Streuobstwiese
Die Streuobstwiese ist die traditionelle Obstbauform, bei der verschiedene Obstbaumsorten in Hochstammform auf einer Wiese stehen. Im Gegensatz zum modernen Plantagenanbau haben dabei die Obstbäume auch jeweils ein unterschiedliches Lebensalter.

Die Streuobstwiese als traditionelle Form der Grünlandnutzung
Das Ziel der traditionellen Nutzung von landwirtschaftlicher Fläche war es, von einer Fläche mehrfach zu ernten. Diese Form stellte für die landwirtschaftliche Bevölkerung eine Form der Risikovorsorge da. Fiel ein Ertrag unterdurchschnittlich aus, konnte er eher durch andere Ernteerträge kompensiert werden. So ist die gleichzeitige Nutzung von Flächen als Grünland und für den Obstbau vermutlich älter als die reine Wiesennutzung. Eine so genutzte Wiese bot Weidefutter oder Heu, war Bienenweide und lieferte Verwertungsobst. Die Schnittreiser der Obstbäume wurden als Brenngut genutzt und das herabfallende Laub als Laubstreu.
Die Streuobstwiese im 20. Jahrhundert
Da Kulturen mit intensiver Bewirtschaftung heute die einzig wirtschaftlich zu betreibenden Anlagen sind, ging die Zahl der Streuobstwiesen im 20. Jahrhundert immer mehr zurück. Der Plantagenobstbau wurde in der Bundesrepublik Deutschland vor allem nach 1957 stark gefördert und sorgte für einen drastische Reduktion der Streuobstflächen. Ähnliches gilt für Österreich und die Schweiz. Lediglich in der ehemaligen DDR vollzog sich dieser Wandel langsamer. Seit den 80er Jahren ist jedoch wieder ein Umdenken zu verzeichnen, da der Streuobstanbau aus ökologischen und landschaftsschützerischen Gründen propagiert wird. Selbst "Biobauern" produzieren ihr Obst jedoch kaum auf Streuobstwiesen, da diese Form der Landbewirtschaftung unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten unrentabel ist.
Merkmale einer Streuobstwiese
Streuobstbau bedeutet heute Hochstamm-Obstbau ohne Verwendung synthetischer Behandlungsmittel wie Pestiziden oder Mineraldünger und eine extensive Unternutzung der Wiese oder Weide. Ein Obstbaum ist dann ein Hochstamm, wenn die ersten Äste frühestens ab 1,80 Meter Höhe anfangen. Eine gut aufgebaute Streuobstwiese hat eine große Vielfalt von Obstarten und -sorten, wobei die Bäume ein unterschiedliches Lebensalter haben.
Die Herleitung der Bezeichnung Streuobstwiese ist umstritten. Es gibt mindestens zwei Erklärungsansätze:
- Die Bäume stehen ungleichmäßig verstreut auf der Wiese.
- Die Verwendung der Wiesen zur Herstellung von Einstreu (Stroh). Da es sich bei Streuobstwiesen in aller Regel um ertragsschwache Böden handelt, wäre damit durch den gleichzeitigen Anbau von Obst und der Nutzung der Fläche zur Streugewinnung die Bewirtschaftung optimiert worden.
Die ökologische Bedeutung der Streuobstwiese
Der Streuobstbau erfüllt eine Vielzahl ökologischer und landschaftsgestaltender Funktionen. Er nimmt eine ökologische Mittelstellung zwischen Wald und offener Feldflur ein. Extreme Temperaturen werden abgeschwächt und die Windgeschwindigkeit vermindert. Die Bodenerosion an Steilhängen und Hangschultern wird durch Baumbewuchs mit Wiesenuntergrund gemindert. Vom Mittelalter bis weit in das 20. Jahrhundert waren Dörfer und Kleinstädte von Obstgärten umgeben, so dass die Streuobstwiese mit ihren unterschiedlichen Wuchstypen, Blühzeiten und -farben und Herbstfärbung auch ein landschaftsprägendes Element hatte.
Streuobstwiesen bieten einer mannigfachen Pflanzen- und Tierwelt Lebensraum. Im Unterwuchs gibt es neben zahlreichen Grasarten eine große Anzahl bunt blühender Wiesenkräuter. Nach Hartmann haben bis zu 2.000 verschiedene Tierarten in einem Streuobstbestand ihre Heimat, gemäß den Schätzungen des NABU sind es sogar 5.000. Den größten Anteil nehmen dabei Insekten, Spinnentiere und Tausendfüßler ein. Käfer, Wespen, Hummeln und Bienen finden hier ebenfalls Lebensraum. Sie alle zusammen sind Nahrungsgrundlage für eine Reihe verschiedener Wirbeltiere. Für eine Reihe mitteleuropäischer Vogelarten sind Streuobstbestände die ideale Brutstätten. Der Rückgang der Streuobstflächen in den letzten Jahren hat deswegen beispielsweise dazu geführt, dass der Rotkopfwürger in Deutschland sehr selten geworden ist.
Praktische Probleme
Ein großes Problem bei Streuobstwiesen ist die sehr schwierige und aufwendige Pflege bzw. die extrem arbeitsintensive Ernte, da es sich um Hochstamm-Anlagen handelt, die nur mit Leitern o. ä. bearbeitet werden können. Auch sind Spritzungen (auch von biologischen Pflanzenschutzmitteln) nur sehr verlustreich auszubringen und die unerwünschte Abdrift der aufzutragenden Substanzen (etwa Schwefel im Bioanbau) ist aufgund des stärkeren Windes in den lockeren und hohen Anlagen beträchtlich. Auch die so genannte Umtriebszeit ist ein Problem, da die Dauer von der Pflanzung bis zum Vollertrag sehr lang ist. So stünden die in den 1970er Jahren angebauten Massensorten (beste Beispiele: Golden Delicious, Gloster) heute im Vollertrag und einige der neueren, besser schmeckenden und widerstandsfähigeren Sorten würden erst in ein bis zwei Jahrzehnten in den Handel kommen.
Die heute zu recht geschätzten alten Streuobstanlagen sind nur aufgrund ihrer "Vernachlässigung" wegen der mangelnden Wirtschaftlichkeit ein "Eldorado" für seltene Tiere und Pflanzen. "Vernachlässigung" bedeutet jedoch trotzdem Pflege. Stellt man eine Streuobstwiese unter Naturschutz, schneidet aber die Obstbäume und das Gras darunter nicht, verändert sich das Landschaftsbild sowie der Tier- und Pflanzenbestand trotzdem. Alle Pflegepläne für Naturschutzgebiete rufen eine Wandlung der Tier- und Pflanzenwelt hervor, wenn sie nicht zur genauen Beibehaltung der historisch überkommenen Nutzung führen.
Den wirtschaftlichen Anforderungen genügende neue Streuobstanlagen, sofern überhaupt möglich, wären wohl kaum mit den alten Streuobstanlagen zu vergleichen, in denen oft jahrelang ökologisch wertvolle, aber ökonomisch untragbare, langsam absterbende Bäume bzw. bereits abgestorbene Bäume einfach stehen gelassen werden, da ihre Beseitigung in den wirtschaftlich nicht rentablen Anlagen keinen Sinn hat. Einziger Ausweg aus diesem Dilemma scheint die Erstellung von Streuobstanlagen zu sein, die nicht wirtschaftlichen Zwängen unterliegen, z.B. durch ökologisch motivierte Initiativen finanzierte Anlagen.
Pflanzen- und Tierwelt der Streuobstwiese
Obstsorten
Der Streuobstanbau setzt Obstbäume mit bestimmten Eigenschaften voraus. Sie müssen robust sein, eine gewisse Klimaresistenz aufweisen und auch mit schlechten Böden zurechtkommen. Sie unterscheiden sich damit von den heute typischen Sorten des Erwerbanbaus und bilden damit auch eine wichtige Genressource. Der größte Teil der für Österreich, Deutschland und Schweiz typischen Obstsorten sind auf Streuobstwiesen zu finden; der Plantagenobstbau beschränkt sich auf wenige Sorten, die in aller Regel neu gezüchtet sind. Im folgenden sind einige Obstsorten aufgeführt, die für den Streuobstanbau typisch sind:
- Bittenfelder, der eine der besten Sorten für Gär- und Süßmost ist.
- Weißer Matapfel, der bevorzugt für die Apfelweinherstellung verwendet wird.
- Welschisner, der auch noch auf schlechten Boden gute Erträge bringt.
- Jakob Fischer, der allerdings nur eingeschränkt lagerfähig ist.
- Luikenapfel, der noch vor 100 Jahren auf den Streuobstwiesen in Baden-Württemberg die am meisten verbreitete Art war und heute nur noch gelegentlich zu finden ist. Er ist ebenfalls ein guter Most- und Saftapfel
- Rheinischer Krummstiel
- Rheinischer Bohnapfel
- Roter Eiserapfel, der eine extrem lange Lagerfähigkeit hat.
- Karcherbirne, die auch noch in raueren Lagen reiche Ernten ermöglicht.
- Blutbirne, die als pomologische Besonderheit ein rot marmoriertes Fruchtfleisch hat.
- Dattelzwetschge, die - wenn sie wurzelecht gepflanzt wurde - ganze Zwetschgenhecken bilden kann
- Dolleseppler, der besonders für den Obstbrand (Kirschwasser) hervorragend geeignet ist.
Pflanzenwelt
Der Unterwuchs einer Streuobstwiese zeichnet sich neben verschiedenen Gräsern durch eine große Anzahl blühender Wiesenkräuter aus, die je nach Standortbedingungen anders zusammengesetzt sind. Diese Zusammensetzung war früher auch dadurch begünstigt, dass Streuobstwiesen extensiv beweidet wurden. Beispielhafte Pflanzen, die zum Standort Streuobstwiese zählen sind u.a.:
- Adonisröschen
- Großer Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis)
- Gewöhnlicher Frauenmantel (Alchemilla vulgaris)
- Wiesenschaumkraut (Caramine pratensis)
- Gelber Hohlzahn (Galeopsis segetum)
- Heilziest (Betonica officinalis)
- Löwenzahn (Taraxacum officinalis)
- Schafgarbe (Achillea millefolium)
- Herbstzeitlose (Colchicum autumnale)
Tierwelt
Aufgrund der unterschiedlichen Bäume und Pflanzen, die auf einer Streuobstwiese zu finden sind, ist auch das Tierleben hier sehr vielfältig. Exemplarisch seien genannt:

Insekten
- Ackerhummel
- Deutsche Wespe
- Schwalbenschwanz (Papilon machaon)
- Admiral (Vanessa atalanta)
- Großer Fuchs (Nymphalis polychloros)
- Schachbrett (Melanargia galathea)
- Kurzfühlerschrecken
Vögel
Streuobstwiesen sind besonders dann artenreich an Vögeln, wenn sich dort viele ältere Obstbäume mit Baumhöhlen finden lassen. Dann läßt sich hier sogar der Steinkauz finden. Weitere Vogelarten sind:

- Würger: Neuntöter (Lanius collurio),Rotkopfwürger (Lanius senator), Raubwürger (Lanius excubitor)
- Halsbandschnäpper (Ficedula albicollis)
- Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus)
- Sumpfmeise (Palus palustris)
- Gartenbaumläufer (Certhia brachydactyla)
- Gimpel (Pyrrhula pyrrhula)
- Stieglitz (Carduelis carduelis)
- Spechte: Grünspecht, Grauspecht, Kleinspecht, Mittelspecht
- Wiedehopf
- Wendehals
- Ortolan
Der Biologe Mader hat Untersuchungen zur Frequenz von Vogelüberflügen und Vogeleinflügen zwischen Streuobstwiesen und Intensivobstanbau angestellt, die den ökologischen Unterschied verdeutlichen: In einer gegebenen Zeitspanne überfliegen durchschnittlich 326 Vögel eine Streuobstwiese (Intensivobstanbau: 180 Vögel), von denen 209 sich in der Streuobstwiese auf Nahrungssuche begeben. In einem Intensivanbau vergleichbarer Größe fliegen nur 22 Vögel ein.
Säugetiere
Neben Igel, Hermelin, Mauswiesel und Feldhase sind auch Gartenschläfer und Siebenschläfer sowie Fledermäuse zu finden, wenn es auf der Streuobstanlage auchältere Hochstammobstbäume mit Baumhöhlen befinden.
Literatur
- Walter Hartmann; Farbatlas Alte Obstsorten, Stuttgart 2000
- Hansjörg Küster; Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa - Von der Eiszeit bis zur Gegenwart, München 1995
- H.-H. Mader: Die Tierwelt der Obstwiesen und intensiv bewirtschafteten Obstplantagen im quantitativen Vergleich. Natur u. Landshcaft 57 (1982) 11: 371-377
- Uwe Wegener (Hrsg): Naturschutz in der Kulturlandschaft, Schutz und Pflege von Lebensräumen, Ulm 1998, ISBn 3-437-35250-4
siehe auch: Streuobstsorte des Jahres, Apfelsorten, Apfel