Ekklesiogene Neurose

religiös bzw. kirchlich verursachte psychische Störung
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Als Ekklesiogene Neurosen wurden in den 1950er Jahren von einzelnen Medizinern religiös bzw. kirchlich verursachte psychische Störungen bezeichnet. Heute wird der Ausdruck häufig metaphorisch und nicht im medizinisch engeren Sinne verwandt.

Der Begriff wurde 1955 vom Frauenarzt und Psychoanalytiker Eberhard Schaetzing in einem Beitrag für die Zeitschrift „Wege zum Menschen“ geprägt. Er behauptete, dass die „in gewissen pietistischen Kreisen“ übliche triebfeindliche Erziehung Frigidität und Impotenz zur Folge habe. Rasch verselbständigte sich der Begriff und gab ein universelles Deutungsmuster für sexuelle Störungen ab.

Der Berliner Arzt, Psychoanalytiker und Theologe Klaus Thomas erweiterte seinen Erklärungsanspruch: Ekklesiogene (wörtlich: kirchenverursachte) Einflüsse lägen auch oftmals sadistischen und masochistischen Perversionen sowie Zwangsstörungen und Gewissensängstlichkeit zugrunde, zumal bei Personen, die in ihrer Jugend aus religiösen Gründen beim Onanieren ein schlechtes Gewissen hatten. Er bezeichnete auch das Leiden von Seelsorgern an der Enge kirchlicher Regelungen und Vorgesetzten als "ekklesiogene Neurosen". Diese so weit gefasste Definition führte ihn zu der Behauptung, dass in 75 Prozent der von ihm besuchten Pfarrhäuser "ekklesiogene Neurosen" herrschten.[1]


Begriffserklärungen

„Unter diesem Begriff werden alle jene seelischen Schwierigkeiten und psychoneurotischen Erkrankungen zusammengefasst, die durch Fehlformen der Frömmigkeit und Religion entstehen. Da die Kirche (ekklesia) als Gemeinschaft der Gläubigen die Frömmigkeit und die Religion entscheidend prägt und trägt, wurde diese Bezeichnung als Sammelbegriff für diese spezielle Neurose gewählt. Damit wird nicht gesagt, dass die Kirche und die Religion krank mache. Während eine ganzheitliche Beziehung zwischen dem Glaubensleben und dem Seelenleben für beide Seiten positive Auswirkungen hat, kann eine zu einengende kirchliche Bindung und fanatische Religiosität das seelische Erleben derart beeinträchtigen, dass es zu Störungen und Erkrankungen kommt. Auch eine zu prüde und sexualfeindliche Erziehung sowie ein neurotisches Gottsbild tragen häufig zu e.N. bei.“

Helmut Hark: Religiöse Neurosen. Ursachen und Heilung, Stuttgart 1984, S. 286f., S. 290
  • stern.de: Der Glauben an den lieben Gott macht gesund, 25. September 2003
  • opus-magnum.de: Helmut Hark: Religiöse Neurosen - Ursachen und Heilung, 19. Dezember 2005, Online-Version des Buches
    Helmut Hark: Religiöse Neurosen. Ursachen und Heilung, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1984, ISBN 3-7831-0735-0

Kritisch:

  • stimmen-der-zeit.de (PDF): Bernhard Grom SJ: Ekklesiogene Neurosen?, Erstellt am 12. April 2005 - Auszug aus Stimmen der Zeit, 5/2005
  • n24.de, dpa: Im versengenden Fegefeuer, 26. September 2003

Wissenschaftliche Literatur

  • Schaetzing, E.: Die ekklesiogenen Neurosen In: Wege zum Menschen, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 1955
  • Helmut Hark: Religiöse Neurosen. Ursachen und Heilung, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1984,
  • Moser, Tilman: Gottesvergiftung. Frankfurt am Main. Suhrkamp Verlag. 1976

Quellen

  1. bibelbund.de: Richard Bergmann: Psychologie pro Glauben?!, Letzte Änderung: 8. Dezember 2002