Als Compton-Effekt oder Compton-Streuung (manchmal auch als inkohärente Streuung) bezeichnet man einen physikalischen Streuprozess, bei dem die Wellenlänge von Photonen bei der Streuung an (quasi-) freien Elektronen um einen Wert vergrößert wird (Frequenz bzw. Energie sinkt). Compton-Streuung tritt immer dann auf, wenn die Energie des Photons vergleichbar ist mit der Ruheenergie des Elektrons, d.h. Compton-Streuung ist der dominierende Wechselwirkungsprozess in Materie für Photonenenergien zwischen ca. 100 keV bis ca. 10 MeV, wobei der tatsächliche Wert vom Streumaterial abhängt. Bei der Streuung an freien, ruhenden Elektronen gilt für die Änderung der Wellenlänge:

Ist das Elektron an ein Atom gebunden, dann gilt diese Formel nur noch näherungsweise, da der ursprüngliche Impulsvektor des Elektrons in der Atomhülle nicht bekannt ist. Den Einfluss dieses Effektes auf die Bestimmung des Streuwinkels, bzw. der Ursprungsrichtung des einfallenden Photons bezeichnet man als Doppler-Verbreiterung. Er ist besonders stark ausgeprägt bei niedrigen Energien, großen Streuwinkeln und Atomen mit hoher Kernladungszahl.
Aufgrund der Änderung der Energie des Photons und der damit verbundenen Energieübertragung auf das Elektron spricht man von inelastischer (seltener auch von inkohärenter) Photonstreuung, um sie von der elastischen (kohärenten) Photonstreuung (Thomson-Streuung an freien Elektronen, Rayleigh-Streuung an gebundenen Elektronen) zu unterscheiden.
Durch Compton-Streuung an einem schwach gebundenen Außenelektron kann dieses aus dem Atom freigesetzt werden, so dass ein Ion-Elektron-Paar entsteht. Die Comptonstreuung ist daher eine Art der Ionisation von Materie durch elektromagnetische Strahlung.
Für Photonen, deren Energie sehr viel kleiner als die des Elektrons ist, findet inverse Compton-Streuung statt, bei der das Elektron Energie an das Photon abgibt. Diesen Effekt kann man insbesondere in den Akkretionsscheibenkoronae von aktiven Galaxienkernen beobachten.
Geschichte
Bis zur Entdeckung des Compton-Effekts fehlte ein eindeutiger Nachweis, dass Licht tatsächlich wie von Albert Einstein 1905 postuliert neben dem Wellencharakter auch Teilchencharakter haben muss (siehe auch Welle-Teilchen-Dualismus).
Als Arthur Holly Compton im Jahre 1922 die Streuung von hochenergetischen Röntgenstrahlen an Graphit untersuchte, machte er zwei Beobachtungen: Zum einen war die Streuwinkelverteilung hinsichtlich Vorwärts- und Rückswärtskomponente nicht symmetrisch, und zum anderen war die Energie des gestreuten Photons nicht mehr identisch mit der des einfallenden Photons.
Beide Beobachtungen lagen im Widerspruch zur klassischen Beschreibung der elastischen Streuung von Licht an freien Elektronen mittels Thomson-Streuung (bzw. an gebundenen Elektronen mittels Rayleigh-Streuung), die vom Wellencharakter des Lichts ausgeht.
Bei der Erklärung seiner Beobachtungen gelang es Compton nachzuweisen, dass sich die Energie und Richtung des gestreuten (hochenergetischen) Photons wie bei einem klassischen Teilchenstoß zwischen Photon und Elektron aus dem Energie- und Impulserhaltungssatz (siehe Kinematik) bestimmen lassen. Damit bewies Compton den Teilchencharakter von Licht.
Für die Entdeckung des nach ihm benannten Effekts erhielt Compton im Jahre 1927 den Physiknobelpreis.
Anwendungen
Da es sehr schwierig (aber nicht unmöglich) ist Gammastrahlung mittels Linsen zu fokussieren, spielt der Compton-Effekt eine wichtige Rolle bei der Abbildung von Gammastrahlen im Energiebereich von einigen hundert keV bis zu einigen zehn MeV. Die geschieht mittels sogenannter Compton-Teleskope (auch Compton-Kameras genannt): Misst man Energie und Richtung des gestreuten Photons, sowie Energie und (manchmal auch) Richtung des Elektrons, kann die Energie, die Ursprungsrichtung und unter Umständen die Polarisation des einfallenden Photons bestimmt werden. In der Realität wird dies durch Messunsicherheiten und nicht gemessene Größen wie die Richtung des Elektrons jedoch stark erschwert, so dass komplexe Ereignis- und Bildrekonstruktionsmethoden angewandt werden müssen.
Das wohl bekannteste Compton-Teleskop war COMPTEL, das an Bord des NASA-Satelliten CGRO von 1991 bis 2000 als erstes Teleskop den Sternenimmel im Energiebereich zwischen 0,75 und 30 MeV erforschte. Zu den Erfolgen von COMPTEL zählen u.a. die ersten Himmelskarten in diesem Energiebereich zu erstellen, die Nukleosynthese z.B. von radioaktiven 26Al (massereiche Sterne und Supernovae) und 44Ti (junge Supernovae) zu erforschen oder auch Fortschritte bei der Erforschung von Pulsaren, Aktiven Galaxien (AGNs), etc. zu erzielen.
Im Moment laufen auch Forschungen um Compton-Kameras in Zukunft im Bereich der Medizin oder Nukleartechnik einzusetzen. In der Medizin können Compton-Kameras z.B. zur Tumor-Diagnostik eingesetzt werden: Injiziert man einem Patienten kurzlebige radioaktive Isotope, dann sammeln diese sich u.a. in stark durchbluteten Körperregionen an, also unter anderem auch in Tumoren. Die bei ihrem Zerfall emittierten Gammastrahlen sind langreichweitig genug um den Körper zu verlassen, und werden dann mittels Compton-Kamera nachgewiesen und abgebildet. Damit können der Tumor und eventuel auch Metastasen exakt im Körper lokalisiert werden. In der Nukleartechnik könnten in Zukunft mittels Compton-Kameras z.B. Nuklearanlagen oder nukleare Abfälle überwacht werden.
Herleitung der Gleichung
Photonenmasse
Über die Masse-Energie-Äquivalenz kann einem (eigentlich masselosen) Photon der Energie die Masse zugeordnet werden. Der ursprüngliche Nachweis dieser Photonenmasse erfolgte mittels Gravitationslinsen, d.h. durch die Ablenkung von Photonen im Schwerefeld von massereichen Objekten wie Sternen oder Galaxien.
Photonenimpuls
Wegen , mit , folgt für den Impuls
, mit
Im Modellbild der Compton-Streuung stößt ein hochenergetisches Photon mit einem Elektron, überträgt dabei einen Teil seiner Energie und seines Impulses an das Elektron, und fliegt mit niedrigerer Energie (längerer Wellenlänge) und geändertem Impulsvektor unter dem Streuwinkel weiter. Da die Geschwindigkeit des Photons stets die Lichtgeschwindigkeit ist, muss es seine Energie (Wellenlänge) ändern um die Impulserhaltung zu erfüllen. Für die folgende Bestimmung der Wellenlängenänderung in Abhängigkeit vom Streuwinkels des Photons (das heißt der Richtungsänderung des Impulsvektors) wird von einem Stoß an einem freien, ruhenden Elektron ausgegangen.
Herleitung mit Energie- und Impulssatz
Energie des Elektrons vor der Streuung | Energie des Photons vor der Streuung |
Energie des Elektrons nach der Streuung | Energie des Photons nach der Streuung |
Energieerhaltungssatz | Impulserhaltungssatz |
Kosinussatz | |
Energie-Impuls-Beziehung | |
Einsetzen des Energieerhaltungs- und Kosinussatzes in die Energie-Impuls-Beziehung:
, mit
Eventuell unerwartet hierbei ist, dass die Wellenlängenänderung nur vom Streuwinkel , nicht aber von der ursprünglichen Wellenlänge des Photons abhängt. Bei einer Streuung von ist und wird als "Compton-Wellenlänge des Elektrons" bezeichnet. Die relativ geringe Änderung ist die Ursache dafür, dass der Compton-Effekt nur bei kurzwelliger Strahlung wie Röntgen- oder Gammastrahlung beobachtet werden kann.
Die maximale Änderung der Wellenlänge tritt jedoch bei einem Winkel von auf, dem sogenannten "Rückstoß". Da der Cosinus von 180° = -1 ist, ändert sich das Vorzeichen in der Formel , sodass sich eine größere Wellenlängenänderung ergibt. Diese entspricht
Herleitung in Vierervektor-Schreibweise
4-Impuls des einfallenden Photons + 4-Impuls des Elektrons = 4-Impuls des gestreuten Photons + 4-Impuls des gestreuten Elektrons:
Wegen der Energie- und Impulserhaltung liegt der 4-Impuls des Elektrons nach dem Stoß fest.
Zum Weiterrechnen nutzt man die relativistische Energie-Impuls-Beziehung:
Compton-Spektrum und Compton-Kante
Werden viele -Quanten der Energie nach Compton gestreut (z.B. in einem Szintillator), so ergibt sich ein charakteristisches Energiespektrum der gestreuten Elektronen, wie es in der nebenstehenden Graphik gezeigt wird. Die hierbei auf die Elektronen übertragene Energie ist wegen der Abhängigkeit vom Streuwinkel kontinuierlich (Compton-Kontinuum), hat jedoch eine scharfe obere Schranke (Compton-Kante), da bei = 180 Grad ein Maximum an Energie übertragen wird. Aus obigen Formeln errechnet man leicht einen Ausdruck für die Energie des Photons und die kinetische Energie des Elektrons nach der Streuung:
- Photon:
- Elektron:
Das Atom ist nach der Compton-Streuung ionisiert.
Zusätzlich erhält man im Elektronenspektrum einen "Peak" (Spektrallinie) bei der Energie . In diesem Fall wird also die gesamte Energie des Photons auf das Elektron übertragen. Dies ist kein Compton-Effekt mehr, sondern der Photoeffekt.
Anmerkung
Photonen, die auf gebundene Elektronen oder Atomkerne treffen, ändern zwar ihre Bewegungsrichtung, nicht aber ihre Geschwindigkeit, da die festen Teilchen praktisch keine kinetische Energie erhalten. Dadurch besteht die gestreute Strahlung neben der durch den Compton-Effekt langwelligeren Strahlung auch zu einem Anteil aus Strahlung mit der Ausgangswellenlänge (Thomson-Streuung), deren Intensität vom Ablenkwinkel abhängt. Man beachte, dass für energiereichere Strahlung (beispielsweise Röntgenstrahlung) auch die Hüllenelektronen näherungsweise als frei angesehen werden können.
Beim Compton-Effekt handelt es sich um einen Bruch mit der klassischen Physik. Der klassischen Physik nach müssten die Elektronen durch das Licht nicht angestoßen werden, sondern auf Grund des Wellencharakters des Lichts in Schwingungen versetzt werden, also zu Dipolen werden, welche Strahlung der gleichen Wellenlänge wie das einfallende Licht aussenden. Messungen ergaben, dass dies nicht der Fall ist. Hingegen ist die Comptonstreuung einwandfrei als Stoßprozess zwischen Photon und (quasi-) freiem Elektron beschreibbar. Dies ist ein Beweis dafür, dass Lichtstrahlung auch Teilcheneigenschaften hat (siehe Welle-Teilchen-Dualismus).
Weblinks
- Compton-Effekt - dargestellt in einer Animation
- Verschiedene Versuche und Animationen