Chiromantie oder Chiromantik ist die Kunst des Handlesens.
Die Chiromantik als Sonderform der Physiognomik versucht aus bestimmten Formungen oder sonstigen Eigenschaften der Hände Rückschlüsse auf den Charakter oder Vorhersagen für die persönliche Zukunft zu ziehen. Hinweise, dass dadurch tatsächlich korrekte Aussagen getroffen werden können, gibt es nicht.
Das Handlesen, eine Form der Weissagung und Orakelkunst, hat seine Wurzeln wahrscheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit. Das Schicksal eines Menschen bzw. seinen Charakter aus der Hand zu lesen, reicht bis in die frühen Hochkulturen Indiens, Ägyptens, Babyloniens und Assyriens zurück. Der individuelle Charakter dieses hochdifferenzierten praktischen Werkzeugs menschlichen Hand-elns liess die Menschen bereits in der Altsteinzeit ihre Höhlenbilder mit Handnegativsilhouetten verzieren (z.B. in den Grotten von Gargas und Pech-Merle in Frankreich); eventuell um die Seelen gleichzeitig zu verewigen und um ihre Individualität zu schützen. Ähnliche Abbildungen der Hände wurden in der Höhlen- und Felsbildkunst anderer Erdteile wie Südamerika und Australien gefunden. In den semitischen Kulturen sind „Hand“ und „Macht“ (jad) synonym. Die Hand ist dort Ausdruck der Herrschergewalt und damit königliches Symbol. Als „Hand der Fatima“ tritt die Hand im muslimischen Raum auch als Schutzamulett auf. Der Berührung mit der Hand wurde auch immer schon magische Bedeutung zugemessen. Handauflegen ist Weihe und Übertragung der eigenen Kraft auf den Geweihten, der Handschlag symbolisiert freundliches Akzeptieren, erhobene oder gefaltete Hände das Gebet, bestimmte Fingergesten den Schwur und den Segen. In der christlichen Ikonographie wird Christus als „die rechte Hand Gottes“ bezeichnet und in der indischen Yogalehre werden bestimmte Handstellungen, sogenannte „Mudras“ benutzt, um die Verbindung mit geistigen Kräften herzustellen oder zu verstärken. Immer wird dabei die menschliche Hand mit der individuellen Seele und der jenseitigen geistigen Welt in Kontakt gebracht. In der Antike war denn die Handlesekunst auch eine angesehene Geheimwissenschaft. Aristoteles sagte in seiner Schrift „De coelo et mundi causa“ (dt. „Vom Ursprung von Himmel und Erde“): „Die Linien sind nicht ohne Grund in die menschliche Hand geprägt, sie stammen von himmlischen Einflüssen.“ Da die Hände neben dem Gesicht den am individuellsten ausgeprägten Teil des Körpers darstellen, eignen sie sich besonders dafür, aus ihren Einzelmerkmalen symbolische Ableitungen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Das Handlesen als eine der Orakelkünste (von lat. orare = beten) versteht die Hand als sinnlich wahrnehmbares Symbol, das Rückschlüsse auf die geistigen Inhalte und verborgene Bilder des jeweiligen Handeigners zulässt. Deshalb kann diese Kunst als Mittel zur Selbsterkenntnis und als seelisch-geistiges Diagnoseinstrument genutzt werden. Um das Handlesen aber wirklich verstehen und erlernen zu können, muss es unbedingt auch als Disziplin zur Erkenntnis der geistigen Welt und ihrer Zusammenhänge verstanden werden. Philosophisches Streben, und damit ist explizit nicht nur die Schulphilosophie ge-meint, muss mit der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Handform und Charakter Hand in Hand gehen. Nur so können sich für den Handleser - in seiner Eigenschaft als Medium und Übersetzer einer Symbolsprache - die gesegneten Momente des „Sehens“ immer wieder einstellen. Die Kenntnis der Symbolsprache der Hand lässt den Einzelnen sich als Teil eines geordneten grösseren Ganzen erfahren, verstehen und erlaubt ihm so, sich im Leben auch jenseits von sozialen Zwängen, Erwartungen und Geboten geborgen zu fühlen.
Aristoteles, der Meister der antiken Philosophie, definierte jedes Wesen als primär durch seine stofflichen Merkmale wie Grösse, Masse, Härte, Temperatur begründet (lat. causa materialis - stoffliche Ursache). Diese Merkmale drücken sich durch äussere Prägungen und Ereignisse (lat. causa efficiens - einwirkende Ursache) als lebendige Form (lat. causa formalis - formgebende Ursache) aus, in deren Lebenslauf sich schliesslich eine sinngebende Bedeutung (lat. causa finalis - Zweckursache) herausschält. Dieses aristotelische Viererschema in der Deutungspraxis ordnet die vielfältigen Eigenschaften und Deutungselemente der Hand als solcher zu einem organischen Ganzen. Zweitens leistet dieses Schema bei der Lokalisierung der Bedeutungsbereiche innerhalb der Handfläche gute Dienste. So sollen die stofflichen Merkmale der Hand die Basis definieren, d.h. das Terrain, welches einem Menschen in seinem Leben zur Verfügung steht. Die Linien sollen über die Einflüsse und Prägungen Aufschluss geben. Die Handform soll dann demonstrieren, wie sich der Betreffende zum Ausdruck bringt. Schliesslich deuten die Papillarleistenmuster die Bedeutung an. Sie stehen dafür, „worum“ es letztlich geht. Diese Muster sollen als eine Art bestimmendes Dekor - aus dem Hintergrund heraus - auf das Leben des Handeigners einwirken.
Siehe auch
Literatur
- Andreas Corvus: Von der kunst Ciromantia, das ist zuo sehen in den henden, was ein jetlicher genaturt ist. In: Bartholomeus Cocles: Ein kurtzer bericht der gantzen Phisionomey vnnd Ciromancy. Albrecht, Straßburg 1534 (Digitalisat)
- Ursula von Mangoldt: Das grosse Buch der Handlesekunst. Charakterdeutung durch Linien und Formen der Hand. Geschichte und Grundlagen. Orbis, München 1989, ISBN 3-572-06245-4
- Manfred Magg: "Hand und Horoskop - Was Handlesen mit Astrologie verbindet". Chiron Verlag, Tübingen 2002, ISBN: 392510092X
- H. Kindler: "Das Handlinienorakel". Chaitanya, Zürich 2005, ISBN 3-9522787-6-9