Die Sexualethik ist ein Teilbereich der Ethik, der sich mit dem Geschlechsverhalten des Menschen und dessen Beurteilung beschäftigt. Dabei erfolgt die Beurteilung anhand von sozialen Normen und Wertvorstellungen, die ebenso vom Volk und von der Kultur wie auch von der Gesellschaft und ihrer Epoche abhängig sind. Als Folge des vermehrten kulturellen Austauschs in der Neuzeit gibt es eine neue Vielfalt von Wertvorstellungen gegenüber der menschlichen Sexualität.
Wichtige Themen der Sexualethik sind Abtreibung, Leihmutter, Adoption und Konkubinat, sowie Auto- und Homosexualität.
Religiöse Sexualethik
Übersicht
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über sexualethisch interessante Themen und wie sie von den verschiedenen Religionen und Religionsgemeinschaften gehandhabt werden. Die Angaben sind als Durchschnittswerte zu verstehen. Die Anhänger derselben Glaubensrichtung können in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Ansichten vertreten.
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Fußnoten: | ||
? | a | Bei vielen der Fragezeichen kann keine absolute Aussage gemacht werden. Eine Antwort ist hier von eventuell mehreren Faktoren abhängig. |
Alt- Katholiken |
a | HuK: Texte aus der alt-katholischen Kirche Altkatholiken Münster: Ehe, zur Scheidung und zur Wiederverheiratung Bischof Bernhard Heitz (Altkatholische Kirche Österreichs): gleichgeschlechtliche Partnerschaften |
Mormonen | a b | Mehrfachehe (Polygame Ehe) ist bei den Mormonen je nach Konfession entweder verboten, akzeptiert oder befürwortet (weitere Details: [A], [B]). |
Muslime | a b | Homosexuelle Orientierung bewegt sich zwischen „Verboten“ und „Unmoralisch“ – siehe auch „Homosexualität und Religion: Islam“. |
c | Verhütungsmittel bewegt sich zwischen „Akzeptiert“ und „Befürwortet“, tendiert aber etwas mehr zu „Akzeptiert“. |
Christlich-jüdisches Moralerbe
Die Ethik der westlichen Gesellschaft ist nachhaltig durch den jüdischen und christlichen Glauben geprägt. Man spricht in diesem Zusammenhang oft vom jüdisch-christlichen Moralerbe.
Die jüdische und christliche Religion ist ihrerseits durch viele alte Glaubensrichtungen beeinflusst worden. Außerdem wurden die Moralvorstellungen zu verschiedenen geschichtlichen Zeitpunkten unterschiedlich interpretiert. Im Zentrum der christlichen und jüdischen Sexualethik steht meist die Annahme, dass der einzige Zweck des Sexualaktes die Fortpflanzung ist.
Im altertümlichen Israel wurde zwar zur Fortpflanzung aufgerufen, jedoch war jeglicher sexuelle Kontakt außerhalb der Ehe ein Tabu. Auch der Geschlechtsakt während der Menstruation wurde als sündiges Verhalten erachtet. Die schlimmste aller Sünden waren Homosexualität und Verkehr mit Tieren. Diese Praktiken galten als Gräueltaten und Götzendienst. Die Praktizierenden wurden als Ketzer verurteilt und hingerichtet. Homosexualität war allerdings bis in das 6. Jhd. v. Chr. vom Judentum durchaus anerkannt. [Quelle: Hite Report]
Das Christentum lehnte bei seiner Entstehung viele der jüdischen Auffassungen und Traditionen ab, orientierte sich aber im Bereich der Sexualität stark am Mosaischen Gesetz. Gewisse Bereiche und Anschauungen wurden sogar verschärft. So galt eine Zeit lang die Keuschheit als anstrebenswertes Ziel. Geschlechtsverkehr zur Zeugung von Nachkommen wurde akzeptiert, wurde aber moralisch nicht so hoch eingestuft wie Enthaltsamkeit.
Zur Zeit der protestantischen Reformation entwickelte sich die christliche Sexualethik kaum weiter. Die Gesetze des Alten Testaments gegen sexuelle Ketzerei gewannen wieder an Bedeutung und dienten schließlich sogar als Grundlage für die moderne Sexualgesetzgebung in England und Nordamerika.
Während auch in der Neuzeit viele Kirchenanhänger an alten Werten festhalten, gibt es auch Gläubige, die in den alten Vorstellungen unmoralische Auswirkungen sehen und sie durch eine neue Moral ersetzen wollen. Individualismus und Selbstbestimmung stehen dabei im Zentrum.
Sexualethik in der Bibel
Die Sexualethik des Alten Testaments ist außerordentlich hart.
„Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand mit der Frau seines Vaters Umgang pflegt und damit seinen Vater schändet, so sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand mit seiner Schwiegertochter Umgang pflegt, so sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand bei einem Tier liegt, der soll des Todes sterben, und auch das Tier soll man töten [..]. Wenn ein Mann bei einer Frau liegt zur Zeit ihrer Tage und mit ihr Umgang hat [..], so sollen beide aus ihrem Volk ausgerottet werden.“
Im Neuen Testament stellte sich Jesus laut dem Johannes-Evangelium einerseits schützend vor eine Ehebrecherin und sagte: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ (Joh 8,7). Anschließend sagt er: „Auch ich verurteile dich nicht“, fügt aber an: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ (beides Joh 8,11). Im Matthäus-Evangelium heißt es andererseits ausdrücklich, dass man sich nicht von seinem Partner scheiden lassen dürfe (Mt 19,9), bzw. geschieht hier die Gleichsetzung von Neuheirat nach Scheidung mit Ehebruch (Mt 5,31f); zudem verfolgt Jesus eine radikale Verschärfung des mosaischen Gesetzes, indem er bereits lüsterne Blicke als Ehebruch qualifiziert: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: ‚Du sollst nicht ehebrechen.‘ Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ (Mt 5,27f).
In den Paulus-Briefen findet sich sehr viel zum Thema Sexualethik. Die Aussagen von Paulus waren in Anlehnung an das Alte Testament wieder sehr restriktiv, waren aber bei weitem nicht so brutal. „Wer Unzucht tut, der sündigt an seinem eigenen Leibe.“ / „Es ist dem Manne gut, dass er kein Weib berühre“. Außerdem wird auch von Paulus die Homosexualität ausdrücklich als Sünde bezeichnet.
Die katholische Kirche stützt sich in ihrer Ethik vor allem auf die Briefe von Paulus, während die evangelisch-reformierte Kirche die Gewichtung viel stärker auf die vier Evangelien legt und somit weit weniger restriktiv ist.
Sexualethik bei Jehovas Zeugen
Im Ehebett ist nur die Missionarsstellung erlaubt. Alle anderen sexuellen Spielarten, wie z. B. auch Anal- und Oralverkehr, werden als "Puffpraktiken" abgetan und gelten als schwere Sünde. Masturbation ist ebenfalls völlig verboten und wird mit Kol. 3,5 begründet ("Ertötet ... eure Glieder des Leibes..." - Neue-Welt-Übersetzung der Zeugen Jehovas). Die Wachtturmliteratur empfiehlt als Präventivmaßnahme "kalt duschen". Wenn solche Verhaltensweisen nicht aufgegeben werden, erfolgt Gemeinschaftsentzug. Der Nachweis entsprechender Verstöße ist jedoch schwierig.
Muslimische Sexualethik
Die Handhabung von Themen im Bereich der Sexualethik variiert im Islam sehr stark nach Geographie und Gesellschaftsschicht. Im Allgemeinen gilt die Ehe als Manifestation des Göttlichen Willens. Die islamische Tradition bezeichnet sie als essenziell und erachtet Ehelosigkeit als eine üble Gegebenheit, die voll Bösem ist. Im Islam ist der Orale Geschlechtsverkehr erlaubt, gilt jedoch als "makruh" (eine Tat, die nicht empfohlen wird, aber erlaubt ist; oft als verpönt übersetzt). Das Onanieren in den Mund ist verboten (Haram). Analverkehr ist bei den Sunniten verboten (Haram), bei den Schiiten dagegen "nur" makruh (erlaubt, aber verpönt).
Buddhistische Sexualethik
Im Gegensatz zu den meisten anderen Glaubensrichtungen, spielt die Sexualethik im Buddhismus keine so wichtige Rolle in der Vermittlung von Werten. Trotzdem gibt es auch hier klare moralische Vorstellungen. Sie ergeben sich aus den fünf Grundsätzen:
- Vermeide es, anderen Lebensformen zu schaden – sei liebevoll und freundlich
- Vermeide es, das nicht gegebene zu nehmen – praktiziere Großzügigkeit
- Vermeide es, sexuellen Ehebruch zu begehen – sei zufrieden
- Vermeide es, zu lügen – sei ehrlich
- Vermeide es, Dich zu berauschen – sei aufmerksam
Weit verbreitet ist die Ansicht, dass auch im Buddhismus die Homosexualität den ethischen Werten widerspricht. Zu diesem Thema traf sich am 11. Juni 1997 eine Gruppe von homosexuellen Buddhisten mit dem Dalai Lama. Der Dalai Lama hatte in seinem Buch Jenseits des Dogmas buddhistische Regeln zitiert, anhand derer homosexuelle Sexualpraktiken als unkorrektes Verhalten eingestuft werden. Obwohl Buddha lehrte, die sexuellen Begierden zu löschen, sehen viele homosexuelle Buddhisten ihre sexuelle Identifikation als zentrales Element für ihren spirituellen Weg. Die Grundlage dafür liegt im buddhistischen Mahayana-Weg, bei dem man sich für die Beendigung des Leids anderer verpflichtet. Dazu gehört auch das Beenden von Unterdrückung und Ungleichheit, was wiederum das Kernanliegen der Schwulen-Befreiung ist.
Für buddhistische Mönche und Nonnen wird durch die Vinaya jegliche Form von Oral- und Analverkehr untersagt.
Entwicklung der Sexualethik in Europa
Mittelalter
Im westeuropäischen Raum hat die Sexualethik der katholischen, später auch anderer christlicher Kirchen weite Bereiche des Zusammenlebens seit dem Beginn des Mittelalters über Jahrhunderte dominiert. Freude an der Sexualität galt als Sünde; lediglich Heterosexualität, ausgelebt zum Zwecke der Zeugung und Fortpflanzung und eingebunden in die Institution der christlichen Ehe, wurde moralisch befürwortet und gefördert. Die Menge an entsprechenden Predigten, Aufrufen, Schriften etc. legt allerdings nahe, dass die Praxis anders ausgesehen haben mag.
Spätmittelalter
Bis ins 17. Jahrhundert herrschte in Mitteleuropa eine bejahende Einstellung zur Sexualität vor, erste große Einschnitte gab es durch die Pestepedemien und die Syphilis. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts veränderte sich die Wahrnehmung der Sexualität zum einen durch die sich immer stärker durchsetzende bürgerliche und protestantische Sexualmoral, und zum anderen die sich verändernde Einschätzung von verschiedenen Verhaltensweisen, auch sexueller Art, als „krank“ im Gegensatz zu „sündig“. So setzte sich zum Beispiel in der Medizin die Ansicht durch, Selbstbefriedigung sei schädlich. Dieses Argument griffen die Kirchen wiederum auf, um diese Form der Sexualität (und andere) zu bekämpfen. Auch kindliche Sexualität wurde nicht mehr geduldet.
Neuzeit
Die fortschreitende Säkularisierung der westlichen Welt verdrängt die Kirche als Moralinstanz. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich auch in der Medizin zunehmend die Sichtweise durch, dass nicht jedes „andere“ Ausleben von Sexualität, also alles, was nicht direkt zur Fortpflanzung beitrug, zwangsläufig schädlich sein müsse. Sexuelle Identitäten und Verhaltensweisen, die einst abgelehnt wurden, finden seither zunehmend Akzeptanz:
- Selbstbefriedigung (Onanie, Masturbation, Ipsation)
- Homosexualität
- Bisexualität
- Polyamorie
- Fetischismus
- Pornografie
- Gruppensex
- Sexualität von Jugendlichen
- BDSM in Verbindung mit Sexualität
- Transgender und Transsexualität
Derartige Veränderungen in der gesellschaftlichen Moral bis hin zur sexuellen Revolution lassen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Tabuisierung des Sexuellen oft noch bis heute wirksam geblieben ist. Ein Indiz hierfür ist der öffentlich „zelebrierte“ sexuelle Tabubruch in westlichen Massenmedien, wie z. B. im Fernsehen. Ein weiteres typisches Phänomen des Umbruchs im Wertesystem ist die Doppelmoral, also das Auseinanderklaffen der allgemein eingeforderten Normen und Werte mit dem, was im nichtöffentlichen Raum toleriert wird.
Siehe auch: Liste der Transgender-Themen
Moderne Sexualethik
Die wissenschaftlichen Errungenschaften im Bereich der Verhütung (Kondom, Diaphragma, Spirale, Anti-Baby-Pille) ermutigte Menschen, bewusst Schwangerschaften zu verhindern. Aufgrund der Bevölkerungsexplosion und der drohenden Überbevölkerung wurde die gezielte Verhütung vielerorts gutgeheißen und gefördert.
John Stuart Mill formulierte 1859 einen Satz, der die moderne Sexualethik wesentlich mitgestaltete: „Der einzige Grund, aus dem Gewalt gegen ein Mitglied der Gesellschaft gegen dessen Willen und Recht ausgeübt werden kann, ist der Schutz anderer vor Schaden. Sein eigenes – körperliches oder moralisches – Wohlergehen ist keine hinreichende Rechtfertigung. Jeder Mensch ist treuer Hüter seiner eigenen – körperlichen, geistigen oder seelischen – Gesundheit.“ Dies stand in starkem Widerspruch zur damals geltenden, westlichen Moral, in der auch die Entscheidungen über das eigene Wohlergehen in die Hände religiöser und politischer Obrigkeiten gegeben worden waren.
Generell gibt es drei moralische „Mindestregeln“ für die Sexualität, die in weiten Bereichen westlicher Gesellschaften toleriert beziehungsweise akzeptiert sind:
- Die sexuellen Handlungen werden von den Sexualpartnern einvernehmlich vorgenommen, das heißt jeder Partner stimmt diesen Handlungen in freier Entscheidung (ohne Zwang) und im vollen Bewusstsein der Konsequenzen zu.
- Durch die sexuelle Betätigung sollten keine bleibenden körperlichen oder seelischen Schäden hervorgerufen werden.
- Durch die sexuelle Betätigung sollten nur dann Kinder gezeugt werden, wenn man für sie die Verantwortung bis zur Selbständigkeit zu übernehmen im Stande ist.
Siehe auch: Sexuelle Selbstbestimmung
Sexualethik im Kulturvergleich
In einem Teil der Kulturen und Gesellschaften offeriert die allgemein anerkannte Sexualmoral einen offeneren Umgang mit Sexualität, in anderen ist sie dagegen noch deutlich strenger als im europäischen Raum.
So gibt es normative Unterschiede, beispielsweise zu folgenden Teilaspekten:
- Existenz einer formalen Ehe und damit einhergehend die Beurteilung von Ehebruch
- Form der Ehe (Monogamie, Polygamie, Polyamorie, Polyandrie)
- Sexualität vor oder außerhalb der Ehe
- Prostitution
- Das Alter der Ehefähigkeit
- Zeiten des Geschlechtsverkehrs
- Ausführungen des Geschlechtsverkehrs
„Universelle Normen“, die für alle Gesellschaften und Kulturen gelten, gibt es nicht. Doch sind Normen bekannt, die kultur- und gesellschaftsübergreifend weitgehend übereinstimmend Geltung finden:
- Geschlechtsverkehr geschieht im Privaten.
- Vergewaltigung ist geächtet.
- Inzest zwischen Eltern und Kindern sowie unter Geschwistern ist tabuisiert.
Diese Normen werden manchmal unter speziellen Riten (Religion) oder gegenüber Menschen, die nicht als Teil der Gesellschaft angesehen werden (Geächtete, Kriegsgegner), aufgehoben.
BDSM
siehe auch Hauptartikel: PorNO-Kampagne
Eine widersprüchliche Sonderrolle spielt BDSM, das auf Einvernehmlichkeit der beteiligten Partner basiert. Hierbei nimmt einerseits die gesellschaftliche Akzeptanz sadomasochistischer Verhaltensweisen in westlichen und einigen asiatischen Gesellschaften seit einigen Jahrzehnten permanent zu und sadomasochistische Symbole werden verstärkt von Künstlern, Film, Literatur, Musik und Werbung aufgenommen. Andererseits geraten Menschen, die BDSM praktizieren, in vielen Ländern nach wie vor in den Blickpunkt unterschiedlichster Gesetzgebungen, Boulevardmedien und anti-pornografischer Feministinnen.
Seitens der Religionsgemeinschaften gibt es gegenwärtig keine klaren Aussagen zu sadomasochistischen Praktiken, die in Einvernehmlichkeit praktiziert werden.
Die rechtliche Beurteilung von BDSM unterscheidet sich international sehr stark. In Deutschland, den Niederlanden, in Japan und in den skandinavischen Ländern stellen diese Praktiken grundsätzlich keine Straftat dar. In Österreich gibt es keine gefestigte Rechtslage, während in der Schweiz BDSM-Praktiken teilweise strafbar sein können. Im Rahmen des Spanner Case urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jedoch am 19. Februar 1997 in CASE OF LASKEY, JAGGARD AND BROWN v. THE UNITED KINGDOM; (109/1995/615/703-705) February 1997, dass jeder Staat der EU eigene Gesetze gegen Körperverletzung erlassen darf, unabhängig davon, ob die Körperverletzung einvernehmlich ist oder nicht.
In der Schweiz ist der Besitz von „Gegenständen oder Vorführungen [...], die sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben“ seit der Verschärfung des Schweizerischen Strafgesetzbuches Art. 135 und 197 am 1. April 2002 strafbar. Dieses Gesetz kommt einer pauschalen Kriminalisierung von Sadomasochisten nahe, da bei so gut wie jedem Sadomasochisten Medien zu finden sind, die diesen Kriterien entsprechen.
In Deutschland setzt die von der Feministin Alice Schwarzer herausgegebene Zeitschrift EMMA ihre PorNO-Kampagne gegen Frauenhass und Gewaltpornographie fort. In ihr vertritt Schwarzer unter anderem die Auffassung, dass sado-masochistische Praktiken generell mit verurteilenswerter Gewalt gegenüber Frauen gleichzusetzen sind und Pornographie generell der Propagierung und Realisierung von Frauenerniedrigung und Frauenverachtung dient.
Generell wird die ideengeschichtlich aus den 1960ern Jahren stammende Vorstellung, dass der Hauptzweck jeder Pornografie nicht die sexuelle Erregung des Betrachters, sondern die Unterdrückung der Frau sei, von Kritikern der Kampagne, unter anderem unter Hinweis auf homosexuelle Pornografie im Allgemeinen und lesbische BDSM-Pornographie im Besonderen in Frage gestellt. Schwarzers Argumentation folgt einer Entwicklung, die bereits vor mehreren Jahrzehnten in den USA begann (vgl. Samois) und dort seitdem zwischen verschiedenen Feministinnen unter der Bezeichnung Feminist Sex Wars erbittert um die Legitimität von Pornografie und BDSM ausgefochten wird.
Schwarzers bekannteste Aussage in diesem Zusammenhang wurde erstmals in EMMA Heft 2, 1991 veröffentlicht:
" Weiblicher Masochismus ist Kollaboration! "
Die Existenz weiblich-dominanter Sadomasochisten wird durch die Thesen Schwarzers genauso wenig aufgegriffen und anerkannt wie der auch bei der Herstellung sadomasochistischer Materialien essentielle Grundsatz des Safe, Sane, Consensual. Befürworterinen aus den Reihen der sogenannten "Pro-Sex Aktivisten" wie Pat Califia und Gayle Rubin argumentieren, dass dieser Typ feministischer Kritik an Pornografie traditionelle normative Vorstellungen von Sexualität reproduziert, nach denen – gleich einem Dominoeffekt – jegliche Toleranz gegenüber mehr oder weniger von der Norm abweichenden Sexualitätsformen zu katastrophalen gesellschaftlichen Wirkungen führe. Gayle Rubin (Rubin, 1984) fasste den zugrundeliegenden Konflikt über das Thema "Sex" innerhalb des Feminismus später wie folgt zusammen:
"... Es gab zwei Richtungen feministischen Gedankengutes zu dem Thema. Die eine kritisierte die Beschränkung des weiblichen Sexualverhaltens und verwies auf den hohen Preis für das sexuelle Aktivsein. Diese Tradition feministischer Gedanken zum Thema Sex forderte eine sexuelle Befreiung die sowohl für Frauen als auch für Männer funktionieren sollte.
Die zweite Richtung betrachtete die sexuelle Befreiung als inhärent bloße Ausweitung männlicher Vorrechte. In dieser Tradition schwingt der konservative antisexuelle Diskurs mit."[1]
Seit 1987 sind in Deutschland mehrere Anläufe zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative gescheitert.
Nichteinvernehmliche Praktiken
Weitgehende Übereinstimmung gibt es bei der Ablehnung von Pädophilie, Inzest und nichteinvernehmlichem Sadismus. Diese Sexualformen sind oft gesellschaftlich geächtet, mit einem Tabu belegt und werden nicht als Teil einer akzeptierten Sexualität, sondern als Devianz betrachtet.
Strafrechtlich verfolgt werden in vielen Gesellschaften sexuelle Handlungen gegen den Willen eines Beteiligten, also Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Gleiches gilt für sexuelle Handlungen mit Partnern wie Kindern (sexueller Missbrauch von Kindern) und Tieren (siehe Zoophilie, „Sodomie“), von denen man annimmt, dass sie nicht wissentlich einwilligen können. In Deutschland wurde das Verbot sexueller Handlungen mit Tieren 1969 durch die Große Strafrechtsreform aufgehoben.
Es gibt aber auch Gesellschaften, in denen derartige Verhaltensweisen, etwa die Vergewaltigung von Frauen aus niederen Schichten durch Männer aus höheren Schichten, geduldet wird oder straflos erfolgen kann (vergleiche: „Das Recht der Ersten Nacht“).
Quellen
- ↑ Übersetzt nach: Rubin, Gayle (1984). Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality. In Carole S. Vance (Hrsg.), Pleasure and Danger: exploring female sexuality, S. 267–319. Boston (Routledge & Kegan Paul). ISBN 0044408676
Literatur
- Stefan Bajohr: Lass Dich nicht mit den Bengels ein! Sexualität, Geburtenregelung und Geschlechtsmoral im Braunschweiger Arbeitermilieu 1900 bis 1933. Klartext Verlag, Essen 2001, ISBN 3-88474-933-1
- Will McBride: Zeig mal. Wuppertal 1974 (Vorwort von Helmut Kentler)
- Johannes Paul II.: Liebe und Verantwortung. 1960, ISBN 3-466-20218-3
- Joachim Fernau: Und sie schämeten sich nicht. Ein Zweitausendjahr-Bericht deutscher Sittengeschichte. ISBN 3548209831
- Günter Amendt: Die sexuelle Revolution – Ein Rückblick. In: Medizinische Universität Lübeck: FOCUS MUL. Scheffler, Lübeck 4/2000, ISSN 0940-9998
- Balzer, Rippe: Philosophie und Sex. dtv
- Rubin, Gayle (1984). Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality. In Carole S. Vance (Hrsg.), Pleasure and Danger: exploring female sexuality, S. 267–319. Boston (Routledge & Kegan Paul). ISBN 0044408676
- PorNO Reihe: EMMA-Sonderband, Alice Schwarzer (Hrsg.), 1988, EMMA Frauenverlags GmbH, Köln
- Alice Schwarzer, Weiblicher Masochismus ist Kollaboration!, erschienen in: EMMA, Bd. 2, 1991,
- Alice Schwarzer (Hrsg.): PorNO. Opfer & Täter. Gegenwehr & Backlash. Verantwortung & Gesetz. 1994, EMMA Frauenverlags GmbH, Köln
- Nadine Strossen: Defending Pornography: Free Speech, Sex, and the Fight for Women's Rights. 2000, New York University Press. ISBN 0814781497 / Deutsch als Zur Verteidigung der Pornographie. Für die Freiheit des Wortes, Sex und die Rechte der Frauen, Haffmans Verlag, Zürich, 1997, ISBN 3251003801
- Gayle Rubin: Misguided, Dangerous and Wrong: an Analysis of Anti-Pornography Politics. in: Bad Girls and Dirty Pictures: The Challenge to Reclaim Feminism. Assiter Alison und Carol Avedon (Hrsg.), Boulder, Colorado, Pluto, 1993. 18-40. ISBN 0745305237
- Wendy McElroy, A Woman's Right to Pornography. 1995, St. Martin's Press, New York. ISBN 0312136269
- Ellen Willis, Feminism, Moralism, and Pornography. , 1983. In: Ann Snitow, Christine Stansell, and Sharon Thompson (Hrsg.), Powers of Desire: The Politics of Sexuality, S. 460–467. New York (Monthly Review Press). ISBN 0853456097
- Corinna Rückert: Frauenpornographie – Pornographie von Frauen für Frauen. Eine kulturwissenschaftliche Studie (Dissertation). Peter Lang (Europäischer Verlag der Wissenschaften). Frankfurt am Main, 2002. ISBN 3-6313-6630-2.
- Corinna Rückert: Die neue Lust der Frauen. Vom entspannten Umgang mit der Pornographie. Rowohlt. Hamburg, 2004. ISBN 3-499-61686-6.
- Bettina Bremme: Sexualität im Zerrspiegel. Die Debatte um Pornographie. Münster, 1990.
- Henner Ertel: Erotika und Pornographie: repräsentative Befragung und psychophysiologische Langzeitstudie zu Konsum und Wirkung, Psychologie Verlag, Weinheim 1990, ISBN 3621271074
- Classen, Brigitte (Hg.): Pornost. Triebkultur und Gewinn. Beiträge von Neda Bei, Claudia Gehrke, Elfriede Jelinek, Gertrud Koch, Ursula Krechel, Elisabeth Lenk, Ginka Steinwachs, Monika Treut, Kate Wood u.a., München, Raben-Verlag 1988.
- Claudia Gehrke: Frauen und Pornografie. Konkursbuch-Verlag Claudia Gehrke 1988.
- Art Levine: "Whip Me, Beat Me and While You're At It Cancel My N.O.W. Membership" , aus der Washington Monthly vom 1. Juni 1987.
- Jean Roberta: "Erotica and the Feminist Sex Wars: A Personal Herstory" , Girlphoria.com, 1999.
- Ann Ferguson, et al.: Forum: The Feminist Sexuality Debates, in Signs: Journal of Women in Culture and Society 10(1), 1984. (Eine sehr ausführliche Darstellung der amerikanischen Diskussion um Pornografie.)