Eine Blindstudie ist ein in der medizinischen und psychologischen Forschung übliches Vorgehen, um einen systematischen Einfluss subjektiver Verhaltensweisen und Urteile auf das Verhalten der Versuchsperson auszuschließen.
Medizin
In medizinischen Wirksamkeitsstudien (siehe auch: Randomisierte, kontrollierte Studie) werden Personen im Verlauf einer Studie entweder das Verum (also das zu untersuchende Medikament) oder ein Placebo (wirkungsfreier Stoff wie etwa Traubenzucker oder Stärke) verabreicht. Die Zuteilung des Placebos beziehungsweise des Verums geschieht nach strengen Regeln.
- Anstelle von Medikamenten können auch Behandlungsverfahren untersucht werden.
Eine medizinische Studie ist
- Einfachblind, wenn die Patienten nicht wissen, welche Substanz (Placebo oder Verum) sie erhalten. (Versuchsperson „blind“)
- Doppelblind, wenn die Patienten und der behandelnde Mediziner nicht wissen, wer welche Substanz erhält. (Versuchsperson und Versuchshelfer "blind")
- Dreifachblind, wenn weder die Patienten noch der behandelnde Mediziner, noch diejenigen, die die statistische Auswertung durchführen, wissen, wer welche Substanz erhält. (Versuchsperson, Versuchshelfer und Versuchsauswerter "blind")
Doppelblindstudien dienen dazu, die effektive Wirksamkeit eines Medikaments zu bestimmen. Zum Beispiel ergibt eine Studie „37 Prozent der Patienten profitieren vom Medikament“ und „3 Prozent der Personen fühlen sich nach der Einnahme des Placebos besser“. Die Differenz zwischen den beiden Erfolgsquoten ist wichtig. Aus der effektiven Wirksamkeit lässt sich der Nutzen für die Patienten erkennen.
Die Resultate einer solchen Studie werden wie im folgenden Beispiel in einer Kontingenztafel protokolliert:
Anzahl Personen |
zeigt Wirkung | keine Wirkung | Total |
erhielt Wirkstoff |
13 | 3 | 16 |
erhielt Placebo |
1 | 5 | 6 |
Total | 14 | 8 | 22 |
Mit dem sogenannten Vierfeldertest kann man - im Rahmen einer gewissen Unsicherheit - feststellen, ob effektiv der Wirkstoff die Wirkung hervorgerufen hat; oder ob die Zahlenwerte dieser Tabelle bloß ein Produkt des Zufalls sind.
Ethische Probleme
Es kann vorkommen, dass solche Studien große ethische Probleme aufwerfen. Beispiel: Onkologen testen eine neue Art von Chemotherapie zur Bekämpfung eines bösartigen Krebstumors. Die eine Hälfte der Patienten bekommt das (wahrscheinlich nützliche) Heilmittel, während die andere – im wahrsten Sinn des Wortes – nicht behandelt wird, da sie ein Placebo erhält. Eine ähnliche Situation ergab sich beim Test der ersten HIV-Medikamente. Die Deklaration von Helsinki (1964) besagt, dass in bestimmten Fällen die Wirksamkeit neuer Arzneimittel stets mit der Wirksamkeit des derzeit effizientesten Heilmittels verglichen werden soll:
The benefits, risks, burdens and effectiveness of a new method should be tested against those of the best current prophylactic, diagnostic, and therapeutic methods. This does not exclude the use of placebo, or no treatment, in studies where no proven prophylactic, diagnostic or therapeutic method exists. (http://www.wma.net/e/policy/b3.htm , Absatz C.29)
Weitere Probleme, die nicht durch Verblindungstechniken gelöst werden können, sind:
- Pharmaunternehmen finanzieren die Studien. Sie müssen viel Geld investieren, damit ihr Medikament überhaupt von den Behörden zugelassen wird. Belegt eine Studienfirma, welche solche Studien durchführt, die Unwirksamkeit eines Stoffes, so kann das Pharmaunternehmen den Durchführer der Studie bestrafen, indem er künftig keine Aufträge mehr erhält.
- Falls eine privat finanzierte Studie keine Wirksamkeit belegen konnte, wird sie oft unter Verschluss gehalten - so dass ein Konkurrent den Fehler begeht, die gleiche wirkungslose Behandlung nochmals zu untersuchen, was ihn Geld kostet. Diesem Leerlauf könnte mit einer Meldepflicht für Studien ein Ende gesetzt werden.
- Neue Behandlungen sollten stets gegenüber einem Placebo in ihrer Wirksamkeit untersucht werden. Doch wenn die Studie im normalen klinischen Betrieb durchgeführt wird, dann ist es verständlich, wenn die Krankenversicherung nicht für die Behandlung einstehen will - da sie sonst Gefahr läuft, die Placebo-Behandlung des Patienten bezahlen zu müssen. Eine Lösung dieses Problems ist eine Kostenpauschale pro Patient/Versuchsperson, falls ein neuer Wirkstoff gegenüber einem etablierten Medikament getestet wird.
- Studien, welche eine Wirksamkeit belegen, werden eher veröffentlicht als solche, die das nicht tun. Problematisch wird dieser Umstand in Verbindung mit folgendem Punkt:
- Oft belegen Studien, dass ein Wirkstoff mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% gegenüber einem Placebo überhaupt eine Wirkung zeigt - das heißt, jemand müsste bloß 20 Studien in Auftrag geben, um per Zufall zu „belegen“, dass der Wirkstoff auch wirklich einer sei. Üblicherweise werden Behandlungsmethoden mehrfach einer Studie unterzogen, so dass die Wahrscheinlichkeit, sich bei allen Studien „durchzumogeln“, sehr klein wird.
Verblindungstechniken
Wichtig bei einer Blindstudie ist, dass die Arzneimittel von den Probanden nicht unterschieden werden können. Die Arzneimittel sollten also zumindest optisch identisch erscheinen (inklusive der Verpackung), aber auch Geruch und Geschmack können eine Rolle spielen. Für diesen Zweck werden entsprechende Placebos produziert.
Um Arzneimitteln mit sehr unterschiedlichem Erscheinungsbild, wie z. B. unterschiedlicher Darreichungsform, zu vergleichen, bedient man sich der Double-Dummy-Technik. Dazu müssen den Probanden zwei Arzneimittel verabreicht werden, von denen jeweils eines ein Placebo ist. Beispiel: eine Tablette soll mit einem Saft verglichen werden: die Patienten einer Gruppe erhalten die Tablette mit Wirkstoff und einen Placebo-Saft, die Vergleichsgruppe erhält eine Placebo-Tablette und einen Saft mit Wirkstoff.
Psychologie
In der experimentalpsychologischen Forschung werden Blindstudien, insbesondere Doppelblindstudien durchgeführt, um einen möglichen systematischen Einfluss des Verhaltens des Versuchsleiters auf das Verhalten der Versuchsperson auszuschließen.