Die Möglichkeit einer Insel (Originaltitel: La possibilité d'une île) ist ein Science-Fiction-Roman von Michel Houellebecq aus dem Jahr 2005.
Kurzinhalt
Der Roman spielt auf zwei verschiedenen Zeitebenen:
- Im 20./21. Jahrhundert (Ich-Erzähler ist Daniel1),
- etwa 1000 Jahre später (Ich Erzähler ist zuerst Daniel24 später Daniel25).
In der 1. Zeitebene beschreibt Daniel1, wie er zum gefeierten Star wird. Zahlreiche sexuelle Begegnungen mit Frauen hinterlassen keinen bleibenden Eindruck. Lediglich zu zwei Frauen entsteht so etwas wie eine Beziehung. Isabell, die seine Frau wird, und, nachdem diese Ehe zerbrochen ist, Esther, eine Nachwuchsschauspielerin, ca. 20 Jahre jünger als er. Beide Beziehungen enden unglücklich und Daniel bleibt allein und verlassen zurück. Sein einziger treuer Begleiter ist sein Hund Fox. Das Leben des Ich-Erzählers ist bis zum Schluss bestimmt von der Suche nach Liebe.
In der 2. Zeitebene stellen erst Daniel24 dann Daniel25 Betrachtungen über Daniel1 an. Daniel25 entschließt sich erst am Ende des Romans Daniel25, aus einem ereignislosen Leben der Kontemplation auszubrechen. Er macht sich mit seinem Hund auf die Suche nach einer Insel auf der vielleicht noch ein Leben möglich ist.
Inhalt
Jetztzeit (1. Zeitebene)
Die Lebensgeschichte von Daniel1, einem Zyniker und erfolgreichen Komiker und Zyniker unserer Zeit, trägt deutliche autobiographische Züge des Autors.
Im Mittelpunkt dieses Lebens in großem Wohlstand steht die Suche nach Liebe. Doch Daniel1 findet weder bei seiner Frau, Isabell, noch später bei Esther, die Erfüllung, die er sucht.
Zufällig kommt Daniel1 mit der Sekte der „Elohimiten“ in Kontakt, die auf Lanzarote ein Zentrum unterhalten, in dem sie auch Forschungen zur künstlichen Replikation von Menschen betreiben. Daniel1 schließt sich dieser Sekte an.
Als der Führer der Sekte, „der Prophet“, getötet wird, tritt dessen unehelicher Sohn Vincent an dessen Stelle. Die Sekte behauptet, sie habe den Propheten erfolgreich geklont und gibt Vincent als dessen Replikant aus. Der PR-Coup gelingt und Daniel1 ist als Mitwisser des Betrugs nun an die Sekte gefesselt.
Zukunft (2. Zeitebene)
1000 Jahre später: Die Erde ist infolge von Kriegen, Atomexplosionen und einer Verschiebung der Erdachse klimatisch und geologisch stark verändert worden. Die Meere sind bis auf kümmerliche Reste von Wasser verschwunden.
Die Menschen der Zukunft
Die Menschen sind bis auf wenige verbliebene Exemplare ausgestorben. Die Überlebenden sind auf ein vorkulturelles Niveau zurückgefallen. Diese "Wilden" leben in den Ruinen der heutigen Zeit. Gebrauchsgegenstände, die die Zeit überdauert haben (Autositze, Plastikkoffer) sind stumme Zeugen der alten Zivilisation. Die meisten dieser Gegenstände sind jedoch für die Wilden in ihrer Welt völlig wertlos und unverständlich. Sie sind in kleinen, stark hierachisch gegliederten Stämmen organisiert. Nur die Anführer haben das Recht, sich mit den Weibchen zu paaren. Alte, schwache Stammesangehörige werden in grausamen und blutigen Ritualen getötet und verspeist.
Neo-Menschen
Es gibt noch eine weitere Menschenart, die sogenannten „Neo-Menschen“. Die Neo-Menschen leben isoliert als Einzelwesen verstreut über die ganze Welt in autarken Hochsicherheits-Hightech-Stationen abgeschirmt von der Umwelt. Sie sind eine durch gentechnische Veränderungen entstandene neue Menschenart, die ihren Energiebedarf durch Fotosynthese deckt, und deren Fähigkeit, affektives Verhalten zu zeigen, reduziert wurde. Die Neo-Menschen kommunizieren untereinander per Internet. Körperliche persönliche Kontakte gibt es nicht. Diese Stationen werden von "Central City" überwacht und gewartet und mit dem Wenigen an Nachschub versorgt, was so ein Neo-Mensch benötigt. Im Wesentlichen genügen ihm Trinkwasser und Mineralsalz. Wenn ein Mensch stirbt, wird in Central City aus dem dort zentral gelagerten genetischen Code mit fortgeschrittenen gentechnischen Verfahren auf direktem Wege ein ca. 18-jähriger Klon des Verstorbenen erzeugt und in die Station geliefert und gegen den toten Körper ausgetauscht. Das technische Verfahren, diesem Klon auch Erfahrungen und Erinnerungen des ursprünglichen Menschen mitzugeben, funktioniert nur unvollständig. Es reicht aber dafür aus, dass er lesen und schreiben und die Gerätschaften seiner Station bedienen kann.
Die Neo-Menschen sind "Nachfahren" der am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts entstandenen Sekte der "Elohimiten". Eine Sekte, zu deren Überzeugungen die Existenz von Außerirdischen gehört, die einst in Ufos auf der Erde gelandet sind, mit Gentechnik die Menschen erschaffen haben und dereinst wieder kommen werden, um die Anhänger der Sekte mit sich zu nehmen. Zu den Zielen der Sekte gehört der Bau eines Botschaftsgebäudes für die Außerirdischen, die Erforschung und Nutzung der Gentechnologie mit dem Ziel, Menschen gentechnisch zu verbessern, zu klonen und unsterblich zu machen sowie ein sexuell ausschweifendes Leben. Mit diesen Zielen gewinnt die Sekte schnell viele neue Mitglieder und wird in kurzer Zeit zur wichtigsten Weltreligion. Wer Mitglied der Sekte wird, vermacht nach seinem Tode all seinen Besitz der Sekte. Als Gegenleistung wird seine DNA konserviert und er wird durch Klone seiner selbst "unsterblich" gemacht.
Die Neo-Menschen führen ein beschauliches Leben, im vollen Bewusstsein, dass sie nicht die Endstufe der Evolution sind, sondern irgendwann durch die "Zukünftigen" - eine Art "Übermenschen" im Sinne Nietzsches - abgelöst werden. Ihr "ewiges Leben" ist eigentlich langweilig, aber die Fähigkeit, Langeweile zu empfinden ist ihnen wie viele andere menschliche Gefühle wegdesignt worden. Oberste religiöse Autorität der Neo-Menschen ist die "Höchste Schwester". Ihre Lehrsätze sind weniger als Dogma, denn als praktische Lebenshilfe konzipiert. Zu den wichtigsten Aufgaben eines Neo-Menschen gehört es, den Lebensbericht des Menschen zu lesen, von dem sie abstammen, und diesen möglichst zu kommentieren. Mit neugierigem Unverständnis lesen die Neo-Menschen in diesen Lebensberichten von menschlichen Leidenschaften wie Liebe und der Gier nach Geld oder sexueller Erfüllung.
Die immerwährende Suche nach Erfüllung und dem, was Daniel1 als Liebe kannte, wird durch die Insel "Lanzarote" versinnbildlicht, von der die Neo-Menschen nicht wissen, ob sie wirklich noch existiert, auf der sich aber möglicherweise Neo-Menschen zusammengefunden haben, um ein "alternatives" Leben zu führen. Die "Möglichkeit einer Insel" ist es, die Marie23 und Daniel25 antreibt, aus ihrem geordneten, „ewigen“ aber eintönigen Leben auszubrechen, wofür sie mit ihrem Tod bzw. mit Sterblichkeit bezahlen müssen, denn die Regeln der Neo-Menschen sehen vor, dass die Stationen der "Abtrünningen" geschlossen werden und keine neuen Inkarnationen mehr erzeugt werden.
Als Daniel25 schließlich nach langer Reise das "unendliche" Meer erreicht, versteht er, warum der Gedanke der Unendlichkeit eine solch große Faszination auf die Menschen ausgeübt hat, dass daraus der Wunsch nach unendlichem Leben, nach Unsterblichkeit entstehen konnte. Er erkennt, dass er sein Ziel Lanzarote nicht mehr erreichen wird. Er ist nicht erlöst, aber auch nicht unglücklich.
Aufbau
Der Roman besteht zu etwas mehr als der Hälfte aus dem Lebensbericht von Daniel1 (1. Zeitebene). Dieser Lebensbericht umfasst das ganze erwachsene Leben von Daniel1. Zwischen die Kapitel dieses Lebensberichts eingestreut sind die Betrachtungen von Daniel24 und Daniel25: Es beginnt mit einer Art Vorwort von Daniel24, dem Nachfahren von Daniel1 in der 24. Generation. Dann folgen die Kommentare von Daniel24 und Daniel25 zum Lebensbericht von Daniel1. Dabei kommentiert Daniel24 den ersten Teil des Lebensberichtes und Daniel25 den zweiten.
Der letzte Teil des Buches besteht aus der Erzählung von Daniel25, in der er beschreibt, wie er - angeregt durch den vorhergehenden Gedankenaustausch mit Marie23 - unbefriedigt von eintönigen ewigen Leben ihrem Beispiel folgt, die eigene Station zu verlassen auf der Suche nach Verständnis für die verlorenen menschlichen Gefühle, die er nur aus den Lebensberichten kennt, aber nicht verstehen kann.
Kritik und Trivia
Die im Roman beschriebene Sekte der "Elohimiten" ist in ihren Glaubensvorstellungen angelehnt an die Sekte der Raëlianer.
Houellebecq war im Jahr 2002 auf die Sekte der Raëlianer aufmerksam geworden, als diese öffentlich bekannt gab, ein geklontes Baby zur Welt gebracht zu haben. In einem Zeitungsinterview verteidigte Houellebecq die Raëlinaersekte und das Klonen von Menschen.
Literatur
Das Buch von Michel Houellebecq
- französisch: "La possibité d'une Île", Broché - Fayard (Aug 2005) - 485 Pages - ISBN 2213625476
- deutsch: "Die Möglichkeit einer Insel", (deutsch von Uli Wittmann), Gebundene Ausgabe - Dumont Literatur und Kunst Verlag (Aug 2005) - 445 Pages - ISBN 3832179283
- englisch: "The Possibility Of An Island", (translated from the French by Gavin Bowd), Paperback - Phoenix Press (Jul 2006) - 432 Pages - ISBN 0753821184
Weblinks
- Raëlianer haben einen neuen Fan In: Tages-Anzeiger Online. 18.12.2003
- Wikipedia-Artikel über den Autor