Ernst Alfred Seckendorf
Ernst Alfred Seckendorf (* 30. Dezember 1892 in Nürnberg; † 11. Februar 1943 in Auschwitz) war ein in Fürth ansässiger deutscher Arzt und Medizinhistoriker jüdischen Glaubens und Opfer des Holocaust.
Leben
Geboren 1892 als Sohn von Fritz und Anna Seckendorf in Nürnberg, hatte Seckendorf noch vier weitere Geschwister. Er besuchte in Nürnberg die Handelsschule und später von 1902 bis 1911 das humanistische Gymnasium. Seckendorf studierte ab 1908 zwei Semester an an der Universität Erlangen und ab 1912 zwei an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Medizin, daraufhin vier Semester wieder in Erlangen. Die Vorprüfung legte er in München ab. Das Studium beendete er 1919, nachdem er am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte – vom 7. August 1914 bis zum 31. Dezember 1918, zuletzt als Feldhilfsarzt. 1916 war er an der Front verwundet worden und erhielt dafür die Tapferkeitsmedaille. Sein Bruder Paul fiel 1917 in Flandern. Im Dezember 1919 erhielt er seine Approbation und wurde am 23. März 1920 zum Doktor der Medizin promoviert. Seine Doktorarbeit verfasste er zum Thema Das Blutbild bei Rachitis. Ab 1921 betrieb er in Fürth eine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Nebenher war er als Übersetzer medizinischer Literatur[1] tätig.
Schon 1918 hatte Seckendorf die katholische Elisabeth Meyners geheiratet. Aus dieser Ehe entstammten zwei Söhne, der 1919 geborene Wolfgang war geistig behindert und wurde später in einem Kloster betreut. 1921 kam der zweite Sohn Hans Peter auf die Welt. Die Söhne wurden katholisch getauft.
Zeit des Nationalsozialismus
Bereits mit Machtübernahme der Nationalsozialisten geriet Seckendorf unter Druck. Im April 1935 wurde ihm ein Hetzartikel im Stürmer gewidmet. Seine erste Ehefrau Elisabeth starb am 12. März 1937 in Fürth. Seckendorfs Versuch zu emigrieren scheiterte. Nach dem Tod der ersten Frau fand er in der zwölf Jahre jüngeren Barbara Woog eine neue Ehefrau, doch der Versuch zu heiraten scheiterte an den nationalsozialistischen Rassegesetzen. Für diese „Rassenschande“ und die Durchführung mehrerer Abtreibungen in seiner Praxis – zu diesem Zeitpunkt ebenfalls von den Nationalsozialisten unter Strafe gestellt – wurde er im Januar 1938 verhaftet und angeklagt. Vor Gericht gab er die Abtreibungen zu und begründete dies damit, dass „ihm die Haltung des Staates bekannt gewesen, aber der Drang Frauen zu helfen stärker gewesen“ sei. Zum Vorwurf der Rassenschande erklärte er „dass das Blutschutzgesetz für ihn als Kriegsteilnehmer eine persönliche Beleidigung bedeute“. Im September 1938 wurde er wegen des Vorwurfs dreier gewerbsmäßiger Abtreibungen und „Rassenschande“ (Nichtbeachtung des § 218 und der Nürnberger Gesetze) zu zehn Jahren Zuchthaus und Sicherheitsverwahrung in Amberg verurteilt.[2] Die Strafe verbüßte er ab dem 23. Dezember 1938. Am 7. Mai 1942 wurde er in das Straflager Rottgau/Dieburg überstellt.[3] Seine Doktorwürde wurde ihm 1939 von der Universität Erlangen aberkannt.[4]
Später wurde er vom Gefängnis in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo er am 11. Februar 1943 starb. Zunächst war, nachdem das Amtgericht Fürth ihn am 20. April 1950 für tot erklärt hatte, sein Todeszeitpunkt auf den 31. Dezember 1941 festgesetzt worden.[5] Seine Schwester Hedwig wurde 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Sein Bruder Otto war 1927 in Berlin verstorben. Genauso wie 1941 sein älterer Bruder Wilhelm Gottfried. Sein behinderter Sohn Wolfgang wurde 1941 in die Erlanger Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen und starb dort am 13. Februar 1942.
Seine nicht-jüdische zweite Ehefrau Barbara und der Sohn Hans Peter überlebten den Holocaust, die Ehe mit Barbara Woog wurde erst nach dem Krieg anerkannt. Der Sohn seiner Schwester Hedwig Heinz Herbert Ruppel überlebte. Die Kinder seines Bruders Wilhelm Gottfried lebten in den Vereinigten Staaten und entgingen somit dem Schicksal ihrer Verwandten.
Nachwirken
Ernst Alfred Seckendorfs Wirken und sein Leben wurden – unter anderem von seinem Enkel Ernst Seckendorf – nach dem Krieg erforscht. Im Jahr 2009 wurde ihm und anderen jüdischen Ärzten eine Ausstellung des Nürnberger NS-Dokumentationszentrums gewidmet. Diese gastierte unter anderem in Gräfenberg, wo sein Enkel Ernst Seckendorf (Sohn von Hans Peter Seckendorf) damals als Stadtrat und im Widerstand des Bürgerforums Gräfenberg gegen die regelmäßigen Aufmärsche der NPD wirkte. Nach dem Krieg leugnete die Universität zunächst den Entzug der Promotionen. Erst in den 1990er Jahren begann die Aufarbeitung. In einem Gedenkakt der Medizinischen Fakultät am 12. Juli 2008 würdigte die Medizinische Fakultät der Universität Erlangen bei der Promotionsfeier Seckendorf und andere Absolventen, denen die Doktorwürde entzogen worden war.[6][7]
Literatur
- Walther Schönfeld: Einleitung. In: Girolamo Fracastoro: Syphilidis sive morbi gallici libri tres. in der Übersetzung von Ernst Alfred Seckendorf (1892–1941) (= Schriftenreihe der Nordwestdeutschen dermatologischen Gesellschaft. Heft 6) Lipsius & Tischer, Kiel 1960, S. 5–20, hier: S. 16–23.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. etwa Girolamo Fracastoro: Syphilidis sive morbi gallici libri tres in der Übersetzung von Ernst Alfred Seckendorf (1892–1941), eingeleitet von Walther Schönfeld, Lipsius & Tischer, Kiel 1960 (= Schriftenreihe der Nordwestdeutschen dermatologischen Gesellschaft. Heft 6), insbesondere S. 16–20. Vgl. auch Ernst Seckendorf: Der Krankheitsname Syphilis. (Zur Erinnerung an seine 400jährige Existenz). In: Münchener Medizinische Wochenschrift. Nr. 28, 11. Juli 1930, S. 1200 (nach einem am 24. April 1930 in der Nürnberger Medizinischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag).
- ↑ Chronik jüdischer Fürther. Abgerufen am 15. Februar 2021.
- ↑ Walther Schönfeld: Einleitung. In: Girolamo Fracastoro: Syphilidis sive morbi gallici libri tres. in der Übersetzung von Ernst Alfred Seckendorf (1892–1941) (= Schriftenreihe der Nordwestdeutschen dermatologischen Gesellschaft. Heft 6) Lipsius & Tischer, Kiel 1960, S. 5–20, hier: S. 17 f.
- ↑ Clemens Wachter: Aberkennung der Doktorwürde an der Universität Erlangen in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Thomas A. H. Schöck (Hrsg.): Dokumentation der Gedenkakte der Medizinischen Fakultät und des Fachbereichs Rechtswissenschaft. Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt an der Aisch 2010, ISBN 978-3-9808453-1-1, S. 26 ff. (kobv.de [PDF]).
- ↑ Walther Schönfeld: Einleitung. 1960, S. 17 f.
- ↑ Fegt alle hinweg: Approbationsentzug 1938. In: Flyer des NS Dokuzentrums. NS Dokuzentrum, 2009, abgerufen am 15. Februar 2021.
- ↑ Unbegründet wegen Abtreibung verurteilt. In: nordbayern.de. Nürnberger Nachrichten, 22. Oktober 2009, abgerufen am 15. Februar 2021.
Personendaten | |
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NAME | Seckendorf, Ernst Alfred |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Arzt jüdischen Glaubens und Opfer des Holocaust |
GEBURTSDATUM | 30. Dezember 1892 |
GEBURTSORT | Nürnberg |
STERBEDATUM | 11. Februar 1943 |
STERBEORT | Auschwitz |