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Natascha Kampusch (* 17. Februar 1988 in Wien) ist eine Österreicherin, deren Entführung, lange Gefangenschaft und Flucht für weltweites Aufsehen sorgten.
Am 2. März 1998 wurde sie als Zehnjährige in Wien durch den österreichischen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil (* 14. Mai 1962 in Hainburg; † 23. August 2006 in Wien) entführt und bis zum 23. August 2006 in seinem Privathaus in Strasshof im Bezirk Gänserndorf bei Wien gefangen gehalten.
Ablauf
Entführung
Am Morgen des 2. März 1998 verließ die damals zehnjährige Natascha Kampusch kurz nach 7 Uhr die elterliche Wohnung in der Wiener Donaustadt, um zur Schule zu gehen, kam dort aber nie an. Da ein Streit mit ihrer Mutter vorausgegangen war, nahm man an, dass sie als Trotzreaktion auf den Streit von zu Hause weggelaufen sei. Hinweise von Anwohnern deuteten aber auf einen Entführungsfall hin: Laut Zeugenaussage einer zwölfjährigen Schulkameradin wurde, als Kampusch einen weißen Kleintransporter, der am Straßenrand hielt, passierte, eine Seitentür geöffnet und das Mädchen von einem Mann in den Innenraum gezerrt, während - so die Vermutung der jungen Zeugin - eine andere, für sie nicht erkennbare Person den Wagen lenkte. Der weiße Kleintransporter wurde von ihr detailliert beschrieben. Da sich keine weiteren Anhaltspunkte ergaben, stellte der beauftragte Staatsanwalt die Ermittlungen dahingehend ein [1].
Der von der Tageszeitung Kurier beauftragte Berufsdetektiv Walter Pöchhacker recherchierte Spuren, die unter anderem ins Milieu der Pädophilenszene führten. Nach seinen Recherchen handelte es sich allerdings auch um Mord im Affekt als Beziehungstat, die Leiche des Mädchens wähnte er in einem Schotterteich [2]. Die Polizei kontrollierte mehr als 1.000 Besitzer weißer Kleinbusse [3], darunter auch Wolfgang Priklopil, den - wie sich später herausstellte - tatsächlichen Entführer. Den Ermittlern gegenüber gab dieser an, das Fahrzeug für Bauarbeiten zu benötigen. Nachdem die Polizei bei der Untersuchung im Innenraum des Transporters Bauschutt gefunden hatte und die damalige Unbescholtenheit Priklopils in Betracht zog, wurde er nicht für verdächtig erachtet [4].
Trotz aufwändiger Ermittlungen – verdächtige Personen aus dem Umfeld der Entführten wurden einem Lügendetektortest unterzogen – konnte der Fall jahrelang nicht aufgeklärt werden. Laut Leitung der Sonderkommission des Entführungsfalls kann auch die Möglichkeit eines zweiten Täters nach wie vor nicht ausgeschlossen werden. [1]
Leben in Gefangenschaft
Natascha Kampusch wurde 3096 Tage lang im niederösterreichischen Strasshof festgehalten [5]. Laut Aussage des Leiters des österreichischen Bundeskriminalamts war sie in einer 2×3×2 m großen Montagegrube unter der Garage eines Einfamilienhauses versteckt. Der Raum war mit einer schalldichten Tresortür verschlossen und mit Waschgelegenheit und Toilette ausgestattet [5] und so gut getarnt, dass er auch bei einer Hausdurchsuchung nicht gefunden worden wäre, so die Ermittler.
Kampusch gab an, sie sei die ersten Jahre nach der Entführung dort permanent verblieben, später habe sie das Versteck für gelegentliche Einkäufe und Spaziergänge im Beisein ihres Entführers verlassen dürfen. Sie durfte dabei keinen Kontakt zu anderen Personen herstellen.
Kampusch erhielt vom Entführer ausgewähltes Zeitungsmaterial, durfte Bücher lesen, Radio hören oder Videos anschauen. Auch gab sie an, dass der Entführer ihr häufig Unterricht in Lesen und Schreiben gegeben habe. Psychologen und Polizisten, die mit ihr sprachen, stellten eine trotz der langjährigen Isolation hohe Intelligenz und treffende Artikulation fest. Sie war über das Tagesgeschehen in der Welt gut informiert.
Flucht von Natascha Kampusch
Natascha Kampusch konnte laut eigenen Angaben infolge einer Nachlässigkeit Priklopils zu Mittag des Mittwoch, 23. August 2006, von dessen Grundstück flüchten. Als sie Priklopils Fahrzeug reinigte und dabei Staub saugte, läutete um 13 Uhr sein Mobiltelefon. Ein Wiener hatte Priklopils Zeitungsinserat gelesen, in dem er eine Wohnung im 15. Wiener Bezirk anbot, und erkundigte sich danach. Priklopil entfernte sich wegen des Staubsaugerlärms einige Meter. [6] Kampusch nutzte diese Gelegenheit und flüchtete. Sie gelangte in einen Nachbarsgarten und klopfte an das Fenster. Der Nachbarin erklärte sie ihre Situation, teilte ihren Namen mit und fragte sie, ob sie alte Zeitungen aus dem Jahr 1998 besitze. Kampusch warnte vor Priklopil, dann wurde die Polizei alarmiert, die Kampusch zur Polizeiinspektion brachte. Später wurde Kampuschs Identität durch den Fund ihres Reisepasses im Haus des Entführers, das Wiedererkennen einer Narbe durch die Eltern und schließlich einen DNA-Test bestätigt.
Fahndung nach Priklopil, dessen Flucht und Tod
Priklopil bemerkte die Flucht Kampuschs, kurz nachdem er sein rund vier Minuten dauerndes Telefongespräch beendet hatte, und begab sich auf die Suche nach ihr. Die Polizei hatte in der Zwischenzeit die gesamte Hauptstadt zum Fahndungsgebiet erklärt. Priklopil konnte zunächst entkommen, sein Fahrzeug fand man wenig später im Parkhaus des Wiener Donauzentrums, das sogleich von der Polizei umstellt wurde. Priklopil verständigte einen Bekannten und bat diesen, ihn abzuholen; er sei bei einer Kontrolle alkoholisiert am Steuer erwischt worden und benötige Hilfe. Er versprach dem Bekannten aber sich der Polizei später zu stellen. Der Bekannte holte ihn vom Donauzentrum ab und brachte Priklopil in die Nähe des Praters. Kurz vor 21 Uhr des gleichen Tages warf sich Priklopil im 2. Bezirk zwischen den Stationen Wien Nord und Traisengasse vor einen Richtung Gänserndorf fahrenden Zug der Wiener S-Bahn und zog sich tödliche Verletzungen zu. [7]
Helfer und Berater
Nach ihrer Flucht hält sich Kampusch an einem der Öffentlichkeit nicht bekannten Ort auf. Verschiedentlich konnte sie Besuche empfangen, u. a. von ihren Eltern. Sie wird von einem Team betreut, dem der Wiener Kinderpsychiater Max Friedrich sowie die Jugendanwältin der Stadt Wien, Monika Pinterits, angehören. Ziel des Teams ist es, einerseits Kampuschs Therapie zu koordinieren und andererseits ihren Weg zu einem eigenständigen Leben zu sichern. Dazu zählt auch das Nachholen des versäumten Schulbesuchs sowie die Matura.
Kampuschs Betreuerteam war Veränderungen unterworfen. So musste der ursprünglich vorgesehene Anwalt wegen Überlastung aufgeben und eine andere Sozietät wurde beauftragt. Zum Team stieß außerdem der Wiener Medienberater und PR-Experte Dietmar Ecker, der die eintreffenden Interviewanfragen, Buch- und Filmprojekte koordiniert. Ecker hat nach eigenen Angaben rund 300 Anfragen von internationalen Medien für ein Exklusivinterview erhalten und bezeichnete seine Arbeit als sehr schwierig.[8]
Das Medienecho
Nach der gelungenen Flucht dehnte sich das Interesse auf internationale Medien aus. Die Pressekonferenzen der Kommission, die Kampusch betreut, wurden von Medienvertretern aufmerksam verfolgt. Der vereinzelt geäußerten Kritik an der intensiven Berichterstattung traten Chefredakteure österreichischer Medien entgegen und bezeichneten die Berichterstattung insgesamt als angemessen.[9]
Natascha Kampusch wandte sich am 30. August 2006 in einem offenen Brief an Medienvertreter und die Öffentlichkeit. Darin schilderte sie kurz einige Details aus ihrer Gefangenschaft und beschrieb ihr Verhältnis zu Priklopil, das sie als gleichrangig charakterisierte. Auch bat sie in dem Brief darum, ihre Privatsphäre zu respektieren. Der Brief wurde zunächst vom Psychiater Friedrich auf einer Pressekonferenz vorgelesen und später in Medien veröffentlicht. Friedrich gab an, Kampusch selbst habe den Brief auf Zetteln formuliert, er selbst habe lediglich eine handschriftliche Zusammenfassung dieser Notizen angefertigt. Die Passage, wonach Priklopil Kampusch sie auf Händen getragen und mit Füßen getreten habe, stamme genau so von der Betroffenen selbst.[10]
Knapp zwei Wochen nach der Flucht strahlte der Österreichische Rundfunk (ORF) am 6. September 2006 das erste, von Christoph Feurstein[11] geführte Interview mit Kampusch im kurzfristig geänderten Hauptabendprogramm des Fernsehens sowie im Hörfunk aus. Natascha Kampuschs Gesicht war dabei entgegen vorheriger Spekulationen weder verhüllt, noch wurde es nachträglich unkenntlich gemacht. Sie berichtete weitestgehend gefasst und für ihr Alter und trotz ihrer langen Entführung sehr sprachfertig über die Umstände ihrer Gefangenschaft, aber auch über ihre Sicht auf den Entführer und ihr Gefühlsleben. Nochmals bat sie eindringlich um die Wahrung ihrer Privatsphäre.
Insgesamt 2,65 Millionen Menschen sahen das Interview, was einen Marktanteil von 80 Prozent ausmachte. Laut ORF-Teletest betrug die Sendungsreichweite 37 Prozent der Erwachsenen in TV-Haushalten.
Der ORF hat nach eigenen Angaben nichts für das Interview bezahlt, wird kostenlos die internationale Rechtevermarktung übernehmen und die Erlöse in einen für Kampusch eingerichteten Fonds einzahlen.[12] Spiegel Online berichtet etwa von einer sechsstelligen Summe beim Verkauf der Erstrechte an den deutschen Privatfernsehsender RTL sowie von einem Rechtekauf der ARD für eine spätere Ausstrahlung nach Mitternacht.
Ein weiteres Interviewpaket wurde mit der Wiener Neue Kronen Zeitung sowie der Wochenzeitschrift News ausgehandelt. Kampusch wurde dazu von den Journalisten Marga Swoboda bzw. Alfred Worm interviewt. Beide Medien erscheinen nahezu gleichzeitig wenige Stunden vor der Ausstrahlung des TV-Interviews und sind bebildert. Basis für dieses Interviewpaket sind die Angebote dieser Medien, Kampusch in ihrem künftigen Leben materiell zu unterstützen.[13]
Quellen
- ↑ a b Der Spiegel: Soko prüft Hinweis auf Komplizen, 25. August 2006 Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag. Der Name „spiegel-250806“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. - ↑ Die Presse: Jahrelang Spekulationen um Natascha, 24. August 2006
- ↑ Der Spiegel: Vermisstes Mädchen taucht nach acht Jahren wieder auf, 23. August 2006
- ↑ Der Standard: Es ist Natascha Kampusch, 24. August 2006
- ↑ a b Der Spiegel: 3096 Tage hinter einer schalldichten Tresortür, 24. August 2006
- ↑ RP online: Staubsauger half Natascha bei der Flucht, 25. August 2006
- ↑ wien.ORF.at: Großfahndung nach mutmaßlichem Entführer, 23. August 2006
- ↑ Der Standard: "Zum zweiten Mal Opfer" – Buße oder Entgelt von Medien, 30. August 2006 [1]
- ↑ Der Standard: Chefredakteure halten Berichterstattung für "angemessen", 29. August 2006[2]
- ↑ Der Standard: Kampusch-Brief war Zusammenfassung, 1. September 2006[3]
- ↑ Der Standard: Kopf des Tages: Christoph Feurstein, kein Mann für "leichte Kost", 5. September 2006[4]
- ↑ Der Standard: Andrea Ramirez-Gillett verkauft im ORF die Rechte am Interview, 5. September 2006[5]
- ↑ Der Standard: Kampusch spricht – am Boulevard, 5. September 2006[6]
Weblinks
- Auszüge des Interviews mit der Kronen-Zeitung
- Auszüge des Interviews mit der NEWS
- Interview mit dem ORF
- Offener Brief der Entführten an die Öffentlichkeit
- Berichterstattung in wien.ORF.at
- Wo ist Natascha? – Homepage aus dem Jahr 2000, welche die damalige Situation wiedergibt
Personendaten | |
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NAME | Kampusch, Natascha |
KURZBESCHREIBUNG | Österreicherin, die durch einen Aufsehen erregenden Kriminalfall bekannt wurde |
GEBURTSDATUM | 17. Februar 1988 |
GEBURTSORT | Wien |