Transsexuellengesetz

deutsches, teilweise für verfassungswidrig erklärtes Bundesgesetz über die Vornamens- und Personenstandsänderung bei trans Personen
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Das deutsche Transsexuellengesetz (TSG) wurde im Jahre 1980 mit Wirkung ab 1. Januar 1981 unter dem vollen Titel Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz - TSG) verabschiedet, um Menschen mit von ihrem körperlichen Geschlecht abweichender Geschlechtsidentität die Möglichkeit zu geben, in der zu ihrer Geschlechtidentität passenden Geschlechtsrolle leben zu können. Es sieht entweder nur die Änderung des Vornamens oder dazu auch die vollständige Änderung des Geschlechtseintrages in der Geburtsurkunde (so genannte Personenstandsänderung) vor.

Das Transsexuellengesetz

Basisdaten
Kurztitel: Transsexuellengesetz (TSG)
Voller Titel: Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen
Typ: Bundesgesetz
Rechtsmaterie: Verwaltungsrecht
Gültigkeitsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Abkürzung: TSG
FNA: 211-6
Verkündungstag: 10. September 1980 (BGBl. I 1980, S. 1654)
Aktuelle Fassung: 4. Mai 1998 (BGBl. I 1998, S. 833)

In Deutschland, wie in vielen Ländern, deren Recht wenigstens teilweise auf dem Code Napoleon beruht, muß der Vorname geschlechtsspezifisch sein. Die Änderung des Vornamens kann als alleine angestrebt werden, und die Änderung des Geschlechtseintrags kann später, falls gewünsch und möglich, durchgeführt werden, oder beides kann in einem einzelnen Verfahren durchgeführt werden.

Für beides sind zwei Gutachten notwendig, welche feststellen

  • daß eine Person sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben und
  • mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.

Die Änderung der Vornamen kann (und wird) rückgängig gemacht, wenn die Person heiratet oder ein Kind bekommt oder zeugt, nachdem die Änderung des Vornamens rechtskräftigt wurde. Diese "ordnungsgemäßen" Betätigungen im ursprünglichen Geschlecht wurden als eindeutiger Hinweis darauf verstanden, daß sich die betreffende Person wieder ihrem ursprüglichen Geschlecht zugehörig fühle; durch die Praxis kann diese Auffassung jedoch nicht bestätigt werden. Das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ist daher auch möglich; nicht geklärt ist allerdings, was passiert, wenn ein Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die Änderung des Personenstands beantragt.

Um auch den Geschlechtseintrag zu ändern, muß die Person zusätzlich:

  • ledig sein,
  • dauernd fortpflanzungsunfähig, und
  • sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist.

Das TSG ist - mit wenigen, sehr spezifischen Ausnahmen - nur anwendbar auf deutsche Staatsbürger.

Wie in vielen Fällen der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat zunächst der Antragssteller die Kosten des Verfahrens zu tragen; es sei denn, man verdient wenig genug, um Prozesskostenhilfe beantragen zu können. Die Gerichtskosten selber belaufen sich dabei nur um die 60-70 Euro, jedoch die ebenfalls zu zahlenden Gutachten können von 0 Euro bis mehrere tausend Euro reichen; durchschnittlich muß man mit mindestens 600-1200 Euro rechnen.

Gerichtsentscheidungen zum TSG

Dieses Gesetz ist durch Gerichtsentscheidungen inzwischen sehr stark konkretisiert worden. Ursprünglich besagte das Gesetz, daß weder eine Vornamensänderung noch eine Änderung des Geschlechtseintrags möglich sei bei Personen unter 25 Jahren. Diese Einschränkung wurde durch Gerichte jedoch aufgehoben, so daß es kein Mindestalter mehr gibt.

Ebenfalls bestimmte ein Gericht, daß der Zwang zur geschlechtsangleichenden Operation sich jedenfalls nicht auf eine genitalangleichende Operation bei Transmännern erstrecke, weil weder die Operation noch das Ergebnis zumutbar wären. Jedoch gilt ein entsprechender Eingriff bei Transfrauen grundsätzlich als zumutbar und damit zwingend vorgeschrieben für die Änderung des Geschlechtseintrags.

Andere Gerichtsentscheidungen konkretisieren die Rechte, die sich durch das TSG ergeben. So hat jemand, dessen Vornamen geändert wurde, auch Anspruch darauf, entsprechend dem Vornamen mit "Herr" oder "Frau" angesprochen und angeschrieben zu werden. (Insbesondere Behörden weigern sich zum Teil bis heute, dies zu tun; eine Steuerkarte jedoch, auf der beispielsweise Frau Alexander R steht, ist bei der Suche nach einer Arbeitsstelle wenig vorteilhaft.)

Auch müssen Zeugnisse, auch Arbeitszeugnisse, nach einer Vornamensänderung neu ausgestellt werden, auf den neuen Namen, so daß man bei einer Bewerbung nicht gezwungen ist, die Tatsache, daß man transsexuell (oder transgender) ist, preiszugeben. Tatsächlich brauchen auch Menschen, welche nur die Vornamensänderung haben, ihren Geschlechtseintrag bei einem Arbeitsplatzwechsel nicht anzugeben, auch dann nicht, wenn das Geschlecht bedeutsam für die Arbeit ist, also zum Beispiel als Arzthelferin in einer gynäkolgischen Praxis.

Kritik

Dieses Gesetz wird von vielen Transgender-Aktivisten, teilweise auch von mit diesem Thema befassten Fachleuten (meist Sexualmediziner oder Psychologen), mittlerweile kritisiert, insbesondere in folgenden Punkten:

Formale Diagnose "Transsexualität"

Die Beschränkung auf Menschen mit der formalen Diagnose "Transsexualität" wird als problematisch gesehen, mindestens die Änderung der Vornamen, teilweise auch die Änderung des Personenstandes benötigen auch viele andere Transgender. In der Praxis wird daher immer häufiger "Transsexualität" dort bescheinigt, wo sie de facto und auch nach Wissen des Gutachters nicht vorliegt, was formal eine wissentliche Falschaussage vor Gericht ist. Die Gutachter, die dies tun, riskieren daher durchaus Probleme für ihre Patienten.

Menschen mit anderer Staatsangehörigkeit

Die Geltung (mit wenigen Ausnahmen) nur für deutsche Staatsangehörige ist problematisch; Menschen mit anderer Staatsangehörigkeit haben daher, wenn dieser Staat die Möglichkeit einer Vornamens- oder Personenstandsänderung nicht oder nur unter großen Schwierigekeiten zuläßt, keinerlei Möglichkeit, an Ausweispapiere zu kommen, welche mit ihrem Äußeren übereinstimmen, was im Alltag zu großen Problemen führt. In diesem Zusammenhang läuft zur Zeit (März 2004) ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

Begutachtungen

Auch die Praxis der geforderten Begutachtungen wird kritisiert: Während die Forderung von zwei Gutachten, welche die "Transsexualität" und die "hohe Wahrscheinlichkeit", daß sich daran nichts mehr ändern wird, bestätigen, durchaus sinnvoll erscheint (aber siehe Punkt 1), haben sich in der Praxis vielerorten Verfahren entwickelt, welche zu einer hohen Belastung der betreffenden Transgender, sowohl psychisch als auch finanziell, führen und welche den Sinn der Begutachtung häufig ad absurdum führen:

  • Die Gutachter begutachten häufig nicht, ob Transsexualität vorliegt, sondern ob die betreffende Person ihrem persönlichen Bild eines "richtigen Mannes" oder einer "richtigen Frau" entspricht. Daher bekamen zum Beispiel bereits ernsthafte Probleme: Schwule Transmänner, Transmänner, die noch ihr altes Damenfahrrad fuhren, Transmänner mit "zu langen" Haare (vergleiche Gothic (Kultur)). Lesbische oder noch verheiratete Transfrauen, Transfrauen in (Damen-)Hosen, Transfrauen, die ihre gute berufliche Stellung in einem Beruf, der kein expliziter Frauenberuf war, nicht aufgeben wollten.
  • Einige Gutachter begutachten nahezu ausschließlich die Sexualität der zu Begutachtenden; es wird von Kritikern, auch Fachleuten, entschieden bestritten, daß beispielsweise ein Gutachten von 40 Seiten, von dem 35 jedes erinnerbare Detail des Sexuallebens des zu Begutachtenden ausführt und kritisiert, sinnvoll im Sinne des vom Gesetz vorgeschriebenen Auftrags ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn auf das Leben des zu Begutachtenden außerhalb seines Sexuallebens nicht oder fast nicht eingegangen wird.
  • Die hohen Kosten der Begutachtungen; Gutachten, welche mehrere Tausend Euro kosten, sind keine Seltenheit, mehrere Hundert Euro sind es in den allermeisten Fällen mindestens. Dabei hat sich immer wieder herausgestellt, daß je schlechter ein Gutachten ist, desto teurer ist es meist auch. Diese Kosten müssen entweder vom Antragssteller getragen werden, oder über die Prozeßkostenhilfe von der Allgemeinheit.

Vor allem die beiden ersten Punkte führen in der Praxis dazu, daß Transgender, welche ein Gutachten benötigen, dann einem Gutachter eben nur das zeigen und erzählen, von dem sie annehmen, daß dieser es hören möchte. In den Fällen, wo dies funktioniert (das sind zumeist auch die am häufigsten kritisierten Gutachter), führt es das Gutachten ad absurdum; begutachtet wird dann nicht die zu begutachtende Person, sondern deren schauspielerische Fähigkeiten. In den Fällen wo dies nicht funktioniert, verzögert es die Erstellung der Gutachten und damit den Abschluß des Verfahrens teilweise beträchtlich -- und meist unnötigerweise, denn erfahrungsgemäß sind die Gutachter, bei denen diese Taktik nicht funktioniert, auch die liberaleren, welche die Wahrheit wahrscheinlich problemlos akzeptiert hätten. Dazu kommt, daß dieses fast routinemäßige Lügen erstens der Selbstreflektion der betreffenden Personen nicht eben förderlich ist; genau dieses ist in einer Situation wie dem Geschlechtsrollenwechsel aber sehr empfehlenswert. Und zweitens führt es dazu, daß von einigen Fachleuten Transgender daher als routinemäßige Lügner dargestellt werden, deren Aussagen niemals und unter keinen Umständen (oder jedenfalls dann, wenn sie der eigenen Theorie widersprechen) zu glauben sei.

Die Kritiker dieser Praxis fordern daher:

  • mindestens, daß Gutachter des Vertrauens des Antragsstellers bestellt werden, und nicht vom Gericht willkürlich (und meist immer wieder die selben) Gutachter bestellt werden,
  • häufig die Beschränkung auf ein einzelnes Gutachten, oder eine einzelne Bescheinigung eines Arztes, daß eine Entscheidung nach TSG angezeigt wäre,
  • seltener auch den völligen Verzicht auf Gutachten.

Mindere Rechte für "nur Vornamensgeänderte"

Auch der Status minderen Rechts, den Menschen haben, bei welchen nur der Vorname geändert ist, wird häufig kritisiert; so ist es ihnen faktisch untersagt, zu heiraten (eine eingetragene Lebenspartnerschaft jedoch können sie eingehen) und Kinder zu bekommen, da in diesen Fällen die Vornamensänderung automatisch rückgängig gemacht würde. In diesem Zusammenhang läuft zur Zeit (März 2004) ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

Die Voraussetzungen für die Personenstandsänderung

Die Vorschrift eines die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff(s) wird kritisch gesehen, welcher bei Transfrauen grundsätzlich mit einem genitalangleichenden Eingriff gleichgesetzt wird. Dies ist aber ein schwerer und nicht immer komplikationsloser Eingriff; Kritiker führen an, daß im Alltag schließlich das Aussehen der primären Geschlechtsmerkmale keine sonderlich große Rolle spiele, auch werde das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit durch diese Vorschrift verletzt. Bei Transmännern wird auf die Forderung nach einem entsprechenden Eingriff verzichtet, da die Ergebnisse solcher Eingriffe, die dazu noch wesentlich schwerwiegender sind als umgekehrt, als "nicht in jedem Fall zumutbar" gelten. Dennoch versuchen einzelne Richter immer wieder, auch diesen Eingriff zu fordern.

Ebenso kritisch gesehen wird die Vorschrift der Ledigkeit: Es kommt durchaus vor, daß Ehen (und auch eingetragene Lebenspartnerschaften) von Transgendern, die vor dem Geschlechtsrollenwechsel geschlossen wurden, diesen Wechsel der Geschlechtsrolle überstehen. Dann bleibt der betreffenden Person also nur der Status als nur Vornamensgeändert, oder die Ehe oder Lebenspartnerschaft müßte aufgelöst werden, um später als Lebenspartnerschaft oder Ehe neu geschlossen zu werden. Es wird daher ein Verfahren gefordert, mit dem eine Ehe in eine Lebenspartnerschaft umgewandelt werden kann und umgekehrt, denn die derzeitige Praxis verletzt den grundgesetzlich verankerten Schutz von Ehe und Familie.

Die Verfahrensdauer

Häufig dauern Verfahren nach TSG ein Jahr und länger, teilweise wegen der Überlastung der Gerichte, teilweise wegen der Dauer der Begutachtung oder der Überlastung von Gutachtern. In dieser Zeit leben die Antragssteller bereits in der neuen Geschlechtsrolle, haben aber keine passenden Papiere. Dies führt nicht nur im Alltagsleben zu großen Problemen, sondern macht es auch nahezu unmöglich, beispielsweise eine neue Arbeitsstelle zu bekommen, da kaum ein ehemaliger Arbeitgeber bereit ist, die Zeugnisse auf den neuen Namen zu ändern, wenn es noch keinen Gerichtsbeschluß über die Änderung mindestens des Vornamens gibt.

Kritik an der Kritik

Einige Transsexuelle, und auch einige Sexualmediziner wiederum stellen sich gegen diese Reformbestrebungen, ebenso meist gegen medizinische geschlechtsangleichende Maßnahmen für nicht-transsexuelle Transgender im Sinne der Definition des ICD-10, F64.0.

Einige Transsexuelle befürchten, daß dadurch, daß auch nicht-transsexuellen Transgendern Zugang zu Vornamens- und/oder Personenstandsänderung gewährt würde, oder durch eine Vereinfachung des Verfahrens, der "Wert" ihrer eigenen Vornamens- und Personenstandsänderung gemindert würde, oder daß die dadurch erfolgende rechtliche Anerkennung von nicht-transsexuellen Transgendern ihrem "guten Ruf" schaden würde. Außerhalb dieser Gruppierung ist diese Argumentation meistens nicht nachvollziehbar.

Einige Sexualmediziner lehnen dies ebenfalls ab, meist mit dem Argument, daß die Kategorisierung im ICD-10 korrekt sei, es also tatsächlich nur Transsexuelle und Transvestiten gebe, von denen die letzteren zu ihrem eigenen Schutz unter keinen Umständen medizinische oder juristische geschlechtsangleichende Maßnahmen erhalten dürten. Diese Argumentation übersieht, daß selbst das ICD-10 neben diesen beiden Kategorien schon "sonstige" und "nicht näher bezeichnete" Störungen der Geschlechtsidentität vorsieht, und das DSM 4 Geschlechtsidentitässtörungen nur noch unter gender identity disorders aufführt, ohne strikt in "Transsexuelle" und "Transvestiten" zu unterteilen. Weiterhin übersieht diese Argumentation, daß es bereits in der Vergangenheit viele "Transsexuelle" gab, welche die entsprechenden Diagnosekriterien keineswegs vollständig erfüllten, die aber dennoch offensichtlich von entsprechenden Maßnahmen profitierten. Die Anzahl dieser nicht-transsexuellen Transgendern nimmt seit einigen Jahren stark zu.



Siehe auch: Liste der Transgender-Themen