Digitale Kluft

gesellschaftliche Ungleichheiten beim Zugang und bei der Nutzung digitaler Ressourcen
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Der Begriff Digitale Kluft, auch Digitale Spaltung (von engl. digital divide) genannt, taucht seit etwa 1996 in der öffentlichen Diskussion auf. Sie ist eine Aktualisierung der Hypothese einer Wissenskluft, hier gemünzt in einen entwicklungspolitischen Zusammenhang.

Der Begriff steht für die These bzw. Befürchtung,

  • dass die Chancen auf den Zugang zum Internet und anderen (digitalen) Informations- und Kommunikationstechniken ungleich verteilt und stark von sozialen Faktoren abhängig sind und
  • dass diese Chancenunterschiede ihrerseits gesellschaftliche Auswirkungen haben, mit anderen Worten: Wer Zugang hat zu modernen Kommunikationstechniken, hat bessere soziale und wirtschaftliche Entwicklungschancen.

Herkunft des Begriffs

Die Herkunft des Begriffes "Digitale Kluft" bzw. "Digitale Spaltung" ist umstritten. Mirko Marr (2005) erörtert dabei folgende mögliche Herkunftsmöglichkeiten:

  • eine Datierung der erstmaligen Erwähnung des Begriffs kann (nach Kubicek & Welling 2000) durch Klärungsversuche der Mailingliste des "Digital Divide Networks" in etwa auf das Jahr 1994 festgelegt werden. Weitere Bemühungen der Klärung des Begriffs über diese Ressource mußten ergebnislos abgebrochen werden.
  • Servon (2002) zitiert andere Autoren, die diese Wortkomposition den Journalisten Webber & Harmon in einem Artikel für die Los Angeles Times zuschreiben, in dem es um eine zerrüttete Ehe aufgrund der exzessiven Online-Nutzung des Ehemanns ging.
  • Arnold (2003) nimmt den südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki als Urheber des Begriffs an.
  • Der ehemalige Präsident der Markle Foundation, Lloyd Morrisett wiess auf Nachfrage von Benjamin M. Compaine (2001) die Urheberschaft für den Begriff von sich.

Die Digitale Kluft in der öffentlichen Diskussion

Der Begriff Digitale Kluft wird sowohl auf die Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft ("Wohlhabende haben mehr Möglichkeiten als Arme" oder "Junge nutzen das Internet häufiger als Alte", "Männer mehr als Frauen") als auch auf internationaler Ebene angewandt ("In Industrieländern bestehen bessere Möglichkeiten als in Entwicklungsländern"). Der Begriff der Digitalen Kluft ist zugleich eine Anlehnung an die sogenannte Wissenskluft.

Die Diskussion um diesen Begriff muss in Zusammenhang mit der seit den 90er Jahren verstärkt vertretenen These gesehen werden, nachdem die allgemeine Entwicklung auf eine Informations- oder gar Wissensgesellschaft zusteuert, in der die Zugriffsmöglichkeit auf und die Beherrschung dieser Technologien in hohem Maße für den persönlichen Erfolg einer Person entscheidend sein sollen.

Der Terminus "Digitale Spaltung" war der Anlass für den UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) 2003 in Genf und 2005 in Tunis. Dort fand der Begriff "Digitale Spaltung" breite Akzeptanz bei den Vertretern der Zivilgesellschaft und in den offiziellen Dokumenten. Welche Relevanz die digitale Kluft besitzt, ob sie größer oder kleiner wird, ist umstritten. Die Weltbank meldete 2005, die digitale Kluft schrumpfe - bezog sich dabei aber insbesondere auf die Nutzung von Handys.

Das Konzept der Digitalen Kluft ist umstritten. Kritiker bemängeln, dass sich die Digitale Kluft nicht empirisch belegen lasse. Insbesondere werde übersehen, dass die Entwicklungschancen weniger von technischen Gegebenheiten („Anschluss ans Netz“) abhängt, als von den Fähigkeiten der Menschen, mit diesen Techniken umzugehen: Analphabeten nützt auch ein Internetanschluss wenig. Aufgrund solcher Kritik wird der Begriff „Digitale Kluft“ heute längst nicht mehr nur im technischen Sinne (Konnektivität) verstanden. So sprach UN-Generalsekretär Kofi Annan im Zusammenhang mit der Digitalen Kluft auch von einer inhaltlichen Kluft (content divide): „Vieles im Netz geht an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen vorbei. Und 70 Prozent der weltweiten Internetseiten sind auf Englisch und verdrängen die regionalen Stimmen und Sichtweisen“, so Annan auf dem Weltgipfel in Genf.

Überwindung der Digitalen Kluft

Auch wenn auf dem WSIS-Gipfel die Existenz einer Digitalen Kluft unumstritten war, erzielten die Teilnehmerstaaten keine Einigung darüber, wie diese Kluft überwunden werden soll. Während viele arme Länder einen "Digitalen Solidaritätsfonds" forderten, lehnten ihn die meisten Industriestaaten ab. Auch die deutsche Bundesregierung vertrat auf dem Gipfel die Position, dass die Entwicklung der digitaler Infrastruktur sich von selbst entwickelt - vorausgesetzt, es gibt einen echten Wettbewerb, was in vielen Ländern nicht der Fall ist.

Viele Anhänger der FLOSS-, Open Content- und Open Access-Bewegungen bauen darauf, dass ihre Strömungen zur Minderung der digitalen Spaltung beitragen werden oder bereits beigetragen haben. Ein Projekt wie One Laptop per Child, zum Beispiel, wäre ohne die Existenz offener Standards und Freier Open Source Software sehr viel schwerer realisierbar. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales begründet sein Engagement für die freie Enzyklopädie damit, Menschen in armen Ländern freien Zugang zu Wissen zu ermöglichen und auf diese Weise ihre Bildungschancen verbessern zu helfen.

Siehe auch:

Literatur:

  • Arnhold, Katja (2003): Digital Divide. Zugangs- oder Wissenskluft?. München
  • Castells, Manuel (1996): The Rise of the Network Society; Oxford: Blackwell Publishers.
  • Rafael Capurro, Thomas Hausmanninger (Hrsg.): Vernetzt gespalten - Der Digital Divide in ethischer Perspektive. Wilhelm Fink Verlag, 2004, ISBN 7-7705-3968-0 (Schriftenreihe des International Center for Information Ethics)
  • Compaine, Benjamin M. (2001): The Digital Divide. Facing a Crisis or Creating a Myth?. Cambridge, London
  • Kubicek, Herbert/Welling, Stefan (2000): Vor einer digitalen Spaltung in Deutschland? Annäherung an ein verdecktes Problem von wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Brisanz. In: Medien- & Kommunikationswissenschaft, Jg. 48, Nr.4, S. 497-517
  • Marr, Mirko (2005): Internetzugang und politische Informiertheit - zur digitalen Spaltung der Gesellschaft. Konstanz
  • Servon, Lisa J. (2002): Bridging the Digital Divide: Technology, Community and Public Policy. Malden.
  • Täube, Volker G. und Dominique Joye (2002): "Determinants of Internet Use in Switzerland: Structural Disparities and New Technologies"; in: Wolfgang Glatzer (Hg.), Rich and Poor, Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, p. 73-86.
  • van Dijk, J. (2005): The deepening divide: inequality in the information society. Thousand Oaks.

Links/Weiterführende Informationen