Der Nürnberger Ärzteprozess fand vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 vor dem Ersten Amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg statt. Er ist der erste von zwölf Nachfolgeprozessen des Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Dritten Reiches der vor dem Internationalen Militärgerichtshof (IMT) in Nürnberg verhandelt wurde.
Angeklagt waren 20 Ärzte sowie drei Nicht-Ärzte. Neben pragmatischen Gründen (einige Täter waren verstorben oder hatten Selbstmord begangen, der Verbleib mancher Täter war ebenso unbekannt wie Beweismaterial noch nicht verfügbar) wurde versucht führende Vertreter der "staatlichen medizinischen Dienste" des Dritten Reiches anklagen, um so das Wirken des verbrecherischen Systems (nicht nur verbrecherischer Einzelpersonen) zu demonstrieren.
Beispielhaft wurden in dem Prozess z.T. tödliche nicht freiwillige Menschenversuche an KZ-Häftlingen ohne jede Gnade und Barmherzigkeit behandelt. Hierzu zählen: "Höhenversuche", "Unterkühlungsversuche", "Malaria-Experimente", "Lost (Senfgas) -Experimente", "Sulfonamid-Experimente", "Versuche zu Knochen-, Muskel- und Nervengenerationen sowie Knochenmarktransplantationen", "Experimente mit Meerwasser", "Experimente mit epidemischer Gelbsucht", "Sterilisationsexeperimente", "Fleckfieber-Experimente", "Experimente mit Giften" oder "Brandbomben-Experimente". Auch die Anlage einer jüdischen "Skelettsammlung" zu deren "Materialbeschaffung" Häftlinge extra selektiert und ermordet wurden, die "Ermordung tuberkoloser Polen" und das "Euthanasie-Programm" waren Teil des Prozesses.
Natürlich wurden im Prozess nicht alle verbrecherischen medizinischen Versuche und Praktiken des Dritten Reiches behandelt. Eine gute Aufstellung über verbrecherische Menschenversuche im Dritten Reich findet sich hier.
Die Anklagepunkte
- Das gemeinsame Vorhaben oder die Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
- Kriegsverbrechen (insbesondere medizinische Versuche - an und - mit Menschen),
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
- Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen.
Die Richter
- Präsident: Walter B. Beals, Oberster Richter des Supreme Court des Staates Washington
Die Angeklagten (A-Z)
- Hermann Becker-Freysing Stabsarzt in the Luftwaffe - 20 Jahre - 1951 in 10 Jahre Haft umgewandelt
- Wilhelm Beigelböck Consulting Physician der Luftwaffe- 15 Jahre - 1951 zu 10 Jahren Haft umgewandelt
- Prof. Kurt Blome, Stellvertreter des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti - Freispruch
- Viktor Brack SS-Oberführer und Sturmbannfuehrer Waffen SS; Oberdienstleiter, Kanzlei des Fuehrers der NSDAP) - Todesstrafe - hingerichtet
- Prof. Karl Brandt, Begleitarzt Hitlers, (Euthanasie) - Todesstrafe - hingerichtet
- Rudolf Brandt - Todesstrafe - hingerichtet
- Fritz Fischer Sturmbannführer der Waffen SS - Lebenslänglich - 1951 in 15 Jahre Haft umgewandelt
- Karl Gebhardt, SS-Gruppenführer und Waffen SS; Arzt Heinrich Himmlers - Todesstrafe - hingerichtet
- Dr. med. Karl Grenzken, Chef des Sanitätsamts der Waffen-SS - Lebenslänglich - 1951 in 20 Jahre Haft umgewandelt
- Prof. Siegfried Handloser Generaloberstabsarzt , der höchste Militärarzt - Lebenslänglich - 1951 in 20 Jahre Haft umgewandelt
- Waldemar Hoven Hauptsturmführer Waffen-SS- Todesstrafe - hingericht
- Joachim Mrugowsky Oberführer Waffen-SS - Todesstrafe - hingerichtet
- Herta Oberheuser Ärztin im KZ Ravensbrück, Assistentin von Gebhardt - 20 Jahre - 1951 in 10 Jahre Haft umgewandelt
- Adolf Pokorny Arzt fürv Haut und Geschlechtskrankheiten - Freispruch
- Helmut Poppendick Chef des Persoenlichen Stabes des Reichsarztes SS und Polizei- 10 Jahre - 1951 entlassen
- Professor Dr. med. Gerhard Rose Generalarzt der Luftwaffe; Stellvertretender Präsident für Tropenmedizin des Robert Koch Institutes - Lebenslänglich - 1951 in 15 Jahre Haft umgewandelt
- Hans-Wolfgang Romberg - Freispruch
- Prof. Paul Rostock als "Beauftragter für medizinische Wissenschaft und Forschung" ein Untergebener Brands - Freispruch
- Siegfried Ruff - Freispruch
- Konrad Schäfer - Freispruch
- Generaloberstabsarzt Prof. Oskar Schröder, Sanitätswesen der Luftwaffe - Lebenslänglich - 1951 in 15 Jahre Haft umgewandelt
- Wolfram Sievers (Institut für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung) - Todesstrafe - hingerichtet
- August Weltz - Freispruch
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Rezeption in der deutschen Öffentlichkeit
Medizinische Ethik
Der Nürnberger Ärzeprozess führte zu einer Rückbesinnung von einer auf das Kollektiv bezogenen medizinischen Ethik zu einer auf das Individuum bezogenen. Im Nürnberger Kodex wurde der Rahmen für Menschenversuche festgelegt.
Der Nürnberger Kodex (1947)(Stellungnahme des I. Amerikanischen Militärgerichtshofes über "zulässige medizinische Versuche") 1. Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich. Das heißt, daß die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muß, ihre Einwilligung zu geben; daß sie in der Lage sein muß, unbeeinflußt durch Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; daß sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muß, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können. Diese letzte Bedingung macht es notwendig, daß der Versuchsperson vor der Einholung ihrer Zustimmung das Wesen, die Länge und der Zweck des Versuches klargemacht werden; sowie die Methode und die Mittel, welche angewendet werden sollen, alle Unannehmlichkeiten und Gefahren, welche mit Fug zu erwarten sind, und die Folgen für ihre Gesundheit oder ihre Person, welche sich aus der Teilnahme ergeben mögen. Die Pflicht und Verantwortlichkeit, den Wert der Zustimmung festzustellen, obliegt jedem, der den Versuch anordnet, leitet oder ihn durchführt. Dies ist eine persönliche Pflicht und Verantwortlichkeit, welche nicht straflos an andere weitergegeben werden kann. 2. Der Versuch muß so gestaltet sein, daß fruchtbare Ergebnisse für das Wohl der Gesellschaft zu erwarten sind, welche nicht durch andere Forschungsmittel oder Methoden zu erlangen sind. Er darf seiner Natur nach nicht willkürlich oder überflüssig sein. 3. Der Versuch ist so zu planen und auf Ergebnissen von Tierversuchen und naturkundlichem Wissen über die Krankheit oder das Forschungsproblem aufzubauen, daß die zu erwartenden Ergebnisse die Durchführung des Versuchs rechtfertigen werden. 4. Der Versuch ist so auszuführen, daß alles unnötige körperliche und seelische Leiden und Schädigungen vermieden werden. 5. Kein Versuch darf durchgeführt werden, wenn von vornherein mit Fug angenommen werden kann, daß es zum Tod oder einem dauernden Schaden führen wird, höchstens jene Versuche ausgenommen, bei welchen der Versuchsleiter gleichzeitig als Versuchsperson dient. 6. Die Gefährdung darf niemals über jene Grenzen hinausgehen, die durch die humanitäre Bedeutung des zu lösenden Problems vorgegeben sind. 7. Es ist für ausreichende Vorbereitung und geeignete Vorrichtungen Sorge zu tragen, um die Versuchsperson auch vor der geringsten Möglichkeit von Verletzung, bleibendem Schaden oder Tod zu schützen. 8. Der Versuch darf nur von wissenschaftlich qualifizierten Personen durchgeführt werden. Größte Geschicklichkeit und Vorsicht sind auf allen Stufen des Versuchs von denjenigen zu verlangen, die den Versuch leiten oder durchführen. 9. Während des Versuches muß der Versuchsperson freigestellt bleiben, den Versuch zu beenden, wenn sie körperlich oder psychisch einen Punkt erreicht hat, an dem ihr seine Fortsetzung unmöglich erscheint. 10. Im Verlauf des Versuchs muß der Versuchsleiter jederzeit darauf vorbereitet sein, den Versuch abzubrechen, wenn er auf Grund des von ihm verlangten guten Glaubens, seiner besonderen Erfahrung und seines sorgfältigen Urteils vermuten muß, daß eine Fortsetzung des Versuches eine Verletzung, eine bleibende Schädigung oder den Tod der Versuchsperson zur Folge haben könnte. |
Literatur
- Dörner u.a., Hrsg., Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. Wortprotokolle, Anklage- und Verteidigungsmaterial, K.G. Saur - Verlag. 1999 (Erstveröffentlichung der vollständigen Akten)
- Alexander Mitscherlich; Fred Mielke: Wissenschaft ohne Menschlichkeit : medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg / - 1. Aufl.. - Heidelberg : Schneider,. 1949 (heute als Taschenbuch gut verfügbar, laut Vorwort soll die erste Auflage von Ärztevertretern systematisch vom Markt gekauft worden sein, so dass das Buch Jahrzehntelang unbekannt blieb)
Nürnberger Prozesse
Nürnberger Prozesse - Fall I: Ärzte-Prozess - Fall II: Milch-Prozess - Fall III: Juristen-Prozess - Fall IV: Prozess Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS - Fall V: Flick-Prozess - Fall VI: IG-Farben-Prozess - Fall VII: Prozess Generäle in Südosteuropa - Fall VIII: Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS - Fall IX: Einsatzgruppen-Prozess - Fall X: Krupp-Prozess - Fall XI: Wilhelmstraßen-Prozess - Fall XII: Prozess Oberkommando der Wehrmacht