas. Berlin u. a.: Ullstein 1980, ISBN 3-550-07912-5
  • Ismerök Az Igazságot: Kissinger - Person, Politik, Hintermänner Köln: VZD 1974
Commons: Henry Kissinger – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. zitiert in: Biermann/Klönne: Globale Spiele. Imperialismus heute - Das letzte Stadium des Kapitalismus? Köln 2001.

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