Gewissen

besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein angesehen, die bestimmt, wie man urteilen soll
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Über das Gewissen gibt es die unterschiedlichsten Ansichten, Meinungen oder Theorien.

Viele stellen sich unter Gewissen eine spezielle Instanz des menschlichen Bewusstseins vor, die einen dazu drängen, wenn nicht sogar zwingen soll, aus ethischen bzw. moralischen Gründen bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen. Entscheidungen können dabei als unausweichlich empfunden werden oder mehr oder weniger bewusst, also im Wissen um ihre Voraussetzungen und denkbaren Folgen, vorgenommen werden (Verantwortung).

Handelt ein Mensch entsprechend seinem Gewissen, ist er oder fühlt er sich gut und zufrieden und gibt üblicherweise an, ein gutes oder reines Gewissen zu haben oder zu besitzen; handelt er indessen entgegen seinem Wissen und Gewissen, so fühlt er sich von dieser vermeintlichen Bewusstseinsinstanz vielleicht angeklagt oder gar verfolgt oder unter Druck gesetzt. Andere verspüren eher ein nagendes Gewissen, und wieder andere fühlen sich von Gewissensbissen geplagt oder geradezu gepeinigt.

Ersichtlich handelt es sich bei diesen geläufigen Redeweisen um alltagssprachliche Redewendungen, die über die realen Zusammenhänge kaum etwas aussagen, zumal sie teilweise deutlich metaphorischer Art sind und daher nicht wörtlich verstanden werden dürfen. Auch von anderen Voraussetzungen ausgehende Ansichten und Vorstellungen, Meinungen und Theorien von Natur und Herkunft des Gewissens scheinen kaum geeignet, etwas zur Aufklärung der psychologischen Eigenart des Gewissens beizutragen.

Definition des Gewissens

Das deutsche Wort "Gewissen" ist eine Übersetzung des Lateinischen "conscientia". "Conscientia" ann gleichermaßen mit "Bewusstsein" wie mit "Gewissen" übersetzt werden; eine neutrale Übersetzung wäre "Mitwissen". Unter dem Gewissen kann man dementsprechend konkret das Mitwissen einer übergeordneten Instanz um das eigene Handeln erstanden, manchmal eher unser eigenes, handlungsbegleitendes Wissen um den moralischen Wert dieser Handlung. Zudem wird das Gewissen oft als autonome Urteilsinstanz im Menschen verstanden, die mitunter sogar schlechtes Handeln selbst sanktioniert ("schlechtes" Gewissen).

Gewissensgründe

Der bundesdeutsche Gesetzgeber gesteht dem individuellen Gewissen eine hohe Bedeutung zu; - beispielsweise, indem er seinen Bürgern die Freiheit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen einräumt (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, GG Artikel 4, Punkt 3).

Spezifische Sichtweisen

Nach dem Dialektischen Materialismus (Marx) spiegelt das Gewissen den wandelbaren Gesellschaftszustand, welcher sich aus wechselnden materiellen Produktionsverhältnissen erkläre, wider. Da die Materie, die einzige Wirklichkeit, sich ständig verändere, gelte keine sittliche Wahrheit absolut.

Viele Nichtmarxisten sehen in dieser Denkweise eine Mitursache für die Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden.

Die Psychologie nach Sigmund Freud beruht auf der Unterscheidung der drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich. Seiner Vorstellung nach wird das unbewusst-triebhafte Es in seinen Äußerungen durch das Über-Ich hemmend kontrolliert. Dabei wird das Über-Ich verstanden als Introjekt der elterlichen und gesellschaftlichen Autorität, wodurch sich das Gewissen herausbildet. Es veranlasst das Kind, gesellschaftlich übliche oder erwartete Verhaltensweisen und Erwartungen einzuhalten. Das reife Ich, die individuelle Persönlichkeit mit ihren aus Erfahrung gewonnenen bewussten Wertsetzungen, bildet sich in der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner gesellschaftlichen Umwelt und durch Überwindung der Anforderungen des Über-Ich.

Diese sinnzentrierte Therapie nach Viktor Frankl, Elisabeth Lukas... sieht das Gewissen als "Sinnorgan", das in jeder Lebenslage größtmöglichen Sinn finden soll. Logos hat entsprechende Übersetzungs-Möglichkeiten, auch: Weg, Tao... Ein Logotherapeut hilft, jeweils grösstmöglichen Sinn in schwierigen Lagen zu eruieren. Auch viele Fallbeispiele in logotherapeutischen Büchern dienen als Bibliotherapie und unterstützen - jeder ist sein eigener Logotherapeut und kein Einzelfall.

Das Gewissen im Christentum

Das Alte Testament kennt das Herz als Ausgangspunkt guter wie böser Taten, allerdings ist nirgends die Rede von einer kritischen Instanz im Geist oder in der Seele des Menschen. Erst Paulus hat den Begriff Gewissen in die christliche Theologie eingeführt. Ihm zufolge ist das Gewissen keine Instanz, die eigene ethische Maßstäbe setzt, sondern Wissen um das eigene Verhalten angesichts der für dieses Verhalten bestehenden Forderung (siehe Römerbrief 2,14 (Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, sich trotzdem an das Gesetz halten, sind sie selbst das Gesetz usw.); 1. Korintherbrief 8,7-13 und 10,25-30). Johannes nimmt in seinem 1. Brief Bezug auf das Gewissen, auch wenn er das Wort Herz benutzt. 1. Joh. 3:19 - 21 "Hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und wir werden vor ihm unser Herz überzeugen: wenn unser Herz (uns) nicht beschuldigt, ist Gott größer als unser Herz und kennt alle Dinge. Geliebte, wenn unser Herz (uns) nicht beschuldigt, haben wir Freimut zu Gott,..." Eigentlich beschuldigt (verurteilt) uns unser Gewissen, das nicht nur ein Teil unseres Geistes, sondern auch unseres Herzens ist. Das Gewissen in unserem Herzen vertritt Gottes Herrschaft in uns. Thomas von Aquin definiert, im Anschluss an Albertus Magnus, das Gewissen als Vollzug eines Urteils über den moralischen Wert einer Handlung. Das Gewissen vollzieht dabei die Gründe und Überlegungen nach, die zu dieser Handlung geführt haben, ist aber nicht ebenso wie das streben nach Vermögen, dem Einfluss durch Emotionen und Affekte ausgesetzt. Deshalb kann es zu einem Mißverhältnis zwischen Handlungswahl und Gewissensurteil kommen (genannt "schlechtes Gewissen"). Das schlechte im Sinne eines peinigenden Gewissens tritt aber erst bei Luther in den Vordergrund, der dieses zur Grundform des Gewissens erklärt.

Schuld und Gewissen bei Abelard (Boris Hennig, pdf)

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