Awaren

Asiatisches Reitervolk und ihr frühmittelalterliches Reich in Südost- und Mitteleuropa
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Die Awaren (auch Avaren) waren ein zentralasiatisches Reitervolk, dessen ethnische und sprachliche Herkunft noch nicht ausreichend erforscht worden ist. Es beherrschte im Frühmittelalter rund 218 Jahre lang Mitteleuropas Geschichte.

Herkunft der Awaren

 
Awaren-Schädel

Aufgrund des äußerst dürftigen überlieferten Sprachmaterials ist eine ethnisch-sprachliche Zuordnung der Awaren nicht möglich. Laut dem chinesischen Geschichtsbuch Liang-shu waren die „War“ zeitweilig Vasallen beziehungsweise Angehörige der proto-mongolischen Rouran. Neben einer prototürkischen oder mongolischen wurde auch eine indogermanische oder finno-ugrische Herkunft der Awaren in Betracht gezogen. Das vorliegende Quellenmaterial macht jedoch eine Entscheidung für oder gegen eine dieser Annahmen unmöglich (siehe Awarische Sprache (Steppenvolk)).

Nach der Encyclopædia Iranica gehörten die Awaren, wie auch die späteren Mongolen, zu der Śyän-bi Nomadenkonföderation und waren somit "ohne Zweifel der erste geschichtlich erfasste mongolische Stamm".[1]

Möglicherweise praktizierten die Awaren - genauso wie die Hunnen - die zur Zierde dienende Verformung des Schädels (Makrokephalie).

Geschichte

Nach chinesischen Chroniken sollen die War ursprünglich ein aus dem Tarimbecken nach Afghanistan ausgewanderter Zweig der indoeuropäischen Yüe-tschi gewesen sein. Bald nach einer Niederlage gegen die Nördliche Wei-Dynastie tauchten sie 463 als neue Gruppe am Schwarzen Meer auf, die sich selbst „War und Chunni“ (evtl. ein versteckter Hinweis auf Reste vom Reitervolk der Hunnen) nannte. Der awarische Traditionskern bestand demnach aus zwei herrschaftsfähigen Geschlechtern, die ihre Namen von den beiden mythischen Königen gleichen Namens ableiteten. Die Awaren waren in der Folgezeit auch ein führender Zweig der Hephthaliten und hatten ihr Siedlungsgebiet vermutlich in der Nähe des Aralsees. Bei ihnen handelt es sich also um ein Mischvolk, das Vorfahren sowohl in den Steppen Zentralasiens als auch in Europa hatte.

Nach 555 zogen die Awaren unter dem Druck der Göktürken nach Westen und wurden 558 Föderaten des Byzantinischen Reichs. Um 560 besiegten sie die Hunno-Bulgaren am Schwarzen Meer, zogen aber wegen der sie verfolgenden Göktürken weiter. Gemeinsam mit den Langobarden zerstörten sie 567 das Reich der Gepiden, das sich im späteren Siebenbürgen befand.

Mitte des 6. Jahrhunderts hatten sie die Herrschaft über Pannonien und ließen sich vor allem im Karpatenbecken nieder. Schon früh fand unter ihrer Herrschaft eine Besiedlung mit den tributpflichtigen Slawen statt, wie u.a. Grabfunde aus Hennersdorf/Wien zeigen. Sie vermischten sich aber auch mit den in der Ungarischen Tiefebene verbliebenen Resten der Schwarzen Hunnen, die in ihrer Sprache, Kultur und Lebensweise ihnen noch am ähnlichsten waren.

Ende des 6. Jahrhunderts reichte ihr Einflussgebiet von der Ostsee bis zur Wolga. Unter ihrem Herrscher Bajan stellten sie eine Großmacht dar, die es sich leisten konnte, vom Byzantinischen Reich Tribut zu fordern. Zusammen mit den von ihnen unterworfenen Slawen belagerten die Awaren mehrmals Thessaloniki, zuletzt 626 mit Hilfe der persischen Sassaniden sogar die oströmische Hauptstadt Konstantinopel, was freilich misslang.

Bis zum Ende des 8. Jahrhunderts beherrschten sie ganz Pannonien sowie das heutige Kärnten (Karantanien), Slowenien und Kroatien, sahen sich aber zunehmenden Angriffen von Bulgaren, Kroaten und anderen Slawen ausgesetzt. Die Awaren gaben Anlass zur Gründung einer östlichen Grenzmark (Ostarrichi), weil sie Karl den Großen um 800 veranlassten, zum Schutz der Reichsgrenzen eine Awarenmark (später marchia orientalis genannt) einzurichten. Die angebliche Kriegslust und Aggressivität der Awaren zur Zeit Karls des Großen ist durch die Quellen nicht eindeutig zu belegen. Die neuer Forschung geht davon aus, dass die Zeit der Kriegszüge um 800 längst beendet war. Die von Einhard beschriebenen Schätze der Awaren würden demnach aus längst vergangenen Zeiten stammen. Sollte diese These, die durch archäologische Befunde gestützt wird, zutreffen, dann hätte Karl ein relativ friedliches Volk von sesshaften Bauern überfallen und beinahe ausgelöscht. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Einhard in seiner vita karoli magni von dem geringen Widerstand bei Karls Awarenzügen berichtet.

In den Feldzügen zwischen 791 und 803 schlug der fränkische König (und ab 800 Kaiser) Karl der Große die Awaren vernichtend. Die Awaren, inzwischen längst sesshaft, verloren nun den Kontakt zu den übrigen Steppenvölkern und ihr politischer Einfluß trat in den Hintergrund.

Das Volk der Awaren, wie das der weißen Hunnen, ging zum Teil in einigen südslawischen Völkern auf. Hierfür gibt es humangenetische Hinweise. So zeigten molekulargenetische Untersuchungen an Y-Chromosomen in der kroatischen Bevölkerung für Menschen der Insel Hvar Merkmale, die auf eine zentralasiatische Abstammung schließen lassen.

Im Namen Banat verbirgt sich der, ursprünglich aus dem Persischen stammende, awarische Fürstentitel "BAN" (nach dem Khagan Bajan, dem berühmten Heerführer), der später als Banus an die Kroaten überging.

Nicht mit den in diesem Absatz abgehandelten Awaren verwandt ist das gleichnamige Kaukasusvolk in der russischen Teilrepublik Dagestan, das dort als Awaren bzw. präziser als Neu-Awaren bezeichnet wird.

Eventuell steckt der Name der Awaren im Namen der Bajuwaren (Boii-Avarii).

Literatur

  • Pohl, Walter: Die Awaren, Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567-822 n.Chr. München 2002. - ISBN 3-406-48969-9, (Publikation zu den frühmittelalterlichen Awaren aus der Sicht eines der angesehensten Historiker auf diesem Gebiet. Standardwerk!)
  • Lovorka Bara, Marijana Perii, Irena Martinovi Klari, Siiri Rootsi, Branka Janiijevi, Toomas Kivisild, Jüri Parik, Igor Rudan, Richard Villems and Pavao Rudan: Y chromosomal heritage of Croatian population and its island isolates, European Journal of Human Genetics (2003) 11, 535-542. (Medizinische Studie zu Genvergleichen, von Fachleuten eher kritisch beurteilt)
  • Sinor, Denis: The Cambridge History of Early Inner Asia. Cambridge 1990.(Publikation zu reiternomadischen Völkern in Mittel-und Innerasien)
  • Szentpéteri, József (Hrsg.): Archäologische Denkmäler der Awarenzeit in Mitteleuropa. Varia archaeologica Hungarica 13. Budapest 2002. - ISBN 9-63739-178-9, ISBN 9-63739-179-7 (Lexikonartige, kurze Zusammenstellung tausender archäologischer awarenzeitlicher frühmittelalterlicher Fundorte, meist Gräberfelder, wichtig als Literaturnachweis)
  • Breuer, Eric: Byzanz an der Donau. Eine Einführung in Chronologie und Fundmaterial zur Archäologie im Frühmittelalter im mittleren Donau Raum. Tettnang, 2005. - ISBN 3-88812-198-1 (Neue Standardchronologie zur awarischen Archäologie, Standardwerk)
  • Die Awaren am Rand der byzantinischen Welt. Studien zu Diplomatie, Handel und Technologietransfer im Frühmittelalter. Innsbruck 2000. - ISBN 3-70300-349-9 (Sammelband mit kurzen Aufsätzen verschiedener Autoren zu geographisch, formenkundlichen Zusammenhängen, insbesondere byzantinischem Einfluß)
  • Reitervölker aus dem Osten. Hunnen + Awaren. Burgenländische Landesausstellung 1996, Schloß Halbturn. Eisenstadt 1996. (Ausstellungskat., behandelt alle archäologischen Themenbereiche, besonders für Laien als Einstieg)
  • Weblink: Studien zur Archäologie der Awaren (1984 ff.) und zahlreiche weitere Publikationen von Falko Daim

Quellen

  1. K.H. Menges, "Altaic people", Encyclopaedia Iranica, v, p. 908-912, Online Edition (LINK)