Österreichisch-Ungarischer Ausgleich

Verfassungssetzung für Ungarn
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Unter dem österreichisch-ungarischen Ausgleich versteht man die verfassungsrechtlichen Vereinbarungen, durch die die k.u.k. Doppelmonarchie entstand.

Seit der Niederlage im Deutschen Krieg von 1866 war Österreich gezwungen, die Nationalitätenfrage im Vielvölkerstaat zu lösen. Eine offenkundige Beschränkung der inneren Autonomie des Reichsteils Ungarn, wie sie nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution und des Freiheitskrieges von 1848/49 festgelegt wurde, konnte nicht mehr aufrechterhalten werden. Deshalb traten 1866 die kaiserliche Regierung und der ungarische Landtag zu Verhandlungen zusammen. Diese führten zunächst im Februar 1867 zur Wiederherstellung des ungarischen Reichstages von 1848 und zur Bildung eines konstitutionellen ungarischen Ministeriums.

Geschichte

Wiederherstellung des ungarischen Staats

Die Notlage der Monarchie nach dem italienischen Krieg von 1859 zwang die kaiserliche Regierung (in Wien) zur Nachgiebigkeit: Nachdem Erzherzog Albrecht durch den Ungarn Benedek ersetzt worden war, wurde durch das Oktoberdiplom am 20. Oktober 1860 die alte Verfassung Ungarns vor 1848 im Wesentlichen wiederhergestellt und der Landtag zur Beratung eines neuen Wahlgesetzes berufen, welches eine Vertretung aller Stände ermöglichen sollte. Die ungarische Hofkanzlei, die Komitatsverwaltung, die ungarische Justiz mit der Curia regia und dem Judex curiae in Pest, das Amt eines Tavernicus, die ungarische Sprache als Amtssprache wurden wiederhergestellt. Die fremden Beamten mussten das Feld räumen, die deutschen Gesetze wurden für aufgehoben erklärt.

Alle diese Zugeständnisse wurden von den Ungarn aber nur als Abschlagszahlung angenommen, als Preis der Versöhnung wurde die völlige Wiederherstellung des alten Rechtszustandes mit Einschluss der Gesetze von 1848 und eine Amnestie gefordert. Im Februar 1861 berief die ungarische Regierung gleichzeitig mit der Verkündigung einer neuen Verfassung für den Gesamtstaat den Landtag nach dem Wahlgesetz von 1848 ein; derselbe wurde 6. April eröffnet. Das Unterhaus, in welchem der Schwerpunkt der Verhandlungen lag, spaltete sich in zwei Parteien, die Adresspartei unter Ferenc Deák, welche den Standpunkt der Nation der Februarverfassung gegenüber in einer Adresse an den Monarchen darlegen und damit den Weg der Verhandlungen betreten wollte, und die Beschlusspartei unter Koloman Tisza, welche die Rechtsgültigkeit der 1848er Gesetze durch einfachen Beschluss erklären wollte. Nach langen Debatten siegte am 5. Juni die Adresspartei mit 155 gegen 152 Stimmen, aber ihre Forderung, welche eine Personalunion mit Österreich verlangte, wurde 8. Juli vom Kaiser mit der Forderung einer vorherigen Revision der 1848er Gesetze beantwortet.

Als der ungarische Landtag darauf in einer zweiten Adresse die Pragmatische Sanktion und die Gesetze von 1848 als die allein annehmbare Grundlage bezeichnete, die Krönung Franz Josephs von der Wiedervereinigung der Nebenländer mit Ungarn abhängig machte, die Beschickung des Wiener Reichsrats ablehnte und gegen jeden Beschluss desselben protestierte, brach die Wiener Regierung alle weiteren Verhandlungen ab; "Österreich kann warten", erklärte Schmerling in der Hoffnung, dass Ungarn sich schließlich der Februarverfassung fügen werde. Bis dahin wurde, nachdem der Landtag am 21. August 1861 aufgelöst worden war, wieder absolutistisch regiert; gleichzeitig versuchte man die öffentliche Meinung durch eine Amnestie der politischen Sträflinge und Flüchtlinge sowie durch eine Spende von 20 Mill. zur Linderung einer entsetzlichen Hungersnot (1863) zu gewinnen. Aber schon 1865 wurde in Wien das Regierungssystem wieder geändert: Vom liberalen Zentralismus Schmerlings ging man zum altkonservativen Föderalismus Belcredis über.

Nach einem neuen Besuch Kaiser Franz Josephs in Pest wurden die Führer der altkonservativen Partei in Ungarn, Graf Mailath und Baron Sennyey, an die Spitze der ungarischen Regierung gestellt. Am 14. Dezember 1865 wurde der ungarische Landtag von neuem eröffnet. Die Thronrede versprach die Wiederherstellung der Integrität der ungarischen Krone, erkannte die Rechtskontinuität und die formelle Gültigkeit der Gesetze von 1848 an, forderte aber deren Revision vor der Einführung. Die Verhandlungen hierüber und über die Feststellung der gemeinsamen Angelegenheiten der Gesamtmonarchie waren noch nicht zum Abschluss gediehen, als wegen des Kriegs mit Preußen der Landtag am 26. Juni 1866 geschlossen wurde.

Österreichisch-Ungarischer Ausgleich

In dem Streite, der nach dem Frieden von Prag in Österreich über die Neugestaltung des Reichs ausbrach, nahmen die Ungarn unter Führung von Ferenc Deák von Anfang an eine klare, bestimmte Stellung ein und errangen dadurch einen glänzenden Sieg. Um einer Auflösung der Monarchie in fünf Königreiche und der Herrschaft der Slawen vorzubeugen, entschied sich der leitende Minister Friedrich Ferdinand von Beust mit Zustimmung der Deutschliberalen für den Dualismus, für die Teilung des Reichs in eine westliche Hälfte, wo die Deutschen, und eine östliche Hälfte, wo die Magyaren das Übergewicht haben sollten. Von Beust verständigte sich in persönlichen Verhandlungen mit den Führern der Deákpartei über die Bedingungen des Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn. Dem Reichstag, wie der Landtag nun wieder hieß, wurde am 18. Februar 1867 die Wiederherstellung der Verfassung von 1848, für welche nur wenige Modifikationen ausbedungen wurden, sowie die Einsetzung eines besonderen verantwortlichen Ministeriums unter dem Vorsitz von Gyula Andrássy angezeigt. Siebenbürgen und das Banat wurden sofort mit Ungarn wieder verschmolzen.

Die Verhandlungen zwischen dem österreichischen Ministerpräsidenten Friedrich von Beust und den ungarischen Politikern Ferenc Deák und Gyula Graf Andrássy erbrachten, dass Ungarn weitgehend unabhängig war und mit Österreich nur noch durch die Person des ungarischen Königs verbunden war, der zugleich österreichischer Kaiser war. Weiterhin einigte man sich auf einen gemeinsamen Ministerrat für die gemeinsamen Angelegenheiten (Außen-, Kriegs- und Finanzpolitik). Die Innenpolitik betrieben beide Reichsteile durch eigene Regierungen selbständig. Die innere Verfassung der österreichischen (Cisleithanien) und die der ungarischen Reichshälfte (Transleithanien) unterschieden sich in der Folge deutlich, unter anderem war das Wahlrecht unterschiedlich geregelt.

Kroatien wurde ein Ausgleich vorbehalten, der letztlich am 20. September 1868 zustande kam. Ungarn wurde als selbständiger Staat anerkannt, der mit Österreich durch gewisse gemeinsame Angelegenheiten verbunden war und zunächst auf zehn Jahre ein Zoll- und Handelsbündnis mit ihm schloss. Von den anerkannten Staatsschulden und von den gemeinsamen Ausgaben für das Auswärtige, Heer und Marine übernahm Ungarn lediglich 30 Prozent, stand aber in den Delegationen der österreichischen Reichshälfte ebenbürtig zur Seite.

Mit allem Pomp früherer Jahrhunderte erfolgte am 8. Juni 1867 in Budapest die feierliche Krönung des Königs, und damit war die Versöhnung der Magyaren mit der Dynastie besiegelt. Die heimgekehrten Flüchtlinge schlossen sich ehrlich der neuen Ordnung der Dinge an, das Volk bestätigte bei jeder Gelegenheit seine Loyalität, und der Reichstag, in welchem die gemäßigte Deákpartei zunächst noch die entschiedene Mehrheit hatte, nahm 1868 bereitwilligst das Wehrgesetz in der Fassung der Regierung an; nicht nur das stehende Heer, sondern auch die Landwehr wurde unter den Befehl des Reichskriegsministeriums gestellt, die letztere jedoch als Honvédarmee unter dem Kommando des Erzherzogs Joseph besonders organisiert.

Magyarisierungsbestrebungen im ungarischen Teil

Die anderen Bevölkerungsgruppen der Monarchie profitierten vom österreichisch-ungarischen Ausgleich nicht; nur die Ungarn erhielten als zweites "Staatsvolk" der Monarchie die gleichen Rechte wie die Deutsch-Österreicher. Die Reichsteile westlich der Leitha von Österreichisch Schlesien bis Dalmatien gehörten zur österreichischen Reichshälfte, Kroatien, die Slowakei und Siebenbürgen zur ungarischen, das Schicksal der jeweiligen Bevölkerungsgruppen wurde den Regierungen in Wien und Budapest in eigener Verantwortung überlassen ("Nehmt ihr eure Horden, wir nehmen unsere"). Die Folge waren Spannungen, vor allem mit der starken slawischen Bevölkerung. Kroatien konnte immerhin einen Sub-Dualismus innerhalb Ungarns erreichen (sog. Ungarisch-Kroatischer Ausgleich), war in allen wichtigen Angelegenheiten aber von der Regierung in Budapest abhängig.

Das Bewusstsein des durch Ausdauer und Klugheit errungenen Siegs trieb die Magyaren an, den freiheitlichen Ausbau des Nationalstaats möglichst rasch zu vollenden. Die politische Gleichstellung der Juden, die fakultative Zivilehe, ein Volksschulgesetz u. a. wurden beschlossen. Das Nationalitätengesetz vom 29. November 1868 bestimmte, dass alle Bewohner Ungarns die einheitliche und unteilbare ungarische Nation bilden, die ungarische Sprache Staatssprache sein sollte. Das Übergewicht der Magyaren bei den Wahlen wurde durch Verteilung der Wahlbezirke und des Stimmrechts aufrecht erhalten. Vor allem wollte man die materielle Entwicklung des Landes durch Eisenbahnen fördern.

Präsentation nach außen

Die gemeinsamen Angelegenheiten wurden in der Folge als „kaiserlich und königlich“ (k.u.k.), die rein ungarischen als „königlich“ (k.) und die österreichischen als „kaiserlich-königlich“ (k.k.) bezeichnet. Im Juni 1867 wurde Kaiser Franz Joseph I. zum ungarischen König gekrönt. Der erste Außenminister der Monarchie wurde Friedrich Ferdinand von Beust (18671871), ihm folgte Graf Gyula Andrássy (18711879) nach.

Äußeres Symbol des Ausgleichs war der jährliche mehrwöchige Aufenthalt Kaiser Franz Josephs I. in Budapest. Als König von Ungarn residierte er auf der Budaer Burg und nahm in dieser Zeit - in ungarischer Sprache und in eine ungarische Uniform gekleidet - mit den Ministern des Königreiches Ungarn und dem königlichen ungarischen Reichstag seine ungarischen Ämter wahr.

Literatur

  • Gordon C. Craig: Geschichte Europas 1815–1980. Vom Wiener Kongress bis zur Gegenwart. München, 1995 (S. 174–176)
  • Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867, herausgegeben vom Forschungsinstitut für den Donauraum, 1967
  • Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867, Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 20, 1968
  • Historisches Geschehen im Spiegel der Gegenwart, Österreich-Ungarn 1867-1967, Institut für Österreichkunde, 1970