Evolution (v. lat.: evolvere = abwickeln, entwickeln; PPP evolutum) ist ein Prozess, bei dem durch Reproduktion oder Replikation von einem System Kopien hergestellt werden, die sich voneinander und von ihrem Ursprungssystem durch Variation unterscheiden und bei dem nur ein Teil dieser Kopien auf Grund von Selektion für einen weiteren Kopiervorgang zugelassen werden.
Vorgeschichte des Begriffs
Der Begriff wurde 1774 von dem Schweizer Naturforscher Albrecht von Haller (1708-1777) für seine Vorstellung von der Entwicklung des Menschen geprägt. Er war der Ansicht, dass die Embryonen bereits im Spermium oder in der Eizelle fertig ausgebildet vorlägen. Diese "Homunculi" (Einzahl Homunculus, vom lat. Diminutiv für Mensch) enthalten in ihren Keimzellen wiederum kleine Menschen und so weiter bis in alle Unendlichkeit, ähnlich dem Prinzip der russischen Matroschka-Puppen. Antoni van Leeuwenhoek (1623-1723) glaubte, diese Homunculi bei der Beobachtung von Spermien mit seinem Mikroskop bereits gesehen zu haben.
Evolution im Allgemeinen
Voraussetzungen der Evolution
Die Evolution ist an drei notwendige Voraussetzungen gebunden. (1) Das Vorhandensein von Replikatoren, (2) eine schwankende Kopiergenauigkeit, Variation genannt, sowie (3) eine unterschiedliche Wahrscheinlichkeit einer jeden Variante, als Element in jene Stichprobe zu gelangen, aus der die nachfolgende Population zusammengesetzt wird: Selektion.
Diese Voraussetzungen sind hinreichend trivial, sodass man logisch ableiten kann, dass sie an vielen Orten und Gelegenheiten im Universum gegeben sind. Die Ansichten darüber, ob sich Leben daraus entwickeln muss, gehen jedoch weit auseinander. Weitgehend Einigkeit hingegen besteht in der Evolutionsbiologie darüber, dass Evolution nicht zwangsläufig zur Entwicklung von Intelligenz führt, denn diese ist nur ein Spezialfall, der an weitere, vermutlich sehr selten gegebene Bedingungen geknüpft ist. Der einzige Fall, von dem sicher bekannt ist, dass dies dort eintrat, ist unsere Erde. Aber auch hier wurden die Bedingungen der Evolution von Intelligenz erst nach mindestens 530 Millionen Jahren erfüllt, obwohl die fortschreitende Evolution von Vielzellern schon zuvor eine Reihe notwendiger Voraussetzungen für Intelligenzentwicklung bereit stellt.
Die Schwankung von Replikatorenhäufigkeiten in einer Population
Als Evolution bezeichnet man heute allgemein jenen statistischen Vorgang, bei dem die Zusammensetzung einer Replikatoren-Population P2 aus einer Stichprobe einer zuvor bestehenden, anderen Replikatoren-Population P1 bestimmt wird. Wird aus P1 eine Stichprobe unterschiedlicher Replikatoren gezogen und aus ihr die Zusammensetzung von P2 bestimmt, so liegt Evolution vor. Läuft dieser Vorgang wiederholt ab, so weisen spätere Populationen - wie bspw. P5 oder P100 - jeweils schwankende Zusammensetzungen auf. Die Evolution kann auch als kumulierender Stichprobenfehler bezeichnet werden.
Eine evolutionsfähige Population ist eine Menge von Replikatoren. Letztere sind irgendwelche Objekte, von denen Kopien entstehen.
Die Evolution als statistischer Vorgang ist ein logisch und empirisch jederzeit beweisbarer Fakt und in der Wissenschaft nicht bestreitbar. Evolution läuft niemals an Objekten, sondern immer nur an Häufigkeiten von Objekten ab. Er kann grundsätzlich an allen Mengen ablaufen, die nicht einmal den bekannten physikalischen Gesetzen gehorchen müssen. Umstritten ist, ob sich das Leben auf unserer Erde vollständig evolutionär entwickelte, oder ob und welche anderen Gesetzmäßigkeiten dabei eine Rolle spielten (z. B. in der Debatte Evolutionsbiologie vs. Kreationismus, siehe auch Evolutionstheorie).
Verlauf der Evolution auf unserer Erde
Nach der Evolutionstheorie verlief die Evolution der Lebewelt, basierend auf der Entwicklung zuvor unbelebter Materie, folgendermaßen:
Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Unterteilung der Evolution der Lebewelt in nachfolgenden vier Stufen sinnvoll, wobei der Ablauf der ersten Stufe keinen evolutionären Gesetzmäßigkeiten unterliegt, aber die physikalischen Grundlagen für deren spätere Wirkung bereit stellt.
Teilbereiche der Evolution
Evolution der unbelebten Materie
Dieses Thema beschäftigt sich mit dem Ursprung und der Entwicklung des Universums, dessen Teilchen und Elementen. Folgende Artikel befassen sich mit der Thematik:
Evolution der Lebewesen
Die Evolution der Lebewelt ist jene Evolution, die im Laufe großer Zeitspannen innerhalb der Erdgeschichte die Entstehung und Veränderung der Lebewesen bewirkt. Sie umfasst nicht die Entstehung des Lebens. Näheres zur Biologischen Evolution und zu anderen lebensevolutionären Ansätzen erfahren Sie hier:
- Chemische Evolution
- Biologische Evolution
- Evolutionstheorie
- Synthetische Evolutionstheorie
- theologische Evolution
Zur Auseinandersetzung mit weltanschaulich vorgeprägten Vorstellungen über die biologische Evolution siehe:
Vor allem wissenschaftlich gebildete Gegner der Evolutionstheorie unterscheiden zwischen Mikro- und Makroevolution. Die unbestreitbaren Belege für die Evolution fassen sie unter dem Begriff Mikroevolution zusammen, während sie die Entwicklung der heutigen Lebewesen aus primitiveren Formen als Makroevolution ablehnen.
Evolution der Psyche
Unter bestimmten Bedingungen führt die Evolution zu Organismen und Wesen, die Informationen verarbeiten können. Dieser Vorgang wird Evolution der Psyche genannt. Folgende Artikel handeln darüber:
Evolution der Meme
Aufgrund zahlreicher empirischer Belege glaubt man heute einheitlich, dass die Evolution auf unserem Planeten nicht immer an denselben Replikatoren abgelaufen sein muss. Die Lebewelt, wie wir sie heute kennen, basierte zwar auf weitesten Strecken auf einem chemischen Replikator, der DNA, sie ist jedoch nicht der einzige Replikator. Als weitere Replikatoren erwiesen sich beispielsweise Kristallstrukturen, die ebenfalls Kopien von sich selbst herstellen können. Auch informationstragende Einheiten, die nicht an eine chemische, sondern an eine (bio-)informatische Grundlage gebunden sind, werden als Replikatoren begriffen und wurden von Richard Dawkins 1976 als Meme bezeichnet.
Evolutorische Ökonomik
In Form der evolutorischen Ökonomik haben Gedanken der biologischen Evolution auch Eingang in die Wirtschaftswissenschaften gefunden. Hintergrund ist, dass durch freie Märkte eine Selektion unter konkurrierenden Produkten oder Produktionsverfahren stattfindet, in der sich erwünschtere Produkte und effizientere Verfahren gegen weniger gewünschte und ineffizientere durchsetzen. Ständige Produktinnovationen führen so zu einer ständigen Weiterentwicklung, die -wie in der biologischen Evolution- Untersuchungsgegenstand ist. Während in der Biologie aber die Variationen oder Mutationen nur als zufällig modelliert werden, sind sie in der evolutorischen Ökonomik ebenfalls Untersuchungsgegenstand.
Evolutionärer sozialer Wandel
In der Politiksoziologie wird oft zwischen "evolutionärem" und "revolutionärem" sozialen Wandel unterschieden. (Siehe z.B. Vilfredo Pareto.)
Beispiele
Kettenbriefe
- Kopieren: Ein Kettenbrief, der auf konventionelle Art als Brief per Post verschickt wird, muss zunächst vervielfacht werden. Dies geschah früher mit Durchschlagpapier, später mit Hilfe des Fotokopierers. Beide Verfahren erzeugen noch keine Varianten, sondern identische Kopien (Klone), führen aber dazu, dass früher oder später Briefe entstehen, die an manchen Stellen unleserlich sind.
- Variieren: Solche Briefe werden neu abgeschrieben. Dabei führt das Rekonstruieren der unleserlichen Stellen oft zum Einsetzen von Wörtern, die nicht im Ursprungsbrief enthalten waren. Auch wird von einigen Personen, die Kettenbriefe weiterleiten, der Inhalt bewusst verändert, zum Beispiel bei der Höhe des Gewinns, wenn der Kettenbrief weitergeleitet wird oder bei der Art der Sanktionen, wenn er nicht weitergeleitet wird.
- Auswählen: Eine Selektion wird durch den Empfänger vorgenommen. Er entscheidet, ob er den Brief kopiert, in welcher Stückzahl er ihn kopiert oder ob er ihn nicht verschickt und damit die Kette für die entsprechende Version des Kettenbriefes abbrechen lässt.
Bei Kettenbriefen, die als E-Mail verbreitet werden, entfällt die Kopierungenauigkeit. Es gibt für diese Art der Kettenbriefe noch keine Untersuchungen darüber, ob Empfänger den Text bewusst ändern, um ihrer Version eine größere Verbreitung zu ermöglichen.[1]
Selbstreplizierende künstliche organische Moleküle
- Kopieren: Selbstkomplementäre Moleküle haben die Voraussetzung, die Synthese von gleichen oder ähnlichen Molekülen autokatalytisch zu ermöglichen. Dabei bilden Matrizenmolekül („Replikator“) und Bausteine einen Komplex, der stabil genug ist, die Verknüpfung der Bausteine zu einem neuen Replikatormolekül zu ermöglichen, das sich vom Matrizenmolekül wieder löst und selbst als Matrize für die Bildung eines weiteren Moleküls dienen kann. Das in der Abbildung angegebene Beispielmolekül ist zwar replikationsfähig, nicht aber evolutionsfähig, da es nur exakte Kopien seiner selbst katalysiert.
- Variieren: Katalysiert ein Replikatormolekül nicht nur exakte Kopien seiner selbst sondern auch Varianten, die selbst wieder als Matrizen dienen, können in einem entsprechenden Versuchsansatz verschiedene Arten von Replikatormolekülen entstehen.
- Auswählen: Unter geeigneten Bedingungen kommt es zur Ausbildung von Replikatormolekülen, die sich in ihrer Replikationsgeschwindigkeiten unterscheiden und in Konkurrenz um Bausteinmoleküle unterschiedlich „erfolgreich“ sind. Befinden sich zum Beispiel in einem Reaktionsgefäß die Bausteine DIX (ein Diaminotriazin-Xanthen), AR (Adenin-Ribose), T (Thymin) und BI (Biphenylamid) finden sich nach einiger Zeit Replikatormoleküle in einer ihrer Replikationsgeschwindigkeit entsprechenden Konzentration: DIXBI (nicht replikationsfähig), DIXT, ARBI und ART (größte Replikationsgeschwindigkeit).[2]
Referenzen
Literatur
- Blech, Jörg/ Bredow, Rafaela von/ Grolle, Johann (2005): Darwins Werk, Gottes Beitrag. Der Spiegel 52/2005, S. 136-147 ISSN 0038-7452
- Dawkins, Richard (1976): The selfish Gene. Oxford: Oxford University Press.
- Ditfurth, Hoimar von: Im Anfang war der Wasserstoff. Knaur. ISBN 342603395X
- Ditfurth, Hoimar von: Der Geist fiel nicht vom Himmel. Hoffmann und Campe. ISBN 3455089674
- Dose, Klaus: Chemische Evolution und der Ursprung lebender System. In: Hoppe, W./ Lohmann, W./ Markl, H./ Ziegler, H. (Hg.): Biophysik. Heidelberg: Springer-Verlag. ISBN 3540113355
- Ebeling, Werner: Physik der Evolutionsprozesse. Berlin: Akademie-Verlag. ISBN 3055006224
- Kleine-Horst, Lothar (1992): Evolutionär-psychologische Theorie des Sehens. Auftakt zu einem neuen wissenschaftlichen Weltbild. Köln. ISBN 3-928955-40-3
- Litsche, Georg (2004): Theoretische Anthropologie – Grundzüge einer Rekonstruktion der menschlichen Seinsweise. Berlin.
- Mayr, Ernst: Das ist Evolution. C. Bertelsmann. ISBN 3-570-12013-9
- Schwemmler, Werner (1979): Mechanismen der Zellevolution. Grundriß einer modernen Zelltheorie. de Gruyter.
- Thoms, Sven P. (2005): Ursprung des Lebens. Frankfurt.
- Wuketits, Franz M. (2005): Evolution. Die Entwicklung des Lebens. 2., aktualisierte Auflage. (= Beck Wissen). München: Beck. ISBN 3-406-44738-4
Weblinks
- Eintrag in Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- ZDF Special - Die Evolution des Menschen - BungartBessler.com
- Evolution in der Presse
- Die Evolution des Menschen
- Understanding Evolution
- Christa Tamara Kaul: Der Papst, die Evolution und der Kreationismus
Hervorragende Seite rund um das Thema Evolution (engl.)
- The Society for the Study of Evolution Hervorragende Seite der 1946 gegründeten Gesellschaft The Society for the Study of Evolution (engl.)
- Evolutorische Ökonomik, TU Dresden